Die Szenerie erinnert an einen Western: Flirrende Hitze, tosender Wind, der den rötlichen Sand über die endlose Ebene und in die abbruchreifen Häuser einer verwaisten Ortschaft treibt, und ein großes Schild mit der Aufschrift „Sperrgebiet“, das Besucher daran erinnert, wie wenig willkommen sie in den Zeiten des intensiven Diamantenabbaus hier waren. Und auch das vorgelagerte Hafenstädtchen Lüderitz, 1883 von einem Bremer Kaufmann gegründet, hat seine besten Tage hinter sich, die Arbeitslosenrate unter den 12.000 Einwohnern liegt bei über 50 Prozent. 

Das – und einiges mehr – soll sich dramatisch ändern. Hier, im Tsau-Khaeb-Nationalpark am Rande der Namibwüste im Südwesten Namibias, sollen bereits ab 2026 nicht weniger als 600 Windturbinen und zwei Riesensolarfelder – mit zusammen sieben Gigawatt Leistung – erneuerbaren Strom erzeugen. 

Dazu kommt ein Elektrolyseur, der mithilfe des erneuerbaren Stroms grünen Wasserstoff produziert sowie ein weiteres Werk, um aus dem Wasserstoff das besser für den Transport geeignete Ammoniak herzustellen. Nicht zuletzt wird in Lüderitz angesichts der örtlichen Wasserknappheit eine Meerwasserentsalzungsanlage sowie eine neue Hafeninfrastruktur in Form von Offshore-Ankerplätzen samt Pipeline zum Ammoniakwerk geplant. So sollen jährlich etwa 300.000 Tonnen grüner Wasserstoff verflüssigt oder als Ammoniak von diesem verschlafenen Örtchen in die ganze Welt exportiert werden. 

Skandal im Sperrbezirk? Im Diamantensperrgebiet im Südwesten Namibias sollen große Mengen an grünem Wasserstoff erzeugt werden.

Erste potenzielle Abnehmer sind in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Japan bereits gefunden. Das Investitionsvolumen des Projektes beträgt 9,4 Mrd. US-Dollar – und entspricht damit fast dem heutigen BIP von Namibia. Die Umsetzung liegt in den Händen von Hyphen Hydrogen Energy. Das internationale Konsortium, dem der deutsche Projektentwickler Enertrag und der internationale Investor Nicholas Holdings angehören, setzte sich bei der Ausschreibung der namibischen Regierung im Jahr 2021 gegen seine Mitbewerber durch. Neben der Errichtung umfasst der Auftrag den Betrieb der Anlagen über 40 Jahre. 

Mit dem Projekt werden hohe Erwartungen verbunden. James Mnyupe, in Harvard ausgebildeter Berater des namibischen Präsidenten und Chef des staatlichen Wasserstoffclusters, ist zuversichtlich, dass das Projekt Namibia „nicht nur zu einem Zentrum für grünen Wasserstoff machen wird, sondern regelrecht zu einem globalen Powerhouse für synthetische Kraftstoffe“. Nur durch solche Großprojekte werde Namibia endlich als Handelspartner ernst genommen und komme heraus aus dem Hamsterrad als Empfänger von Entwicklungshilfegeldern. „Für den einfachen Namibier bedeutet das Hoffnung“, so Mnyupe gegenüber der BBC.

Entsprechend äußert sich die Lüderitzer Lokalpolitikerin Suzan Ndjaleka in einer Fernsehdokumentation euphorisch: „Bisher sorgten vor allem Fischfabriken und Minen für die Entwicklung unserer Städte. Nun können wir einer der wichtigsten Standorte für die Produktion von grüner, erneuerbarer Energie werden. Außerdem kann auch die Landwirtschaft von der Meerwasserentsalzungsanlage profitieren. Das schafft nachhaltiges Einkommen.“ 

Daten und Fakten

Ambitionierte Absichten

Das spärlich besiedelte Namibia will zum bedeutendsten Wasserstoffproduzenten Afrikas werden – und damit enorme Entwicklungssprünge vollbringen. Bis zum Jahr 2030 sollen in dem Land, das die zehnfache Fläche Österreichs hat, vier große Wasserstoff-Hubs errichtet werden.

Grün statt grau

Grüner Wasserstoff gilt als ein wesentlicher Hoffnungsträger der Energiewende. In energieintensiven Branchen, wie der Stahlerzeugung und der Düngemittelindustrie, könnte grüner Wasserstoff einen bedeutenden Anteil des grauen Wasserstoffs ersetzen, der aktuell den Großteil der weltweiten Wasserstoffnachfrage von jährlich etwa 90 Mio. Tonnen abdeckt. Grauer Wasserstoff wird durch Dampfreformation aus Erdgas gewonnen und ist damit sehr CO2-intensiv, grüner Wasserstoff entsteht hingegen durch Elektrolyse aus Wasser und erneuerbarem Strom und gilt damit fast als klimaneutral – die Wasserstofffarbpalette umfasst zudem türkis, blau und violett (siehe Grafik).

