Fast geräuschlos gleiten die knallroten Motorräder der Firma Ampersand durch die Straßen Kigalis, die üblichen Rußschwaden fehlen gänzlich. Denn die rund tausend Ampersand-Motorradtaxis, die aktuell in Ruandas Hauptstadt unterwegs sind, funktionieren benzinfrei, ihr Antrieb ist elektrisch, wobei ihre Akkus nicht an Tankstellen geladen, sondern an eigenen Ampersand-Stationen ausgetauscht werden. Nächstes Jahr sollen es nach Firmenangaben bereits 4.000 – von insgesamt 40.000 Mototaxis in Kigali – sein, auch in Kenia ist Ampersand bereits aktiv. Bis 2030 sollen 600.000 E-Motorräder des 2019 gegründeten Unternehmens in ganz Ostafrika unterwegs sein. 

Rot, Gelb, Grün: Ampersand-Elektromotorräder sollen zu einer besseren Luftqualität in Kigali beitragen.

Der österreichische IT-Manager und Unternehmensberater Martin Thurner zeigt sich beim Vor-Ort-Besuch in Kigali begeistert: „Was Ampersand hier binnen weniger Jahre aufgezogen hat, wäre in Europa in dieser Form allein aufgrund der Vielzahl an notwendigen Genehmigungen undenkbar.“ Thurner war Teil einer Delegation von 20 österreichischen Unternehmern, die im Rahmen der Learning Journey Digital Rwanda 2023 nicht nur Ampersand, sondern auch etliche weitere disruptive ruandische Unternehmen besuchten – vom Drohnendienstleister Zipline bis zu der vom Österreicher Tobias Reiter geführten Logistikplattform für Krankenhäuser Viebeg. Was diese Unternehmen eint, sind eine ausgeprägte Kundennähe und die Suche nach Antworten auf handfeste Herausforderungen. 

„In Afrika geht es nicht darum, die nächste App zur Pflanzenbewässerung zu entwickeln. Es geht um echte Probleme, die uns letztlich alle berühren. Schließlich hat die Entwicklung Afrikas einen maßgeblichen Einfluss auf die Zukunft des ganzen Planeten“, sagt Karin Krobath, Unternehmensberaterin und Organisatorin der Reise. Zusammen mit Hans Stoisser hat sie bereits neun solcher Learning Journeys organisiert, sieben nach Kenia und zwei nach Ruanda. 

Krobath und Stoisser verstehen eine Learning Journey als Vorläuferin zu einer traditionellen Geschäftsreise. Denn während letztere in der Regel darauf ausgerichtet ist, bestimmte Produkte oder Dienstleistungen vorzustellen und zu verkaufen, zielt die Learning Journey darauf ab, durch das gemeinsame Erleben der lokalen Realitäten, durch die geplanten, aber auch zufälligen Begegnungen mit afrikanischen Unternehmern ganz neue Geschäftsideen und -modelle sowie Partnerschaften entstehen zu lassen. Der Fokus liegt auf digitalen Innovationen, die in Afrika zurzeit rasant um sich greifen.

Interview mit Karin Krobath und Hans Stoisser

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Türöffner für Neugierige

Karin Krobath und Hans Stoisser wollen mit ihren Learning Journeys überkommene Afrikabilder überwinden – und die Basis für neue Partnerschaften legen.

Game Changer Mobile Money

Auf dem Radar hat Afrikaexperte Stoisser die technologische Entwicklung auf unserem Nachbarkontinent, seit im Jahr 2007 das Bezahlsystem M-Pesa vom kenianischen Mobilfunkunternehmen Safaricom ins Leben gerufen und Millionen Afrikanern erstmals die Chance gegeben wurde, auch ohne Bankkonto über das Mobiltelefon bargeldlos zu bezahlen.

