Vor gut einem Jahr, im März 2022, machte ein älterer Inder namens Jagadish Vasudev einen Zwischenstopp in Wien. Der Senior mit dem markanten weißen Rauschebart befand sich gerade auf einer Motorradreise, die ihn in 26 Etappen von Großbritannien bis nach Indien führen sollte. Vasudev – vielen unter dem Namen Sadhguru ein Begriff – hat auf YouTube und Instagram Millionen Anhänger und spricht normalerweise über Spiritualität und Yoga. Doch während seiner dreimonatigen Reise traf er sich mit Politikern, Wissenschaftern, Künstlern und Fans, um ein dringlicheres Thema zu diskutieren: die Rettung unserer Böden, unter dem Motto „Save Soil“. 

Sadhguru
Sadhguru reiste im März 2022 unter anderem nach Wien, um sich für bessere Böden stark zu machen.

Bedrohte Ressource

„Globale Bodenkrise“ – so nennt Vesela Tanaskovic Gassner das Problem. „Man mag von Sadhguru halten, was man will. Er hat das Thema Böden und damit eine der wichtigsten Ressourcen unseres Planeten in die breitere Öffentlichkeit gebracht, mehr als jemals jemand zuvor“, lobt die in Wien lebende serbische Umwelttechnikexpertin den indischen Guru. Auch für sie ist die Bodenrettung eine Herzensangelegenheit. Seit mehr als zehn Jahren forscht sie dazu und hat für ihre Dissertation an der Technischen Universität Wien ein inzwischen patentiertes Verfahren zur Wüstenbegrünung entwickelt. Außerdem ist sie Beraterin für Projekte von Griechenland bis Zentralasien. Sie warnt: „Die Verschlechterung der Böden und die damit oft auch verbundene Wüstenbildung sind eine riesige ökologische Katastrophe.“

Vesela Tanaskovic Gassner
Vesela Tanaskovic Gassner

Weltweit geht immer mehr fruchtbarer Boden verloren. Konservativ geschätzt gilt rund die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen als geschädigt. Wenn Böden degradieren, wie es auch heißt, liefern Ackerflächen weniger Ernten, nimmt die biologische Vielfalt in den Wäldern ab und finden Tiere in Steppengebieten nicht genug Nahrung. Im extremen Fall führt Degradation schrittweise zu Desertifikation – aus bepflanzbarem Land wird trockene Wüste. Desertifikation findet vor allem in Gebieten statt, in denen wenig Niederschlag fällt beziehungsweise die von ausgeprägten Regen- und Trockenzeiten abhängen. Am schlimmsten trifft es Trockengebiete in Asien, Afrika, Südamerika oder im Nahen Osten – aber nicht nur. „Auch Europa verliert fruchtbares Land und ist von Desertifikation betroffen. Besonders dramatisch ist die Situation in Spanien, angetrieben durch Gemüseanbau in Monokulturen mit künstlicher Bewässerung in großem Stil. Auch Süditalien, Kroatien oder Griechenland sind gefährdet“, sagt Tanaskovic Gassner.

Wüsten im Vormarsch

Dass gesunde Böden schlechter werden, liegt vor allem an uns Menschen. Eine stetig wachsende Weltbevölkerung breitet sich immer weiter aus, und mit ihr Acker- und Weideflächen, Straßen und Städte. Rodungen von Wäldern, falsche Bewässerung sowie die Versiegelung von Flächen senken die Bodenqualität. Auch der übermäßige Einsatz von Pestiziden und anderen Chemikalien hat gravierende Auswirkungen. Und über alledem schwebt der Klimawandel, der dazu führt, dass Hitze- und Dürreperioden zunehmen, sich Niederschlagsmuster verändern, Wasser lange ausbleibt und dann wieder Starkregenfälle auftreten. Die Folgen: Böden werden abgetragen, sie laugen aus, versalzen, versanden, ihre wertvolle organische Masse – der Humus – nimmt ab. „Allein in Afrika sind zwei Drittel aller Ackerböden bedroht und damit die Lebensgrundlage von Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern“, sagt Juliane Wiesenhütter, Bodenexpertin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH GIZ.

Interview mit Juliane Wiesenhütter, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH

Juliane Wiesenhütter, GIZ GmbH

Unterschätzte Ressource

Juliane Wiesenhütter, Bodenexpertin der GIZ GmbH, über den Wert unserer Böden und wie Maßnahmen für Bodengesundheit aussehen können.

