Interview

Management statt Illusionen

Ausgabe 78 – November | Dezember 2018

Belachew Gebrewold, Migrationsexperte am Management Center Innsbruck und Mitautor des Global Compact for Migration, moniert einen einseitigen Fokus auf Afrika. Er plädiert zugleich für Schutzzentren in den Nachbarstaaten von Krisenregionen.

Belachew Gebrewold, Studiengangsleiter am MCI
Belachew Gebrewold, Studiengangsleiter
am MCI
Was erwarten Sie sich vom „Hilfe vor Ort“-Gipfel in Wien?

Gebrewold: Nicht sehr viel. Die Interessenlagen sind einfach zu unterschiedlich. Was für die europäische Seite wichtig ist, ist für die afrikanische nicht wichtig und andersherum. Und die Migrationsursachen sind viel komplexer als von der Politik oft dargestellt wird. Diese glaubt, wenn mehr Geld investiert wird, finden die Leute sofort Arbeitsplätze und bleiben zu Hause. Oder wenn die Konflikte in einem Land beigelegt werden, bleiben die Leute dort.

Äthiopien und Eritrea haben gerade nach 20 Jahren Frieden geschlossen. Wird das die Migration aus Eritrea also nicht eindämmen?

Gebrewold: Kurz- und mittelfristig wird dies zu keiner Reduktion der Emigration aus Eritrea führen. Es könnte sogar sein, dass noch mehr Menschen auswandern werden, wenn die Repression im Land zurückgeht. Diese wird nämlich mit dem Kriegszustand mit Äthiopien begründet. Langsam könnte das Land also freier werden, die Lebensbedingungen werden sich aber nicht so schnell verbessern. Und es gibt viele Studien, die zeigen, dass auch mit zunehmendem Wohlstand Migration erst einmal zunehmen und nicht abnehmen wird. Es ist in meinen Augen eine Illusion, zu glauben, dass durch Hilfe vor Ort Migration kurzfristig abnimmt.

Das werden die politischen Entscheidungsträger in Europa nicht gerne hören.

Gebrewold: Die Faktenlage und der Diskurs klaffen komplett auseinander. So ist die Rede vor allem von Afrika, Marshallplan für Afrika, Hilfe vor Ort in Afrika, das Weltjournal berichtet über Menschenhandel aus Afrika. Wenn man aber vergleicht, wie viele Menschen aus Afrika und aus anderen Weltregionen nach Europa kommen, dann erscheint der Anteil an Afrikanern wenig dramatisch. Aber in vielen politischen Diskussionen klingt es, als würde sich der ganze Kontinent nach Europa bewegen. Es gibt keinen Marshallplan für Syrien, keinen Marshallplan für Afghanistan, Irak, Iran, Russland, Albanien, Georgien oder die Ukraine. Warum rückt man Afrika immer in den Mittelpunkt, worum geht es eigentlich wirklich in dem Diskurs? Mir fehlt hier die sachliche Ebene.

Welche konkreten migrationspolitischen Maßnahmen schlagen Sie vor?

Gebrewold: Logistisch einfacher und kostengünstiger für die europäische Seite wäre eine Bearbeitung von Asylanträgen in den Heimatregionen der Menschen. Ich plädiere also für Schutzzentren in den Nachbarstaaten der Krisenregionen. Von dort werden Schutzbedürftige sicher nach Europa gebracht. Und diejenigen, deren Antrag abgelehnt wird, sparen sich den gefährlichen Weg durch die Wüste. Sie können entweder in den Schutzzentren bleiben, dort leben und arbeiten. Oder sie kehren in ihre Heimatländer zurück. So wird die Flucht auch generell zurückgehen.

Wer ruft diese Zentren ins Leben?

Gebrewold: Die Afrikanische Union, afrikanische Regionalorganisationen, internationale Organisationen wie UNHCR, IOM, die EU: Sie könnten ihre Kräfte bündeln und mit den Nachbarstaaten von den Hauptherkunftsländern viel stärker zusammenarbeiten. Etwa mit Uganda, wo viele Flüchtlinge aus dem Südsudan sind. Oder mit Äthiopien und Kenia, wo viele Somalier Schutz gefunden haben. Das ist doch viel besser, als etwa erst Nordafrika zu bearbeiten.

Welche Rolle spielt die Entwicklungszusammenarbeit?

Gebrewold: Durch Entwicklungshilfe wird Migration nicht abnehmen. Und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Migrationspolitik sollten grundsätzlich entkoppelt werden. Wirtschaftliche Entwicklung sollte nicht nur aus Nächstenliebe, sondern auch aus eigenem Interesse so gestaltet werden, dass die Wirtschaft in der südlichen Hemisphäre nachhaltig wächst. Dass viele afrikanische Länder, wie Äthiopien, Ghana und die Elfenbeinküste, zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt gehören, wird dabei in Europa kaum wahrgenommen. Und Migration kann darüber hinaus für uns alle ein Vorteil sein – wenn sie gut gemanagt ist.

Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: Gebrewold

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