

Verena Ehold ist Geschäftsführerin im Umweltbundesamt
Ihr Lesetipp:
Brené Brown: Führung wagen. 336 Seiten
Warum wir eine neue Führungskultur brauchen
Als Geschäftsführerin, Mutter zweier Teenager und überzeugte Begleiterin der ökologischen und digitalen Transformation habe ich in den vergangenen Jahren viele Bücher zu Führung gelesen. „Führung wagen“ von Brené Brown hat mich auf besondere Weise berührt, weil es nicht nur die Führungskraft anspricht, sondern den Menschen dahinter. Brown schreibt mit wissenschaftlicher Tiefe und erzählerischer Wärme über ein Thema, das im Managementalltag oft zu kurz kommt: Verletzlichkeit als Stärke. Die zentrale Botschaft der studierten Sozialarbeiterin und Bestsellerautorin aus den USA lautet: Mutige Führung ist keine Frage von Hierarchien, sondern von Haltung – und sie beginnt damit, dass wir uns trauen, unbequeme Gespräche zu führen, Verantwortung zu übernehmen und für Veränderung offen zu bleiben.
Gerade im Kontext der Twin Transition, der gleichzeitigen digitalen und ökologischen Transformation unserer Gesellschaft, braucht es diese neue Form von Leadership. Es geht nicht mehr nur darum, Effizienz zu steigern oder Technologien zu implementieren. Es geht darum, komplexe Herausforderungen in unsicheren Zeiten zu navigieren, Werteorientierung vorzuleben und Räume zu schaffen, in denen Menschen wachsen und sich einbringen können.
Für Institutionen wie das Umweltbundesamt, die im Zentrum dieser Transformation stehen, bedeutet das: Wir müssen uns nicht nur technisch und organisatorisch weiterentwickeln, sondern auch kulturell. „Führung wagen“ liefert dafür einen Kompass: Empathie statt Kontrolle, Vertrauen statt Misstrauen, Mut statt Perfektionismus.Besonders inspirierend fand ich Browns Konzept des „rumble“ – eines offenen, manchmal unbequemen Dialogs, in dem echte Innovation und Verbindung entstehen, vor denen sich Führungskräfte allerdings nur allzu gerne drücken. In meinem eigenen Führungsalltag zwischen Strategieentwicklung, Stakeholderdialog und Familienleben hat dieser Impuls einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Er hilft mir, Führung nicht als Kontrolle, sondern als mutiges, menschliches Handeln zu verstehen.
Wer Verantwortung für die Zukunft übernehmen will – sei es in Unternehmen, Verwaltung oder Zivilgesellschaft –, sollte dieses Buch lesen. Es ist ein Plädoyer für eine neue, zeitgemäße Art zu führen und darüber hinaus eine Einladung an uns alle: Der Wandel beginnt bei uns selbst.


Ludovit Garzik ist Managing Director des
Innovation Orbit
Sein Lesetipp:
Michael Easter: The Comfort Crisis (nur auf Englisch erhältlich). 284 Seiten
Der Preis für unsere Bequemlichkeit
Bequemlichkeit wurde zum Lebensstandard erhoben. Michael Easter liefert mit seinem Buch eine unbequeme Hypothese. Der amerikanische Journalist nimmt uns mit auf eine Expedition in die Wildnis Alaskas. Easter beschreibt eindrucksvoll, wie sehr sich unsere moderne Umgebung von jenen Bedingungen entfernt hat, unter denen der Homo Sapiens sich über Jahrtausende entwickelt hat: Körperliche Anstrengung, Hunger, Kälte und Unsicherheit. Heute hingegen leben wir im Dauerkomfort: zentral beheizt, rundum versorgt und digital abgelenkt. Doch dieser Fortschritt hat seinen Preis. Unsere Körper degenerieren und unsere Psyche leidet. Darüber hinaus droht unser Planet unter der Last unseres Lebensstils zu kollabieren. Besonders relevant wird „The Comfort Crisis“ im Kontext der ökologischen Nachhaltigkeit. Unsere Bequemlichkeit ist ökologisch teuer. Klimatisierte Räume, Fast-Food-Kultur, motorisierte Fortbewegung: All dies basiert auf massivem Energieeinsatz und Ressourcenverbrauch. Die Botschaft ist klar: Wer wirklich nachhaltig leben will, muss auch lernen zu verzichten.
Ein zentrales Konzept des Buches ist die Wahrnehmung unserer archaischen Programmierung. Der Mensch ist biologisch nicht auf ständige Reizüberflutung, Bewegungsarmut und Überfluss ausgelegt. Vielmehr benötigt unser Gehirn, um auf Betriebstemperatur zu kommen, eine gute Balance an Herausforderungen, die in der archaischen Gesellschaft dauerhaft zu bewältigen waren. Michael Easter plädiert daher in „The Comfort Crisis“ für bewusste Grenzerfahrungen: Wanderungen durch menschenleere Landschaften und die Konfrontation mit dem Unbequemen. Solche „Misogi“-Erlebnisse, wie er sie nennt, führen zu innerer Stärke und Rückbesinnung auf unsere Vergangenheit inmitten der Natur. Wer sich freiwillig mit Kälte, Stille oder Anstrengung auseinandersetzt, entwickelt nicht nur Resilienz, sondern auch eine neue Wertschätzung für natürliche Ressourcen und deren Begrenztheit.
Michael Easter stellt mit „The Comfort Crisis“ eine unbequeme, aber notwendige Frage: Was kostet uns der Komfort – persönlich, gesellschaftlich und ökologisch? Seine Antwort ist unbequem, aber ermutigend. Wer bereit ist, den Komfort zu hinterfragen, könne nicht nur sich selbst neu entdecken, sondern auch einen Beitrag zur Lösung der ökologischen Krise leisten.