Twitter ist die Plattform für die Verkündung großer Nachrichten. Im westafrikanischen Ghana war es im Frühjahr dieses Jahres aber der Mikrobloggingdienstleister selbst, der für News und Applaus sorgte – bis hinein in die Gemächer des Präsidentenpalastes in Accra. Der Grund: Twitter siedelt seine erste Afrika-Niederlassung in der ghanaischen Hauptstadt und nicht etwa im eigentlichen Tech-Hub der Region, dem nigerianischen Lagos, an. Während nigerianische Tech-Firmen das schwierige Geschäftsumfeld im eigenen Land dafür verantwortlich machten, begründete Twitter die Entscheidung mit Ghanas stabiler Demokratie, gelebter Meinungsfreiheit sowie der Möglichkeit, in Accra nun quasi in der Nachbarschaft des Hauptsitzes des Afrikanischen Freihandelsabkommens AfCFTA tätig zu sein.
Ghana als international beliebter Partner
Ghana zeigt seit mehreren Jahren verstärkt Präsenz auf dem internationalen Parkett und punktet mit den Eigenschaften friedlich, sicher und offen für ausländische Investitionen und Geschäftsbeziehungen. Als Vorzugspartner der deutschen Wirtschafts- und Entwicklungsinitiative Compact with Africa oder internationaler Impfkampagnen: Ghana ist stets vorne mit dabei. Das mag damit zusammenhängen, dass allein der Fakt, dass Wahlverlierer wiederholt friedlich ihren Posten räumen, in Westafrika etwas Besonderes ist. Aber auch damit, dass in dem quirligen Land in den vergangenen Jahren viele Weichen in Richtung internationale Kooperation gestellt wurden.
Dass Accra dem Anfang 2021 gestarteten AfCFTA einen attraktiven Sitz angeboten hat, hält Guido Stock, als WKO-Wirtschaftsdelegierter mit Sitz in Lagos auch für Ghana zuständig, für einen cleveren Schachzug: „Den Ghanaern ist klar: Am ehesten hat man Vorteile und bewegt etwas, wenn man das Sekretariat in Accra hat. Das haben sie wieder geschafft, da sind sie einfach tüchtig.“ Stock glaubt zwar, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis nennenswerte Früchte aus diesem Freihandelsabkommen zu sehen sein werden, Ghana habe sich damit aber in Stellung gebracht.
Ghana punktet mit Professionalität und Transparenz
Manfred Rauch vom Geschäftsbereich Wassertechnik der Strabag AG hebt mit Blick auf Ghana vor allem die „stabilen und freundlichen Arbeitsbedingungen“ hervor. Rauch ist als technischer Leiter der Strabag-Niederlassung in Ghana ungefähr jeden zweiten Monat im Land, erst Mitte November unterzeichnete er einen Großauftrag in Höhe von 70 Mio. Euro für die Planung und Errichtung einer Trinkwasseraufbereitungsanlage am Fluss Pra im Südwesten des Landes. Rauch lobt das Land in höchsten Tönen: „Ghana hat gut ausgebildete Ingenieure, Rechtsanwälte, Ökonomen. Die Bürokratie ist vergleichsweise vernünftig. Zwar manchmal langsam, aber jedenfalls nicht willkürlich. Und bei staatlichen Aufträgen sind erfahrene Personen bestellt, deren Vorgangsweise weitgehend professionell und transparent ist.“ Zudem habe es in den vergangenen Jahren beachtenswerte Verbesserungen bei Bewilligungsprozessen und Finanzierungsvereinbarungen gegeben.
Interview mit Guido Stock, Wirtschaftsdelegierter in Lagos
Wachstum wirkt
Stabiles Wachstum
Diese stabilen Verhältnisse gehen mit bemerkenswerten Wachstumsraten einher. 2018 und 2019 wuchs die ghanaische Wirtschaft um jeweils mehr als sechs Prozent. Die zur Weltbankgruppe gehörende Entwicklungsbank IFC prognostizierte noch Ende 2019, dass Ghana 2020 „eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt“ sein werde. Auch die ehemalige IWF- und heutige EZB-Chefin Christine Lagarde zeigte sich bei einem Besuch in Accra „sehr beeindruckt von der Arbeit, die hier geleistet wurde“. Dann kam Corona und bremste auch die ghanaische Wirtschaft ab. Doch selbst im Krisenjahr 2020 konnte noch ein kleines Wirtschaftswachstum verzeichnet werden – die IT-Branche legte gar um 20 Prozent zu – und für 2021 erwartet der IWF bereits wieder fast fünf Prozent Wachstum. Als einen Grund dafür führen Experten ein einigermaßen stringentes Corona-Management an. Die Regierung unterstützte Unternehmen mit zinsgünstigen Krediten und übernahm eine Zeitlang gar die Wasserrechnungen von ghanaischen Haushalten, die durch die Krise besonders gebeutelt waren. Darüber hinaus wurden neue Investitionen angestoßen, von denen etwa auch der Wiener Gesundheitsdienstleister VAMED profitierte. Allein in diesem Jahr erhielt die VAMED den Auftrag für die Errichtung und Ausstattung von zwölf Spitälern; insgesamt hat sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast 50 Gesundheitseinrichtungen in Ghana gebaut.
