Interview

„Wie eine Weltraumtoilette in einem Slum“

Magazin 93 – Winter 2021/22

Der Industriedesigner Harald Gründl ist Gründer des Designbüros EOOS NEXT. Seit gut zehn Jahren entwerfen er und sein Team innovative und nachhaltige Toiletten. Diese Arbeit führt die Wiener Designer von Nepal über Südafrika bis in die USA rund um den Erdball.

Harald Gründl, EOOS NEXT
Herr Gründl, das WC, wie wir es kennen, gibt es seit mehr als 200 Jahren. Warum muss die Toilette heute neu gedacht werden? 

Harald Gründl: Wenn wir heute über Toiletten reden, dann denken wir an die weiße Keramiktoilette, bei der man mit einem Knopfdruck und mit viel Wasser Fäkalien einfach zum Verschwinden bringt. Das ist das, was der Nutzer sieht und erlebt, also das Frontend einer Toilette. Vom Backend sprechen wir, wenn es um all das geht, was nach dem Spülen passiert. Hier wandern die Fäkalien hoffentlich in eine Kläranlage und diese landen dann, mehr oder weniger gut aufbereitet, wieder in der Umwelt. Dieses System, also das klassische WC und die Kläranlage, gilt als Goldstandard. Doch dieser Goldstandard, der viel Infrastruktur und Wasser benötigt, lässt sich in vielen Teilen der Welt nicht gut oder überhaupt nicht umsetzen. So realistisch muss man sein. Seit rund zehn Jahren gibt es daher die von der Bill & Melinda Gates Stiftung initiierte Reinvent the Toilet Challenge. Gates‘ Vision ist es, das Backend der Toilette neu zu erfinden. Die Aufbereitung der Fäkalien soll direkt in der Toilette stattfinden. Im Idealfall kommt in so eine Toilette kein Wasser hinein und auch nichts Schädliches heraus! Und das soll, so die Vorgabe der Gates Stiftung, um 5 Cent pro Kopf pro Tag möglich sein. Daran beißen sich seit zehn Jahren weltweit die besten wissenschaftlichen Teams die Zähne aus. 

Mit der Generation 2 Reinvented Toilet dürfte die Gates Stiftung einen großen Schritt gemacht haben. Um was handelt es sich hier konkret? 

Gründl: Professor Shannon Yee vom Georgia Institute of Technology hat im Auftrag der Gates Stiftung die Aufgabe übernommen, aus den in den vergangenen zehn Jahren entwickelten Lösungen ein Gesamtkonzept für eine autarke Toilette zusammenzusetzen, die global überall einsetzbar ist. Vorstellen kann man sich es so, als ob eine hochtechnologische Weltraumtoilette in einem Slum steht. Das ist die Challenge. Dazu hat Yee ein weltweites Team aus mehr als 70 Experten einberufen. Wir von EOOS NEXT leiten die Entwicklung des Frontends der neuen Toilette, wir sind also für die Schnittstelle Mensch und Maschine verantwortlich. Dazu gibt es zwei Aufgaben. Erstens wollen wir mit möglichst wenig Wasser eine möglichst gute Nutzererfahrung schaffen. Und zweitens müssen wir die Stoffströme trennen, also das Feste vom Flüssigen, denn das ist für die Verarbeitung im Backend zwingend notwendig. Urin wird gefiltert und aufbereitet, so dass man damit die Toilette spülen kann, während die Feststoffe verarbeitet und getrocknet werden, so dass man sie auf dem Kompost entsorgen kann. Ein zweites System verarbeitet die Fäkalien zu Wasser und Asche. Wir testen nun schon seit einigen Monaten das Frontend der G2RT in China, Indien und Südafrika. Anfang 2022 wird dann die komplette Toilette in diesen Ländern in den Feldtest gehen.  

G2RT
Projektchef Shannon Yee von der Georgia Tech University mit dem Prototypen der G2RT .
Wenn man den Prototyp der G2RT ansieht, ist ein Einsatz in einem Entwicklungsland aber eher schwer vorstellbar.  

