Kalt ist es nicht, dennoch grüßen Pinguine in Senegals Hauptstadt Dakar an fast jeder Ecke. An den einfachsten Marktständen, bei den Erdnussverkäuferinnen oder Korbflechtern, überall sind Pinguine zu entdecken, auf Plakate gedruckt oder in bunten Farben händisch aufgemalt. Darunter dann der Schriftzug: „Payez avec Wave“ – „Bezahlen Sie mit Wave“.

Der putzige Pinguin ist das Logo und Markenzeichen von Wave, einem der erfolgreichsten Start-ups Afrikas, dessen Wert Investoren im Vorjahr mit 1,7 Mrd. US-Dollar bezifferten. Und darum geht es: Geld senden, empfangen oder Rechnungen bezahlen ohne Bedarf eines Bankkontos und so einfach wie das Versenden einer SMS. „Wave ist das Mobile Money-WhatsApp: radikal integrativ und extrem erschwinglich. Das Einzige, was man dazu braucht, ist eine Telefonnummer und sehr schwaches Internet. Und Menschen ohne Smartphone können mit einer Karte und QR-Code bezahlen“, erklärt Gnagna Koné, PR-Managerin des Unternehmens.

Start up Afrika Wave Kone
Gnagna Koné, Wave

Es ist die Niederschwelligkeit, mit der sich Wave von seinen Mitbewerbern abhebt, so Koné: „Die ersten Mobile Money-Angebote waren eine fantastische Innovation. Doch wir sind die ersten, die Bedingungen anbieten, die für alle geeignet sind, von den wohlhabendsten und technisch versiertesten Menschen bis hin zu jenen, die nicht lesen und schreiben können.“ Das Bezahlsystem M-Pesa, das 2007 vom kenianischen Mobilfunkunternehmen Safaricom ins Leben gerufen wurde und Millionen Afrikanern erstmals die Chance gab, auch ohne Bankkonto über das Mobiltelefon bargeldlos zu bezahlen, ist in ihren Augen in die Jahre gekommen, technologisch und hinsichtlich der Gebühren. So können wie M-Pesa- auch Wave-Nutzer in eigenen Filialen Bargeld auf ihr mobiles Konto einzahlen oder davon abheben, bei Wave geschieht dies im Unterschied zu M-Pesa jedoch gebührenfrei und bei Überweisungen geht nur ein Prozent des jeweiligen Transaktionswertes als Pauschale an das Unternehmen

Bei mehreren Millionen Kunden in verschiedenen Ländern Afrikas ist dies dennoch ein lohnendes Geschäft. Der Beteiligungsgesellschaft Sequoia Capital aus dem Silicon Valley hat die Idee jedenfalls gefallen. Im Vorjahr war Sequoia der Hauptinvestor der ersten Finanzierungsrunde, die dem Start-up 200 Mio. Dollar bescherte. Aktuell ist Wave neben dem Senegal auch in Mali, Burkina Faso, Uganda und der Elfenbeinküste aktiv, bereitet sich aber darauf vor, den gesamten Kontinent zu durchdringen.

Für den auf afrikanische Tech-Themen spezialisierten Unternehmensberater Hans Stoisser geht diese Entwicklung in die richtige Richtung: „Die Telekommunikationsanbieter wie Safaricom haben in Afrika gute Arbeit geleistet. Doch jetzt ist Disruption angesagt und die Investoren sind davon überzeugt, dass FinTechs wie Wave den afrikanischen Mobile Money-Markt prägen und weitere Bevölkerungsteile finanziell eingliedern werden.“

Daten und Fakten

Investitionsziele

Mehr als 80 Prozent der in Afrika getätigten Equity-Investments gingen 2021 in sechs Länder – Nigeria ist der unangefochtene Champion im Tech-Ökosystem.                      (Quelle: Partech)

Start ups in Afrika Grafik

Afrikas Start-ups erhalten viel Geld aus dem Ausland

Wie viel sich in der afrikanischen Start-up-Szene tut, ist an den Investorengeldern abzulesen, die – beflügelt von den Niedrigzinsen der vergangenen Jahre – aus aller Welt, insbesondere den USA, in afrikanische Start-ups fließen und den jungen Entrepreneuren damit die Möglichkeit geben, ihre Konzepte zu testen und eine skalierbare Infrastruktur aufzubauen. Laut dem jüngsten Bericht der französischen Investmentplattform Partech wurden allein im Vorjahr 5,2 Mrd. Dollar an Risikokapital in insgesamt 640 afrikanische Start-ups investiert. Dieses 3,6-fache Wachstum im Vergleich zu 2020 (1,43 Mrd. Dollar) macht Afrika zum schnellstwachsenden Ökosystem für Tech-Risikokapital weltweit.

