Kofi Annan Award 2.0.: Agritechs für Afrika

Der Kofi Annan Award for Innovation in Africa geht in die zweite Runde. Der vom Bundeskanzleramt initiierte Innovationswettbewerb fördert heuer Start-ups, die sich dem Kampf gegen Hunger und Mangelernährung in Afrika verschreiben. Innovationsexperten des Welternährungsprogramms wollen die Erfolgschancen der Entrepreneure maximieren.

Kofi Annan Award
Digitale Lösungen können zu einer produktiveren Landwirtschaft in Afrika beitragen.

Afrika ist eine Ausnahmeerscheinung. Während heute zahlreiche Länder – von Österreich über Thailand bis China – mit sinkenden Geburtenraten und zunehmend älteren Bevölkerungen konfrontiert sind, erleben viele afrikanische Staaten einen regelrechten Jugendboom. Mit einem Durchschnittsalter von 18,8 Jahren ist Afrika der jüngste Kontinent. Außerdem prognostizieren Demographen, dass die Bevölkerungszahl von heute rund 1,4 Milliarden Menschen bis 2050 auf fast 2,5 Milliarden Menschen anwachsen wird. Dieser Trend einer stark steigenden Bevölkerung, davon viele Menschen im erwerbsfähigen Alter, wird mitunter optimistisch als „demographische Dividende“ bezeichnet. Er birgt aber auch enorme Herausforderungen, von der Armutsbekämpfung und Ressourcenverteilung bis hin zu Fragen der Migration.

Innovatives Afrika

Entgegen mancher Klischees ist Afrika auch ein Hotspot für Innovation und Unternehmertum. In den vergangenen Jahren hat sich von Tunis bis Kapstadt eine dynamische Start-up-Szene entwickelt. Zu den viel zitierten Erfolgsbeispielen zählen mPesa, ein in Kenia entwickeltes mobiles Zahlungssystem, das Menschen ohne Bankzugang finanzielle Services bietet, oder die Technologieplattform Flutterwave aus Nigeria, die es Unternehmen ermöglicht, Zahlungen von Kunden überall auf der Welt zu verarbeiten. Neben prominenten Start-ups sind heute tausende Jungunternehmen in Sektoren wie Energie, Gesundheitswesen, Landwirtschaft oder Bildung aktiv.

Für Afrikas Biotop aus großen Herausforderungen und vielversprechenden Unternehmen interessiert man sich seit einiger Zeit auch auf dem Wiener Ballhausplatz. Schon als Österreich während des Vorsitzes der EU-Ratspräsidentschaft im Dezember 2018 zum hochrangigen Europa-Afrika-Forum lud, überlegte man im Bundeskanzleramt, wie sich die Beziehung zu Afrika vertiefen ließe. Die damaligen Bestrebungen mündeten schließlich, Ende 2021, in den Launch des Kofi Annan Award for Innovation in Africa, benannt nach dem ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen. Dieser Wettbewerb fokussiert auf die Förderung von in Afrika tätigen Start-ups. „Wir haben eine Initiative entwickelt, in deren Mittelpunkt pfiffige digitale Lösungen für kritische Probleme stehen“, erklärt Antonella Mei-Pochtler, Miterfinderin und Ko-Vorsitzende des hochrangigen Beratergremiums und der Jury des Awards. „Damit wollen wir eine Partnerschaft mit unserem Nachbarkontinent etablieren, die auf Augenhöhe stattfindet, frei von kolonialistisch und paternalistisch geprägten Sichtweisen“, sagt sie. Für dieses Vorhaben gewann das Bundeskanzleramt drei Partner: die Kofi Annan Stiftung, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und die Austrian Development Agency ADA. Eine Jury, bestehend aus bekannten Namen wie dem ehemaligen Google-CEO Eric Schmidt und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus sowie ein Unterstützernetzwerk komplettieren den Kofi Annan Award for Innovation in Africa.

Kofi Annan Award for Innovation in Africa: Die Zweitauflage

Der Wettbewerb orientiert sich an den 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDG). Zum Start im noch von der Coronapandemie geprägten Jahr 2022 lag der Fokus auf Health-Tech-Start-ups, die zum dritten SDG, „Gesundheit und Wohlergehen“, beitragen. Drei Gewinnerteams wurden im Juli 2022 ausgezeichnet und mit jeweils 250.000 Euro in ihrem weiteren Wachstum unterstützt. 

Kofi Annan Award
Die drei Gewinnerteams des ersten Kofi Annan Awards for Innovation in Africa wurden im Juli 2022 in Wien prämiert.

Als Gewinner konnten sich diese drei Health Techs durchsetzen: Flare, eine kenianische Plattform für Notfalldienste, die Erstversorger, Krankenwagen, Flugambulanzen und Spitäler vernetzt und damit eine rasche Patientenversorgung sicherstellt. Das nigerianische Start-up Mobicure, das jungen Menschen diskrete Beratung in Sachen sexueller und reproduktiver Gesundheit über eine App bietet und auch Internetapotheken betreibt. Und Vaxiglobal aus Simbabwe, das Personen, die keine Personaldokumente haben, hilft, Zugang zu den richtigen Impfungen zu bekommen. Dazu nutzt das Start-up eine Gesichtserkennungssoftware, die bio-metrische Daten in einer Cloud abspeichert und mit digital zertifizierten Impfungen verlinkt.

