Durch seine Lage am Schwarzen Meer zwischen Großem und Kleinem Kaukasus bietet Georgien günstige Bedingungen für die Landwirtschaft. Ein Viertel der Nutzfläche ist Ackerland, Mais und Getreide dominieren. Doch büßte der Sektor massiv an Produktivität ein, als die georgische Regierung nach Auflösung der Sowjetunion 1991 die Anbaufläche in 1-Hektar- Einheiten an die Bauern verteilte und zugleich Geld für Maschinen und Betriebsmittel – Saatgut, Dünger und Pflanzenschutz – fehlte.
Durch Ankauf und Pacht haben einzelne Landwirte inzwischen wieder Ackergrößen erreicht, für die sich Investitionen lohnen. Doch liegt der Flächenertrag beispielsweise bei Weizen, der im Osten und Südosten des Landes auf rund 70.000 Hektar angebaut wird, aktuell nur bei der Hälfte des österreichischen Werts. Dazu kommt, dass georgisches Weizenmehl bei sämtlichen Qualitätsmerkmalen wie Binde- und Dehnfähigkeit, Mineralstoff- und Eiweißgehalt weit hinter der österreichischen Backgrundlage zurückbleibt. Das spielt für Großabnehmer keine große Rolle, da das Gros des in Georgien vermarkteten Mehls ohnehin aus Russland und der Ukraine stammt und das schwächere georgische Mehl lediglich untergemischt wird – der georgische Landwirt kämpft aber um seine berufliche Existenz, und das Land ist abhängig vom Import teureren Brotgetreides und Saatguts.
Rechtliche Lücke
Vor rund fünf Jahren entstand bei der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit OEZA die Bereitschaft, Georgien im Agrarsektor auf die Sprünge zu helfen, um so die EU-Beitrittsbemühungen des Landes zu unterstützen. Als möglicher Partner für das Vorhaben wurde seitens der Austrian Development Agency ADA Karl Fischer angesprochen, ein Allrounder bei Agrarthemen, der die Saatbau und damit die größte genossenschaftliche Organisation für Pflanzenzüchtung und Saatgutvermehrung in Österreich über knapp dreißig Jahre als Geschäftsführer vorangebracht und internationalisiert hatte. Die Exportquote liegt heute bei mehr als 70 Prozent. Der Zufall wollte es, dass Fischer das kleine Land an der Scheide zwischen Europa und Asien kurz davor anlässlich einer Weinexpedition erstmals bereist hatte und mit Alexander Ediberidze, dem Inhaber des bedeutenden Agrarhandelsbetriebs Noblex in Tiflis, in Kontakt gekommen war. Ediberidze ist heute Fischers wichtigster Kooperationspartner vor Ort.
Da Georgien für die Saatbau-Genossenschaft ein neuer Markt war, wurde im Rahmen einer von der ADA geförderten Machbarkeitsstudie erst einmal geprüft, wie gut sich österreichische Weizensorten für das Land eigneten. Dreijährige Feldstudien, wie sie in Georgien seit langem nicht mehr durchgeführt worden waren, ergaben, dass frühe Weizensorten wie Amicus und Gallus erstklassige Ernten bringen.
Zu klären war aber auch die Bereitschaft der georgischen Regierung, ein Saatgut- und Sortenwesen zu etablieren, wie dies weltweit üblich ist. Dass nach der Unabhängigkeit aus Kostengründen auf ein Saatgutgesetz verzichtet und die zugehörigen Kontrollstellen geschlossen worden waren, trug wesentlich zur Misere des georgischen Ackerbaus bei. Fischer erklärt: „Zertifiziertes Saatgut von leistungsfähigen Sorten ist der zentrale Faktor, wenn man hohe Erträge und Qualität erreichen will. Bei den beträchtlichen Entwicklungskosten, die in solchem Saatgut stecken, wird aber kein Hersteller in ein Land liefern, in dem sein Produkt gesetzlich nicht geschützt ist, wie dies in Georgien lange Zeit der Fall war.“ Fischers Aufklärungsarbeit fruchtete, Georgien erließ nach langen Diskussionen ein Saatgutgesetz und Ende 2018 eine dazugehörige Verordnung für die Erstellung eines Sortenkatalogs, der bereits drei Sorten der Saatbau listet. „Perfekt ist das Gesetz noch nicht“, so der Experte, „aber eine Basis, um darauf aufzubauen.“ Nun kann für Hersteller Rendite dadurch entstehen, dass die autorisierte Partnerfirma – in diesem Falle Noblex – für das in Georgien produzierte und verkaufte Saatgut Lizenzgebühren bezahlt.
Grüne Kette
Sobald der Gesetzesbeschluss absehbar war, stand einem vertieften Engagement der Österreicher, das die ADA ab April 2018 im Rahmen einer Wirtschaftspartnerschaft unterstützte, nichts mehr entgegen. „Die Kooperation bietet Georgien die Chance, einen höheren Selbstversorgungsgrad zu erreichen“, nennt ADA-Programmmanager Daniel Rössler ein Motiv für die Förderung.
Aufs Erste werden parallel zwei Ziele verfolgt: Zum einen soll in den Getreideanbauregionen Kartli und Kachetien ein System zur Produktion von Qualitätsweizensaatgut auf EU-Niveau aufgebaut werden, die Saatgutbasis kommt dabei aus Österreich. Zum anderen sollen nach österreichischem Vorbild vertraglich gesicherte Wertschöpfungsketten zwischen georgischen Qualitätsweizenproduzenten und lokalen Bäckereien geschaffen werden.
Fischer ist inzwischen bereits 16 Mal in Georgien gewesen, hat allein und mit Kollegen Behörden und Bauern beraten, in Bäckereien für Qualitätsweizen geworben und Mühlen besichtigt. „Durch die Schwierigkeit, eine geeignete Mühle zu finden, ist der Aufbau einer Vertragslandwirtschaft etwas in Rückstand geraten“, bedauert er, räumt aber ein, dass für die Bildung einer „grünen Kette“ auch in Öster- reich viel Überzeugungsleistung nötig war: Bis eine erste Großbäcke- rei einen Abnahmevertrag für Qua- litätsweizen unterzeichnete, hatte es fünf Jahre gedauert.
Mit der Sortenentwicklung sei man aber auf gutem Weg. „Noblex hat hier alle Fäden in der Hand und konnte bereits 170 Tonnen Amicus, den georgische Saatgutbauern angebaut haben, verkaufen“, staunt selbst Fischer über den zügigen Fortschritt. Das ist auch für die Saatbau ein Erfolg. Sie durfte sich bereits über erste Lizenzzahlungen aus Georgien freuen.
DAS UNTERNEHMEN
Hersteller von Spitzensaatgut
Die SAATBAU ist eine 1950 gegründete Genossenschaft, der heute 3.200 österreichische Landwirte angehören. Von Leonding aus entwickelt, produziert und vertreibt sie jährlich 50.000 Tonnen zertifiziertes Saatgut für Mais, Getreide, Öl- und Eiweißpflanzen. Österreichs EU-Beitritt ermöglichte die Expansion. Heute hat sie zehn Tochterbetriebe in Europa und exportiert bis Kanada und China. Der Umsatz lag 2018 bei 180 Mio. Euro. Die Leitung ging 2013 an Josef Fraundorfer und Karl Fischer, die Namensgleichheit mit dem bisherigen Geschäftsführer und heutigen Projektleiter in Georgien ist Zufall.