Ein weiteres Asset des 30-Millionen-Einwohner-Landes ist die im Vergleich mit dem regionalen Schwergewicht Nigeria breiter aufgestellte Exportwirtschaft. Ghana kann als zehntgrößter Goldexporteur – Gold macht mehr als die Hälfte des ghanaischen Exportvolumens sowie ein Achtel des BIP aus – und nach dem Nachbarn Elfenbeinküste zweitgrößter Kakaoproduzent der Welt schwankende Ölpreise leichter verkraften.
Ghana legt den Fokus verstärkt auf Produktion vor Ort
Klar ist aber auch: Noch ist Ghana vom Export unverarbeiteter Rohstoffe abhängig. Um davon zumindest ein Stück weit wegzukommen, soll der Produktionsbereich deutlich ausgebaut werden. Die Regierung setzt im Zuge der Strategie „Ghana Beyond Aid“ auf Public-Private-Partnerships und hofft dabei vor allem auf die Automobil- und Pharmaindustrie. Laut des Ghana Investment Promotion Centre können ausländische Unternehmen aber auch in den Branchen Infrastruktur, erneuerbare Energien, Tourismus, Technologieinfrastruktur und Gesundheit profitieren.
Internationale Konsumgüterhersteller wie Nestlé produzieren bereits vor Ort, Volkswagen hat im Vorjahr sein erstes Fahrzeugmontagewerk in Ghana eröffnet. Zudem werden einfache Industrieprodukte wie Baumaterialien und Verpackungen immer häufiger lokal erzeugt. Laut dem Wirtschaftsdelegierten Guido Stock ist Ghana mittendrin, sich aufgrund seines guten Geschäftsklimas „als ein zentraler Produktionsstandort in Westafrika zu etablieren“.
Jedoch ist die Gründung von Niederlassungen dem Wirtschaftsdelegierten zufolge für Ausländer nicht ganz unkompliziert, nicht nur was Zölle und Devisen angeht. In Ghana müssen ausländische Firmengründer noch dazu ein vergleichsweise hohes Mindestkapital mit einbringen – 200.000 US Dollar bei Gründung eines Joint Ventures mit ghanaischen Partnern und eine halbe Million bei Gründung einer Firma, welche gänzlich in ausländischem Eigentum steht.
Ghana bietet Chancen für Maschinenbauer
Dabei werden die meisten Maschinen und Anlagen nach wie vor importiert. Davon hat unter anderem der steirische Hersteller von Kompostieranlagen Komptech profitiert. Ein Gespräch mit Vertretern der ghanaischen Jospong-Gruppe auf einer Branchenmesse im Jahr 2018 erbrachte den bis dahin größten Auftrag der Firmengeschichte, infolgedessen fünf mobile Hausmüll-Aufbereitungsanlagen im Wert von 13 Mio. Euro von Frohnleiten nach Accra geschickt wurden. Seither wurden vier weitere Aufträge im Wert von insgesamt rund 25 Mio. Euro abgewickelt, bestehend aus zwei stationären Müllaufbereitungsanlagen in Ghanas zweitgrößter Stadt Kumasi und 14 mobilen Anlagen, welche im ganzen Land verteilt sind. Zudem sind weitere Projekte in Planung, um das Land langfristig flächendeckend mit Abfallbehandlungsanlagen zu versorgen. Komptech hat in Ghana laut dem zuständigen Sales Manager Markus Maierhofer „als Hersteller von Anlagen zur Aufbereitung von festen Abfällen eine absolute Vorreiterrolle übernommen“.
Und damit nicht genug: Angesichts des vor Ort deutlich gewordenen Schulungsbedarfs im Umgang mit den steirischen Anlagen hat Komptech gemeinsam mit ICEP, der Austrian Development Agency und der Montanuniversität Leoben ein Ausbildungsprogramm ins Leben gerufen.
