Im Norden brennt die Sonne erbarmungslos herunter, im Süden bläst der Wind mit unerbittlicher Wucht: Während Chiles natürliche Gegebenheiten für Reisende zu Grenzerfahrungen werden können, stellen sie für die Produktion von Solar- und Windenergie beste Bedingungen bereit. Doch da der Transport und die Speicherung des Stroms schwierig sind, arbeitet das südamerikanische Land bereits seit Jahren intensiv an einer alternativen Energieform für den erzeugten Strom: an grünem Wasserstoff. 

Der Wiener Helmut Kantner ist einer der Pioniere im chilenischen Wasserstoffsektor. Sein Unternehmen Austria Energy entwickelt gemeinsam mit dem Planungsunternehmen Ökowind und mit Finanzierung des dänischen Investors Copenhagen Infrastructure Partners aktuell ein Großprojekt im Süden Chiles unweit der Magellanstraße: Hier entsteht auf einer Fläche von 50.000 Hektar – mehr als die Fläche Wiens – ein Windpark mit 2,8 Gigawatt Leistung. Der erzeugte Strom soll vor Ort mittels Elektrolyse in Wasserstoff und daraufhin in Ammoniak umgewandelt werden. Die Umwandlung in Ammoniak erklärt Kantner damit, dass dieser einfacher als Wasserstoff zu verflüssigen und damit auch zu transportieren ist – unter anderem per Schiff nach Europa. Aktuell laufen die vielfältigen Anträge zu Umweltverträglichkeitsprüfungen. Der Baubeginn für den Windpark, die Prozessanlage, einen neuen Hafen sowie eine Meerwasserentsalzungsanlage ist für 2025 geplant, der Vollbetrieb für 2028. Das Gesamtinvestment beläuft sich auf drei bis vier Mrd. US-Dollar.

„Bei unseren vielfältigen Solar- und Windprojekten betrug das größte Einzelinvestment bis dato 220 Mio. Dollar. Nun sind es mehr als zehnmal so viel, was zeigt, dass bei grünem Wasserstoff groß gedacht werden muss“, sagt Kantner. Denn erst bei entsprechender Skalierung seien für die Abnehmer akzeptable Kosten erzielbar.

Zugleich ist die Herausforderung, die Welt im Sinne des Pariser Klimaabkommens in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln, so groß, dass Minischritte nicht mehr ausreichen.

Grüner Wasserstoff, Helmut Kantner
Visionäre Helmut Kantner (li.), CEO von Austria Energy, und Joint-Venture-Partner Julian Weiß, CEO von Ökowind

„Es braucht den grünen Wasserstoff“

Wasserstoff ist vielseitig nutzbar: Wird er als synthetischer Kraftstoff oder Antrieb für Brennstoffzellen eingesetzt, lassen sich damit Fahrzeuge bewegen. Zugleich kann ihn die Industrie für Hochtemperaturprozesse nutzen. Das tun Wirtschaftsbereiche wie die Stahlindustrie bereits heute, doch kommt dabei zumeist grauer Wasserstoff zum Einsatz. Die Farbe bezieht sich auf die Art der Herstellung: Grauer Wasserstoff wird durch Dampfreformation aus Erdgas gewonnen, grüner Wasserstoff durch Elektrolyse aus Wasser und erneuerbarem Strom. Die Wasserstofffarbpalette umfasst zudem türkis, blau und violett (siehe Grafik).

Grüner Wasserstoff wird bislang noch nicht im industriellen Maßstab hergestellt und ist noch um ein Vielfaches teurer als der dominante graue Wasserstoff, von dem weltweit laut der Internationalen Energieagentur im Jahr 2018 knapp 70 Mio. Tonnen produziert wurden. Zugleich steigt die Nachfrage nach grünem Wasserstoff stetig, da er die Abhängigkeit von Erdgas verringern könnte und zugleich als Kernpfeiler der Energiewende, vor allem in der energieintensiven Industrie sowie im Schwerlastverkehr, gilt.

„Der Ausbau der Erneuerbaren ist bereits sehr vorangeschritten, aber es hakt an der Speicherung. Hier braucht es den grünen Wasserstoff“, sagt Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds, der die Bundesregierung bei der Umsetzung ihrer Klima- und Energieziele unterstützt. Laut Vogel führt für den Umstieg auf grünen Wasserstoff kein Weg an einem Ausbau der staatlichen Förderungen vorbei. 