Die nun seit Jänner 2024 laufende zweite Auflage dreht sich um das SDG Nummer Zwei: „Kein Hunger“, in dem es um Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft geht. „Die Herausforderungen durch COVID-19 und der Konflikt in der Ukraine haben die Situation im Ernährungsbereich in Afrika deutlich verschärft. Angesichts dieser drängenden Problematik rücken wir heuer dieses Thema in den Vordergrund“, so Mei-Pochtler.

Zahlreiche Start-ups engagieren sich bereits im Foodsektor. Sie unterstützen beispielsweise Kleinbauern beim effizienteren Einsatz von Saatgut und Düngemitteln, sorgen für transparente Lieferketten, reichern Grundnahrungsmittel mit wichtigen Mikronährstoffen an oder vereinfachen den Direkthandel zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Eine wesentliche Herausforderung für viele besteht darin, gewinnbringende Geschäftsmodelle zu entwickeln und zu skalieren, teilweise auch über den Heimatmarkt hinaus. Der Kofi Annan Award setzt in dieser Übergangsphase zwischen erfolgreicher Gründung und geplanter Skalierung an. 

Dieses Jahr sind technologische Innovationen in drei Schlüsselbereichen gefragt: Ernährungssicherheit für marginalisierte Gruppen, die Verbesserung der Ernährung von Frauen sowie Kreislaufwirtschaft und die Reduktion von Nachernteverlusten. Der Ruf aus Wien wurde gehört: Aus 89 Ländern, darunter 46 afrikanischen, gingen innerhalb von drei Wochen 832 Bewerbungen ein – mehr als doppelt so viele wie in der ersten Auflage. Derzeit werden die vielen Einreichungen gefiltert: Für eine Teilnahme müssen Start-ups eine offizielle Gründung, eine Mindestexistenz von zwei Jahren, operative Tätigkeiten in einem afrikanischen Land, nachweisbare Erfolge und konkrete Skalierungsabsichten vorweisen. 

Mehrere Bewertungsrunden und Interviews folgen, bis der aus zehn Mitgliedern bestehende Innovationsausschuss Ende März neun Finalisten wählt. Diese erhalten im Mai ein virtuelles Coaching. Die Start-ups durchlaufen ein intensives, fünftägiges Boot Camp, das von erfahrenen Mentoren geleitet wird und Methoden wie Design Thinking und Lean Start-up umfasst. Ziel ist die schnelle Validierung und Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle. Den Abschluss bildet ein Pitchevent, in der die Teams ihre Lösungen in drei Minuten präsentieren. Eine Jury wählt dann jene drei Start-ups mit dem größten Potenzial zum Scale-up aus. Sie werden im September 2024 in Wien geehrt, mit Fördergeld ausgestattet und ein Jahr lang fachlich unterstützt sowie mit potenziellen Investoren sowie Partnern vernetzt.

Kofi Annan Award: Innovationsbeschleuniger

Für die Professionalisierung der Start-ups hat sich das Bundeskanzleramt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen ausgesucht, die größte humanitäre Organisation im Kampf gegen Hunger. Seit 2015 beherbergt diese unter ihrem Dach einen Accelerator für Social Impact Start-ups. Acceleratoren bieten ganz generell Mentoring, Workshops, Netzwerkgelegenheiten und finanzielle Unterstützung. In der afrikanischen Start-up-Welt spielen sie eine wichtige Rolle. Laut „African Tech Startups Funding Report“ nahmen im Jahr 2023 198 Tech-Start-ups an einer Art von Accelerator- oder Inkubationsprogramm teil, 2022 waren es sogar 330. In beiden Jahren entsprach dies in etwa der Hälfte aller neuen Start-ups, die auf diese Weise Know-how und Finanzierung suchten. 

Der Innovation Accelerator wurde vom Österreicher Bernhard Kowatsch, einem ehemaligen Unternehmensberater, aufgebaut. Die in München ansässige Einheit wurde zunächst durch finanzielle Mittel der deutschen Bundes- und der bayerischen Landesregierung unterstützt, hat aber inzwischen eine breitere, internationale Finanzierungsbasis aus Regierungen, Stiftungen und Unternehmen. Österreich unterstützt den Innovation Accelerator mit zwei Mio. Euro im Jahr für die Zeitspanne 2023 bis 2025. 

Interview mit Bernhard Kowatsch, WFP Innovation Accelerator

Bernhard Kowatsch

Größer, besser, stärker

Der Österreicher Bernhard Kowatsch ist Leiter des Innovation Accelerators des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Von München aus unterstützt die Innovationssparte Social Impact Start-ups bei der Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle.