Rund ein Drittel der gesamten Landfläche der Erde besteht bereits aus Wüsten, jedes Jahr kommen neue unfruchtbar gewordene Flächen hinzu. Etwa 3,2 Milliarden Menschen sind von Bodendegradation betroffen, heißt es seitens des in Bonn ansässigen Sekretariats des UNCCD, dem „Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung“. Seit 1994 macht dieses jedes Jahr am 17. Juni, am Welttag zur Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürre, auf das Problem aufmerksam. 

Der Kampf gegen Bodendegradation und Desertifikation ist auch in den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den SDG, enthalten. Schließlich sind intakte Böden die Grundlage für Ernährungssicherheit und die Eindämmung der Klimakrise. „Die Böden sind, neben dem Ozean, der größte Kohlenstoffspeicher der Welt, sie leisten Enormes für den Klimaschutz“, so Wiesenhütter.

Grünes Band für Afrika 

Weltweit gibt es unzählige Ansätze zur Bekämpfung von Bodendegradation. Eine besonders bekannte Initiative wird in der Sahelzone Afrikas umgesetzt – dem Übergangsgebiet zwischen der Sahara im Norden und den Savannen im Süden. In dieser Region hat die Desertifikation stark zugenommen, viele Böden sind durch Übernutzung ausgetrocknet. Um das Leben von Millionen Menschen, die von wiederkehrenden Nahrungsmittelkrisen betroffen sind, zu verbessern, hat die Afrikanische Union 2007 die Große Grüne Mauer ins Leben gerufen. Ihr ehrgeiziges Ziel: Bis 2030 sollte ein 8.000 Kilometer langer Wald entstehen, der vom Senegal im Westen bis Dschibuti im Osten reicht. Sich über elf Länder erstreckend, sollte dieses grüne Band das Vordringen der Wüste Sahara aufhalten. Allerdings stieß die Umsetzung des riesigen Aufforstungsprojekts auf Schwierigkeiten. Die Gründe hierfür sind vielfältig – Tanaskovic Gassner nennt beispielsweise die fehlende Nachbetreuung, wenn Jungbäume in unbewohnten Gebieten gepflanzt werden. In konflikt- und gewaltgeprägten Gebieten verliert Aufforstung oft an Priorität, und wenn der Bevölkerung der Zugang zu Elektrizität fehlt, wird Holz geschlagen, um Energie zu gewinnen. Auch schwache Organisationsstrukturen, mangelnde Einbindung von Umweltmaßnahmen in übergeordnete Strategien und Koordination werden in einem Zwischenbericht als Hemmschuh genannt. Im Jahr 2020, also zehn Jahre vor dem geplanten Abschluss des Projekts, war der Fortschritt in einigen Ländern besser und in anderen schlechter – insgesamt schien die Umsetzung des grünen Waldbands stark zu stocken.

Mosaik statt Mauer

Die Große Grüne Mauer wächst inzwischen auf andere Weise. „Gestartet ist sie als Aufforstungsprojekt. Die frühere Metapher einer Grünen Wand gegen die Wüste ist ökologisch gesehen letztlich nicht sinnvoll, weil es mehr als nur Bäume braucht. Mittlerweile hat sich die Idee zu einer Bewegung entwickelt, die heute als Mosaik aus Entwicklungsprojekten verstanden wird, das die Herausforderungen der Menschen in der Sahelzone und der Sahara gezielt adressiert“, erklärt Wiesenhütter. Das heutige Ziel besteht darin, eine produktive und nachhaltige Landwirtschaft aufzubauen, die die Menschen ernährt und eine Hauptursache von Konflikten durch gesteigerte Nahrungsmittelproduktion reduziert.

Riesenprojekt Große Grüne Mauer für Afrika

Im Jänner 2021 hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Great Green Wall Accelerator vorgestellt, eine Multistakeholderinitiative, die Investitionen in fünf Bereichen fördern soll: kleinere und mittlere Landwirtschaftsbetriebe, Landrestaurierung, klimaresistente Infrastrukturen, wirtschaftliche und institutionelle Rahmenbedingungen sowie Kapazitätsaufbau. Im Zuge der Weltklimakonferenz im November 2022 wurde die International Drought Resilience Alliance lanciert, die nun die internationale Unterstützung für die Sahelzone intensivieren soll. Kürzlich wurde zudem ein Schulungsprogramm eingeführt, bei dem afrikanische Teilnehmer von israelischen Experten unterstützt werden.

