Die Hochzeit der Jurten ist längst vorbei, als Sinnbild für Kultur und Geschichte spielen die Rundzelte der Nomaden Zentralasiens aber nach wie vor eine Rolle. In der Freizeitanlage Dasmia in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek wurde kürzlich die mit einer Kuppelhöhe von 22 Metern und einem Durchmesser von 30 Metern größte Jurte der Welt als Veranstaltungssaal errichtet, dazu ein Restaurant und Fitnessstudio mit Schwimmbad im Jurtenstil. Ein Großprojekt – auch für den Wiener Armaturen-Hersteller Herz. Das Unternehmen installierte modernste Wärmetechnik und sorgt so dafür, dass auch der strengste kirgisische Winter den Besuchern nichts anhaben kann. Das Projekt brachte Herz eine Nominierung für den diesjährigen Silk Road Biz Award ein, mit dem das Außenwirtschaftscenter im kasachischen Almaty jährlich Erfolgsgeschichten österreichischer Unternehmen in Zentralasien vor den Vorhang holt.
Solche Impulse brauche es bisweilen noch, da viele österreichische Unternehmen Zentralasien noch nicht am Radar hätten, erläutert der Wirtschaftsdelegierte Clemens Machal. Immer noch umschwebt Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisistan und Tadschikistan ein Hauch von „ganz weit weg“ – eine im Internet abrufbare Reisedokumentation trägt nicht zufällig den Namen „Das zentralste Ende der Welt“. „Es fühlt sich hier vor Ort jedoch ganz anders an“, sagt Machal und betont: „Es gibt in der Region ein wirklich großes Potenzial für österreichische Unternehmen.“ Für Herz etwa ist Zentralasien „ein sehr wichtiger Markt“, unterstreicht Akper Saryyev, der für die Geschäftsentwicklung in der Region zuständig ist.
Zentralasien ist keine Einheit
Dabei lässt sich Zentralasien keineswegs als homogene Region betrachten. Was die ehemaligen Sowjetrepubliken eint, ist die Prägung durch den Sowjetkommunismus – etwa was den staatlichen Einfluss in Wirtschaftsfragen angeht. Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren die politischen Beziehungen zwischen den jungen Nationalstaaten jahrelang durch Grenz- und Ressourcenkonflikte, vor allem bezüglich der Wassernutzung, geprägt. Und auch wenn die Zeichen seit wenigen Jahren auf Entspannung stehen, gibt es bis heute kaum wirtschaftliche Zusammenarbeit. Kasachstan und Kirgisistan treffen sich zumindest in der Eurasischen Wirtschaftsunion, die von Russland dominiert wird. „Wer in Russland Geschäfte macht, kann auch in diesen Ländern ohne neue Verzollung Waren in den Verkehr bringen. In den anderen drei Ländern muss man hingegen jedes Mal genau schauen: Wie hoch ist der Zoll, welche Einfuhrvoraussetzungen gibt es?“, erklärt Machal.
Im Projektgeschäft sind die Weltbank, die Asiatische Entwicklungsbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wichtige Player. Sie finanzieren Großprojekte wie etwa die Modernisierung alter Kraftwerke. „Die internationalen Finanzinstitutionen IFI bereiten eine hohe Zahl an Projekten sehr professionell auf. Dadurch bietet sich auch für österreichische Unternehmen ein leichterer und vor allem risikoärmerer Zugang zur Region“, bekräftigt der Wirtschaftsdelegierte. Gerade bei Projekten zum Thema Nachhaltigkeit – Wasser, Abwasser, Müllverarbeitung sowie Erneuerbare Energien – lohne es sich, die vielfältigen Programme der IFI zu kennen und sich mit lokalen und ausländischen Partnern für Projekte zu bewerben.
Daten und Fakten
Das zentralste Ende der Welt
Die fünf zentralasiatischen Staaten weisen in den wesentlichen Kennzahlen große Unterschiede auf. Kasachstan ist der Wirtschaftsmotor der Region – und Österreichs liebster Handelspartner. Die anderen Staaten haben deutlich mehr Aufholbedarf. Vor allem Usbekistan gilt als attraktiver Wachstumsmarkt.