Dabei gingen insgesamt 14 Megadeals mit Kapitalströmen von mehr als 100 Mio. Dollar über die Bühne, allein das FinTech Opay aus Nigeria ergatterte 400 Mio. Dollar. Die Trendanalyse, die der Bericht ebenfalls enthält, hebt hervor: FinTech-Start-ups, also jene, die wie Wave den Zugang zu Bezahlleistungen sichern sollen, ziehen mit Abstand am meisten Kapital an (3,2 Mrd. Dollar oder 63 Prozent der Finanzierungsmittel), Nigerias Start-up-Ökosystem dominiert (34 Prozent der gesamten Investitionen flossen in das bevölkerungsreichste afrikanische Land), und es gibt einen Zustrom neuer Investoren.

„FinTech geht voran, da es zum einen zuerst die Bezahllösungen braucht, um andere Produkte zu verkaufen. Und zum anderen können die Leistungen von FinTechs rein digital angeboten werden, benötigen also keine physischen Komponenten“, erklärt Stoisser. Daneben seien aber auch LogisticTech, HealthTech, EdTech oder AgriTech im Aufwind, also Start-ups, die Logistik-, Gesundheits- und Bildungsangebote schaffen und Effizienzsteigerungen in die Landwirtschaft bringen.

Twiga Foods: Afrikanisches Agro-Amazon

Afrika Start ups Twiga

Das 2014 gegründete kenianische Start-up Twiga Foods hat sich zum Ziel gesetzt, Afrikas Ernährungssicherheit zu verbessern – und selbst zum größten Lebensmittelhändler des Kontinents zu werden. Dafür wurde eine mobilfunkbasierte, bargeldlose B2B-Lieferplattform ins Leben gerufen, um Kleinbauern und Einzelhändler – vor allem auf afrikanischen Stadtmärkten – kurzzuschließen. Die Einzelhändler geben ihre Bestellungen über das Handy auf, bekommen dann von Twiga die Ware (zur Auswahl stehen rund 400 unterschiedliche Produkte) geliefert und erhalten zusätzlich einen 48 Stunden gültigen zinslosen Kredit zur Bezahlung der Lieferung. Als Kombination eines AgriTech- und LogistikTech Start-ups kann Twiga durch die Bündelung der Nachfrage lückenhafte Lieferketten schließen, effizienter gestalten und damit die verhältnismäßig hohen Lebensmittelpreise in Afrika verringern. Das Unternehmen beschäftigt rund 1.000 Mitarbeiter direkt, hat nach eigenen Angaben bereits 140.000 Einzelhändler in ganz Kenia erreicht und auf dem internationalen Investorenparkett dreistellige Millionenbeträge lukriert. Als langjähriger Coca-Cola-Manager in Kenia und Nigeria sammelte CEO und Mitgründer Peter Njonjo viel Erfahrung im Umgang mit herausfordernden Umfeldern. Er arbeitet zurzeit daran, die Plattform über Kenia hinaus auf fünf weitere afrikanische Märkte auszuweiten sowie weitere Dienstleistungen anzubieten. Bereits heute beraten Twiga-Mitarbeiter die Kleinbauern zu neuen Anbaumethoden oder bieten Unterstützung bei Finanzierungsleistungen an. Twiga Foods wurde vom Time Magazine zu einem der 100 weltweit einflussreichsten Unternehmen des Jahres 2022 gekürt – und wird auch als „afrikanisches Agro-Amazon“ bezeichnet, dessen Produktportfolio ständig anwächst.

Doch machen die aktuellen Krisen auch vor den afrikanischen Start-ups nicht Halt. So wird etwa im Start-up-Zentrum Nigeria, wo der Technologiesektor zwischen 2010 und 2019 mehr zum BIP des Landes beigetragen hat als Einnahmen aus Öl und Gas, für heuer eine leichte Abschwächung des Risikokapital-Wachstums erwartet. „Die Zinserhöhung wird sich auswirken und der zu beobachtende Abzug von Kapital aus Emerging Markets wird wohl auch das Risikokapital und damit die afrikanischen Start-ups treffen“, sagt Stoisser. Er ist sich aber sicher, dass die Innovationskraft und die Nachfrage nach Start-up-Lösungen auf dem Kontinent groß genug seien, damit Dellen in der Finanzierung wieder wettgemacht werden können. 