Know-how für grüne Mauer

Obwohl Israel zu einem großen Teil aus Wüste besteht, hat sich das Land in den vergangenen 60 Jahren zu einem Großproduzenten von Agrarerzeugnissen entwickelt. Möglich machten dies unter anderem sparsame Bewässerungsmethoden und eine optimierte Pflanzenauswahl. Da dieses Know-how in einer zunehmend trockenen Welt an Relevanz gewinnen dürfte, gibt es Pläne, die Wüstenstadt Be‘er Sheva zu einem globalen Hub für Wüstentechnologien aufzubauen. Mithilfe israelischer Expertise soll außerdem das Mammutprojekt Große Grüne Mauer in Afrika unterstützt werden: Auf der Klimakonferenz in Ägypten 2022 verkündete die israelische Innovationsplattform DeserTec und die UN-Wüstenkonvention UNCCD eine Kooperation: 30 afrikanische Projektleader bekommen in einem umfangreichen Training Know-how, Vernetzungsmöglichkeiten und Finanzierungshilfe aus Israel. Ziel ist es, gemeinsam lokal umsetzbare Lösungen zu entwickeln, um die Sahelzone wieder fruchtbar zu machen. 

Gesündere Böden

Global existieren zahlreiche Methoden, um der Bodendegradation entgegenzuwirken. Manchmal reicht dafür eine Schaufel: Die niederländisch-kenianische Umweltorganisation Justdiggit und die tansanische LEAD Foundation arbeiten mit ostafrikanischen Dörfern zusammen, um die Methode der halbrunden Regenwasser-Sickerbecken zu verbreiten. „Desertifikation, die das biologische Potenzial des Bodens verringert und zerstört, ist in unseren Projektregionen in Tansania und Kenia ein großes Problem“, erklärt Gillis Laernoes von Justdiggit. Die Sickerbecken-Methode fördert die Regeneration vorhandener Gräser und unterstützt den Boden bei der Wiederherstellung seiner biologischen Potenziale. Laernos betont, dass bereits nach einem Jahr große Veränderungen eintreten können.

Turbo für die Wiederbegrünung karger Flächen

Erdmulden gegen Steppe 

Die niederländisch-kenianische Umweltorganisation Justdiggit setzt sich seit 2013 dafür ein, ausgedörrte Landschaften in Ostafrika mithilfe einer alten Technik zu regenerieren: sichelförmigen Mulden, die ins Erdreich gegraben werden. Die „Water Bunds“ fangen das Wasser in der Regenzeit auf, das sonst über den sandigen Boden hinweggespült wird, womit den im Boden vorhandenen Samen mehr Wasser zur Verfügung steht. Die Samen erhalten dadurch die Chance, zu sprießen und das Erdreich zu festigen. Ein einziger Bund soll mehr als 120 Quadratmeter Fläche begrünen können. Zusätzlich zu den Mulden werden verbliebene Bäume gepflegt und mit der „Farmer Managed Natural Regeneration“-Methode (siehe corporAID Artikel „Comeback der Bäume“) wieder aufgeforstet. Laut Justdiggit wurden in Kenia und Tansania bereits mehr als 200.000 Mulden aufgeschüttet und 300.000 Hektar Weide- und Ackerland wiederhergestellt. Das Welternährungsprogramm WFP verbreitet die Sichelmethode auch in Westafrika.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit setzt in ihren Projekten in Afrika und Indien auf unterschiedliche Maßnahmen, um gesunde Böden und ertragreiche Ernten zu fördern. Dazu zählen der Einsatz von speziellem Saatgut, Kalk, organischem Dünger sowie abwechslungsreiche Fruchtfolgen. In einem Projekt, das sieben Länder umfasst, konnten laut Wiesenhütter seit 2014 fast 500.000 Hektar Boden geschützt oder wieder landwirtschaftlich genutzt werden, mit durchschnittlichen Ertragssteigerungen von 40 Prozent. „Die Bauernfamilien ernten mehr und benötigen dabei weniger chemischen Dünger – in Zeiten steigender Düngerpreise ist das ein weiterer großer Vorteil“, sagt Wiesenhütter.

In Äthiopien werden Böden mit Kalk und organischem Dünger aufgebessert.

