Interview

Milliarden Bäume durch Millionen Bauern

Ausgabe 95 – Sommer 2022

Tony Rinaudo, australischer Agrarökonom und Preisträger des Alternativen Nobelpreises, lässt karge Landschaften wieder ergrünen, ohne einen einzigen Baum zu pflanzen – er bringt Kleinbauern in Afrika und Asien bei, wie sie Bäume aus altem Wurzelwerk regenerieren können. Mit seiner FMNR-Methode lassen sich sogar ganze Wälder wiederherstellen.

Tony Rinaudo, Agrarökonom
Tony Rinaudo, Agrarökonom

Dieser Tage versprechen viele Staats- und Regierungschefs, Wälder zu schützen und Bäume im großen Maßstab wiederanzupflanzen. Stimmt Sie das optimistisch?

Tony Rinaudo: Versprechungen sind schnell gemacht und deutlich schwieriger zu erfüllen. Das Pflanzen von Milliarden von Bäumen ist ja keine Kleinigkeit: Dürre, Tiere, Überschwemmungen, Logistik, Abgeschiedenheit, technische Probleme, Saatgut – es gibt so viele Dinge, die schief laufen können, selbst bei einer gut geplanten und gut gemeinten Aktion. Mein Schwerpunkt liegt daher auf der Freisetzung des ungenutzten Potenzials von Millionen Kleinbauern, die vor Ort sind und die von der Wiederherstellung ihrer Umwelt am meisten profitieren, sowie in der Zusammenarbeit mit der Natur. In den meisten Fällen ist es für die Natur nämlich gar nicht notwendig, dass man aktiv wird und Bäume pflanzt. Vielmehr sollte man aufhören, ihr zu schaden, wie beispielsweise durch das jährliche Abflammen von Feldern, das vollständige Entfernen von holziger Biomasse oder die permanente Überweidung. Ändern wir solche Methoden, werden wir überrascht sein, wie sehr die Natur in der Lage ist, sich selbst zu heilen. 

Sie plädieren für Agroforstwirtschaft, bei der Land- und Forstwirtschaft kombiniert werden. Warum?

Rinaudo: Wir zeigen Kleinbauern, wie sie Bäume aus Wurzeln und Stümpfen wieder wachsen lassen können und warum es sinnvoll ist, dies auch am Feld zu tun. Für diese FMNR-Methode – das Kürzel steht für „Farmer Managed Natural Regeneration“ – spricht viel: Die Bäume reichern Wasser in Böden und im Grundwasser an, sie machen Böden fruchtbarer, sie erhöhen die Bestäubungsleistung von Insekten, sie verringern Hitzestress und die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen. Kurzum, Bäume auf Feldern führen zu besseren Ernten und damit höherem Einkommen. Sie bieten auch Brenn- und Bauholz, Wildnahrung, Honig, traditionelle Medizin. Mehr Bäume heißt übrigens oft weniger Konflikte – einfach, weil mehr natürliche Ressourcen vorhanden sind. 

Ihre FMNR-Methode wird heute in 26 Ländern angewandt. Welches weitere Potenzial sehen Sie?

Rinaudo: Weltweit gibt es etwa drei Milliarden Hektar degradiertes Land. Meine Faustregel lautet: Gab es in der Vergangenheit dort einen Wald, ist es theoretisch möglich, Wald wiederherzustellen. Ich habe keinen Zweifel, dass weltweit ein Potenzial von hunderten Millionen Hektar besteht. Wie Aufforstung konkret aussehen kann, hängt aber von den Zielen der Menschen vor Ort ab. In manchen Gebieten könnte es eine Form von Agroforstwirtschaft mit Mischkulturen und Bäumen sein, oder eine silvopastorale Landschaft mit Weideland und Bäumen oder eben ein Wald.

Aufforstungsprojekte werden weltweit durchgeführt, mitunter wird beteiligten Unternehmen dabei Greenwashing vorgeworfen. Was muss ein gutes Aufforstungsprojekt jedenfalls berücksichtigen?

Rinaudo: Ein gutes Projekt entspricht den Bedürfnissen jener Menschen, die von dem Land abhängig sind, und es verbessert ihre Lebensgrundlage. Unternehmen dürfen dabei eine Rolle spielen und auch Geld verdienen, aber die Menschen, die auf dem Land leben, sollten in einem Win-Win-Szenario die Hauptprofiteure sein. Die Blockierung des Zugangs zu Wäldern in traditionellem Besitz, Vertreibungen und ausbeuterische Beschäftigung sind jedenfalls zu vermeiden. Außerdem sollten Menschen befähigt werden, ihre natürlichen Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften und einheimische Arten und Biodiversität zu wahren. Das schließt nicht aus, dass auch exotischere Arten, die einen wirtschaftlichen Wert und kein Invasionsrisiko darstellen, mit Bedacht eingesetzt werden können. Nur dürfen wir keine ausgedehnten grünen Wüsten aus industriellen Monokulturen anpflanzen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Mehr zu Tony Rinaudo und die FMNR-Methode – in Wort und Bild:

In seiner heuer erschienenen Biografie erzählt Tony Rinaudo von seiner Entdeckung und der jahrelangen Überzeugungsarbeit, die er leisten musste, bis Bauern und Politiker seine einfache und günstige Art der Wiederaufforstung ernst nahmen.

Tony Rinaudo: Unsere Bäume der Hoffnung, Rüffer & Rub 2022, 304 Seiten, EUR 29,95 

Außerdem hat Oscar-Gewinner Volker Schlöndorff seinen ersten Dokumentarfilm „Der Waldmacher“ dem Lebenswerk von Tony Rinaudo gewidmet. Filmstart in Österreich: 9. September 2022.