Wer im Französischunterricht gut aufgepasst hat oder Kindern gerne vorliest, erinnert sich vielleicht noch an jene unheimliche Bedrohung, über die „Der kleine Prinz“ im gleichnamigen Kultmärchen berichtet: Auf seinem Heimatplaneten B612 treiben die Samen riesiger Affenbrotbäume aus, deren weit verzweigte Wurzeln den Asteroiden explodieren lassen könnten. Und um diese Katastrophe zu verhindern, muss der Bub tagtäglich und konsequent alle Sprösslinge der Riesenbäume vernichten. 

Baobab ist eine Ikone Afrikas

Affenbrotbäume oder Baobabs sind keine Erfindung von Antoine de Saint-Exupéry, sie existieren tatsächlich. Baobabs sind am afrikanischen Festland, auf Madagaskar und in Australien heimisch und zählen zur Familie der Malvengewächse. Insgesamt gibt es acht Arten. Die Bäume wachsen mitunter auch in Indien, Malaysia oder in der Karibik – und wer sein botanisches Geschick in unseren Breiten testen will, kann etwa beim steirischen Rohstoffhändler Biomega Baobabsamen bestellen und mit der Anzucht im Blumentopf experimentieren. 

Abseits der berühmten französischen Geschichte genießen Baobabs einen ziemlich guten Ruf. Die bis zu 30 Meter hohe Pflanze wird als Baum des Lebens, als Apothekerbaum oder als Wahrzeichen der Savanne verehrt. In Südafrika und auf Madagaskar gibt es Baobabs, für deren Besuch Touristen lange Fahrten in Kauf nehmen. 

Baobab
Zum Nachlesen: Marc Engelhardts Baobab-Buch

Und manche Menschen sind gar so angetan, dass sie dem Baum eigene Webseiten widmen, wie Heike Pander mit baobabstories.com oder wie der Journalist Marc Engelhardt, der gleich eine Liebeserklärung auf 140 Seiten verfasst hat. „Der riesige, unförmige Baobab, der mit seinen Wurzeln gen Himmel zu wachsen scheint, ist ein afrikanisches Wunder. Er bietet den Menschen südlich der Sahara nicht nur Nahrung, sondern auch einen schier unermesslichen Speicher an Wasser und Weisheiten“, schreibt Engelhardt in seinem Buch „Baobab“, erst kürzlich erschienen im Matthes & Seitz Verlag. Darin berichtet er von Legenden und Mythen, die sich um den ikonischen Baum ranken. Eine Erzählung lautet, der Baobab sei als eines der ersten Lebewesen überhaupt geschaffen worden, aber so unzufrieden und fordernd gewesen, dass Gott ihn wütend packte und verkehrt in die Erde steckte – womit die markante „Kopf-über“-Optik des Baums erklärt wäre.

Baobab Baum Ghana
Ein Baobab in einem Dorf in Ghana

Auch sonst ist der Baobab außergewöhnlich: Er kann weit mehr als tausend Jahre alt werden, gedeiht in den trockensten Gegenden und speichert in der Regenzeit große Mengen Wasser, die den Stamm dick anschwellen lassen. Von bis zu 150.000 Liter Speichervermögen berichtet Engelhardt, der Beiname Flaschenbaum beschreibt es treffend: „Von diesem Wasser profitieren nicht nur Tiere, damit haben schon ganze Dörfer überlebt.“ Die Bezeichnung Affenbrotbaum kommt wiederum daher, dass Affen – und andere Tiere – die Früchte des Baobabs gern fressen und so auch dessen Verbreitung fördern: Beim Wandern durch Darmträkte werden die unverdaulichen Samen aufgeweicht und können schließlich besser keimen.

Baobab: Superfood aus Afrika

Traditionell werden die Früchte des Baobabs ebenso wie Blätter und Rinden genutzt. Afrikanische Heiler setzen auf Baobab als medizinischen Allrounder bei Rheuma und Rückenschmerzen, bei Kinderwunsch und Malaria, bei Magendarmbeschwerden und Entzündungen. Der Geschmack des Fruchtfleisches wird als säuerliche Mischung aus Grapefruit, Birne und Vanille beschrieben. „Die Früchte polarisieren aufgrund ihres sehr eigenen Geschmacks“, meint Biomega-Chef Martin Späth, der seit vielen Jahren in enger Kooperation mit dem sengalesischen Baobabproduzenten Baonane Pulver und Öle nach Europa exportiert (siehe auch corporAID-Artikel „Rare Öle aus dem Senegal“) In Afrika selbst sind die Baobab-Fruchtstücke vor allem bei Kindern beliebt – sie lassen sich pur oder, wie in Kenia üblich, als leuchtend rot gefärbte „Mabuyu“-Süßigkeit genießen. Pulverisiert wird das Fruchtfleisch gerne Getränken beigemischt.