Aus Sand wird Erde

Selbst wenn staubige Wüste da ist, kann – mit viel Aufwand – fruchtbarer Boden geschaffen werden. Die ägyptisch-österreichische Familie Abouleish zeigt dies seit vier Jahrzehnten mit ihrem Agrarunternehmen Sekem, das biologisch-dynamische Landwirtschaft in Ägypten betreibt. Der Aufbau von Humus durch Kompost aus organischem Material und Kuh- und Schafdung macht es möglich. Anfangs werden dem Sandboden 70 Tonnen Kompost pro Hektar beigemischt, dann jeweils rund zehn Tonnen pro Saison. Das Wasser für die künstliche Bewässerung liefern Brunnen – dank des unterirdischen Nils und des Nubischen Aquifers, das als Reservoir unter weiten Teilen des Landes liegt, konnten auf Sekems Hauptfarm nordöstlich von Kairo rund 150 Hektar Wüste in Anbauflächen verwandelt werden. Dort gedeihen Dattelpalmen, Eukalyptusbäume, Kräuter und Getreide. Inzwischen bearbeitet das Unternehmen rund tausend Hektar, das meiste davon als Neuland in der Wüste.

Ein Forscherteam um Professor Yi Zhijian von der chinesischen Chongqing Jiaotong Universität setzt seit 2016 die Desert Soilization Methode ein, um Wüstenböden zu begrünen. Mit einer Paste aus pflanzlicher Zellulose wird eine Vererdung der oberen zwanzig Zentimeter Sandschicht herbeigeführt, die dadurch dieselben ökologischen und physikalischen Eigenschaften wie natürlicher Boden erhält. In den vergangenen Jahren konnten so Reis, Mais, Süßkartoffeln, Rettiche und Raps angepflanzt werden. Bis dato wurden rund 1.130 Hektar Wüste – das entspricht zwei Mal der Fläche des Wiener Praters – in China, Afrika und im Nahen Osten vererdet. Es soll deutlich mehr werden, denn laut den Forschern sei ihre Technik umweltfreundlich, kosteneffizient und massentauglich.

Kein Mangel an Methoden

Es gibt „sehr viele Substanzen, auch Kokosnuss, Ton oder Kieselgel, die Feuchtigkeit im Sand halten können und Pflanzenwachstum möglich machen“, bestätigt Tanaskovic Gassner. In ihrer Doktorarbeit hat sie eine Methode untersucht, bei der die Ablagerungen, die sich in allen Stauseen bilden, zur Wüstenbegrünung eingesetzt werden können, weil diese einen hervorragenden Humus und Dünger abgeben. Aktuell arbeitet sie an einem Forschungsprojekt in Griechenland. Dabei werden in Gewässern in landwirtschaftlichen Anbaugebieten Süßwasseralgen gezüchtet. „Diese wachsen enorm schnell, weil die Gewässer durch Chemikalien verunreinigt sind. Die Algen reinigen das Wasser und können anschließend auf die Felder aufgetragen werden, wo sie den Boden anreichern“, so die Umwelttechnikexpertin. 

An Methoden zur Bodenrettung und Wüstenbegrünung mangelt es nicht, meint sie, doch eine wirklich nachhaltige Bepflanzung dürfe „lediglich in ihren Anfangsjahren auf künstliche Bewässerung angewiesen sein. Irgendwann müssen sich Systeme selbst erhalten können.“ In der Zukunft könnte es allerdings herausfordernder werden, autonome Systeme aufzubauen, insbesondere in Regionen, in denen es immer seltener regnet. 

Wiesenhütter ist der Meinung, dass man stets den gesamten Aufwand von Begrünungslösungen betrachten müsse. „Es hat gute Gründe, warum manche Flächen unfruchtbar sind“, sagt sie. Aus ökonomischer und ökologischer Sicht hält sie es daher für sinnvoller, in die Wiederherstellung von vor allem falsch bewirtschafteten Flächen zu investieren, anstatt mit großem Aufwand neue Ökosysteme zu erschließen. 

Politischer Wille gefragt

Initiativen wie die Save Soil-Kampagne von Sadhguru aus Indien setzen sich dafür ein, dass die Böden stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken und Menschen von ihren Regierungen wirkungsvolle Maßnahmen zum Bodenschutz einfordern. Angesichts der großen Bedeutung der Böden sollten wir diese wohl wirklich wie einen wertvollen Schatz behandeln. 

Fotos: JustDiggit, GIZ Samuel Assefa, beigestellt, UNCCD, Kainz