Grüner Wasserstoff stellt als Basis für synthetischen Kraftstoff oder direkt als Antrieb für Brennstoffzellen für den Flug- und Schwerverkehr eine Alternative zur schwer umsetzbaren Elektrifizierung dar. Grüner Wasserstoff könnte also dabei helfen, die Abhängigkeit von Erdgas zu verringern, was sowohl klima- als auch geopolitisch angesagt ist. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass die globale Produktion von grünem Wasserstoff von aktuell nur rund einer Mio. Tonnen bis 2030 auf 30 Mio. Tonnen pro Jahr anwachsen könnte. Laut ihren Schätzungen könnte die globale Nachfrage im Jahr 2050 gar bei über 500 Mio. Tonnen jährlich liegen.

Noch ist die Produktion grünen Wasserstoffs aber kaum rentabel. Die Herstellungskosten sind hoch, es mangelt an ausreichend Infrastruktur für Transport und Speicherung. Dazu kommt das Problem der hohen Energieverluste bei der Herstellung, Umwandlung und beim Transport. Allein während des Elektrolyseprozesses geht etwa ein Drittel der eingesetzten Energie verloren. Wirtschaftlich wird grüner Wasserstoff also erst, wenn der bei der Elektrolyse eingesetzte erneuerbare Strom in großen Mengen und zu sehr niedrigen Preisen produziert werden kann – so braucht man für die Produktion von einem Kilo Wasserstoff rund 45 Kilowattstunden Strom (damit könnte ein Elektroauto etwa 300 Kilometer weit fahren). 

 

Afrika bringt sich für grünen Wasserstoff in Stellung

Das geht laut Stefan Liebing, Unternehmensberater und Vorsitzender des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft, vor allem dann, wenn grüner Strom rund um die Uhr erzeugt werden kann: „Dafür braucht es eine Kombination aus Wind und Sonne. Dazu kommt die Notwendigkeit eines Hafenzugangs. Das bieten in Afrika die nordafrikanischen Staaten sowie Namibia und Südafrika.“ 

Angesichts dieser Geschäftsmöglichkeiten haben sich im Vorjahr Ägypten, Mauretanien, Marokko, Namibia, Südafrika und Kenia zur African Green Hydrogen Alliance zusammengeschlossen. Die Kooperation soll den Kapazitätenaufbau sowie die Entwicklung regulatorischer Maßnahmen, Zertifizierungen und Finanzierungsmodellen für grünen Wasserstoff made in Africa vorantreiben. 

Einige von ihnen preschen auch schon mit mehr oder weniger konkreten Projektvisionen vor. Allein Mauretanien plant mithilfe australischer und britischer Investoren zwei Megaprojekte, die zusammengenommen mehr als zwei Mio. Tonnen grünen Wasserstoff jährlich erzeugen sollen. Und Ägypten hat, so berichtet der WKÖ-Wirtschaftsdelegierte in Kairo Georg Krenn, im Rahmen der Klimakonferenz in Sharm el Sheikh im Vorjahr sieben Absichtserklärungen mit internationalen Unternehmen über die Wasserstoffproduktion in Ägypten unterzeichnet – mit einem addierten Investitionsvolumen von 85 Mrd. US-Dollar.

Interview mit Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrikavereins der deutschen Wirtschaft

Diversifizierung als Wert

Für Stefan Liebing stehen die Vorteile, die grüner Wasserstoff aus Afrika bietet, außer Frage. Was es nun braucht, seien konkrete Zusagen.

Bedenken aus Namibia

Forschern der Technischen Universität Delft zufolge kann der Exportpreis von grünem Wasserstoff aufgrund der guten Rahmenbedingungen in spezifischen Regionen Afrikas bei etwa 2,50 Euro pro Kilogramm liegen. In Mitteleuropa werde aufgrund der weniger günstigen Bedingungen der Preis selbst im Jahr 2050 noch bei etwa 3,80 Euro liegen. 

Der namibische Unternehmensberater und Energieexperte Detlof von Oertzen hält die prognostizierten geringen Preise und großen Worte für wenig realistisch. Seiner Meinung nach ist es noch völlig offen, ob sich die namibische Wasserstoffindustrie als profitabel darstellen wird. Allerdings hält von Oertzen  Großprojekte dieser Art in Namibia grundsätzlich nicht für zielführend: „Namibia hat gar nicht die Kapazitäten, die Energieüberschüsse, die bei solch einem Projekt produziert werden könnten, in das Netz einzuspeisen. Da gibt es weder Verteilungspläne noch die Möglichkeit, das Netz stabil zu halten. Und es gibt auch keine lokalen Märkte für Wasserstoff oder Ammoniak. Wenn wir in Namibia eine langfristige nachhaltige Entwicklung anstreben, dann müssen wir zusehen, dass diese Projekte tatsächlich auch in den sozioökonomischen Rahmen des Landes hineinpassen.“ Zudem sei zu befürchten, dass Namibia im Wettbewerb der Anbieter von grünem Wasserstoff gegenüber wirtschaftlich stärkeren Ländern wie Australien oder Chile oder den nordafrikanischen Staaten, die deutlich näher an den potenziellen Abnehmern in Europa liegen, das Nachsehen haben wird.  

