Jeden Mittwoch – Beginn stets um 18 Uhr – lädt der Unternehmer Josef Fuchs zum Alpenstammtisch. Dieser findet nicht in Innsbruck oder Garmisch-Partenkirchen, sondern auf acht Metern über dem Meeresspiegel, in Indonesiens Hauptstadt und Mega-Metropole Jakarta, statt. Fuchs, der seit fast 40 Jahren in Jakarta lebt und sich selbst als „penetranten Tiroler aus Indonesien“ bezeichnet, bringt mit seinem Stammtisch Woche für Woche Unternehmer zusammen, um sich mit ihnen auszutauschen und für seine Kinderhilfsorganisation ISCO zu werben, für die Fuchs vor zwei Jahren mit dem Goldenen Verdienstkreuz der Republik Österreich ausgezeichnet wurde. Ein Drittel der Gewinne seines Unternehmens investiert er in dieses Herzensprojekt.
Stabiles Wachstum in Indonesien
Fuchs‘ Unternehmen First WAP stattet Polizei und Geheimdienste in aller Welt mit gesicherten Software-Anwendungen aus und ist heute mit 120 Mitarbeitern in Jakarta und 30 weiteren in Dubai angesiedelt. Daneben hat der umtriebige Unternehmer kürzlich ein Start-up für gesicherte Kommunikationsanwendungen in Wien gegründet. Über die wirtschaftliche Entwicklung Indonesiens, dem viertbevölkerungsreichsten Land der Welt, berichtet Fuchs aus eigenem Erleben: „Es hat sich hier sehr viel zum Positiven verändert, viele Menschen sind der Armut entkommen. Dabei hat vor allem der Inlandsmarkt einen bedeutenden Einfluss auf die wirtschaftliche Lage, ähnlich wie in China, das sich insbesondere wegen des gigantischen Inlandsmarktes entwickelt hat.“
Der 275-Millionen-Einwohner-Inselstaat hat sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den vergangenen 20 Jahren von 1.000 US-Dollar auf 4.800 Dollar fast verfünffacht, die Wachstumsraten liegen konstant im Bereich von etwa fünf Prozent. Die stabile Inlandsnachfrage, steigende Rohstoffpreise sowie die Umsetzung zahlreicher Großprojekte kurbeln die Wirtschaft des G20-Mitgliedsstaates weiter an. Top-Handelspartner ist China, auch Japan und Südkorea sind in Indonesien sehr präsent.
Daten und Fakten
Weltgrößter Inselstaat
Indonesien umfasst 17.000 Inseln und hat eine Ost-West-Ausdehnung von rund 5.000 Kilometern.
Indonesien bietet günstige Rahmenbedingungen
Marktchancen für österreichische Unternehmen ortet Sigmund Nemeti, WKÖ-Wirtschaftsdelegierter in Jakarta, in diversen Branchen. Er nennt etwa den Ausbau der indonesischen Verkehrsinfrastruktur, den Elektrizitäts- und Umweltsektor, den Export von Maschinen und Anlagen sowie den Konsumgütersektor. Die Rahmenbedingungen für heimische Exporteure sind günstig: Die Oesterreichische Kontrollbank OeKB stuft Indonesien in die Länderkategorie 3 von 7 ein, das bedeutet: Deckung ohne Einschränkungen.
„Als Produktionsstandort bietet Indonesien komparative Kostenvorteile gegenüber anderen Ländern in der Region sowie aufgrund der intensiver werdenden wirtschaftlichen Verflechtung mit umliegenden Märkten auch günstige Marktzugangsbedingungen“, erklärt Nemeti. Zugleich räumt er ein, dass die immer noch unzureichende Infrastruktur, ein niedriges Ausbildungsniveau sowie hohe Korruption und Bürokratie Hemmschuhe für Business in Indonesien sind.
Von den rund 30 österreichischen Unternehmen, die in Indonesien tätig sind, haben nur eine Handvoll eigene Produktionsstandorte vor Ort. Eines davon ist der oberösterreichische Faserhersteller Lenzing, der in den vergangenen Jahren mehr als 100 Mio. Euro in die umfassende Modernisierung seines Werkes in Purwakarta, 100 Kilometer östlich von Jakarta, investiert hat. „Ein großer Teil der globalen Textilindustrie und viele unserer direkten Kunden, wie Spinnereien und Stoffhersteller, sind in der Region Südostasien ansässig. Durch die Umrüstung unseres Standortes können wir ihnen ab sofort unsere lokal produzierte Spezialviscose anbieten und damit die stark wachsende Nachfrage nach umweltverträglichen Fasern noch schneller und besser bedienen“, berichtet Unternehmenssprecher Daniel Winkelmeier.
