Als Stefan Ehrlich-Adám kürzlich in der kenianischen Hauptstadt Nairobi war, erntete er ungläubige Blicke. Der Geschäftsführer der auf Schließanlagen spezialisierten Wiener Firma EVVA stand mit einem Manager aus der kenianischen Sicherheitsbranche vor einem zehnstöckigen Gebäude. „Ich erklärte ihm, dass es möglich ist, dass jeder Hausbewohner mit einem Schlüssel die Haupteingangstür und seine Wohnungstür aufsperrt, gleichzeitig aber niemand in die Nachbarwohnung kann“, berichtet Ehrlich-Adám. Sein Gegenüber kannte das Konzept nicht und war entsprechend verwundert.

Diese Anekdote erzählt viel über die Firma EVVA Sicherheitstechnologie GmbH und ihr Selbstverständnis. „Wir sind ein innovativer Hersteller“, sagt Ehrlich-Adám. Deshalb sucht das 1919 gegründete Unternehmen ständig nach neuen Lösungen in der Sicherheitstechnologie, beschäftigt eine eigene Forschungsabteilung und arbeitet dabei etwa mit der TU Wien zusammen. Gleichzeitig ist das Unternehmen offen für neue Märkte, die auch außerhalb des Kerngebiets – das ist für EVVA primär der europäische Markt – liegen.

So hat Geschäftsführer Ehrlich-Adám in Kenia, das er im Zuge einer Projektreise der NGO ICEP besuchte, nun erste Kontakte geknüpft. „Ich werde da dranbleiben“, sagt er.
Auf anderen Märkten hat sich das bereits ausgezahlt: In Ghana, Thailand, Gabun oder Malaysia vertrauen Kunden schon auf die Sicherheitslösungen von EVVA. In Indien rüstet EVVA mit dem Flughafen Bangalore kritische Infrastruktur mit seinen Sicherheitsanlagen aus. In Thailand wiederum hat die Wiener Firma die Mass-Rapid-Transit-Züge ausgestattet, die mit den S-Bahnen hierzulande vergleichbar sind. Die Pink Line, die Yellow Line und die Green Line erhielten jeweils 1.500 bis 2.000 Schließzylinder. Und in Malaysia ragt ein weiteres Vorzeigeprojekt von EVVA in die Höhe: Dort sorgt eine EVVA-Schließanlage im zweithöchsten Gebäude der Welt, dem 678 Meter hohen Merdeka Tower, für Sicherheit.

In Ländern des globalen Südens sieht Ehrlich-Adám Entwicklungspotenzial und wachsende Nachfrage für seine Branche. „Deswegen sollte man früh genug am Markt sein und einzelne Projekte umsetzen, die dann auch als Referenz dienen.“
Dass die Wiener Firma bei ihren Geschäftstätigkeiten auch gerne in die Ferne blickt, liegt nicht zuletzt am Geschäftsführer selbst. „Mich zieht es in die Welt hinaus. Mich reizen Destinationen, wo wir heute noch nicht präsent sind“, sagt er. „Und unsere Exportabteilung ist sehr motiviert, auch außerhalb Europas Umsatz zu machen.“

Familienbetrieb

 
Im MerDeKa Tower in Kuala Lumpur – dem zweithöchsten Gebäude der Welt – sorgt eine EVVA-Schließanlage für Sicherheit.

Die Weite der Welt und andere Länder hat Ehrlich-Adám früh kennengelernt. Als Sohn eines Diplomaten lebte er im Senegal und Mexiko und besuchte seine Eltern später auch regelmäßig in Peru und Malaysia. Er selbst studierte dann Elektrotechnik und Handelswissenschaften in Wien und trat nach einer Tätigkeit in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei in das Familienunternehmen EVVA ein, das der Großvater seiner Frau und sein Schwiegervater nach einer Insolvenz übernommen und erfolgreich wieder aufgebaut hatten.
Am Firmensitz in der Wienerbergstraße im zwölften Wiener Bezirk wird die Geschichte der Schließtechnologie und des 1919 gegründeten Unternehmens im Besprechungsraum, in dem das Gespräch mit Ehrlich-Adám stattfindet, angreifbar. Hier sind EVVA-Schließzylinder aus den vergangenen hundert Jahren aufbewahrt. Auch historische Exemplare von Schlössern finden sich hier in einem Glasschrank.
„Was wir machen, haben im Prinzip schon die alten Ägypter gekannt“, sagt Ehrlich-Adám und nimmt das nachgebaute Modell eines aus Holz gefertigten ägyptischen Schlosses aus dem Schrank. Er demonstriert, wie vor rund 3.000 Jahren der Schließmechanismus funktioniert hat. Mehrere hölzerne Stifte lassen sich mittels eines kammähnlichen Betätigungsschlüssels auf und ab bewegen. Werden die Stifte angehoben, wird die Verriegelung aufgehoben und das Schloss kann geöffnet werden. Fallen die Stifte in die Verriegelungsbohrungen, ist das Schloss verriegelt.
Im Jahr 1861 erfand der US-Amerikaner Linus Yale Jr. dann das moderne Schloss. Er stellte das ägyptische Schloss sozusagen auf den Kopf. Kann die Schwerkraft nicht mehr auf die Stifte wirken und den Mechanismus verriegeln, müssen Federn eingebaut werden, die die Stifte in die Verriegelungsposition drücken. Dieses Schloss lässt sich mit einem Schlüssel mit passenden Zacken (oder auch Einkerbungen) öffnen, so wie er heute noch millionenfach verwendet wird. „Auch wenn wir heute mit einem Schlüssel in ein Zylinderschloss hineinfahren, drücken wir mit den Zacken die Stifte gegen die Federn hinunter, bis die Stifte wieder so auf einer Teilungsebene sind, dass der Schließzylinder gedreht werden kann“, erklärt Ehrlich-Adám.