Heute ist Mobile Money in vielen Ländern Afrikas gang und gäbe. Auch in der Telekommunikation wurden vielerorts Phasen übersprungen, Afrika ist, so betont Hans Stoisser, der erste Mobile-Only-Kontinent: „60 Prozent der 1,2 Milliarden Einwohner Afrikas besitzen ein Mobiltelefon, das als Kreditkarte fungiert, medizinischen Rat bietet, Marktinformationen liefert und eine Plattform zum Verkauf ihrer Produkte darstellt. Noch viel mehr als bei uns ist in vielen Teilen Afrikas das Handy bereits ein Werkzeug, um den Lebensunterhalt zu verdienen.“ In den Metropolen Lagos, Kairo, Nairobi, Dakar oder Kapstadt sind nun vor allem Start-ups aktiv dabei, Finanzdienstleistungen und die Gesundheitsversorgung zu revolutionieren oder ineffiziente Lieferketten zu optimieren. 

Mobiles Marktgeschehen: Im Tech-Pionierland Kenia ist der Mobile Money-Service M-Pesa allgegenwärtig – auch für Obst und Gemüse braucht man kein Bares mehr.

Learning Journeys als Aha-Erlebnis

Barbara Stöttinger, Dekanin der Executive Academy an der Wirtschaftsuniversität Wien, gerät ins Schwärmen, wenn sie an ihre Eindrücke bei den Learning Journeys in Kenia zurückdenkt: „Es war eine herausragende Erfahrung zu sehen, wie die scheinbare Kluft zwischen knappen Ressourcen und Hochtechnologie überbrückt werden kann, um brennende gesellschaftliche Probleme zu lösen.“ Im Anschluss an ihre erste Learning Journey in Nairobi integrierte Stöttinger diese Methode in das Curriculum für Führungskräfte, die berufsbegleitend einen MBA an der WU Executive Academy machen. 

„Kenia war für mich ein Eye-Opener – alle Vorurteile, die ich in Bezug auf Wirtschaft und Unternehmertum in Afrika hatte, bin ich mit einem Schlag losgeworden. Und es war schön zu sehen, dass es den erfahrenen Führungskräften beim ersten Kontakt genauso gegangen ist wie mir. Da war klar: Das ist für uns der Anfang einer Serie an Learning Journeys nach Afrika“, berichtet Stöttinger. 

Fallstudien in Echtzeit

Zusätzlich zum Programm der allen Interessierten zugänglichen Learning Journeys arbeiten die MBA-Studierenden über die gesamten fünf Tage in Kleingruppen an einer aktuellen strategischen Fragestellung eines innovativen afrikanischen Unternehmens. Im Vorjahr war die Gruppe etwa bei Twiga Foods zu Gast. Das kenianische Start-up hat sich zum Ziel gesetzt, Afrikas Ernährungssicherheit zu verbessern. Dafür wurde eine mobilfunkbasierte, bargeldlose B2B-Lieferplattform ins Leben gerufen, um Kleinbauern und Einzelhändler zusammenzubringen. Twiga Foods beschäftigt mittlerweile mehr als tausend Mitarbeiter und wurde vom Time Magazine zu einem der hundert weltweit einflussreichsten Unternehmen des Jahres 2022 gekürt. 

Die österreichischen MBA-Studierenden bekamen zu Beginn ihrer Learning Journey von Twiga Foods CEO Peter Njonjo eine aktuelle Fragestellung präsentiert. Diese behandelten sie an den folgenden Tagen auch basierend auf Exkursionen in Lagerhäuser, zu Märkten und Händlern. Am letzten Tag der Reise traf man erneut mit dem CEO zusammen und diskutierte über die erarbeiteten Lösungen. „Eine solche Erfahrung ist auch für Executive-MBA-Studenten nicht alltäglich. Üblicherweise lernen diese anhand von Harvard-Case Studies. Die sind zwar großartig ausgearbeitet, letztlich handelt es sich aber um totes Material. Doch das, was wir ihnen in Ostafrika bieten, sind Eingriffe am lebenden Körper“, sagt Hans Stoisser. 

