Wie bewerten Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage in Österreich?
Deliloglu: Die vergangenen Jahre waren äußerst herausfordernd, geprägt von der Corona-Pandemie, Lieferkettenstörungen und geopolitischen Konflikten. Die wirtschaftliche Abkühlung durch hohe Zinssätze war notwendig, um die Inflation zu senken. Österreich hat trotz dieser Widrigkeiten ein stabiles wirtschaftliches und ein vorhersehbares politisches Umfeld bewahrt. Generell bietet Österreich hervorragende wirtschaftliche Bedingungen und ein hohes soziales Sicherheitsnetz. Die geringe Arbeitslosigkeit kann jedoch die Suche nach qualifizierten Arbeitskräften erschweren.
IKEA hat die Covidkrise gut gemeistert. Gibt es Entscheidungen, die Sie im Rückblick anders treffen würden?
Deliloglu: Ich denke, wir haben wertvolle Lektionen gelernt. Trotz globaler Vernetzung musste jedes Land individuelle Lösungen finden. Österreich hatte viele Schließtage, was uns dazu führte, innovative Lösungen wie Click-and-Collect zu entwickeln. Wir haben uns entschieden, unsere Mitarbeiter weiterhin voll zu bezahlen und nicht auf staatliche Kurzarbeitergelder zurückzugreifen. Diese Entscheidung stärkte das Vertrauen und die Motivation unserer Mitarbeiter in einer unsicheren Zeit.
Diese Anpassungsfähigkeit war der Schlüssel zu unserem Erfolg. Den Wechsel zum Omnichannel-Handel hätten wir jedoch noch schneller vorantreiben können. Das Online-Geschäft wuchs schließlich von rund zehn Prozent auf 25 Prozent, was die Notwendigkeit unterstreicht, sich möglichst rasch an Marktveränderungen anzupassen. Österreich hat heute einen der höchsten Anteile an Online-Verkäufen in Europa, verglichen mit 15 Prozent in Italien und 20 Prozent in Spanien.
Hat sich das Konsumentenverhalten in Österreich seit der Pandemie verändert?
Deliloglu: Während der Pandemie stieg die Nachfrage nach Wohnaccessoires und Möbeln, da die Menschen mehr Zeit zu Hause verbrachten. Kunden erwarten heute eine nahtlose Integration von Online- und Offline-Kanälen. Diese Veränderung zeigt uns, wie wichtig es ist, flexibel und innovativ zu bleiben.
Welche Bedeutung messen Sie dem Thema Wachstum und Nachhaltigkeit bei?
Deliloglu: Wachstum an sich sollte nicht verteufelt werden, wichtig ist vielmehr, wie dieses Wachstum erreicht wird. Nachhaltigkeit ist ein zentrales Element unserer Strategie. 60 Prozent unserer Materialien stammen bereits aus erneuerbaren oder recycelten Quellen, und wir streben an, diesen Anteil auf 100 Prozent zu erhöhen. Wachstum kann also durchaus nachhaltig gestaltet werden – und sowohl Arbeitsplätze schaffen als auch die Lebensqualität verbessern. Für mich liegt die zentrale Herausforderung darin, eine kreislauforientierte Wirtschaft zu schaffen, die Wachstum mit Nachhaltigkeit in Einklang bringt.
Ist dies der Grund, weshalb Sie neben Ihrer Rolle als CEO auch als Chief Sustainability Officer fungieren?
Deliloglu: Das ist in allen IKEA Ländern so. Um ein Kreislaufunternehmen zu werden und unser Netto-Null-Klimaziel zu erreichen sind bedeutende Transformationen erforderlich. Deshalb haben wir diesen Zielen in jedem Land die höchste Entscheidungsbefugnis zugewiesen. In Österreich haben wir eine besondere Leidenschaft für Nachhaltigkeit, was uns ermöglicht, schneller als viele andere Länder zu transformieren. Nicht zuletzt veröffentlichen wir alle zwei Jahre eigene Nachhaltigkeitsberichte, um unseren Fortschritt zu dokumentieren. 
Beispielsweise haben wir seit 2016 trotz eines Geschäftswachstums von 44 Prozent unseren CO2-Fußabdruck um 30 Prozent reduziert. Derzeit bedienen wir knapp die Hälfte unserer Verkäufe durch unsere eigenen Transportleistungen. Wir haben bereits 60 Prozent unserer Lieferungen in ganz Österreich und 100 Prozent in Wien auf Elektromobilität umgestellt. Viele unserer Kunden verwenden eigene Fahrzeuge. Wir investieren daher auch in Lademöglichkeiten auf unseren Parkplätzen, um umweltfreundliche Mobilität zu fördern. Unser Ziel ist es, die „letzte Meile“ der Lieferkette vollständig emissionsfrei zu gestalten. 

Für mich liegt die zentrale Herausforderung darin, eine kreislauforientierte Wirtschaft zu schaffen, die Wachstum mit Nachhaltigkeit in Einklang bringt.