Gründl: Ja, derzeit ist der Prototyp noch eine ziemlich große Kiste! Doch denken Sie zurück an das erste Mobiltelefon, das war auch recht groß und für die meisten Menschen unleistbar. Heute passt ein Handy in jede Hosentasche und ist global verbreitet. Selbst in informellen Siedlungen in Afrika haben Menschen mitunter zwei Handys dabei. Unser G2RT Prototyp ist als Zwischenschritt zu sehen. Und das Ziel heißt: Die G2RT soll ein mobiles Haushaltsgerät werden, das sich in hoher Stückzahl industriell fertigen lässt. Sie soll kostengünstig werden und für viele Menschen zugänglich.  

EOOS NEXT-Chef Harald Gründl (rechts) erklärt Bill Gates (Mitte) die Funktionsweise der Blue Diversion Toilet.
Ist die G2RT das einzige Toilettenprojekt, mit dem sich EOOS Next beschäftigt?  

Gründl: Nein. Denn dass Sanitärversorgung auch im 21. Jahrhundert nicht hinreichend gelöst ist, beschäftigt uns schon lange. Wir wirken an einer Vielzahl unterschiedlicher Projekte rund ums Klo mit. Begonnen haben wir in einer Kooperation mit dem Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag. Das erste gemeinsame Projekt, das von 2011 bis 2014 gelaufen ist, heißt Blue Diversion. Dabei handelt es sich um eine Stehtoilette mit hoher Rückwand, in die eine Wasseraufbereitungsanlage für sauberes Wasch- und Spülwasser eingebaut ist. Urin und Feststoffe werden voneinander getrennt und in Behältern gesammelt und abtransportiert. In einem Folgeprojekt, der Blue Diversion Autarky, geht es darum, Wasser, Urin und Fäkalien direkt vor Ort aufzubereiten. Wir liefern aber auch Baupläne für kostengünstige Toiletten für lokale Handwerker. Indem wir Menschen von Südafrika bis Nepal neue Technologien beibringen, können sie ihre Wertschöpfung erhöhen. 

Feldprojekt in Nepal
Feldprojekt in Nepal

Das ist wichtiges Empowerment und als Down-to-earth Zugang für uns genauso wichtig wie die Arbeit an der G2RT. Außerdem haben wir eine Urinseparierungstechnologie entwickelt, die wir industrialisieren wollen. Unsere Urine Trap trennt direkt in der Toilette Urin von Fäkalien und Spülwasser ab. Das funktioniert passiv, indem wir den aus der Physik bekannten Teekanneneffekt nutzen, um die Flüssigkeit umzuleiten. 

Umweltfreundliche Urinseparations-Technologie, von EOOS NEXT erdacht für den Einsatz in Entwicklungsländern.
Welchen Vorteil hat es, Urin separat zu sammeln? 

Gründl: Urin kann man als Dünger verwenden. In der einfachsten Variante lagert man ihn für sechs Monate, wodurch er sich selbst hygienisiert. Dann lässt er sich mit Wasser verdünnt als Dünger einsetzen. Man kann aber aus Urin auch wertvolle Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor extrahieren. Das wäre sinnvoll. Würden wir nämlich Nährstoffkreisläufe lokal besser schließen, könnte man auf die klimaschädliche industrielle Produktion von Stickstoff und Phosphor verzichten. Für einen aktuell laufenden Feldtest wurden in Toiletten in einer südafrikanischen Schule unsere  Urinseparationstoiletten eingebaut. In Südafrika denkt man nämlich daran, Urin als Dünger für Wiederaufforstungsprojekte einzusetzen.  

Was ist ein wichtiges Learning aus den bisherigen Erfahrungen rund ums Thema Klo? 

Gründl: In unserer Arbeit ist es wichtig, Technologien stets an lokale Gegebenheiten anzupassen und die Akzeptanz der Menschen immer mitzudenken. Man kann beispielsweise Spülwasser aus der Toilette so aufbereiten, dass es zu Handwaschwasser wird. Das Wasser ist technisch wunderbar, aber die Bereitschaft es zu verwenden, dann doch beschränkt. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch akzeptabel und produktfähig!

Vielen Dank für das Gespräch!
Bilder: Elfie Semotan, EOOS Eawag, Bal Makunda, EOOS NEXT, Shannon Yee/Georgia Tech