Barbara Stöttinger berichtet, dass sich ihre Studierenden nicht nur vom Unternehmergeist vor Ort, sondern auch vom Ansatz, strategische Fragestellungen auf Augenhöhe anzugehen, tief beeindruckt gezeigt haben – und nun selbst einen Beitrag leisten wollen: „Die Studierenden haben einen Investmentfonds für Projekte im Bereich Healthtech ins Leben gerufen, der bereits ein Funding von zwei Millionen Dollar aufweist. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie eine solche Reise tatsächlich wirtschaftliche Auswirkungen haben kann“, so Stöttinger. 

Infos aus erster Hand: Die MBA-Studenten besichtigen die Twiga Foods-Lagerhallen.

Mehr Brücken als Mauern

Derart konkrete Ergebnisse hat die jüngste Learning Journey nach Ruanda (noch) nicht erbracht. Doch die Teilnehmer zeigen sich überzeugt, dass die gesammelten Erfahrungen auf die eine oder andere Weise auch für ihre Aktivitäten in Österreich relevant sein werden: von neuen Impulsen für ihre eigenen Geschäftsprozesse über potenzielle Investitionsziele bis hin zur Gewinnung neuer Mitarbeiter. So arbeitet Roland Tscheinig, Eigentümer des Wiener Softwareunternehmens Objentis und einer der Teilnehmer, auch mit einem Softwareentwickler aus Ruanda, der von Kigali aus für ihn tätig ist und auf den bald weitere folgen könnten: „Es gibt viele Offshoring-Versuche, die an unterschiedlichen Kulturen und Zugangsweisen scheitern. Ganz anders ist unsere Erfahrung mit unserem Mitarbeiter aus Ruanda: Es gibt eine persönliche Bindung. Wir leben nämlich nicht nur in einer ähnlichen Zeitzone, sondern teilen auch viele ähnliche Ansichten“, sagt Tscheinig. 

Gemeinsamkeiten statt Unterschiede zwischen Afrika und Europa vor den Vorhang zu holen: Dafür sind die Learning Journeys geeignet. Das betont auch Initiator Hans Stoisser: „Afrikaner sind uns viel näher, als wir glauben. Umgekehrt stehen wir Europäer den Menschen in Afrika nah und sind nach wie vor in vielen Belangen für sie Vorbilder. Es sind zwar viele chinesische Akteure in Afrika präsent, doch die Einheimischen sind mit ihnen nie richtig warm geworden.“ 

Aktuellen Studien zufolge könnte sich das aber zumindest in einigen Ländern Afrikas gerade ändern: Denn trotz der immer wieder thematisierten kulturellen Unterschiede zwischen Afrika und China ist dem amerikanischen Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center zufolge China bei 80 Prozent der Bevölkerung in Kenia oder Nigeria beliebt. Derweil bestätigt das Französische Institut für internationale Beziehungen in einem detaillierten Bericht das zunehmend offensichtliche antifranzösische Ressentiment in den ehemaligen französischen Kolonien im Sahel. Die Tatsache, dass Österreich keine nennenswerte koloniale Geschichte aufweist, dürfte für die eigene Wahrnehmung in Afrika von Vorteil sein. Für Stoisser liegt das Kernproblem entsprechend woanders: „Es besteht darin, dass wir zu vorsichtig sind, vielleicht sogar nicht einmal Interesse haben oder es nicht als notwendig erachten, mit Afrika zu kooperieren.“ 

Ein erster Schritt, um das zu ändern, könnte eine Teilnahme an einer Learning Journey ins digitale Afrika sein. Dafür werben unisono auch die Teilnehmer der vergangenen neun Learning Journeys, unter ihnen Stefan Borgas, CEO der RHI Magnesita: „In Afrika gibt es mehr Hoffnung auf Zukunft, als Europa weiß. Lasst es uns nicht verpassen“, so Borgas. Wer sich seinem Aufruf anschließen möchte, muss nicht mehr lange warten: Die nächste Learning Journey findet im November statt, erneut heißt das Ziel Silicon Savannah in Nairobi. 

Fotos: Ampersand, Next Africa (2), IMF/Flickr