Welche Rolle spielt es, als Unternehmen im Nachhaltigkeitsspektrum proaktiv zu sein?
Deliloglu: Das ist äußerst wichtig. Umwelt- und Klimaschutzfragen sind sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Der Klimawandel ist die größte Herausforderung der Gegenwart, bietet aber auch immense Geschäftsmöglichkeiten. Verbraucher suchen vermehrt nach nachhaltigen Lösungen, um ihr Leben und die Umwelt zu verbessern. Aber um die globale Erwärmung effektiv zu bekämpfen, müssen alle an einem Strang ziehen und sich diesen Zielen verpflichten. Daher kommunizieren wir unsere Ziele offen und laden andere ein, sich anzuschließen.
Wie stehen Sie zum europäischen Lieferkettengesetz?
Deliloglu: Wir begrüßen gesetzliche Regelungen in diesem Bereich. IKEA nutzt seit 25 Jahren das Programm IWAY, um in seinen Lieferketten Umwelt- und Sozialstandards zu gewährleisten. Unsere Verträge mit Lieferanten sind an entsprechende Zertifizierungen gebunden, und sowohl unsere Teams als auch externe Prüfer überwachen die Einhaltung dieser Standards. Es ist jedoch grundsätzlich wichtig sicherzustellen, dass lokale Gesetze angemessen eingehalten werden.
IKEA gehört einer Stiftung. Hat dies Auswirkungen darauf, wie das Unternehmen Nachhaltigkeit priorisiert im Vergleich zu börsennotierten Unternehmen?
Deliloglu: Ohne den Druck, finanzielle Erträge an Aktionäre ausschütten zu müssen, können wir strategische Investitionen in langfristige Nachhaltigkeit tätigen. Dadurch können wir 85 Prozent unserer Gewinne wieder ins Unternehmen reinvestieren. Die restlichen 15 Prozente werden für gemeinnützige Zwecke verwendet. 
Welche Megatrends sind entscheidend für den zukünftigen Erfolg von IKEA? 
Deliloglu: Zu den wichtigsten Megatrends zählen die Omnichannel-Transformation, der Übergang zu zirkulären Materialien, nachhaltige Transportlösungen und die zunehmende Urbanisierung. Die Omnichannel-Transformation erfordert erhebliche Innovationen wie unsere neue IKEA App, die es Kunden ermöglicht, Möbel virtuell in ihrem Zuhause zu platzieren. Der Übergang zu zirkulären Materialien beinhaltet die Eliminierung von Plastik in allen Produktions- und Transportprozessen. Umweltfreundliche Transportlösungen sind in Europa in den nächsten Jahren obligatorisch, was unsere Investitionen in Elektromobilität und Wasserstofftechnologie erklärt. Die Urbanisierung führt zu kleineren Wohnungen, doch die Bedürfnisse der Menschen und damit die Anforderungen an Wohnraum steigen. Dieser Trend treibt die Nachfrage nach modularen und funktionalen Lösungen an. Unser hauseigenes Designteam entwickelt jährlich Lösungen für spezifische Bedürfnisse, die dann mit unseren Fertigungspartnern umgesetzt werden.

Der Klimawandel ist die größte Herausforderung der Gegenwart, bietet aber auch immense Geschäftsmöglichkeiten.

IKEA hat mehrere Innovationslabore. Konzentrieren sich diese auf bestimmte Regionen oder haben sie einen globalen Ansatz?
Deliloglu: Diese Trends sind global, und verschiedene Regionen befinden sich lediglich in unterschiedlichen Phasen derselben Entwicklung. Unsere Innovationslabore, wie zum Beispiel in Kopenhagen und China, arbeiten entsprechend global. Wir haben auch digitale Hubs in Madrid und Amsterdam sowie insgesamt über 4.000 Mitarbeiter in unserem digitalen Team, um unsere Omnichannel-Transformation voranzutreiben. Physische Geschäfte werden weiter existieren, jedoch werden sie mehr als Erlebniszentren fungieren. Gleichzeitig zwingen uns Märkte wie Indien und China, unser Geschäftsmodell zu transformieren und kostengünstigere Produkte zu entwickeln. Diese Märkte haben großes Potenzial und erfordern erhebliche Investitionen, um unsere Produkte erschwinglicher zu machen.
Welche Hauptfaktoren machen ein Land zu einem attraktiven Markt für IKEA?
Deliloglu: Die Größe des Marktes für Wohnraumausstattung und die wirtschaftliche Stabilität spielen eine entscheidende Rolle. Ein Markt muss groß genug sein, um eine Länderorganisation zu unterstützen und ausreichend Volumen zu generieren. Die wirtschaftliche Stabilität gewährleistet, dass unsere Investitionen gesichert sind und langfristig Früchte tragen. Derzeit gibt es keine konkreten Pläne für neue Länder, aber Inter IKEA arbeitet aktiv daran, neue Märkte durch Franchise-Rechte zu erschließen. Unser aktueller Fokus liegt auf Regionen wie Nordamerika und Lateinamerika.
Inwieweit ähneln sich Kunden in verschiedenen Ländern?
Deliloglu: Es gibt sowohl signifikante Unterschiede als auch auffällige Ähnlichkeiten. Unsere „Life at Home“-Umfrage mit weltweit mehr als 250.000 Teilnehmern in den vergangenen zehn Jahren hilft uns, spezifische Kundenbedürfnisse zu verstehen. Während grundlegende Bedürfnisse wie Schlafen und Essen überall ähnlich sind, variieren die spezifischen Präferenzen stark. Zum Beispiel unterscheiden sich Kissengrößen und Frühstücksgewohnheiten je nach Region. Solche Erkenntnisse ermöglichen es uns, maßgeschneiderte Lösungen anzubieten. Ein bemerkenswerter Trend ist die zunehmende Zeit, die Menschen zu Hause verbringen, und der Bedarf an Lösungen für Aktivitäten wie Homeoffice oder Sport. 

