Sanergy Franchisee
Die Benutzung einer Fresh Life Toilette kostet im Schnitt 5 Cent.

Die meisten Menschen denken wohl kaum über ihre Toilette nach. Nur wenn gerade Schlangenfunde die Schlagzeilen machen, leere Klopapierregale befürchtet werden oder man zu lang im Stau steckt, dürfte das WC einen Moment der Aufmerksamkeit genießen – bevor es um den stillen Ort rasch wieder leise wird. 

Doch nicht alle lässt das Klo kalt. Unternehmer, Forscher und Industriedesigner auf der ganzen Welt überlegen, wie sich das WC, das in der vertrauten Form an die 250 Jahre existiert, verbessern lassen könnte. Aus diesen Überlegungen entstehen dann Annehmlichkeiten wie Dusche und Fön, Sitzheizung und Antihaftbeschichtung, oder Tools zur Harndiagnose. Insbesondere Japan und Südkorea gelten in puncto Toilettentechnologie als fortschrittlich. Doch weltweit wird auch in weitere Richtungen getüftelt: an Designs und Konzepten, damit mehr Menschen in ärmeren Ländern funktionierende und umweltgerechte Klos nutzen.

Sanergys blitzblaue Häuschen

Zu den Neudenkern im Toilettensektor zählen David Auerbach, Lindsay Stradley und Ani Vallabhaneni. Die drei studierten noch am Massachusetts Institute of Technology, als sie 2009 das Unternehmen Sanergy gründeten, mit dem Ziel, die Sanitärkrise in Entwicklungsländern zu bekämpfen (siehe auch corporAID-Artikel „Die große Mission des Mister Toilet“).

Sanergy
Sanergys Toilettenlösung sammelt Festes und Flüssiges getrennt.

Vor zehn Jahren eröffneten sie die erste Toilettenanlage in Mukuru Kwa Njenga, einem Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi. Bei ihrem „Fresh Life“-Klo handelt es sich um ein blitzblaues Betonhäuschen, das eine Trockentoilette mit Urinableitung birgt. Fest und flüssig werden getrennt und in herausnehmbaren 25-Kilo-Tanks gesammelt.

„Herkömmliche Toiletten mit Anschluss an Wasser und ein zentrales Abwassersystem sind für schnell wachsende Städte meist zu teuer und in dicht verbauten Slums ohnehin nur schwierig zu installieren“ erklärt Sanergys Pressesprecherin Sheila Kibuthu. 

Interview mit Sheila Kibuthu, Sanergy

Sheila Kibuthu, Sanergy

Mehr als nur ein Klo im Slum

Sheila Kibuthu, Pressesprecherin von Sanergy, über Vision und Impact des in Kenia erfolgreichen Sanitär- und Abfallaufbereitungsunternehmen.

Fresh Life ist als Angebot für Menschen gedacht, die in Stadtteilen ohne Kanalisation leben und daher auf die offene Defäkation oder die Methode der „fliegenden Toilette“ zurückgreifen: Gemeint ist, wenn Menschen ihre Notdurft in ein Sackerl verrichten, das dann auf Straßen, Böschungen oder gar auf Dächern landet. Diese Praxis ist weder gut für die Umwelt noch für die Gesundheit der Menschen. 

Sanergy Klo in Kenia
Fresh Life Toiletten sind eine Lösung für Stadtteile ohne Kanalisation.

Inzwischen hat Sanergy in den Städten Nairobi und Kisumu fast 5.000 Fresh Life-Toiletten aufgestellt, die zwischen eng verbauten Hütten, in Geschäftsstraßen und neben rund 200 Schulen zu finden sind. Die Häuschen werden im Franchisesystem vermietet. In der kommerziellen Variante zahlen die Toilettenbetreiber pro Klo eine Installationsgebühr von 350 Dollar und jährlich 70 Dollar, damit Sanergy die Container täglich entsorgt. Schulen bezahlen einmalig 290 Dollar und 60 Dollar Servicegebühr pro Jahr. In Wohnsiedlungen, in denen der Großteil der Toiletten steht, müssen Vermieter lediglich eine Entsorgungsgebühr von 8,50 Dollar im Monat entrichten.

Sanergy verpflichtet die Franchisenehmer, die WCs sauber, sicher und offen zu halten und bietet dafür Trainings und Beratung. Die Gebühr für die WC-Benutzung wird von den Franchisenehmern selbst festgelegt. Sie liegt meist bei fünf Cent pro Gang.