Kasachstan: Erste Adresse in Zentralasien
Kasachstan ist nicht nur flächenmäßig das mit Abstand größte, sondern auch wirtschaftlich das stärkste Land der Region und damit ebenfalls der größte Magnet für ausländische Direktinvestitionen (rund 25 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019). Das gute Geschäftsklima macht sich offensichtlich bezahlt: Im Ease of Doing Business Index der Weltbank aus dem Vorjahr belegt Kasachstan unter 190 Ländern den 25. Platz.
Auch für Österreich ist Kasachstan der zentrale Wirtschaftspartner in der Region, wobei der Handel derzeit noch zu etwa 90 Prozent aus dem Import kasachischen Öls besteht. Im Jahr 2019 wurde Rohöl im Wert von fast 1,5 Mrd. Euro nach Österreich exportiert. Und rund acht Prozent der gesamten Ölimporte der EU stammen aus Kasachstan. Machal betont jedoch, dass das Land viel mehr zu bieten habe: „Kasachstan ist von der Wirtschaftskraft her vergleichbar mit der Türkei und verfügt über zahlreiche spannende Branchen. Zurzeit werden weite Teile der Industrie modernisiert. Dabei sind ausländische Technologien natürlich gefragt.“ 400 österreichische Firmen sind im Land aktiv, rund 40 sind mit Niederlassungen vertreten, das Hauptexportgut sind Pharmazeutika.
Auch die Wiener Armaturen-Firma Herz hat Kasachstan als Standort für das Zentralasien-Geschäft ausgewählt und betreibt Büros in Almaty sowie in der Hauptstadt Nur-Sultan. Im Zuge der Bauoffensive hat Herz dort das höchste Gebäude Zentralasiens mit mehr als 100.000 Armaturen ausgestattet – und damit eines der größten Projekte der Firmengeschichte abgewickelt. „Mit seinen innovativen Städteprojekten eröffnet Kasachstan viele neue Chancen“, berichtet Saryyev. Er rechnet nun auch mit Aufträgen in Schymkent im Süden des Landes. Die Erhebung Schymkents zu einer „Stadt nationaler Bedeutung“ im Jahr 2018 sei ein Garant für einen Boom in der Baubranche.
Bewegung ist auch im Freizeitsektor spürbar. So ist das Salzburger Planungsunternehmen Masterconcept am Auf- und Ausbau kasachischer Skigebiete beteiligt. „Wir haben in Zentralasien in den vergangenen fünf Jahren mehr als 30 Projekte umgesetzt“, berichtet Gründer und CEO Gernot Leitner, der ebenfalls Almaty als Standbein für sein Unternehmen ausgewählt hat. Im Vorjahr arbeitete Masterconcept federführend bei der Erweiterung des Skigebiets Oi Qaragi unweit der Wirtschaftsmetropole mit. Es wurden neue Skipisten, Liftstationen, Restaurants und Aussichtsplattformen errichtet. In Leitners Augen wartet das hohe touristische Potenzial der Region nur darauf, verstärkt erschlossen zu werden.
Usbekistan: Zentralasiens Senkrechtstarter
Auf Wachstumskurs befindet sich auch Usbekistan, das mit 34 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land der Region. Nach dem Tod des über viele Jahre repressiv herrschenden Präsidenten Islom Karimov im Jahr 2016 setzt sein Nachfolger Shavkat Mirziyoyev auf eine Öffnung des Landes. Er ging auf die Nachbarländer zu, liberalisierte den Devisenmarkt, schaffte die Visumspflicht für Ausländer ab und lud dezidiert ausländische Unternehmen ein, um die Umstrukturierung der staatlich dominierten Wirtschaft zu unterstützen. Der Reformkurs brachte Usbekistan unter anderem den Titel „Country of the year 2019“ des Wirtschaftsmagazins The Economist ein. Im Ease of Doing Business Index liegt Usbekistan heute auf Rang 69 – und damit um 97 Plätze besser als vor acht Jahren. Einen besonders guten Ruf genießen deutsche und österreichische Unternehmen sowie deren Technologien. Deutsch ist nach Russisch die meist gesprochene Fremdsprache im Land.
