Interview mit Michaela Schmiedchen, KPMG

Menschenrechte sind kein Randthema.

Ausgabe 90 – Frühjahr 2021

Michaela Schmiedchen, Senior Managerin im Bereich Sustainability Services bei KPMG, sieht noch viel Luft nach oben bei der Auseinandersetzung heimischer Unternehmen mit dem Thema Menschenrechte.

Michaela Schmiedchen, KPMG
Michaela Schmiedchen, KPMG

corporAID: Wo steht das Thema menschenrechtliche Sorgfalt aktuell bei österreichischen Unternehmen?

Schmiedchen: Mein Eindruck ist, dass sich viele österreichische Unternehmen noch mit der grundlegenden Bekenntnis zur Achtung der Menschenrechte, aber weniger mit den formellen Due Diligence Prozessen, die damit einhergehen, auseinandersetzen. Man darf das natürlich nicht zu sehr pauschalisieren, aber Menschenrechtsverstöße werden oft auf Kinder- und Zwangsarbeit reduziert, sodass heimische Unternehmen dies fälschlicherweise als ein für sie nicht wesentliches Randthema erachten. Das ist ein Irrtum, denn auch Themen wie Arbeitssicherheit oder Arbeitnehmerrechte sind Aspekte der Achtung der Menschenrechte. Für diese Breite des Themas muss aber noch deutlich mehr Bewusstsein geschaffen werden.

Wie können Unternehmen möglichst effizient menschenrechtliche Sorgfaltsprozesse etablieren?

Schmiedchen: Es ist wichtig, bestehende Managementsysteme zu analysieren und zu schauen, wie man hier menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltsprozesse integrieren kann. Man muss nicht unbedingt grundlegend neue Prozesse schaffen – im Gegenteil. Im Due Diligence Bereich gibt es sehr viel Synergiepotenzial. Hier geht es ja um Mechanismen, die auf alle möglichen Aspekte der Nachhaltigkeit und Compliance anwendbar sind – sei es Anti-Korruption oder Anti-Geldwäsche. Es muss auf Basis einer Auswirkungsanalyse geschaut werden, wo die Risiken liegen und adressiert werden müssen. Durch eine solche Analyse können etablierte Prozesse im Bereich Einkauf, Compliance- oder Personalmanagement beleuchtet und in weiterer Folge optimiert werden.

Wie kann man sicherstellen, dass aus diesen Prozessen nicht nur eine Vermeidungsstrategie wird, sondern bei Zulieferern identifizierte Probleme auch proaktiv adressiert werden?

Schmiedchen: Ein solcher Engagement-Ansatz kommt im Allgemeinen sicher noch viel zu kurz – ähnlich wie bei Investments, wo Ausschlusskriterien nach wie vor die vorherrschende nachhaltige Anlagestrategie darstellen. Natürlich ist es mitunter die einfachste Lösung für ein Unternehmen, bei bekannt gewordenen Missständen die Geschäftsbeziehung zu einem Lieferanten schnellstmöglich zu beenden. Aber das ändert nichts an der Situation, vor allen Dingen nicht dort, wo die Probleme in den Wertschöpfungsketten sitzen. Was sich daran ändern muss? Man muss Bewusstsein schaffen durch mehr Transparenz und mehr Offenheit von Unternehmen, sich ihren Risiken zu stellen, sie zu benennen und zu sagen: „Wir haben hier nicht die schnelle Lösung, aber wir wollen es angehen.“

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: KPMG

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