Vielfältige Abnehmer für grünen Wasserstoff

Auf Förderungen angesprochen, schüttelt Helmut Kantner den Kopf. Denn dass Austria Energy zum Chile-Spezialisten wurde, ist vor allem seiner Abneigung gegenüber staatlichen Förderungen zu verdanken: „Zwischen 2006 und 2012 waren wir ausschließlich in Europa tätig. Die Fördervorgaben haben sich dabei laufend geändert und wir wollten nicht länger daran teilnehmen. Wir haben uns also gefragt, wo man erneuerbare Energien implementieren kann, ohne auf Förderungen angewiesen zu sein, und sind dabei auf Chile gestoßen.“

Seit 2013 entwickelt Austria Energy in Chile Solar- und Energieprojekte. Neben den günstigen klimatischen Voraussetzungen bietet das Land Kantner zufolge den Vorteil, dass am Energiemarkt in Dollar gezahlt wird und das Währungsrisiko für internationale Investoren damit gering ist. 2019 folgte zusammen mit Ökowind der Startschuss für das große Wasserstoffprojekt. „Für ein Unternehmen unserer Charakteristik war das ein sehr früher Zeitpunkt. Aber es ist uns bereits seit langem klar, dass an Wasserstoff oder einem Derivat davon wie Ammoniak kein Weg vorbeiführt, wenn wir aus Kohlenwasserstoffen herauskommen wollen“, sagt Kantner und fährt fort: „Wer bis 2040 grünen Wasserstoff liefern kann, wird sein Produkt aufgrund des knappen Angebots sicher und zu einem guten Preis verkaufen. Ab 2040, vielleicht auch erst 2050, wird sich eine Balance zwischen Angebot und Nachfrage einstellen, wie es sie bei jedem Produkt gibt.“ 

Als potenzielle Abnehmer nennt er vor allem all jene Industriezweige, die bereits heute Wasserstoff oder Ammoniak in ihrem Prozess einsetzen und lediglich von grau auf grün umstellen müssten. „Abnehmer Nummer eins ist die Düngemittelindustrie, dicht gefolgt vom Bergbau und der Stahlindustrie“, so Kantner. Im Verkehrsbereich liege mit Abstand das größte Potenzial in der Schifffahrt. „Ammoniak wird bereits mit Schiffen transportiert, aber die Motoren laufen noch mit Schweröl. Wenn aber ab etwa 2024 die ersten mit Ammoniak betriebenen Schiffe ausrollen, dann wird das einen Bedarf auslösen, der aus heutiger Sicht bis 2050 nicht zu befriedigen ist“, sagt Kantner. Schließlich könnten die etwa 2,6 Prozent der globalen CO2-Emissionen, die auf den Schiffsverkehr zurückzuführen sind, so in einem überschaubaren Zeitraum deutlich reduziert werden. 

Interview mit Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds

Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds

Selektive Verwendung

Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds, rechnet hierzulande mit einem Aufbau regionaler Wasserstoffcluster.

Bedarf an Ausbildung

Als wesentliche Herausforderung für sein Projekt, und letztlich alle großen Wasserstoffvorhaben, nennt Kantner die soziale Akzeptanz. Damit den Wasserstoffplänen in Chile nicht aufgrund einer Nicht-vor-der-eigenen-Haustür-Bewegung die Luft ausgeht, sucht Kantner den direkten Kontakt zu Organisationen und Menschen vor Ort: „Wir schaffen nicht nur viele lokale Arbeitsplätze, sondern versuchen der Region auch darüber hinaus etwas zu geben, beispielsweise vermehrte Ausbildungsmöglichkeiten sowie wirtschaftliches Wachstum in zahlreichen angrenzenden Bereichen wie Hotellerie oder Bau.“

Intensiv beschäftigt mit dem Thema grüner Wasserstoff in Chile hat sich auch Drazen Maloca. Einer der ersten Termine als österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Santiago de Chile vor rund vier Jahren führte ihn mit Helmut Kantner zusammen. „Er hat damals gesagt: Grüner Wasserstoff in Chile, das ist das Thema der Zukunft. Und ich musste erst einmal googeln, was das eigentlich ist. Herr Kantner war da ein Pionier und hat unter anderem seine chilenischen Ansprechpartner überzeugen können, dass grüner Wasserstoff immer rentabler wird“, sagt Maloca.