Davon ist auch Tijan Watt überzeugt. Der senegalesisch-amerikanische Harvard-Absolvent, Investment-Banker und Gründer einiger Start-ups, startete vor drei Jahren in Dakar die panafrikanische Risikokapitalfirma Wuri Ventures, mit der er sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort sieht. Das Geld, das in afrikanische Start-ups fließe, werde tatsächlich benötigt. Sie lösten nämlich echte Probleme, wo bestehende Unternehmen entweder nicht existierten oder nicht die Innovationskraft hätten, um Veränderungen zu bewirken. Watt: „FinTech-Unternehmen ermöglichen den Zugang zu Finanzdienstleistungen, wo die Banken mit ihren hohen Eintrittsbarrieren keinen Finger rühren. Logistikunternehmen haben die Lücken gefüllt, die die maroden und unterfinanzierten nationalen Postdienste sowie die zögerliche inländische Lieferpräsenz großer Logistikunternehmen wie DHL oder Fedex hinterlassen haben. Fragmentierte informelle Lieferketten werden durch Technologie effizienter, und die Gesundheitsversorgung wird durch gut finanzierte Start-up-Unternehmen erweitert.“

Start ups Afrika Tijan Watt
Brückenbauer: Investor Tijan Watt ist vom gesellschaftlichen Wert afrikanischer Start-ups überzeugt.

Vernetzung ist nötig

Während Watt mit viel Emphase für den produktiven Nutzen von Investments in afrikanische Start-ups wirbt, grummelt es in Teilen der afrikanischen Start-up-Szene hinsichtlich des Faktes, dass 90 Prozent der Investorengelder an Start-ups gehen, die von Europäern oder Nordamerikanern zumindest mitgegründet wurden. Die Wienerin Patricia Rinke, die seit drei Jahren für den panafrikanischen Investor AfricInvest in der Sparte Risikokapitalfinanzierung tätig ist, hält die Aufregung für übertrieben: „Wir sind in einem so schnell wachsenden Markt mit derart viel Luft nach oben, dass quasi jedes Investment positiv zu bewerten ist. Und das Ökosystem braucht Leute, die Kapital von außerhalb Afrikas bringen, und das sind nun mal häufig Unternehmer, die die amerikanische Investmentszene persönlich kennen und daher Brücken zu internationalen Investoren bauen können. Daneben gibt es aber auch immer mehr Fonds, die sich auf afrikanische Gründer spezialisieren.“

AfricInvest wurde vor fast 30 Jahren in Tunis gegründet, hat in seiner Geschichte bereits knapp zwei Mrd. Dollar an Mitteln aufgebracht und bezeichnet sich selbst als erfahrenster Investor aus Afrika in Afrika. Seit drei Jahren stellt AfricInvest gemeinsam mit Cathay Innovation Risikokapital für Start-ups zur Verfügung und hat seitdem in elf aufstrebende afrikanische Start-ups investiert. „Start-ups sind sehr wichtig für Innovation in Afrika, funktionieren aber nur, wenn sie auch in das existierende Ökosystem integriert werden. Ein FinTech-Start-up kann oft nicht allein überleben, sondern braucht Banken als Partner. Oder es braucht die entsprechenden Lizenzen, also die politische Akzeptanz. Und dabei können wir helfen“, sagt Rinke. So spielte AfricInvest eine entscheidende Rolle bei der Erarbeitung des tunesischen Start-up-Acts, den die Regierung 2018 verabschiedete, um Start-ups bei Steuern und bürokratischen Prozessen Erleichterungen zu verschaffen. „Das wird nun auch in anderen afrikanischen Ländern, beispielsweise im Senegal und in der Elfenbeinküste, durchgesetzt. Gerade in den französischsprachigen Ländern herrscht bis heute häufig eine traditionelle Bürokratie nach französischem Muster, die es Start-ups sehr schwer macht, zu bestehen“, verrät Rinke.

Investiert hat AfricInvest unter anderem in das tunesische KI-Start-up Instadeep, das inzwischen auch mit BioNTech zusammenarbeitet. „Pfizers Covid-Impfstoff hätten wir nicht so rasch bekommen, hätte Instadeep nicht über Algorithmen das nötige Target-Protein gefunden. Ein Beispiel dafür, dass auch Deep Tech, also besonders innovative Technologie, aus Afrika kommen kann“, sagt Rinke.