Als wesentliche Erfolgsfaktoren für Business in Ghana nennt Maierhofer „Beharrlichkeit, lösungsorientiertes Handeln und das Akzeptieren lokaler Besonderheiten“. Manfred Rauch von der Strabag fügt hinzu: „Wenn wir als Europäer – und speziell als Österreicher – mit einer gewissen Demut und Geduld hier Aktivitäten setzen, dann werden wir wohlwollend und offen empfangen.“
Ghana als Einstiegsland
Mit dem dezidierten Ziel, die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu stärken, hat Ghana im Vorjahr eine eigene Botschaft in Wien eröffnet. Auf der Botschaftswebsite wird der Leser mit „Willkommen in Ghana: Das Tor zu Afrika“ begrüßt. Und in der Tat wird Ghana immer wieder als guter Türöffner für Geschäfte in Afrika bezeichnet. Das sieht auch Manfred Rauch von der Strabag so: „Ghana ist ein gutes Einstiegsland für Aktivitäten am afrikanischen Kontinent, denn Ghana bemüht sich wirklich aktiv um ausländische Investitionen und Know-how.“
Dabei ist der ghanaische Markt selbst – etwa im Vergleich zum 200-Millionen-Einwohner-Land Nigeria – eher klein. Und der direkte Sprung in ein Nachbarland wird aus sprachlichen Gründen erschwert. Denn die direkten Anrainer Elfenbeinküste, Burkina Faso und Togo gehörten im Gegensatz zum englischsprachigen Ghana allesamt ehemals dem französischen Kolonialreich an. Ins nigerianische Lagos sind es von Accra zwar nur 500 Kilometer, aber zumindest der Landweg über Togo und Benin erleichtert den Austausch nicht gerade. „Das ist zwar eine schöne Fahrt“, berichtet der Wirtschaftsdelegierte Stock, „Aber allein für die letzten 120 Kilometer, von Cotonou nach Lagos, brauchen Sie mehr als vier Stunden. Da geht’s auf der nigerianischen Seite von Schlagloch zu Schlagloch.“
Diese Straße steht für Stock sinnbildlich ein Stück weit für die Grenzen des innerafrikanischen Freihandels, der von Accra aus forciert werden soll: „Die wirtschaftliche Integration kommt nur schleppend voran. Wir haben zwar mit großer Fanfare das Free Trade Agreement präsentiert bekommen, aber in der Realität fängt es schon damit an, dass die Eisenbahn- und Straßenverbindungen nicht da sind.“ Im Rahmen des sechsphasigen Railway Master Plan hat Ghana nun damit begonnen, das Eisenbahnnetz, das bislang nur einige hundert Kilometer umfasst, auf 4.000 Kilometer auszudehnen. Mit der Lieferung von Schienen, Weichen und Signallösungen ist auch die Voestalpine substanziell an Phase zwei des 21-Milliarden-Dollar-Mammutprogramms beteiligt.
Bei der Finanzierung ist Ghana auf internationale Hilfe angewiesen. Denn wegen des sehr geringen Steueraufkommens sind die Einkünfte aus dem Export fast die einzigen Einnahmen des Staates. Derweil zeigt sich die eigene Bevölkerung zunehmend verärgert über die ungelösten Probleme im Land. Vor allem mangelt es an Industriearbeitsplätzen. Mit mehr als 50 Prozent Unterbeschäftigung unter Jugendlichen steht Ghana selbst im innerafrikanischen Vergleich schlecht da. Zugleich sind die Lebenshaltungskosten in den Städten verhältnismäßig hoch. Der extravagante Lebensstil des Präsidenten und seiner Armada an Ministern sowie unrealistische Versprechungen wie etwa eine Schwebebahn in Accra heizen die Empörung zusätzlich an. Unter dem Hashtag #FixTheCountry gehen vor allem junge Bürgerinnen und Bürger seit Monaten auf die Straßen.
Über Soft Loans zum Ziel
Nicht nur Arbeitsplätze, auch Kredite zu vernünftigen Konditionen sind vor Ort Mangelware. Für Unternehmen wie Komptech ist es laut CEO Heinz Leitner daher zentral, dass sie den ghanaischen Kunden über die Oesterreichische Kontrollbank OeKB auch Finanzierungslösungen anbieten können. Im Vorjahr hat die OeKB für Geschäfte in Ghana Haftungszusagen in Höhe von rund 65 Mio. Euro gemacht – ein Spitzenwert in Afrika.
Für öffentliche Projekte bietet die OeKB daneben Soft Loans an, also niedrig verzinste Kredite, die zur nachhaltigen Entwicklung vor Ort beitragen. In keinem Land Afrikas wurden seit 2009 mehr mit österreichischen Soft Loans finanzierte Projekte umgesetzt als in Ghana.
Mit einem Soft-Loan-Projekt zur Wasseraufbereitung hat Strabag Watertechnologies vor rund zehn Jahren in Ghana Fuß gefasst. Und auch das Beratungsunternehmen VACE Systemtechnik aus Linz hat davon schon mehrfach Gebrauch gemacht. Horst Bernard, Bereichsleiter Bildungsprojekte von VACE, war erst Mitte November in Accra, um das dritte größere, vom ghanaischen Bildungsministerium beauftragte Projekt zur Modernisierung technischer Schulen auf Schiene zu bringen. „Ohne Soft Loans wäre die Umsetzung von Ausbildungsprojekten in Entwicklungsländern kaum möglich. Mit öffentlicher Ausbildung können keine Einnahmen generiert werden, um solche Projekte zu finanzieren“, sagt der Bildungsexperte. VACE liefert und montiert nicht nur die Ausrüstung für Werkstätten und Labore, sondern bietet vor Ort auch mehrmonatige Schulungen für die lokalen Ausbildner an. Mittlerweile ist VACE Dauergast in Ghana: „Die Zusammenarbeit mit den zuständigen Ministerien läuft sehr gut. Unsere Ansprechpartner sind kompetent, auch wenn man immer viel Zeit und Geduld braucht“, so Bernard.
Für Ungeduldige stellt Ghana also nicht das perfekte Terrain dar – für alle anderen könnte ein genauerer Blick auf Westafrikas Aufsteiger-Land durchaus lohnend sein.