Revolutionäre Innovation

Stefan Ehrlich-Adám leitet seit 1999 gemeinsam mit seiner Frau Nicole das Familienunternehmen EVVA.

Freilich sind die heutigen Schließanlagen viel komplexer. EVVA schaffte hier im Jahre 1976 eine Innovation, die die Branche prägen sollte: Die Firma entwickelte das erste Multiprofil-System. „Ein Schließzylinder wird durch zwei Parameter bestimmt: Einerseits durch die Zacken am Schlüssel und andererseits durch die Form des Profils, in das der Schlüssel eingeführt wird“, erklärt Ehrlich-Adám. „An den Zacken konnte man nicht viel machen, das sind immer maximal zehn Höhen. Aber das Profil haben wir in einer hierarchischen Pyramide angeordnet. Damit hatte man plötzlich tausende von Längsprofilen anstatt nur einem. Das hat die Möglichkeiten von Schließanlagen drastisch erhöht.“

Nun konnten auch große Gebäudekomplexe wie Einkaufszentren, Flughäfen oder Universitäten mit Schließanlagen ausgestattet werden, die den Zutritt für einzelne Mitarbeiter in bestimmte Räume effizient und korrekt regelten. Das sind auch die großen Referenzprojekte von EVVA: Die UNO-City oder die Stadthalle in Wien, die Oper in Kopenhagen oder das Fußballstadion von Juventus in Turin – sie alle sind mit Schließanlagen von EVVA ausgestattet.

Dabei hat sich die Technik freilich weiterentwickelt. Mittlerweile können viele Schlösser kontaktlos, etwa mit einer Karte oder mittels Smartphone, geöffnet werden. AirKey heißt ein Produkt von EVVA, bei dem man Schlüssel über eine App am Smartphone verschicken kann. Akura 44, die jüngste Entwicklung, hat wiederum das klassische Schließsystem weiterentwickelt. Durch einen Hybrid-Zylinder ist es aber auch möglich, elektronische und mechanische Zutrittssysteme miteinander zu mechatronischen Lösungen zu verbinden.

„Ich bin selbst immer wieder überrascht, was man alles noch finden und erfinden kann. Aber unsere Ingenieure sind da sehr innovativ. Und es macht Spaß, an ihren Diskussionen teilzunehmen“, erzählt Ehrlich-Adám. Gleichzeitig ist es aber auch eine Notwendigkeit: Eine Firma wie EVVA steht nicht nur in Konkurrenz zu Mitbewerbern, sondern befindet sich auch im Wettlauf mit Einbruchsmethoden, die sich ebenfalls weiterentwickeln. „Wir schützen unsere Systeme auch mit Patenten“, berichtet Ehrlich-Adám.

Der Fokus auf Qualität hat aber seinen Preis. Das macht für EVVA den Eintritt in Entwicklungs- und Schwellenländer nicht leichter. „Kommen wir auf einen neuen Markt, dann sind wir oft teurer als die lokalen Produkte und zudem eine noch unbekannte Marke“, sagt Ehrlich-Adám. „Deshalb ist es entscheidend, den passenden Vertriebspartner zu finden. Er muss die lokale Branche kennen, und er muss die Motivation haben, gute Argumente auf den Tisch zu legen, warum Kunden nun uns, dem Newcomer, vertrauen sollten.“

Potenzielle Interessenten kann EVVA dabei etwa auf Messen finden. In Essen findet alle zwei Jahre die größte europäische Messe der Sicherheitsbranche statt, aber auch in Dubai gibt es mit der BIG 5 eine Messe, die nach Afrika und in den Nahen Osten ausstrahlt.

Hat man einen neuen Partner gefunden, wird dieser eine gewisse Vertriebsunterstützung benötigen. „Gerade am Anfang muss man hier viel investieren, Beratungsgespräche führen, teilweise auch Begleitungen zu potenziellen Endkunden machen“, sagt Ehrlich-Adám. Wobei gerade im afrikanischen Raum der Fokus bei vielen Kunden noch auf mechanischen Lösungen liegt. So hat EVVA etwa in Libreville in Gabun das Mutter-Kind-Spital „Jeanne Ebori“ mit EPS-Schlüsseln ausgestattet. Das sind starke Neusilberschlüssel.