Flutterwave: Afrikas Bestseller

Start ups in Afrika Flutterwave aus Nigeria

Das nigerianische B2B-FinTech Flutterwave ist mit einer Investorenbewertung von drei Mrd. Dollar aktuell das wertvollste Start-up Afrikas. Flutterwave erleichtert mit Hilfe seiner API-Technologie das länderübergreifende Bezahlen zwischen Unternehmen und Banken in Afrika. Zudem unterstützt es internationale Kunden wie Uber oder Booking.com bei der Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit in Afrika. Das Start-up wurde 2016 von einem Team afrikanischer Finanzexperten gegründet und hat seitdem rund 16 Mrd. Dollar an Zahlungen und 200 Millionen Transaktionen in den 34 afrikanischen Ländern ermöglicht, in denen das Unternehmen derzeit tätig ist – und dazu etwa eine halbe Mrd. Dollar an Risikokapital, vor allem aus dem Silicon Valley, erhalten. Flutterwave kooperiert mit großen internationalen Playern wie Paypal oder Alipay, insgesamt nutzen es 900.000 Unternehmen, um Zahlungen in 150 Währungen über verschiedene Zahlungsarten – lokale und internationale Karten, Mobile Money, Banküberweisungen und die eigene Bezahllösung Barter – abzuwickeln. „Wir sind zu dem geworden, was wir sein wollten: die Infrastruktur für jede Art von Zahlungen“, sagt Gründer und CEO Olugbenga Agboola. Agboola will Flutterwave nach der Durchdringung des afrikanischen Kontinents zunächst in Lateinamerika und im Mittleren Osten, danach auch in den USA und Europa etablieren. In Tech-Kreisen wird bereits seit Monaten über einen Börsengang von Flutterwave spekuliert, der CEO betonte aber lange, dass der Fokus vorerst weiter auf „Blitzscaling“, also der rasanten Skalierung der eigenen Produkte, liege. Neuesten Meldungen zufolge strebt Flutterwave nun aber doch den Gang an die US-amerikanische Tech-Börse Nasdaq an.

Auf Tuchfühlung mit Afrikas Start-ups

Dass der afrikanische Start-up-Spirit auch für österreichische Unternehmer bedeutsam sein kann, hält Hans Stoisser für ein nach wie vor (zu) gut gehütetes Geheimnis. Mit seinen Learning Journeys bietet er heimischen Unternehmen einen intensiven Austausch mit afrikanischen Entrepreneuren und die Möglichkeit, innovative Geschäftsmodelle kennenzulernen – im Jänner wird er bereits zum sechsten Mal durch das kenianische Start-up-Ökosystem führen.

Führungskräfte, die an der Executive Academy der Wirtschaftsuniversität Wien einen berufsbegleitenden MBA machen, brachte er im Vorjahr zum kenianischen Start-up Twiga Foods, nicht, um sie einmal durch die Hallen des AgriTech-Start-ups zu führen, sondern um sie in Form einer Case Study tief eintauchen zu lassen. „Twiga Foods-CEO Peter Njonjo präsentierte unseren Teilnehmern eine aktuelle strategische Fragestellung, die diese dann – auch fußend auf Exkursionen in Lagerhäuser und zu Märkten – im Laufe der nächsten Tage in Arbeitsgruppen behandelten. Am letzten Tag wurden die Lösungen mit dem CEO diskutiert“, berichtet Stoisser. Im Wesentlichen ging es um die Frage, wie sich Twiga Foods, das von Investoren bereits Beträge im dreistelligen Millionenbereich lukrieren konnte und mittlerweile rund 1.000 Mitarbeiter beschäftigt, weiterentwickeln kann. Laut Stoisser zeigten sich die österreichischen Manager im Anschluss an diese Learning Journey sehr inspiriert. „Weil in Afrika für viele überraschend viel los und weil es so hands-on ist“, so Stoisser. Diese Beobachtung kann Patricia Rinke nur bestätigen: „Start-ups in Europa oder den USA sind gut darin, Nice-to-haves in vermeintliche Must-haves zu konvertieren, etwa Millionen Songs gleichzeitig zur Auswahl zu haben. In Afrika geht es aber weiter um wirklich essenzielle Fragestellungen.“

Fotos: Bambino, Prosper Africa, Twiga Foods, Flutterwave