Vietnam schlittert als eines der wenigen Länder heuer in keine Rezession. Was erwarten Sie für 2021?
Schwank: Es ist davon auszugehen, dass ein Rebound stattfindet. Ich rechne mit einem Wachstum von mindestens fünf bis sechs Prozent. Das liegt auch daran, dass es Vietnam in der Krise gelungen ist, sich als attraktiver Investitionsstandort für Unternehmen zu positionieren, die sich in Asien diversifizieren wollen: etwa für jene, die ihre Abhängigkeit von einer Einzelzulieferstrategie reduzieren wollen, oder für Unternehmen, die politische und wirtschaftliche Risiken, die anderswo in der Region existieren, umgehen wollen.
Anderswo heißt wohl China. Vietnam wird teilweise als „das neue China“ gehandelt – ist das gerechtfertigt?
Schwank: Ja, schon. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass Vietnam von der Bevölkerungsgröße nur ein Vierzehntel von China ist. Dementsprechend wird auch nicht die ganze Industrie abwandern. Der chinesische Markt ist für viele Branchen wesentlich größer und interessanter als der vietnamesische. Aber es gibt definitiv einen Zuzug von internationalen Unternehmen, die China verlassen und Vietnam als Alternativziel Nummer eins wählen. Wir subsumieren das unter der sogenannten „China+1-Strategie“. Das ist ein Trend, der für Vietnam sehr wesentlich ist. Im Low-Cost-Bereich aber auch im Bereich der Elektronik- und Konsumgüterproduktion gibt es definitiv steigendes Interesse an einer Diversifizierung in Richtung Vietnam. Das betrifft auch österreichische Firmen, die sich hier in der Region verstärkt nach Standorten umschauen.
Bei den politischen Unwägbarkeiten geht es vor allem um den Handelskonflikt zwischen den USA und China – Vietnam gilt als der wesentliche Profiteur. Wie sehen Sie das?
Schwank: Vietnam verfolgt eine omnidirektionale Handelspolitik. Man versucht hier wirklich offen zu sein gegenüber sämtlichen Ländern, egal ob das China ist, die USA oder Europa. Und dadurch wird Vietnam aktuell in der Tat zum größten unmittelbaren Profiteur sowohl des Handelsstreits als auch einer Diversifizierung in Folge der Corona-Pandemie.