„People and Planet Positive“. Wir bemühen uns, bessere Lebensbedingungen für Menschen und den Planeten zu schaffen.

Was braucht ein Unternehmen, um fit für die Zukunft zu sein?
Deliloglu: Die Ausweitung unserer Omnichannel-Präsenz bedingt eine steigende Nachfrage nach Dienstleistungen, was die Kosten erhöht. Das Online-Geschäft ist oft weniger profitabel als der Offline-Verkauf, was eine Herausforderung darstellt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir nachhaltige Gewinnmodelle entwickeln und gleichzeitig die Preise senken.
Welche Rolle spielen Werte in einem Unternehmen wie IKEA?
Deliloglu: IKEA ist ein wertebasiertes und wertorientiertes Unternehmen. Unsere Werte bilden das Fundament unserer Ziele, und sie werden prominent in unserem Handeln dargestellt, worauf ich besonders stolz bin. Ich lebe nach diesen Werten und glaube, dass ich ein gutes Beispiel für sie in meinem persönlichen und beruflichen Leben bin. Ein Kernwert, der in der schwedischen Tradition verwurzelt ist, ist mir besonders wichtig: ständige Erneuerung. Dies ist dem Einzelhandel inhärent, wo jeder neue Jahresabschnitt eine neue Reise bedeutet. Wir streben ständig nach Verbesserung, sind nie allzu zufrieden oder selbstgefällig mit unseren Leistungen. Stattdessen suchen wir nach besseren Möglichkeiten, zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Im letzten Jahrzehnt haben wir einen weiteren wichtigen Wert eingeführt: „People and Planet Positive“. Wir bemühen uns, bessere Lebensbedingungen für Menschen und den Planeten zu schaffen.
Was macht einen erfolgreichen Manager aus?
Deliloglu: Erfolg kommt durch die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden. Es geht nicht nur um kurzfristige Ziele, sondern auch um Nachhaltigkeit und Kontinuität. Als wettbewerbsorientierter Mensch messe ich mich nicht an anderen, sondern an meinen eigenen bisherigen Erfolgen. Der innere Antrieb, stets neue Ziele zu setzen und zu erreichen, nährt meine Leidenschaft. Das Streben nach Exzellenz und kontinuierlichem Fortschritt motiviert mich jeden Tag aufs Neue.
Vielen Dank für das Gespräch

Zur Person

Alpaslan Deliloglu. Der in der Türkei geborene Manager ist seit 2019 Geschäftsführer von IKEA Österreich. Deliloglu studierte internationale Beziehungen, Politik und Wirtschaft an der Universität Kirikkale, Türkei. Seit 2004 ist Deliloglu Teil des IKEA Teams, zunächst als Commercial Director für die Türkei. Zuletzt fungierte er als stellvertretender Geschäftsführer von IKEA Schweiz.

Zum Unternehmen

IKEA Möbelhaus in Wien

Der multinationale Einrichtungskonzern IKEA wurde 1943 von Ingvar Kamprad als Versandkatalogunternehmen gegründet. Weltweit gibt es heute 456 IKEA Filialen, davon 281 in Europa. Der Umsatz betrug zuletzt rund 44 Mrd. Euro. Seit 1977 ist das schwedische Möbelunternehmen auch in Österreich vertreten: In acht Einrichtungshäusern, sieben Planungsstudios, zwei Logistikzentren und elf Abholstationen arbeiten rund 3.600 Mitarbeiter. Im Geschäftsjahr 2022/23 erwirtschaftete IKEA Österreich 1,016 Mrd. Euro Umsatz, ein Wachstum von 11 Prozent. IKEA Österreich gehört zur Ingka Gruppe, dem weltweit größten IKEA Franchisenehmer.

Fotos: Stefan Karisch