Anfangs konzentrierte sich der Innovation Accelerator auf humanitäre Nothilfe, mittlerweile sind auch Lösungen für globale Herausforderungen wie Klimawandel, medizinische Grundversorgung und Gleichberechtigung gesucht. „Die Welt steht vor einer Vielzahl an Problemen, und ich bin überzeugt, dass gewinnorientierte Unternehmen, also For-Profit-Start-ups, eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung spielen können“, so Kowatsch. Seine 80 Mitarbeiter managen aktuell 20 Programme mit Partnern wie der Bill & Melinda Gates Stiftung oder der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Bisher haben mehr als 11.000 Start-ups, NGO und auch Mitarbeiter des Welternährungsprogramms ihre Ideen eingereicht. Nur etwa ein Prozent erhält einen Programmplatz. 

Uber für Notfälle

Zu den Gewinnern des ersten Kofi Annan Awards for Innovation in Africa zählt Flare, eine Plattform für Notfalldienste. „Milliarden Menschen können in einem Notfall nicht einfach eine zentrale Nummer anrufen, sondern müssen sich erst auf die Suche nach einer Transportmöglichkeit zum Spital machen“, erklärt Mitgründerin Caitlin Dolkart. In den Anfangstagen von Flare verbrachte sie Wochen damit, in Rettungswagen in Nairobi mitzufahren, um zu verstehen, wo die Probleme lagen. „Die Nachfrage der Patienten war da und auch das Angebot an Einsatzfahrzeugen, aber irgendwas im System funktionierte nicht“, sagt sie.

Flare
Das kenianische Start-up Flare sorgt für eine schnellere Notfallversorgung in Kenia und Ghana.

Flare entwickelte daraufhin eine Digitalplattform, die heute als „Uber für Ambulanzen“ bezeichnet wird und unter anderem eine Hotline und Apps für Nutzer sowie ein GPS Trackingsystem für Krankenwagen umfasst. Bei jedem Anruf werden Daten gesammelt und mithilfe künstlicher Intelligenz analysiert, um unter anderem das am besten geeignete Ambulanzfahrzeug und das richtige Krankenhaus für den jeweiligen Fall zu ermitteln. Flares Ziel ist es, die Ankunftszeit im Notfall auf 15 Minuten zu reduzieren – ein signifikanter Fortschritt gegenüber den üblichen drei Stunden Wartezeit in Kenia. Das Geschäftsmodell basiert auf einem Abonnementsystem, das das Risiko auf mittlerweile rund zwei Millionen Nutzer verteilt. Einzelpersonen, Familien, NGOs, Behörden und Unternehmen sind dabei, der jährliche Beitrag beträgt rund 32 Dollar pro Person. 

Mithilfe des Kofi Annan Awards wagte das Team den Markteintritt in Ghana: „Kein Land in Afrika gleicht dem anderen, weder kulturell noch infrastrukturell oder verwaltungstechnisch. Mit Copy und Paste funktioniert es also nicht. Der Kofi Annan Award for Innovatin in Africa bot uns die Chance, unsere Strategie sorgfältig zu entwickeln und praktisch umzusetzen“, erklärt Dolkart. 

Im Laufe des einjährigen Programms sicherte sich das Unternehmen mehrjährige Finanzierungen, gründete eine Niederlassung in Accra, knüpfte Kundenbeziehungen und passte Produkte und Zahlungsmethoden an den lokalen Markt an. Für heuer steht die Expansion in weitere Länder sowie der Einstieg in die Flugrettung an. „Start-ups wie unseres sind ständig um Wachstum, Skalierung und Einsatzfähigkeit in verschiedenen Märkten bemüht. Unser Ziel ist es nicht nur, Venture Capital zu sichern, sondern zu einem skalierbaren, nachhaltigen und profitablen Unternehmen zu werden. Wir verfügen über ein sehr starkes Geschäftsmodell, das es uns ermöglicht, uns schnell von den anfänglichen Investitionen zu erholen“, erklärt Dolkart.

Bessere Zusammenarbeit

Mit der Unterstützung von Social Impact Start-ups wird ein innovativer Weg aufgezeigt, der über die Grenzen herkömmlicher Entwicklungszusammenarbeit und Geber-Empfänger-Dynamik hinausgeht. „Entwicklungszusammenarbeit sollte nicht als Hilfe von oben, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe – und letzlich auch als gemeinsames Geschäftemachen – verstanden werden“, meint Antonella Mei-Pochtler. Auch Bernhard Kowatsch hebt hervor, dass dies frische Perspektiven für Investitionen eröffnen und Türen zu neuen Märkten aufstoßen könnte. 

Dass mit dem Kofi Annan Award for Innovation in Africa also auch eine Brücke für wirtschaftliche Partnerschaften zwischen Österreich und Afrika entstehen könnte, scheint nicht die schlechteste Idee. Die Grundsteine dafür wären jedenfalls gelegt.

 

Fotos: Shutterstock, BKA Regina Aigner, Flare