Diversifizierung als Wert

Ausgabe 98 – Frühjahr 2023

Für Stefan Liebing stehen die Vorteile, die grüner Wasserstoff aus Afrika bietet, außer Frage. Was es nun braucht, seien konkrete Zusagen.

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Stefan Liebing, Afrikaverein der deutschen Wirtschaft
Sie werben dafür, dass Deutschland zukünftig in großem Stil grünen Wasserstoff aus Afrika beziehen solle und jetzt die Weichen dafür gestellt werden müssten. Was hat Afrika davon?

Liebing: Jobs. Lokale Versorgung mit Strom. Einnahmen. Zusammengenommen ist das eine riesige Chance für Afrika. Seit Jahren geht die grüne Elektrifizierung in Afrika aufgrund mangelnder Finanzierung nicht recht voran. Ich habe viele Solarprojekte in afrikanischen Ländern verhandelt. Mindestens die Hälfte hat deshalb nicht funktioniert, weil uns die Banken gesagt haben: Es ist uns zu unsicher, daran zu glauben, dass der Energieversorger des afrikanischen Landes 20 Jahre lang jeden Monat seine Rechnungen bezahlt. Jetzt haben wir aber erstmals die Chance, Strom in Afrika für den Export zu erzeugen, was dafür sorgen wird, dass die Finanzierung dieser Projekte viel leichter möglich ist. Weil wir kreditwürdige, große, finanzkräftige internationale Abnehmer haben. Wenn wir die Projekte dann so gestalten, dass sowohl überschüssiger grüner Strom als auch Einnahmen vor Ort bleiben, dann haben wir mehr erreicht als in den vergangenen 50 Jahren mit den vielen Projektideen, von denen so wenige realisiert wurden. So wie Dubai sich massiv durch die Einnahmen aus Öl und Gas entwickelt hat, könnten sich einige Regionen in Afrika – und hier vor allem Namibia und Südafrika sowie die nordafrikanischen Staaten von Mauretanien bis Ägypten – durch den Verkauf von grünem Wasserstoff entwickeln. In Dubai waren es am Anfang auch nicht die Regierung oder der Staatsbetrieb, die die Ölvorkommen erschlossen haben, sondern ausländische Investoren. Aber man hat dafür gesorgt, ein so großes Stück vom Kuchen zu bekommen, dass signifikant Entwicklung vorangetrieben wurde. 

Ist der Krieg in der Ukraine ein Katalysator für grünen Wasserstoff aus Afrika?

Liebing: Laut dem deutschen Wirtschaftsministerium: ja. Minister Robert Habeck hat deshalb Ende 2022 Namibia und Südafrika besucht. Es ist kein Geheimnis, dass wir in Europa selbst nicht ausreichend grüne Energie für unseren Bedarf erzeugen können, also der Import die einzige Lösung ist, wenn wir a) von russischem Gas unabhängig werden und b) die Klimaziele erfüllen wollen. Dazu müssen jetzt großformatige Projekte realisiert und vor allem auch sichergestellt werden, dass die erzeugten Produkte zu uns kommen. Wir brauchen eine richtige Wasserstoffaußenpolitik. Energiepartnerschaften, die über Memoranda of Understanding und Wasserstoffdiplomatiebüros nicht hinausgehen, reichen nicht. Wir brauchen konkrete Lieferpartnerschaften. Wenn wir das ausschließlich dem Markt überlassen, wird es wie beim LNG-Geschäft: Dort kauft ein US-Konzern wie ConocoPhilips in Katar Flüssigerdgas und liefert es nach Deutschland, weil es bei uns kein einziges Unternehmen gibt, das in der Lage ist, einen 15-jährigen Gasliefervertrag mit seinen Risiken zu unterzeichnen. Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass das beim grünen Wasserstoff genauso kommen wird. 

Also mehr Kooperation zwischen Wirtschaft und Politik?

Liebing: Genau. Weil wir sonst keine Chance haben im Wettbewerb mit Ländern wie Japan, deren Wirtschaft und Politik gemeinsam auftreten und die 20-jährige Lieferverträge abschließen. Das Kernproblem ist ja: Versorgungssicherheit hat bei uns keinen Preis. Die Energieunternehmen sind quasi gezwungen, das günstigste Produkt zu kaufen, selbst wenn alles aus Russland kommt. Es sei denn, es gäbe eine Art von Regulierung, die Diversifizierung mit einem Anreiz versieht. Diesen muss es geben, damit ich als Unternehmer ein teureres Produkt kaufe, um etwa einen zweiten Lieferanten zu haben und nicht so abhängig von einem einzigen zu sein. Auch als Marktliberaler muss ich konstatieren: Hier herrscht Marktversagen. Und Marktversagen ist eine zulässige Begründung für staatliche Eingriffe. 

Vielen Dank für das Gespräch!