Sanergy: Das Geschäft mit dem Geschäft

Die Toiletten sind nur ein Teil des Geschäftsmodells. Sanergy ist es gelungen, das Sanitärbusiness mit der Landwirtschaft zu verbinden. Die Mitarbeiter bringen die vollen Container der Fresh Life Klos zu einer Aufbereitungsanlage. Dort werden die Fäkalien gemeinsam mit biologischen Abfällen aus Restaurants, Abpackbetrieben und Märkten an dankbares Getier verfüttert: An Larven der schwarzen Soldatenfliegen, die so gut wie alle organischen Abfälle verzehren, die man ihnen vorsetzt. Ist das große Fressen nach wenigen Wochen vorbei, werden die protein- und fettreichen Larven gesiebt, gesäubert und pasteurisiert. 

Schließlich landen sie in dreierlei Produkten: Getrocknete Larven werden zu Tierfutter, das sich für Fische, Geflügel und Schweine eignet und Soja- und Fischmehl ersetzen kann. Die Ausscheidungen der Larven werden als Dünger an kenianische Kleinbauern verkauft. Laut Sanergy lassen sich damit ausgelaugte Böden anreichern und die Obst- und Gemüseerträge um bis zu 30 Prozent steigern. Weitere Larvenreste werden zu Briketts gepresst, als umweltfreundlicher Ersatz für konventionelle Brennstoffe. 

Sanergy hat in Kenia rund 5.000 Fresh Life Toiletten aufgestellt.
Die Toiletten werden von Franchisenehmern betrieben und instand gehalten – zum Beispiel von Jennipher Odhiambo (im Bild). Sie arbeitet in den Mukuru-Slums in Nairobi.
Jeden Tag kommt ein Mitarbeiter vorbei, um volle Tanks gegen leere zu tauschen und ...
.... die vollen Behälter zu einer Aufbereitungsanlage zu bringen.
Die große Mast
Die Fäkalien werden gemeinsam mit biologischen Abfällen von Restaurants, Hotels und landwirtschaftlichen Betrieben an Larven der schwarzen Soldatenfliegen verfüttert. Diese sind alles andere als wählerisch.
Ist das große Fressen nach wenigen Wochen vorbei, werden die protein- und fettreichen Larven gesiebt, gesäubert und pasteurisiert.
Sanergy-Arbeiter bei den letzten Schritten des Filtrationsprozesses.
Drei Produkte
Getrocknete Larven werden zu Tierfutter, das sich für Fische, Geflügel und Schweine eignet. Die Ausscheidungen der Larven werden als Dünger verarbeitet, weitere Larvenreste zu Briketts gepresst.
Sanergy beschäftigt 500 Mitarbeiter. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette sollen rund 2.000 Jobs entstanden sein.
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Sanergys Toiletten werden tagtäglich von rund 140.000 Menschen aufgesucht. Bis 2025 will das Unternehmen 1,3 Millionen Menschen mit umfassenden Sanitärdienstleistungen erreichen und jährlich eine Million Tonnen organischer Abfälle in den schnell wachsenden Städten Kenias und darüber hinaus beseitigen. Schon jetzt betreibt das Unternehmen eine der größten Fabriken zur Aufbereitung organischer Abfälle in Subsahara-Afrika mit einer jährlichen Kapazität von 72.000 Tonnen.

Sanitärwirtschaft im Kreislauf

Sanergys Lösung ist nicht nur in Kenia gefragt. Viele Städte in Entwicklungsregionen haben ein massives Problem mit sanitären und organischen Abfällen, die auf freiem Feld landen. Auch andere Sozialunternehmer haben das als Problem erkannt und experimentieren mit der Kombination aus Toilettenservice und Rohstoffaufbereitung. Zu ihnen zählt das 2009 gegründete Unternehmen Loowatt, das mehr als tausend Trockentoiletten in Madagaskar, auf den Philippinen und am Heimatmarkt Großbritannien betreibt. Eine Auskleidung in der Toilettenschüssel fängt die Fäkalien auf, versiegelt sie in einer dünnen Folie und leitet sie bei jeder Spülung in einen kleinen Container. Dann heißt es: „Poo into power“: Denn Loowatt hat, ähnlich wie Sanergy, eine systemische Lösung entwickelt, die aus Exkrementen Biogas für die Stromerzeugung und für Gaskocher sowie organischen Dünger erzeugt. 

