„Austria ist überall“ heißt der Titel des Podcasts der Außenwirtschaft Austria. Das mag ein wenig prätentiös klingen, aber erhält man einen Blick auf die Liste der aktuell 194 österreichischen Hidden Champions, die der Ökonom Georg Jungwirth von der FH Campus 02 in Graz verwaltet, pflegt und beforscht, drängt sich der Eindruck auf: Da ist was dran. Als konkrete Kriterien, um in die imposante Datenbank aufgenommen zu werden, nennt Jungwirth: Das Unternehmen muss weltweit zu den Top 3-Firmen in seiner Branche gehören oder in Europa die Nummer eins sein und maximal 300 Mio. Euro Jahresumsatz machen. Damit unterscheiden sich die Hidden Champions von den aktuell 52 großen österreichischen Welt- und Europamarktführern, die mehr als 300 Mio. Euro Jahresumsatz machen und zumeist auch über die eigene Branche hinaus gut bekannt sind: von Red Bull über Wienerberger und Swarovski bis zur Voestalpine und der OMV.

Hidden Champion sind global im Geschäft

Etwa 60 Prozent aller österreichischen Hidden Champions bezeichnet Jungwirth als sogenannte Born Global Companies, und meint damit Unternehmen, die von Anfang an international ausgerichtet waren oder innerhalb der ersten drei Jahre ins Ausland expandierten. Das hänge im Falle Österreichs auch mit der überschaubaren Marktgröße zusammen: „Die Herkunft aus einem kleineren Land führt zu einer schnelleren Notwendigkeit der Internationalisierung, insbesondere in Business-to-Business-Märkten, wenn der heimische Markt nicht genügend Abnehmer bietet“, so Jungwirth. 

Zwei Beispiele: Das im Jahr 1991 in Linz gegründete Maschinenbauunternehmen Rubble Master hat sich auf die Nische der Brecher und Siebanlagen konzentriert. Gründer und Geschäftsführer Gerald Hanisch erschloss mit seinen kompakten, transportfähigen Anlagen einen ganz neuen Markt. Und das nicht nur vor der eigenen Haustüre: „Ich habe von Stunde Null an groß und exportorientiert gedacht und Leute eingestellt, die über interkulturelle Kompetenz verfügen und sich in verschiedene Märkte hineindenken können“, erklärt Hanisch. Heute beträgt der Exportanteil des Unternehmens 96 Prozent. Die Kernmärkte liegen zwar in Europa und Nordamerika, Hanischs Brecher sind jedoch auf Baustellen und in Bergbauregionen in etwa hundert Ländern, von Nepal über Kamerun bis Brasilien, vertreten.

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Weltweit erfolgreich: Rubble Master CEO Gerald Hanisch (mi.) wurde kürzlich mit dem Exportpreis in Silber ausgezeichnet.

Derweil hat sich der Umwelttechnikpionier Komptech in den vergangenen Jahren unter anderem im westafrikanischen Ghana einen Namen gemacht. 2018 lieferte der steirische Hidden Champion 25 Abfalltechnikmaschinen in das westafrikanische Land – das war nicht nur das erste Afrikaprojekt der Firmengeschichte, sondern mit einem Umfang von 13 Mio. Euro auch bis dato der größte Auftrag überhaupt. Seitdem folgten weitere Aufträge, zudem investiert Komptech in ein Ausbildungsprojekt vor Ort. Und für CEO Heinz Leitner gehört Afrika neben Asien und Amerika zu den größten Wachstumsmärkten in seinem Segment.

Go for Ghana: Geschäftsabschluss in der Komptech-Zentrale in Frohnleiten

Michael Otter, Leiter der Außenwirtschaft Austria, sieht die heimischen Hidden Champions als prädestiniert, um in Schwellen- und Entwicklungsländern erfolgreich zu sein: „Charakteristisch für unsere mittelständischen Unternehmen ist ihre Agilität, also die Fähigkeit, sehr schnell und flexibel auf sich verändernde Marktentwicklungen zu reagieren und innovative Lösungen zu kreieren. Gerade in fordernden Märkten ist es besonders wichtig, eine enge Bindung zu Kunden zu pflegen und individuell auf Kundenwünsche einzugehen“, so Otter. Dem stimmt auch Philipp von Carlowitz, Ökonom an der ESB Business School in Reutlingen und Autor mehrerer Studien über österreichische Unternehmen in Emerging Markets, zu: „Der große Vorteil, den die Mittelständler haben: Aufgrund ihrer Größe sind sie flexibler und dynamischer als viele Konzerne. Ein Schnellboot kann schneller wenden als ein Tanker.“