Nun werde mit dem Fokus auf Ausbildungsmöglichkeiten eine besondere Herausforderung adressiert. „Die Chilenen haben zwar sehr gut ausgebildete Ingenieure und viele Masterstudiengänge für Manager mit dem Schwerpunkt Wasserstoff. Die technische Ausbildung auf einer tieferen Ebene wird jedoch vernachlässigt. Man muss die Anlage ja nicht nur planen, sondern auch betreiben, warten und reparieren. Und da können Europa und Österreich mit Know-how helfen“, so Maloca.

Grundsätzlich ist er davon überzeugt, dass Chile sein ehrgeiziges Ziel, bis 2030 einer der weltweit größten Exporteure von günstigem grünen Wasserstoff zu werden, erreichen kann. „Die Industrien in Europa, Japan oder den USA warten ja bereits auf den grünen Wasserstoff aus Chile, um damit ihre energieintensiven Produkte herstellen zu können“, sagt Maloca.

Groß gedacht In Chile werden immense Flächen und Summen für die Erzeugung von erneuerbarer Energie und grünem Wasserstoff aufgebracht.

Wasserstoff-Weichensteller

Neben Helmut Kantner ist auch der Deutsche Rainer Schröer einer der Wegbereiter für grünen Wasserstoff in Chile. Als Leiter des Programms für erneuerbare Energien und Energieeffizienz bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ in Chile berät er die Regierung seit 2014 rund um die Energiewende und war entscheidend an der Erstellung der nationalen Wasserstoffstrategie beteiligt. „Wir haben hier zu einem sehr frühen Zeitpunkt aufzeigen können, dass man mit dem großen Potenzial an erneuerbaren Energien noch viel mehr machen kann als nur den Strom zu erzeugen, den das Netz braucht. Konservativ gerechnet können wir hier circa 5.000 Terawattstunden erneuerbaren Strom im Jahr erzeugen“, erklärt Schröer. Das entspräche dem Sechzigfachen des chilenischen Bedarfes oder rund einem Fünftel des globalen Stromverbrauchs.

Aktuell gebe es in Chile 15 große Wasserstoffprojekte, wie Austria Energy eines verfolgt. Dabei bevorzugt Schröer den Ausdruck nachhaltiger Wasserstoff: „Grüner Wasserstoff ist relativ einfach zu produzieren: Erneuerbare Energie, Elektrolyse, fertig. Hier in Chile lassen sich aber besser als in vielen anderen Ländern auch Aspekte wie Sozialverträglichkeit, Land- und Wasserverbrauch sinnvoll gestalten. Dabei ist das Hauptargument und Markenzeichen: Durch den Export von Energie wird die lokale Energiewende nicht gefährdet. Beides ist parallel möglich.“

Gerade auch angesichts des Krieges in der Ukraine steige die Nachfrage nach grünem Wasserstoff aus Chile bereits jetzt rasant an. Zudem eiferten vor allem weitere südamerikanische Länder dem schmalen Staat im Südwesten des Kontinents nach. „Wir als GIZ in Chile erhalten aus sehr vielen Ländern Nachfragen und können froh sein, dass wir so früh die Weichen für eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft in Chile gestellt haben“, berichtet Schröer.

Grüner Wasserstoff in Österreich: Luft nach oben

Der Wirtschaftsdelegierte Drazen Maloca würde sich diesbezüglich auch im Heimatland über mehr Weitblick und handfestes Interesse freuen: „Österreich kann von grünem Wasserstoff aus Chile vielfach profitieren. Zum einen durch den Export von Entsalzungsanlagen, Rohren, Speichersystemen oder Transportlogistik. Zum anderen sollten wir aber auch verstärkt zeigen, dass wir nicht nur unsere Maschinen liefern, sondern auch den Wasserstoff für unsere Industrie kaufen wollen. Und das möglichst bald.“