Österreichisches Projektgeschäft in Indonesien
Die meisten österreichischen Unternehmen sind hier im Projektgeschäft anzutreffen. Der Wiener Gesundheitsdienstleister Vamed etwa hat in Indonesien fünf Krankenhäuser errichtet und ausgestattet und führt ein Büro vor Ort. Ebenso der steirische Technologiekonzern Andritz: Dessen Wasserkraftsparte Andritz Hydro hat schon vor mehr als 100 Jahren erste Wasserkraftwerke in Indonesien gebaut und seither mit mehr als 200 Anlagen einen Marktanteil bei Turbinen und Generatoren ab zehn Megawatt von mehr als 60 Prozent erreicht.
Indonesien ist zudem mit Abstand das Hauptempfängerland österreichischer Soft Loans: „Im Jahr 2022 wurden Soft Loan-Promessen in einer Gesamthöhe von 119,8 Mio. Euro neu zugesagt. Davon entfielen 81,8 Mio. Euro auf Indonesien”, berichtet Verena Macher-Valduga, die bei der OeKB für das Thema zuständig ist. Die Größe der einzelnen Projekte liegt dabei laut Macher-Valduga zwischen zehn und 15 Mio. Euro.
Mithilfe dieser günstigen Finanzierung der öffentlichen Hand, die von der OeKB abgewickelt wird, haben die öffentlichen Stellen in Indonesien die Möglichkeit, Projekte umzusetzen, die zur nachhaltigen Entwicklung vor Ort beitragen. So hat etwa das steirische Unternehmen eee Austria im Vorjahr eine Berufsschule für Tourismus und Tischlerei in Indonesien errichtet und schlüsselfertig übergeben. Hunderte junge Menschen sollen dort eine Berufsausbildung erhalten. Ein weiteres Berufsschulprojekt für Tourismus und Schweißarbeiten ist bereits angelaufen, zwei weitere sind in Planung. „Begonnen hat alles mit einer Wirtschaftsmission der Wirtschaftskammer im Jahr 2014. Es war schnell klar, dass es viel Potenzial im riesigen Indonesien gibt – vor allem auch in den Bereichen Digitalisierung, digitales Lernen und Berufsbildung“, sagt Geschäftsführer Stefan Düss. Laut Düss zeigt sich die indonesische Seite sehr aufgeschlossen gegenüber europäischen Unternehmen, die administrativen Prozesse seien jedoch nach wie vor langwierig. „Man muss nicht nur sehr gute Produkte und Dienstleistungen anbieten, sondern auch einen langen Atem haben, um in Indonesien erfolgreich zu sein“, ist sein Fazit.
Interview mit Sigmund Nemeti, Wirtschaftsdelegierter in Jakarta
In Bewegung
Knackpunkte zwischen Europa und Indonesien
Auf wirtschaftspolitischer Ebene gibt es einige Reibungsflächen in den indonesisch-europäischen Beziehungen. Zum einen der seit Längerem andauernde Konflikt über den Palmölabbau: Indonesien ist mit Abstand der weltgrößte Produzent, 20 Millionen Jobs hängen an der Palmölindustrie. Die neue Entwaldungsverordnung der EU – ab 2025 dürfen nur noch Produkte auf den europäischen Markt gelangen, die nachweisbar nicht von Flächen stammen, die seit 2021 entwaldet wurden – wird in Indonesien als Affront aufgenommen.
Zum anderen bereiten vor allem protektionistische Tendenzen Indonesiens den Europäern Kopfzerbrechen. So hat Indonesien bereits vor knapp zehn Jahren den Export von mineralischen Erzen verboten, um die Weiterverarbeitung im eigenen Land auf- und auszubauen – laut Präsident Joko Widodo soll Indonesien bis zum Jahr 2045 zum Industrieland werden. Indonesien beherbergt neben Bauxit, Kupfer und Zinn auch die weltgrößten Reserven an Nickel, das etwa für E-Autobatterien benötigt wird und daher aktuell besonders gefragt ist. Wer indonesisches Nickel haben möchte, muss im Land investieren und den Rohstoff vor Ort verarbeiten – so soll eine indonesische Elektrofahrzeugindustrie aufgebaut werden. Dabei arbeitet die indonesische Regierung auch mit Anreizen: So wurden im Laufe der Jahre diverse Reformpakete zur Deregulierung erlassen. Im Jahr 2021 folgte eine Liberalisierung des Investitions- und Arbeitsrechts, mit der die indonesische Wirtschaft auch verstärkt für ausländische Eigentümerschaften geöffnet wurde.