Am Land und in der Nische

Als „Entdecker der Hidden Champions“ gilt der deutsche Managementdenker und Unternehmensberater Hermann Simon. In seinem Buch „Die heimlichen Gewinner. Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer“ aus dem Jahr 1996 erklärte Simon erstmals prononciert die hunderten unbekannten deutschen Mittelständler als Ursache für den deutschen Exporterfolg. Dabei definiert Simon Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu drei Mrd. Euro als Mittelständler und damit als potenzielle Hidden Champions. Jungwirth setzt den Wert für die österreichischen Hidden Champions – auch der Einwohnerzahl entsprechend – um den Faktor Zehn geringer an. 

Durch die Kombination von Weltmarktführerschaft und Umsatzgrenze fokussiert Jungwirths Hidden Champion-Definition auf Firmen, die in Nischen unterwegs sind. Die meisten von ihnen sind zudem im B2B-Bereich aktiv, was dazu führt, dass sie in der Öffentlichkeit kaum präsent sind. Darüber hinaus sind die Hidden Champions eher im ländlichen Raum angesiedelt und weisen flache Hierarchien auf. 

Interview mit Georg Jungwirth, Ökonom an der FH Campus 02 in Graz

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Hüter der Liste

Laut Georg Jungwirth waren die heimischen Hidden Champions in der Vergangenheit äußerst krisenfest – die hohen Energiepreise könnten dies jedoch ins Wanken bringen.

Scheu vor der Börse

In der gesamten DACH-Region sind auffallend viele Hidden Champions angesiedelt. „Das liegt daran, dass in den deutschsprachigen Ländern familiengeführte Unternehmen, die oft über Generationen hinweg Bestand haben, Tradition haben. Diese Betriebe teilen viele gemeinsame Merkmale“, erklärt Jungwirth.

Eines dieser Merkmale ist, dass die Hidden Champions den Weg zu einem Großunternehmen nicht – oder noch nicht – beschritten haben. Dies dürfte in vielen Fällen in Zusammenhang mit dem eingeschränkten Kapitalmarktzugang und einer gewissen Skepsis vieler Unternehmensgründer gegenüber Fremdkapital sowie dem Gang an die Börse stehen. „Viele der Familienunternehmen sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, ihre Zahlen offenzulegen. Sie sagen sich: Wenn ich es nicht muss, warum sollte ich mich dann all den Regeln der Börse unterwerfen?“, sagt Jungwirth. Hier zeigt sich ein großer Unterschied zum angloamerikanischen Raum, wo Unternehmen ab einer gewissen Größe „in Erklärungsnot geraten, wenn sie nicht an die Börse gehen“, so Jungwirth.

Exporteur und Dienstleister

Was Jungwirth jedoch deutlich beobachtet, ist ein Wandel in den Geschäftsmodellen vieler österreichischer Hidden Champions: vom reinen Produktexporteur zum ganzheitlichen Serviceanbieter. Jungwirth: „Ein Weltmarktführer berichtete mir kürzlich, dass sein Alleinstellungsmerkmal weniger das Produkt selbst sei als die weltweite 24-Stunden-Servicegarantie. Das Leistungsbündel möge teurer sein als das der Mitbewerber, doch die Servicekomponente sei ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten des Unternehmens.“ Ein treffendes Beispiel ist auch hier Komptech, dessen Kompostieranlagen vom steirischen Frohnleiten ihren Weg in die ganze Welt finden. Komptech-Mitarbeiter sind auch als Dienstleister gefragt, denn das Unternehmen liefert stets ein Rundumpaket, das Service und Wartung umfasst. Die weltweit verstreuten Kunden können mithilfe einer eigens entwickelten Serviceapp in Sekundenschnelle mit den Komptech-Mitarbeitern in der Steiermark in Kontakt treten, die etwaige Probleme dann entweder gleich aus der Ferne beheben oder Servicetechniker zum Kunden schicken. „Maschinenbau allein reicht nicht mehr“, sagt CEO Heinz Leitner.

Daten und Fakten

194 Champions

Von Beschichtungsharzen über Fräswerkzeuge bis hin zu Abgasprüfgeräten: Mit seinen 194 Hidden Champions ist Österreich in vielen Nischenmärkten Weltspitze. Innerhalb Österreichs stechen die Steiermark, Oberösterreich sowie in Relation zur Einwohnerzahl auch Vorarlberg hervor.