Am Ende der Pilotphase steckt wiederum das 2016 gegründete Schweizer Start-up Mosan (eine Abkürzung für Mobile Sanitation), das ebenfalls den Kreislaufgedanken in den Sanitärsektor bringt. Die Industriedesignerin Mona Mijthab hat ein kleines mobiles Klo für private Haushalte entwickelt, das Urin und Feststoffe getrennt sammelt. 

Mosan Toilette
Die Mosan Toilette – klein, mobil, für private Haushalte gedacht

Seit drei Jahren wird sein Einsatz in Guatemala erprobt. Im Dorf Santa Catarina Palopó am Atitlán-See – dort, wo laut Mijthab „der Sanitärnotstand am gravierendsten ist“ – vermietet ihr Unternehmen Toiletten an rund 50 Haushalte. In der Monatsmiete von fünf Euro ist die regelmäßige Abholung der WC-Container enthalten.

Mosan collection
Jeder Haushalt zahlt 5 Euro im Monat für die regelmäßige Abholung der vollen Container.

Bei Mosan werden die Fäkalien zu Biokohle und Urin zu Struvit aufbereitet, letzteres ist ein phosphorhaltiges Mineral, das sich als Dünger eignet. „Die vergangenen drei Jahre waren der Entwicklung der Technologien – zum Beispiel eines für Fäkalien optimierten Pyrolysereaktors – sowie für Strategien für die Arbeit in Gemeinden, den Aufbau von Netzwerken und Partnerschaften gewidmet“, erzählt Mijthab. 

Mosan Direktmarketing
Mosan-Gründerin Mona Mijthab erklärt potenziellen Kunden das Servicemodell.

Nun gehe es um die Skalierung des Systems. Im Jänner 2022 wird ein weiteres Dorf ins Programm aufgenommen, bald sollen 200 Familien eine blau-weiße Toilette ihr eigen nennen. Für noch mehr Reichweite sei aber „Bewusstseinsbildung bei den Behörden nötig“, so Mijthab. „Noch betrachten Gemeinden Sanitärversorgung als eine einmalige, kostspielige Investition in Abwassersysteme und Kläranlagen. Dass wir diese Aufgabe als Dienstleistung gegen eine geringe Gebühr anbieten, ist ein völlig neuer Ansatz und das politische System vielerorts noch nicht bereit dafür.“ 

Das Sackerl fürs…

Während bei Sanergy, Loowatt und Mosan stets der Weitertransport der Exkremente notwendig ist, gibt es auch autarke Lösungen. Eine stammt von Bara Wahbeh, Mitgründer des Start-ups Akyas aus Jordanien. Akyas hat einen Beutel entwickelt, der sich unter einer urinableitenden Toilettenschüssel platzieren lässt. Landen die Fäkalien in dem biologisch vollständig abbaubaren Sackerl, müssen sie mit einem speziellen Mineralpulver bedeckt werden. Dieses soll Krankheitserreger, Schimmel und Pilze innerhalb von 48 Stunden unschädlich machen und die Fäkalien in Wasser und Biomasse zerfallen lassen. Was aus den Beuteln schließlich herauskommt, sieht aus wie Erde, ist geruchlos und eignet sich für die Anreicherung von Böden. Wahbeh sieht den Einsatz des Sackerls in ärmeren Siedlungen. 

Auch die Tigertoilette – eine Entwicklung der London School of Hygiene & Tropical Medicine – setzt auf „vor Ort“. Der Name leitet sich nicht von der mächtigen Großkatze ab, sondern von den kleinen Tigerwürmern. Diese sind in der Natur auf die Ausscheidungen von Tieren angewiesen, verbleiben also auch recht gern im Klo. In einer Tigertoilette wird Urin durch eine Drainageschicht gefiltert, während die Feststoffe im oberen Teil aufgefangen und von den Würmern bearbeitet werden. Sie sollen das Volumen um 80 Prozent reduzieren, der Rest ist Dünger in Kaffeesudoptik. 