Baobabfrucht
Baobabfrüchte fallen reif vom Baum und werden idealerweise dann eingesammelt. Sie sollten nicht gepflückt werden.

Ernährungsphysiologisch spricht einiges dafür: Die Frucht ist reich an Vitamin C, B-Vitaminen, Kalium, Kalzium und Phosphor und gilt als guter Lieferant für Ballaststoffe. Sie soll über entzündungshemmende, antioxidative und antimikrobielle Eigenschaften verfügen, den Anstieg des Blutzuckerspiegels verlangsamen und die Darmgesundheit fördern – das alles macht Baobab zum afrikanischen Superfood. „Die Frucht besteht außerdem zu 90 Prozent aus Kernen. Diese haben einen eher geringen Gehalt an Öl. Es eignet sich aber hervorragend für die Haut- und Haarpflege“, so Späth. Die Kerne stecken übrigens auch im Namen: Baobab leitet sich vom arabischen Ausdruck „buhobab“ ab und bedeutet „Frucht mit vielen Samen“. 

Baobab Aduna
Baobab ist die einzige Frucht der Welt, die ausgereift innen völlig trocken ist.

Baum mit Allrounderqualitäten 

Affenbrotbäume kommen endemisch in Madagaskar, Afrika und Australien in acht Arten vor, international kommerzielle Relevanz hat allerdings nur die am afrikanischen Festland verbreitete Art „Adansonia digitata“. In Europa sind Fruchtpulver und Öl des Baobabs zugelassen, sie werden zu Lebensmitteln sowie Gesundheits- und Körperpflegeprodukten verarbeitet. Das Pulver lässt sich in Flüssigkeiten einrühren oder Speisen zusetzen. Als Sondereditionen haben auch Konzerne wie Pepsi und Coca Cola Softdrinks und Smoothies mit Baobab auf den Markt gebracht, meist stammen Baobablebensmittel aber von kleinen Anbietern. Hersteller von Körperpflegeprodukten verwenden das goldgelbe Öl („Adansonia Digitata Seed Oil“), da es stabil, gut absorbierend und relativ geruchsneutral ist. Es wird kalt aus den nierenförmigen Samen gepresst und zeichnet sich unter anderem durch einen hohen Gehalt an Palmitin- und Linolsäure aus. Nach der Extraktion des Öls ist der verbleibende Samenkuchen als Futtermittel verwertbar. In Afrika werden auch Blätter, Blüten, Rinde, Wurzeln und Fasern des Baobabs verwendet. Die Blätter kann man frisch verzehren, wie Spinat zubereiten oder damit Suppen binden. Aus der Schale lassen sich Becher herstellen, aus den Blütenpollen ein Leim anrühren und die fasrige Rinde zu Seilen und Netzen verarbeiten. Aus dem Holz werden Kanus, Platten oder Schwimmkörper (für Fischernetze) hergestellt. 

Weil Baobab vielerorts wild wächst und die Frucht in ländlichen Gebieten daher meist nichts kostet, gelten Baobabprodukte allerdings oft als „nichts Besonderes”, erzählt Pflanzenexperte Gus Le Breton, der mit seiner in Simbabwe ansässigen Firma „B’Ayoba“ Baobabpulver herstellt und exportiert. In Simbawe, sagt Le Breton, hafte der Frucht ein „Stigma des Arme Leute-Essens“ an: „Auch wenn Baobab aufgrund der gesundheitlichen Effekte gerade wieder entdeckt wird, würde man einem Gast eher ein westliches Produkt als Baobab anbieten. Letzteres wäre ein Zeichen, dass man kein Geld hat.“ 

Pionierarbeit in Europa

Baobabs kommen in mehr als 30 Ländern südlich der Sahara vor. Rund 28 Millionen Bäume soll es am Kontinent geben, doch Le Breton hält diese häufig zitierte Schätzung, „für viel zu niedrig angesetzt“, allein in Simbabwe seien es an die fünf Millionen Bäume. Für eine Kultivierung in der Plantage sind Baobabs übrigens nicht attraktiv: „Sie brauchen an die acht Jahrzehnte, um Früchte zu tragen, so lange wartet kein Agrarkonzern“, so Le Breton. Außerdem werde heute ohnehin ein großer Teil der Früchte, die am Ende des Reifeprozesses vollständig getrocknet vom Baum fallen, nicht verwendet. 

