Zögerlichkeit bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern charakterisierte über Jahre hinweg die Haltung vieler westlicher Industrienationen. Dazu zeitigte ihre ausdifferenzierte und mitunter mehr auf der moralischen als auf der wirtschaftlichen Ebene artikulierte Entwicklungspolitik für viele Menschen in Entwicklungsländern nur bedingt greifbare Erfolge. Im Gegensatz dazu machte China handfeste wirtschaftliche Angebote: Von Lateinamerika bis Afrika investierte die Volksrepublik massiv in Infrastruktur und gewährte großzügige Kredite. Das Resultat? China hat sich als wichtigster Handelspartner für zahlreiche Staaten etabliert.

Jedoch zeichnet sich gegenwärtig ein Wandel in der geopolitischen und -ökonomischen Landschaft ab. China versucht zwar seine vielerorts bereits erreichte Vormachtstellung zu zementieren, wie die jüngste Erweiterung der BRICS-Gruppe um Saudi-Arabien, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien zeigt. Der Staatenbund wird sich damit vermutlich noch stärker als Gegengewicht zum Westen positionieren. Gleichzeitig erkennen aber immer mehr Entwicklungsländer, dass Chinas Großzügigkeit nicht ohne Bedingungen daherkommt, und wollen sich breiter aufstellen.

corporAID Interview mit UNIDO-Generaldirektor Gerd Müller

Gerd-Müller-Aufmacher

Gerd Müller: Globale Lösungen in Reichweite

Gerd Müller ist eine der prägenden Figuren im Bereich der globalen Entwicklung. Nach acht Jahren als deutscher Entwicklungsminister hat er Ende 2021 die Führung der in Wien ansässigen Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) übernommen – und tritt vehement für mehr Investitionen in Entwicklungsländern, verstärkten Technologietransfer sowie faire globale Lieferketten ein.

Aufwachen im Westen

Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine sowie der Systemkonkurrenz zwischen den USA und China, richten auch westliche Industrienationen ihren Blick nun vermehrt auf Lateinamerika, Afrika und Teile Asiens. Sie betrachten diese Gebiete verstärkt hinsichtlich vorhandener Ressourcen, Möglichkeiten für die Erzeugung grüner Energieträger und in der Absicht, Lieferketten zu diversifizieren und neu auszurichten. Die USA oder die Europäische Union umwerben darüber hinaus gezielt geopolitisch bedeutsame Schwellenländer wie Indien. Und die Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20 – nach der EU nun die zweite Regionalorganisation in diesem Verbund – soll dem wachsenden Gewicht Afrikas auf der Weltbühne Rechnung tragen.

Frisches Geld für die Weltbank

Auch die multilateralen Entwicklungsbanken sollen gestärkt werden. So wollen die USA ihre Mittel für die Weltbank erheblich erhöhen. Ende August bat das Weiße Haus den US-Kongress um zusätzliche 3,3 Mrd. US-Dollar. Die explizite Begründung: Es gehe darum, die Entwicklungs- und Infrastrukturfinanzierung durch die Weltbank auszuweiten und den Entwicklungsländern „eine glaubwürdige Alternative zu den nicht nachhaltigen Krediten und Infrastrukturprojekten der Volksrepublik China“ zu bieten. Auch die deutsche Bundesregierung kündigte an, rund 300 Mio. Euro an sogenanntem Hybridkapital an die Weltbank zu geben. Zudem will die Weltbank zukünftig deutlich mehr private Gelder für nachhaltige Projekte mobilisieren, etwa indem sie Risiken absichert, die sich für private Investoren als zu groß darstellen. 

Neuaufstellung der UNIDO

Etwas abseits vom politischen Weltgeschehen bringt sich auch die in der Wiener UNO-City ansässige Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) neu in Stellung. In den vergangenen Jahren fristete die Institution infolge der Austritte prominenter Mitgliedsstaaten wie den USA, Großbritanniens oder Frankreichs, eher ein Schattendasein. Nun sieht der ehemalige deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller, der vor zwei Jahren die Leitung der Organisation übernahm, die Chance, die UNIDO angesichts der großen globalen Herausforderungen, vom Klimawandel bis zur Ernährungssicherheit, neu zu positionieren: etwa als ordnungspolitischer Akteur beim Aufbau einer globalen Wasserstoffwirtschaft.

Foto: UNIDO