Laut TBF Environmental Solutions, das Tigertoiletten in Indien um 350 Dollar verkauft, braucht eine Wurmkolonie kaum Aufmerksamkeit. 4.500 Toiletten wurden in 70 Dörfern aufgestellt, TBF will diese Zahl in den nächsten Jahren auf eine Million hochschrauben. Auch in Myanmar und Uganda verrichten Würmer im Rahmen von Pilotprogrammen ihr nützliches Werk.

Revolution in Arbeit

Die Tigertoilette wurde, wie viele weitere Sanitärprojekte, von der Bill und Melinda Gates Stiftung unterstützt. Mit der 2011 lancierten „Reinvent the Toilet Challenge“ treibt die Stiftung die Entwicklung von Toiletten, die ohne Wasser- und Kanalanschluss auskommen, voran. Hunderte Ideen für neue Generationen an Toiletten wurden so über die Jahre gesammelt. Bald könnte, so hofft Bill Gates, die „globale sanitäre Revolution“ folgen. Denn gegenwärtig arbeitet ein 70-köpfiges Team unter der Leitung von Shannon Yee vom Georgia Institute of Technology am Super-WC. 

G2RT
Der Prototyp der Generation 2 Reinvented Toilet. Anfang 2022 geht’s zum Praxistext nach Südafrika, China und Indien.

Die weltweit vernetzten Ingenieure, Forscher und Industriedesigner wollen aus den besten bestehenden Technologien die „Generation 2 Reinvented Toilet“, kurz G2RT, entwerfen. Im Hightech-Klo durchlaufen Urin und Spülwasser einen mehrstufigen Filtrationsprozess, der sauberes Wasser erzeugt. Die Feststoffe werden so verarbeitet und getrocknet, dass man sie auf dem Kompost entsorgen kann. Ein zweites System verarbeitet Fäkalien zu Wasser und Asche. 

Shannon Yee hat mit EOOS NEXT auch ein Wiener Designbüro an Bord geholt. Harald Gründl entwickelt mit seinem Team schon seit vielen Jahren Lösungen rund um die Toilette. Die Wiener haben etwa mit “Urine Trap” eine Separierungstechnologie entworfen, die Harn mit einem physikalischen Effekt getrennt auffängt und ableitet. Die Industriedesigner haben auch gemeinsam mit südafrikanischen Handwerkern Baupläne für kostengünstige Toiletten entwickelt. Bei der G2RT leitet Gründl die „Frontend“-Gruppe: „Wir kümmern uns um all das, was der Nutzer später sehen und bedienen kann. Eine Aufgabe ist es, mit möglichst wenig Wasser eine möglichst gute Nutzererfahrung zu schaffen. Die andere Aufgabe lautet, das Feste vom Flüssigen zu trennen.”

Interview mit Harald Gründl, EOOS NEXT

„Wie eine Weltraumtoilette in einem Slum“

Harald Gründl ist Gründer des Wiener Designbüros EOOS NEXT. Seit zehn Jahren entwerfen er und sein Team innovative und nachhaltige Toiletten.

Betrachtet man als Laie ein Bild des Prototypen, so ist der Einsatz in einem Entwicklungsland eher schwer vorstellbar. Doch genau daran feilen die Entwickler nun. Denn ihre Zukunftstoilette soll „ein Haushaltsgerät wie eine Waschmaschine werden, das man einfach an die Steckdose steckt oder mit Solarstrom betreibt“, erklärt Gründl. Eine simple Wartung wird genauso angestrebt wie ein günstiger Preis. „Die G2RT muss erschwinglich sein, um für die ganze Welt zugänglich zu werden“, sagt Yee. „Die größte Herausforderung wird es meiner Meinung nach sein, Hersteller zu finden, die imstande sind, modernste technologische Fortschritte in die Massenproduktion zu überführen“, so der Projektleiter. Wird die G2RT irgendwann in Fabriken in großer Stückzahl produziert, soll sie um 450 Dollar erhältlich sein. Yee hofft auf die Zusammenarbeit mit Regierungen und Unternehmen, um die neue Lösung dann in die weite Welt tragen zu können. 

Bis die große sanitäre Revolution stattfindet, ist also noch einiges zu tun. Doch es geht langsam los: Die ersten Südafrikaner, Inder und Chinesen werden ab Anfang 2022 die G2RT auf ihre Praxistauglichkeit testen.

Bilder: Sanergy (2), Acumen (11), Mosan (3), Shannon Yee/Georgia Tech, EOOS NEXT/Elfie Semotan