Interview mit Gus Le Breton, African Baobab Alliance

Gus Le Breton, African Baobab Alliance

Wenn Oprah Winfrey Baobab pusht, sind wir bereit!

Gus Le Breton, Vorsitzender der African Baobab Alliance, will Baobabprodukten zum globalen Durchbruch verhelfen.

Genau darin sehen Unternehmen und auch die Entwicklungszusammenarbeit schon länger riesiges Potenzial: „Die Früchte haben herausragende Eigenschaften, sie wachsen in sehr trockenen Gegenden mit geringen wirtschaftlichen Chancen, und es gibt mehr als genug davon“, fasst Le Breton zusammen. Er ist auch Vorsitzender der African Baobab Alliance, einem Zusammenschluss von Produzenten, verarbeitenden Unternehmen, Händlern und Markenherstellern, die gemeinsam vor allem das aus dem Fruchtfleisch gewonnene Pulver bekannter machen wollen und sich auch für dessen Qualitätssicherung und fairen Handel einsetzen. Während Baobaböl bereits seit rund 20 Jahren von der Kosmetikindustrie verwendet wird, ist das Pulver in Europa und in den USA seit mehr als zehn Jahren als Lebensmittel (in der EU als „novel food“) zugelassen. Auf Verpackungen ist Baobab stets als „Adansonia digitata“ deklariert. Gemeint ist die afrikanische Festlandart, die als einzige international gehandelt und hauptsächlich aus dem Senegal, Ghana, Mosambik und Simbabwe exportiert wird. Die sieben anderen Baobabarten spielen keine größere Rolle. 

Kleine Baobab-Erfolgsstory

Zu den stärksten Absatzmärkten in Europa zählt heute Großbritannien. „Als wir 2012 anfingen, hatten selbst die Einkäufer der Naturkostläden noch nie etwas von Baobab gehört. Auch das Wissen der Konsumenten lag nahezu bei null“, erinnert sich Andrew Hunt, CEO des britischen Importeurs Aduna, an mühselige Pionierarbeit. Aduna ist Mitglied der African Baobab Alliance und investierte viel in Marketing, beispielsweise in eine „Make Baobab Famous“-Kampagne.

Andrew Hunt, Aduna
Pionier Andrew Hunt, CEO des britischen Baobab-anbieters Aduna, war einer der ersten, der Baobab nach Europa brachte.

Zu Beginn habe man vor allem ernährungsbewusste Konsumenten angesprochen und Baobab als Superfood positioniert, heute versuche man verstärkt große Unternehmen zu begeistern, so Hunt. Biomega-Chef Späth, ebenfalls bei der Alliance dabei, bedient vorrangig Abnehmer in den Niederlanden, Deutschland und Österreich. „Die Nachfrage nach Öl und Frucht wächst langsam, aber beständig. Und gerade in Österreich gibt es eine Reihe von Herstellern, die hochwertige Produkte herstellen und diese gut verkaufen.“ Für Späth ist Baobab durchaus eine Erfolgsstory, wenngleich der Markt immer noch sehr klein sei und die Großhandelspreise für Baobab heute niedriger seien als vor zehn Jahren. 

Auch Le Breton nennt Schätzungen, die auf gutes Wachstum hinweisen – von einer überschaubaren Basis aus: „Während im Jahr 2010 rund 38 Tonnen Pulver aus Afrika exportiert wurden, waren wir 2020 mit 450 Tonnen bei mehr als der zehnfachen Menge. Und für heuer erwarten wir bis zu 550 Tonnen.“ Bei Baobaböl geht er von derzeit rund 25 Tonnen pro Jahr aus, und von einer Verdoppelung der Exportmenge in den nächsten drei Jahren. Verlässliche Zahlen zum Gesamtmarkt von Baobabprodukten gibt es nicht, so Le Breton, denn zu Produktion und Konsum in den Herstellerländern existieren kaum Daten – in Ländern wie dem Sudan und Senegal seien das aber „erhebliche Mengen“. Und davon landet wiederum einiges im Ausland, erklärt Späth die so genannten Grauexporte. „Vor Corona gab es eine starke Reisetätigkeit der Diaspora zwischen dem Senegal und Italien, Spanien und Frankreich. Oft waren Menschen mit vielen Kilo Baobabprodukten im Koffer unterwegs, die in der Summe sicher signifikant waren.“