Massenware als Konkurrenz

Generell ist es aber in Schwellen- und Entwicklungsländern oft ein weiter Weg, bis eines der hochkomplexen Schließsysteme eingebaut ist. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Personalkosten sehr niedrig sind. Deshalb greifen die Betreiber auch von größeren Anlagen noch gerne auf Wachpersonal zurück, anstatt eine komplexe Sicherheitsanlage einbauen zu lassen.

Darüber hinaus werden Bauprojekte oft Schritt für Schritt umgesetzt. Der Einbau von Schlössern und Schließsystemen ist dabei oft der letzte Schritt, und an dieser Stelle ist dann auch das Geld zumeist schon knapp. Deshalb entscheiden sich Betreiber gerade hier gerne für eine billige Lösung. Zumal es hier viel günstige Massenware gibt: Bei einigen Herstellern aus China kostet der fertige Zylinder weniger als allein das Rohmaterial für die Herstellung in Europa.

EVVA produziert auch für den globalen Süden in Europa. Das Unternehmen, das in über 50 Länder exportiert, besitzt Werke in Tišnov in Tschechien und im deutschen Krefeld, die Firmenzentrale und Hauptproduktionsstätte befindet sich aber nach wie vor in Wien und wurde erst in den Jahren 2021/22 erweitert. Rund 470 Mitarbeiter sind hier angestellt.

Treue zum Standort: Die Hauptproduktionsstätte befindet sich nach wie vor in Wien.

Investition in Zukunft

Geht man durch die weitläufigen Produktionshallen sieht man Maschinen, die Mitarbeiter von außen steuern und die mittels Robotik kleinste Einzelteile zusammensetzen. Ein paar Meter weiter wird es laut, werden Schlüssel gefräst und es fallen Metallspäne. Und im nächsten Raum sitzen Mitarbeiter, überprüfen die einzelnen Schlüssel noch einmal und schlichten sie für den Versand ein. Zwei Millionen Sicherheitszylinder und mehr als 600 Millionen Einzelteile werden hier jedes Jahr gefertigt.

Das Wiener Unternehmen hat weltweit mehr als 1.000 Vertriebspartner. Der Wettbewerbsdruck bleibt hoch und in einer Zeit der wirtschaftlichen Stagnation beziehungsweise der Rezession der Industrie, in der sich viele Länder in Europa befinden, nicht zuletzt auch Deutschland und Österreich, werden die Projekte weniger. Der Konkurrenzkampf ist dann entsprechend groß. In solchen Zeiten müsse sich ein Unternehmen sehr gut überlegen, wohin es seine Ressourcen steckt, räumt Ehrlich-Adám ein. Deshalb wird sein Betrieb wohl auch Abstriche machen, inwieweit er gerade jetzt auch in Entwicklungs- und Schwellenländer mit ihren oft schwierigen Rahmenbedingungen hineingeht.

„Wir werden vielleicht nicht so viele neue Märkte entdecken wie in der Vergangenheit. Aber in ein neues Land zu gehen, ist weiterhin eine Investition in die Zukunft.“ Zumal eine globale Entwicklung laut dem Manager EVVA stärkt. „Wie man es auch wendet, das Sicherheitsbedürfnis und die Sicherheitsanforderungen steigen“, sagt Ehrlich-Adám. „Es spricht also vieles für uns.“ 

Fotos: EVVA, Ahamad ali Karim / wikimedia Commons, WKW / Florian Wieser

Info

Umweltfreundlicher Traditionsbetrieb

EVVA-Zentrale in Wien Meidling
Die Erfindungs-Versuchs-Verwertungs-Anstalt, kurz EVVA, wurde 1919 in Wien von drei Ingenieuren gegründet. 1937 erhielt EVVA das erste Patent für ein Zylinderhangschloss, aktuell hat das Unternehmen 474 Patente angemeldet. Seit 1999 leitet Stefan Ehrlich-Adám in dritter Generation gemeinsam mit seiner Frau das Familienunternehmen. Im Jahr 2024 hatte EVVA einen Umsatz von 98 Millionen Euro und beschäftigt weltweit rund 790 Mitarbeiter. Nachdem elektronische Schließanlagen zusehends gefragt sind, hat das Unternehmen in den vergangenen Jahren vor allem in den Bereichen Elektronik und Software sein Personal aufgestockt. Die Firma erzeugte 2024 rund zwei Millionen Schließzylinder, sie hat zehn Niederlassungen in Europa, weltweit 65 Distributoren und exportiert in mehr als 50 Länder. EVVA forciert seit Jahren Nachhaltigkeit in der eigenen Produktion. So werden 100 Prozent der Metallspäne recycelt. Außerdem liegt der Clean-Production-Anteil am gesamten Maschinenpark mit entsprechender Einsparung von Wasser, Öl und anderen Emulsionen bei mittlerweile 70 Prozent. Für sein Engagement im Bereich Nachhaltigkeit wurde EVVA schon vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Trigos-Award, einer renommierten Auszeichnung für verantwortungsvolles Wirtschaften.