Grüner Wasserstoff neue Strategie
Die Minister Leonore Gewessler und Martin Kocher präsentieren die neue österreichische Wasserstoffstrategie.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist die neue österreichische Wasserstoffstrategie, die auch den anvisierten Ausbau internationaler Partnerschaften beinhaltet. Für die heimische Wasserstoffproduktion wird als Ziel genannt, dass bis 2030 eine Kapazität von einem Gigawatt für die Elektrolyse zur Verfügung stehen soll, um so jährlich vier Terawattstunden Wasserstoff zu erzeugen. Zum Vergleich: Der gesamte Energieverbrauch Österreich liegt bei etwa 400 Terawattstunden pro Jahr, Strom macht davon nur etwa 70 Terawattstunden aus. „Wir werden selbst grünen Wasserstoff produzieren, wir werden ihn vor allem in der Industrie einsetzen und wir werden die notwendige Infrastruktur schaffen“, sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler bei der Präsentation der neuen Strategie Anfang Juni und stellte 125 Mio. Euro an Förderungen im Rahmen des europaweiten IPCEI-Programms in Aussicht. Zudem wird eine Wasserstoff-Plattform namens H2Austria als Forum für den Dialog zwischen Stakeholdern aus Industrie, Energiewirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft ins Leben gerufen. 

„Noch ist grüner Wasserstoff in Österreich ein sehr abstraktes Thema, weil wir uns in einer Entwicklungsfrühphase befinden. Wir sind einen Schritt hinter Chile“, sagt Maloca. Auch in Kantners Augen ist Österreich „zu zögerlich“. Es gebe zwar Anwendungen, die funktionieren, auf der globalen Ebene trete man aber nicht vereint genug auf.

Wasserstoff-Vorreiter Deutschland

Eine Möglichkeit, die internationale Zusammenarbeit zu forcieren, sind Energiepartnerschaften, die Deutschland als zentrales Instrument der Energieaußenpolitik begreift und weltweit verfolgt. Dabei geht es um die Unterstützung des jeweiligen Partnerlandes bei der Energiewende – zugleich tragen Energiepartnerschaften aber auch zur Schaffung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen bei und eröffnen heimischen Unternehmen damit Geschäftschancen. Neben der Zusammenarbeit auf hoher politischer Ebene werden Forschungsinstitute und Unternehmen in die Gesprächsformate einbezogen.

Auch über den Ausbau internationaler Energiepartnerschaften hinaus wird das Thema grüner Wasserstoff in Europa vor allem von deutscher Seite vorangetrieben. Die Regierung setzt auf einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und der Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff. Neun Mrd. Euro sollen investiert werden, um bis 2030 eine Elektrolysekapazität von mindestens fünf Gigawatt aufzubauen – das entspräche der Leistung vier mittelgroßer Atomkraftwerke. Da auch dies den deutschen Bedarf an Wasserstoff nicht annähernd decken könnte, wurden Absichtserklärungen mit Ländern wie Chile oder Marokko unterzeichnet, die den zukünftigen Import von grünem Wasserstoff sichern sollen. 

Zugleich ist ein Mega-Projekt in Namibia in Planung. Ein Konsortium namens „Hyphen“ baut einen riesigen Energiepark, der Wind- und Solaranlagen sowie eine Elektrolyse- und Entsalzungsanlage umfasst. Das Investitionsvolumen des Projektes beträgt 9,4 Mrd. Dollar – ab 2026 sollen von dort jährlich 300.000 Tonnen grüner Wasserstoff in die Welt geliefert werden.

Grüner Wasserstoff Fronius Komplettlösung
Für den Hausgebrauch Fronius bietet eine Komplettlösung an, die Stromerzeugung, Umwandlung in grünen Wasserstoff, Speicherung sowie Betankung von Fahrzeugen umfasst – wobei die hier abgebildete geringe Anzahl an Solarpanelen (re.) nicht ausreichen dürfte, um genügend Strom für den Elektrolyseur (mi.) zu erzeugen.

Mehr Engagement

Auch in Österreich werden Stimmen lauter, die auf mehr internationales Engagement pochen. Der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Knill sagte kürzlich gegenüber der „Wiener Zeitung“, dass es „neben der inländischen Produktion einer umfassenden Importstrategie aus Regionen, in denen Wasserstoff mit sehr billigem Strom produziert werden kann“, bedürfe.

Helmut Kantner erhielt jedenfalls kürzlich in Chile hochrangigen Besuch aus Brüssel. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrel sagte ihm dabei zu, dass die EU auf der Suche nach Alternativen zu russischem Gas die Entwicklung von grünem Wasserstoff in Chile verstärkt unterstützen werde.

Fotos: IMF Photo/Tamara Merino, Austria Energy, BMK/Cajetan Perwein, Fronius