Die Rechnung scheint aufzugehen: 2022 flossen 21,6 Mrd. Dollar an ausländischen Direktinvestitionen ins Land und damit etwa 40 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Neben chinesischen und koreanischen Konzernen hat auch der deutsche Chemieriese BASF angekündigt, in Indonesien eine Nickel-Kobalt-Anlage für den E-Automarkt aufzubauen. Investitionsvolumen: 2,4 Mrd. Euro. Nicht zuletzt ist Indonesien innerhalb weniger Jahre zu einem Stahlexporteur geworden – vor allem dank chinesischer Investitionen in Schmelzanlagen und Stahlwerke.
Und während die EU wegen des Nickel-Exportverbots sowie Indonesien im Palmölstreit bei der Welthandelsorganisation WTO Beschwerde eingelegt haben, wird zeitgleich an einem EU-Indonesien-Freihandelsabkommen gefeilt. 2024 soll es nach achtjährigen Verhandlungen zum Abschluss kommen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete dieses zuletzt als „den nächsten logischen Schritt“ in den europäisch-indonesischen Wirtschaftsbeziehungen.
Neue Kapitale
Einen großen Schritt geht das Land auch mit dem Bau der neuen Hauptstadt Nusantara, die auf dem indonesischen Teil der Insel Borneo entsteht. Auslöser für das Mammutprojekt ist der Zustand der Noch-Hauptstadt Jakarta: Mit etwa 35 Millionen Einwohnern gilt die dicht besiedelte Metropolregion als die zweitgrößte der Welt. Doch die rasante Urbanisierung ist einer der Gründe, warum Jakarta den Hauptstadtstatus bald los sein wird. Aufgrund der schlechten Trinkwasserversorgung lebt etwa die Hälfte der Einwohner Jakartas von Wasser aus illegal gebohrten Brunnen. Durch das übermäßige Abpumpen von Grundwasser – sowie aufgrund des steigenden Meeresspiegels und vermehrter Starkregenereignisse – sinkt in manchen Stadtteilen der Boden um bis zu 20 Zentimeter pro Jahr ab. Viele Siedlungen wurden vorsorglich bereits geräumt und abgerissen. Ende des Jahrhunderts könnte die gesamte Stadt überschwemmt sein.
Ganz anders soll es in Nusantara zugehen. „Sie soll eine Smart City werden und zugleich eine Forest City. Also, eine grüne Stadt mit intelligenten Lösungen, etwa was den Verkehr angeht“, berichtet Nemeti. Der Bau Nusantaras soll so einerseits zu einer Entlastung Jakartas, andererseits aber auch zu vielen neuen Jobs und Wohlstandsgewinnen in einer bis dato wirtschaftlich eher zurückgebliebenen Region des Landes führen. Bereits im nächsten Jahr sollen die ersten Ministerien umziehen, die offizielle Eröffnungsfeier ist für August 2024 angesetzt.
Insgesamt sollen über 30 Mrd. Euro in den Bau Nusantaras fließen, etwa 20 Prozent davon aus dem Staatsbudget, der Rest soll aus dem Privatsektor bzw. über öffentlich-private Partnerschaften finanziert werden. „Diese Investitionen stimulieren bestimmte Bereiche wie Energie, Mobilität oder auch Kanalisation. In diesem Zusammenhang wird es für viele österreichische Firmen interessante Anknüpfungspunkte geben“, ist Nemeti überzeugt.
Diese will sich auch Josef Fuchs nicht entgehen lassen. „Natürlich spiele ich da mit, denn das Internet of Things und Künstliche Intelligenz werden in Nusantara eine wichtige Rolle einnehmen. Ich bin bereits mit meinem alten Arbeitgeber Siemens in Kontakt. Vielleicht ergeben sich Möglichkeiten, gemeinsam an der neuen smarten Hauptstadt mitzuschrauben“, sagt Fuchs, der auch nach vier Jahrzehnten in der Ferne nach wie vor enge Bindungen nach Österreich pflegt – sich aber nicht vorstellen kann, Indonesien jemals den Rücken zu kehren. „Es gibt hier einfach noch viel zu tun“, sagt der 70-jährige Unternehmer.
Fotos: Jerry Kurniawan/World Bank, Lenzing, Charles Wiriawan/Flickr, Ministry of Public Works and Public Housing