„Das Land modernisiert sich dank des Reformkurses sehr stark. Und trotz der Coronakrise ist die usbekische Volkswirtschaft im vergangenen Jahr um 1,6 Prozent gewachsen. Entsprechend gibt es momentan viele ausländische Firmen, die sich das Land genau anschauen, davon auch einige aus Österreich“, sagt der Wirtschaftsdelegierte Machal. Die usbekische Elektro- und Chemieindustrie sowie der Textil- und Nahrungsmittelsektor gelten als attraktive Branchen. Und ähnlich wie in Kasachstan bergen die Modernisierung veralteter industrieller Ausrüstung, der Infrastrukturausbau sowie der Tourismus Chancen für österreichische Unternehmen.
Bezeugen kann das der Wiener Anlagenbauer Starlinger, der in Usbekistan den größten Einzelauftrag seiner Firmengeschichte abwickelte. Der usbekische Abnehmer wurde dadurch auf einen Schlag zum Marktführer für Verpackungsgewebe in der Region – und Starlinger zum Preisträger des Silk Road Biz Award 2020. Dabei wird Zentralasien von Starlinger seit langem bearbeitet. Vor zwölf Jahren eröffnete das Unternehmen eine Repräsentanz in Usbekistan, im Vorjahr wagte man den Schritt nach Turkmenistan, „um auch in diesem Land, das ja bekanntlich sehr autark ist, besseren Zugang zu den Wirtschaftstreibenden zu haben“, begründet Volker Berger, regionaler Vertriebsleiter bei Starlinger, die Expansion.
Interview mit Clemens Machal, Wirtschaftsdelegierter in Almaty
Genauer Blick
Turkmenistan: Zentralasiatischer Sonderfall
Turkmenistan fällt selbst in dieser heterogenen Region aus der Rolle: politisch repressiv und verschlossen, wirtschaftlich kompliziert (kein WTO-Mitglied, schwieriger Zugang, mangelnde Rechtssicherheit). Dennoch wird dem Land durchaus Potenzial zuerkannt – vor allem weil es mit 19,5 Billionen Kubikmetern über das viertgrößte Erdgasvorkommen der Welt verfügt. Exportiert wird dieses bislang vor allem nach China – fast 90 Prozent der turkmenischen Exporte gehen dorthin. Die österreichischen Exporte hingegen befinden sich seit dem Rekordjahr 2014, in dem Waren im Wert von 128,7 Mio. Euro nach Turkmenistan geliefert wurden, im Sinkflug, die Importe kamen im Vorjahr nur auf marginale 14.000 Euro. Doch einige Unternehmen trotzen dem Trend, wie der Vorarlberger Logistikkonzern Gebrüder Weiss.
35 Baggerschiffe hat das Unternehmen von einer niederländischen Werft bis ins 7.000 Kilometer entfernte ostturkmenische Kerki geliefert, damit mit ihrer Hilfe die Fluss- und Kanalläufe regelmäßig von Sand und Sedimenten aus der nahen Karakum-Wüste befreit werden können. Dafür braucht es die 90 Tonnen schweren Baggerschiffe, die für die Anlieferung in Einzelteile zerlegt werden mussten. Pro Baggerschiff waren letztlich acht LKW nötig. Im Frühjahr 2020 gelangte das letzte Baggerschiff an seinen Bestimmungsort. Für Thomas Moser, Regionalleiter für Zentralasien bei Gebrüder Weiss, handelt es sich allein wegen der schieren Größe um ein besonderes Projekt.
Die Vorarlberger bearbeiten die gesamte Region, das Logistikdrehkreuz haben sie in Almaty und eine Repräsentanz im usbekischen Taschkent errichtet. „Nach der erfolgreichen Etablierung unserer Standorte in Osteuropa sowie in China war es ein logischer Schritt, auch die dazwischen liegenden Märkte zu erschließen“, sagt Moser.
Kirgisistan und Tadschikistan: Zentralasiens Nachzügler
Kirgisistan und Tadschikistan sind trotz reicher Ressourcen die wirtschaftlich am wenigsten entwickelten und am stärksten verschuldeten Staaten in der Region. Beide sind extrem abhängig von den Rücküberweisungen von zumeist in Russland tätigen Gastarbeitern sowie ausländischen Krediten und Investitionen, insbesondere aus China.