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Begrenzte Exportkapazitäten: Der Hafen des verschlafenen namibischen Städtchens Lüderitz wartet noch auf seinen Ausbau.

Zuversicht in Deutschland

Stefan Liebing hält die Skepsis bezüglich der Profitabilität angesichts des immensen globalen Bedarfes für unbegründet. Auch die größere Entfernung Namibias von Europa ist für ihn kein Argument. „Die Transportkosten spielen als Anteil am gesamten Produktpreis eine eher untergeordnete Rolle. Ob Sie Marokko oder Namibia als Quelle haben, macht kaum einen Unterschied im Endpreis“, so Liebing. Die sozioökonomischen Argumente sind hingegen auch laut Liebing nicht von der Hand zu weisen – und bedürfen einer entsprechenden Vorsorge. 

Dabei gibt es in diesem Zusammenhang ein deutsch-namibisches Modellprojekt, das als Vorbild dienen könnte. Im Jahr 2007 wurde in der Nähe der Bergbaustadt Tsumeb im Norden Namibias vom deutschen Zementhersteller Schwenk die moderne Zementfabrik Ohorongo gegründet, die jährlich hunderttausende Tonnen Zement herstellt und Namibia damit von einem Zementimporteur zu einem -exporteur machte. Und nicht nur das: „Die Firma Schwenk hat zu Baubeginn eine Berufsschule ins Leben gerufen. Nach drei Jahren waren sowohl die Fabrik fertig als auch die ersten Fachkräfte ausgebildet. Das Werk hat heute 100 Prozent lokale Mitarbeiter, von der Werkleiterin bis zum Pförtner“, berichtet Liebing.   

Auch von der Wasserstoffproduktion werde die lokale Bevölkerung profitieren, sagt Liebing, in erster Linie durch Jobchancen. Allein die Bauphase des Mammutprojektes soll 16.000 Arbeitsplätze schaffen. Langfristig dürften in der Wasserstoffproduktion in der Region Lüderitz etwa 3.000 Jobs entstehen. Detlof von Oertzens Begeisterung darüber hält sich, zumindest was die Anzahl angeht, jedoch in Grenzen: „3.000 permanente Jobs sind angesichts der enormen Investitionssumme nicht viel. Das löst keine namibischen Probleme.“

Tunesien im Blick

Österreich ist bislang, was den zukünftigen Einsatz von grünem Wasserstoff angeht, deutlich zurückhaltender als Deutschland. Im Vorjahr wurde zwar eine Wasserstoffstrategie veröffentlicht, von einer umfassenden Importstrategie ist man aber noch weit entfernt. Konkret wird vom Klimaministerium aktuell vor allem mit Tunesien eine Wasserstoff-Partnerschaft thematisiert. Tunesien biete sich in der Tat als Partner an, weil es bereits Gaspipelines zwischen Tunesien und Italien gebe, berichtete Hamead Ahrary, Bereichsleiter Wasserstoff beim größten heimischen Stromerzeuger Verbund, im Rahmen einer Veranstaltung in der Oesterreichischen Kontrollbank Ende Jänner. Die Kosten, um die bestehenden Pipelines auch für den Wasserstofftransport nutzbar zu machen, würden sich auf weniger als ein Drittel des Baus neuer Pipelines belaufen. Zudem erspare man sich den häufig mühsamen Weg der Genehmigung neuer Fernleitungen. „Für eine Weile werden sowohl Erdgas als auch Wasserstoff durch diese Pipelines fließen. Peu à peu wird der Wasserstoff das Erdgas dann ablösen“, so Ahrary. Der Verbund strebe entsprechende Investitionen in Tunesien an. Passende Abnehmer für den grünen Wasserstoff und seine Derivate finden sich zudem auch in Tunesien selbst, vor allem in der großen Düngemittelindustrie – einem der wichtigsten Devisenbringer des Landes.

Video-Interview mit Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds

Paradigmenwechsel

In Namibia sind es zurzeit neben den Touristen die Bodenschätze, die Einnahmen und Devisen bringen: Gold, Zink, Uran und Diamanten. Bald könnten der Wind und die Sonne zu den wichtigsten Ressourcen heranreifen – vier große Wasserstoffzentren sind im Land geplant. Nicht nur für die Umwelt und das Klima wäre das ein großer Gewinn.

Fotos: Hyphen Hydrogen Energy (Pty) Ltd., Bohumil Cap, Sonse/Flickr, Club of Rome

Kommentar von corporAID-Autor Frederik Schäfer

Frederik Schäfer, corporAID

Desertec 2.0?

Mit Blick auf grünen Wasserstoff sollte eine diversifizierte Strategie verfolgt und auf lokale Bedürfnisse eingegangen werden.