Klaas Koolman, Berlin Organics
Klaas Koolman, Berlin Organics

Baobab: Bereit für mehr

Während Corona den informellen Export sicherlich deutlich einschränkte, zeige die Pandemie positive Effekte auf die Nachfrage. Das berichtet jedenfalls Klaas Koolman, der mit seinem Food Start-up Berlin Organics seit 2015 Baobabpulver von B‘Ayoba in Europa vertreibt. „Menschen suchen verstärkt nach Lebensmitteln, die ihre Abwehrkräfte stärken. Hier kann Baobab punkten.“ Ein Vorteil sei zudem, dass sich das Pulver sehr gut in den Alltag einbauen lässt, in dem es Smoothies, Säften oder Joghurts zugesetzt wird. Und dennoch: Baobab ist bis heute wohl nur für wenige Menschen in Europa ein Alltagsprodukt und in den Produktionshallen großer Lebensmittelhersteller kaum präsent. Bis auf „limited editions“ bei Getränken oder Joghurts wagen sich letztere nicht ans afrikanische Superfood, bedauert Le Breton. 

Baobab Sammlerin Ghana
Baobab ist eine Wildpflanze, das Sammeln und Verkaufen der Früchte wird meist von Frauen erledigt.

Warum das so ist, dazu haben die Alliancemitglieder verschiedene Theorien. So sei das Pulver schon in der Optik eher unspektakulär, wodurch es sich schwer vermarkten lässt, lautet eine Vermutung. Eine andere ist, dass Konsumenten bis heute den Geschmack nicht kennen und daher auch nicht nachfragen. Zudem gibt es noch zu wenige wissenschaftliche Studien, die sich mit den gesundheitlichen Vorteilen des Baobabverzehrs beschäftigen, wodurch Anbieter nur eingeschränkt mit „Health Claims“ werben können. Nicht zuletzt könnte es auch „am Vertrauen in die Lieferfähigkeit mangeln und an vergleichsweise hohen Einkaufspreisen“, meint Späth. Anders als klassische Export-rohstoffe wie Kaffee oder Kakao gibt es, wie erwähnt, keine Plantagen. Die Wildfrucht wird gesammelt und lokal verarbeitet. Dass sich die Liefermengen bei steigender Nachfrage schnell erhöhen lassen, davon ist Le Breton aber überzeugt, zudem helfe, dass die African Baobab Alliance Standards etabliert habe, so dass Einkäufer mit einheitlicher Qualität rechnen können. Ob mit zunehmender Popularität von Baobab irgendwann ein Milliardenmarkt entstehen könne, wie das Weltwirtschaftsforum WEF vor wenigen Wochen in einem Video mit dem Titel „This African fruit could be the next global superfood“ suggeriert hat, ist derzeit schwer zu beantworten. „Dazu braucht es noch viel Zeit und Marketing“, sagt Le Breton. 

Die Reaktionen auf das Video waren ambivalent. Manche Menschen äußerten sich euphorisch, andere hatten Bedenken, dass eine stärkere kommerzielle Nutzung mit Umweltzerstörung einhergehen würde. Gerade solche Sorgen will die Alliance ausräumen. Aduna, Biomega oder B‘Ayoba setzen alle auf faire Kooperationen und Biozertifizierungen. Und sie erklären, dass gerade der Konsum von Baobab Gutes bewirke: „Für Menschen in armen Regionen entstehen damit neue Einkommensquellen. Und dadurch werden die Bäume eher geschützt als bisher“, so Koolman. Wer Baobab kaufe, bedrohe also keine Affenbrotbäume (siehe auch Video von Aduna unten). Und dass der Baum selbst eine Bedrohung sein könnte, das steht ohnehin nur in einer französischen Erzählung.

Fotos: Aduna, Berlin Organics, Gus Le Breton, Matthes & Seitz, Amila Tennakoon Flickr, Rod Waddington Flickr