Dennoch können die beiden Länder für österreichische Unternehmen von Interesse sein, etwa wegen ihres Tourismuspotenzials. Dass dafür auch Geld in die Hand genommen wird, zeigt der Bau der Freizeitanlage Dasmia im Jurtenstil in der Hauptstadt Kirgisistans. In Tadschikistan ist der Ausbau der Wasserkraft ein Eckpfeiler der Entwicklungsstrategie. Mithilfe der internationalen Entwicklungsbanken sollen in den nächsten Jahren 17 Wasserkraftprojekte umgesetzt werden – und der steirische Technologiekonzern Andritz ist bereits mit der Modernisierung des größten Wasserkraftwerks Zentralasiens Nurek betraut worden (Auftragswert: rund 120 Mio. Euro).
Im Zentrum der Warenströme
Die in Zentralasien tätigen Unternehmen sind optimistisch, dass die fünf ungleichen Staaten ihren Wachstumskurs fortsetzen werden. Volker Berger von Starlinger wagt eine Prognose: „Die Region wird sich in den nächsten zehn bis 20 Jahren enorm weiterentwickeln. Aufgrund weiterer Liberalisierungen, der sehr jungen Bevölkerung sowie der Neuen Seidenstraße werden Industriezweige wie Bau, Landwirtschaft, Pharma- und Medizintechnik stark wachsen.“ Auch im Bereich Kunststoffrecycling ortet er ein hohes Marktpotenzial.
Innerhalb der Neuen Seidenstraße, auf die er anspielt, also das Asien und Europa verbindende Infrastruktur-Mammutprojekt der chinesischen Regierung, kann der Region als Logistikhub eine große Rolle zukommen. Kasachstan steht allein schon geografisch im Zentrum des prestigeträchtigen Vorhabens – durch den riesigen Steppenstaat rollen schon heute tausende chinesische Containerzüge. Während einige Stimmen im Land fürchten, von China im mehrfachen Sinne überrollt zu werden, sehen andere vor allem Chancen in dem Großprojekt: „Die Neue Seidenstraße bedeutet für Zentralasien eine Chance für die Modernisierung der Wirtschaft sowie ein Tor zu vielen Ländern der Welt. Als Transitregion wird Zentralasien vom Ausbau der Infrastruktur enorm profitieren“, so Akper Saryyev von Herz.
Durch die Krise
Auch die zentralasiatischen Staaten wurden durch die Coronakrise schwer getroffen. Nicht zuletzt die Rücküberweisungen von im Ausland tätigen Gastarbeitern fehlten schmerzlich. Inzwischen laufen aber auch in dieser Region die Massenimpfungen an. Kasachstan greift dabei nicht nur auf den russischen Impfstoff Sputnik V zurück, sondern verabreicht auch den selbst produzierten (jedoch bislang nirgendwo sonst zugelassenen) Impfstoff QazVac.
Das Land kam auch in den Zeiten strenger Reiserestriktionen ausländischen Unternehmern entgegen. Masterconcept-CEO Gernot Leitner berichtet, aufgrund seiner zeitkritischen Arbeit ein Einjahresvisum bekommen zu haben: „So konnten wir unsere Projekte im gewünschten Tempo weitertreiben.“ Andere Unternehmen wie Starlinger setzten eher auf lokale Techniker in Kombination mit virtueller Unterstützung aus Österreich für die Kunden vor Ort.
Mittlerweile lässt sich die Region mit einem negativen Test oder einer Impfbescheinigung im Gepäck bereits wieder bereisen. Eine nächste gute Gelegenheit dafür bietet sich im September an: Da lädt die Wirtschaftskammer interessierte Unternehmen zu einer Wirtschaftsmission nach Kasachstan ein (21.–24.9.). Eine zweite Reise geht vom 8. bis 12.11. nach Usbekistan. Es folgen Wirtschaftsmissionen nach Turkmenistan (29.11.–3.12.) sowie Tadschikistan und Kirgisistan (21.2.–25.2.22). Gute Möglichkeiten, um sich davon zu überzeugen, dass das zentralste Ende der Welt gar nicht so weit weg ist.