Herausforderungen und Chancen

Jungwirth führt die Fülle an Hidden Champions aus dem deutschsprachigen Raum auch auf das hochqualitative Ausbildungswesen zurück. Die Rekrutierung neuer Mitarbeiter sei aber zugleich auch die „Achillesferse vieler Hidden Champions“. Jungwirth erklärt: „Aufgrund ihrer geringeren Bekanntheit und ihrer Lage im ländlichen Raum sind Hidden Champions oft nicht im Fokus von HTL-, FH- oder Uniabsolventen, die sich eher an bekannten Unternehmen in Städten orientieren. Diese Herausforderung hat sich mit der aktuellen Arbeitsmarktlage weiter verschärft.“

Auch für ein verstärktes Engagement in Schwellen- und Entwicklungsländern fehlt vielerorts das Personal – sowie die nötigen Informationen. Rubble Master und Komptech seien eher Ausnahmen, nicht die Regel, ist der Ökonom Philipp von Carlowitz, überzeugt: „Der Informationsstand vieler Unternehmen bezieht sich eher auf die BIP- und weniger auf die Marktebene. Dieses Informationsdefizit führt dazu, dass Unternehmen häufig gar nicht in die Richtung solcher Märkte denken.“

Dabei stellen gerade Schwellen- und Entwicklungsländer für viele heimische Hidden Champions eine besondere Chance dar: „Für spezialisierte Mittelständler sind auch kleine Märkte attraktiv. Drei Millionen Euro machen bei einem Hundert-Millionen-Unternehmen deutlich mehr aus als bei einem 80-Milliarden-Konzern. Zudem sind diese Märkte häufig nicht durch starken Wettbewerb geprägt. Das heißt, Unternehmen können mit den Märkten wachsen“, so von Carlowitz.

Henne-Ei-Problem

Der Markteintritt von Hidden Champions in Schwellen- und Entwicklungsländern folgt oft einem bestimmten Muster, erklärt von Carlowitz: „Als typische Mittelständler beginnen sie mit dem reinem Exportgeschäft, weil es relativ risikoarm ist. Viele bauen im nächsten Schritt zumindest eine Vor-Ort-Repräsentanz auf, um den lokalen Partner zu unterstützen. Eine wirkliche Präsenz in Form einer Vertriebsniederlassung, die Services anbietet, ist schon deutlich seltener.“ Die Ursache dafür sei ein „Henne-Ei-Problem“: Unternehmen zögern, eine lokale Präsenz aufzubauen, weil sie mit dem Exportmodell zu wenig Umsatz in den Märkten generieren. Dabei könnte gerade die lokale Niederlassung den Umsatz deutlich steigern, da der Markt besser verstanden und eine Marke aufgebaut werden kann, erklärt von Carlowitz.

Seiner Meinung nach fehlt es beim Engagement in Entwicklungslandmärkten häufig noch an Kundennähe: Hidden Champions investierten viel in Forschung und Entwicklung und böten qualitativ hochwertige, jedoch teure Produkte an. Um in Entwicklungsländern erfolgreich zu sein, seien jedoch häufig Anpassungen nötig: „Frugale Innovationen, modifizierte Geschäftsmodelle und Sharing-Konzepte können helfen, die Preissensibilität zu überwinden.“ 

Dabei leisten heimische Hidden Champions auch vor Ort einen bedeutenden Beitrag: „Sie wirken auf verschiedenen Ebenen, wie Wissenstransfer und Beschäftigung. Insbesondere im Umweltbereich und bei Themen wie Arzneimitteln tragen sie zur Verfügbarkeit von Produkten und Know-how bei, die lokal fehlen. Zudem steht ihr Engagement für Qualität und Produktsicherheit im Gegensatz zu günstigen Importen aus Ländern wie China“, so von Carlowitz.

Ausblick

Der Hüter der österreichischen Hidden Champion-Datenbank, Georg Jungwirth, erwartet für die nächsten Jahre, dass die Zahl der heimischen Weltmarktführer stabil bleibt, mit leichten Zuwächsen. Und er berichtet von seinen Vorträgen im europäischen Ausland: „Dort zeigen sich die Kollegen oft beeindruckt. Andere Länder, von Finnland bis Portugal, haben nicht annähernd so viele Marktführer wie wir. Unsere Hidden Champions sind das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft.“

 

Fotos: Rubble Master, Komptech, Nadine Studeny