corporAID: Vor zwei Jahren fand in Wien das hochrangige Forum Afrika-Europa statt, im Mittelpunkt stand die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Auch ins Regierungsprogramm hat dieser Aspekt Einzug gefunden. Wie ist es angesichts der Coronakrise um die Partnerschaft mit Afrika bestellt?
Engelberg: Sowohl Bundeskanzler Kurz als auch Außenminister Schallenberg haben die Partnerschaft auf Augenhöhe mit Afrika als Thema identifiziert. Das Ausnahmejahr 2020 hat jedoch dieses, aber auch viele andere Themen notgedrungen depriorisiert. Der Zugang sollte aber dennoch derselbe bleiben, nämlich verstärkt auf eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Österreich und der EU auf der einen und den afrikanischen Staaten auf der anderen Seite zu setzen. Denn so hilft man nicht nur den afrikanischen Ländern langfristig am meisten, nach meiner Wahrnehmung ist es auch das, was von den meisten Afrikanern gewünscht wird. Das soll nicht heißen, dass es die klassische Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr braucht – es geht vielmehr um eine Weiterentwicklung zu einer echten Partnerschaft. Ich hoffe, dass wir uns nach dem Ende der Coronakrise diesem Thema wieder verstärkt widmen können. Doch auch jetzt gibt es Fortschritte: Der Auslandskatastrophenfonds wurde von 25 auf 50 Mio. Euro verdoppelt und zudem erstmalig ein Sonderbeauftragter für Humanitäre Hilfe im Außenministerium eingesetzt. Aber das ist eben Katastrophenhilfe.
Bittner: Der Afrikagipfel 2018 war das erste große einschlägige Event, das wir besucht haben. Wir haben dort eine Reihe von Einzelgesprächen geführt und so Unternehmen kennengelernt, die uns in der Folge unterstützt haben, in afrikanischen Ländern einen Fuß in die Tür zu bekommen. Inzwischen haben wir in der Elfenbeinküste eine eigene Niederlassung der Business Unit Neulandt, die mobile Betonfertigteilfabriken vertreibt, und sind in eine Reihe von Projekten in Westafrika involviert. Durch die Corona-Pandemie erwarte ich für unser Business keine großen Veränderungen, denn der Megatrend Urbanisierung und der entsprechende Bedarf nach leistbarem Wohnraum werden sich dadurch allerhöchstens im Detail ändern. Wir sind gut beraten, trotz Coronakrise unsere Strategie in afrikanischen Märkten weiterzuverfolgen.
Wir sind gut beraten, trotz Coronakrise unsere Strategie in afrikanischen Märkten weiterzuverfolgen.
Werner H. Bittner, Umdasch Group Ventures
Schuh: Mein Institut beschäftigt sich in einer aktuellen Studie mit den Auswirkungen von Corona auf Emerging Markets, und wir gehen von der Hypothese aus, dass österreichische Unternehmen sich auf die Kernmärkte konzentrieren werden. Viele mittelständische Betriebe sind mit ihren Managementkapazitäten aktuell ohnehin äußerst gefordert, und gerade ein Engagement in einem afrikanischen Land benötigt schon zu normalen Zeiten überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit von Managementseite. Dazu muss man sagen: Emerging Markets spielen nur eine Nischenrolle für österreichische Unternehmen, sind jetzt aber vielfältig betroffen: Die informelle Wirtschaft macht in manchen Ländern mehr als 50 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, und die Budgethaushalte stehen für die Bewältigung einer solchen Krise auf sehr instabilen Beinen. Speziell afrikanische Länder sind stark abhängig von externen Finanzierungen und haben hohe Budgetdefizite. Für China hingegen wird für 2020 ein Wirtschaftswachstum prognostiziert, daher verwundert es nicht, dass – wenn ich mit Unternehmen über internationale Märkte spreche – derzeit faktisch nur China zur Sprache kommt.
Wie beurteilen Sie das Engagement heimischer Unternehmen in Emerging Markets, und in Afrika insbesondere? Welchen Beitrag kann die österreichische Wirtschaft hier zu nachhaltiger Entwicklung leisten?
Schuh: Ich würde vier Typen unterscheiden. Zum einen haben wir Hidden Champions, die im B2B-Bereich und da relativ stark im Maschinenbau tätig sind. Dann gibt es das sogenannte Projektgeschäft. Der dritte Typ sind technische Konsulenten, die auch eine wichtige Rolle spielen, um österreichische Partner an internationale Projekte zu vermitteln. Und die vierte Gruppe sind Social Entrepreneurs, die mit lokalen Partnern in diesen Märkten konkrete Lösungen entwickeln. Für einen nennenswerten Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele fehlt Österreich die kritische Masse: Wir liegen bei einem Exportanteil von 1,3 Prozent für ganz Afrika! Wenn wir hier wirklich weiterkommen wollen, müssen wir europäischer denken – und auch das europäische Wirtschaftsmodell mittransportieren. Denn es wird zwar häufig übersehen, aber wir sind dort ja nicht allein. Es gibt etablierte Mitbewerber, die in vielen Fällen aus China stammen.
Für einen nennenswerten Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele fehlt Österreich die kritische Masse.
Arnold Schuh, WU Wien
Bittner: Mit einem Anteil an den Exporten von etwas über einem Prozent sind afrikanische Märkte faktisch nicht im Fokus österreichischer Unternehmen. Wenn man sich dort etablieren möchte, ist es entscheidend, eine Präsenz aufzubauen und diese Märkte zu verstehen. Das tun Unternehmen aber typischerweise nicht. Vielmehr gehen sie davon aus, dass Produkte und Services, die im Rest der Welt funktionieren, auch für diese Märkte passen. Das kann so sein, muss aber nicht so sein. Dabei könnten europäische und insbesondere österreichische Unternehmen unglaublich viel beitragen. Wir haben einige Branchen, die über sehr ressourcenschonende Technologien verfügen. Und gerade Entwicklungsländer haben in vielen Bereichen das Potenzial, Technologiesprünge zu machen. Mit ein Faktor, der unsere Betonfertigteilanlage interessant macht, ist ja gerade, dass wir eine Technologie bereitstellen, die nicht nur effizient ist, sondern auch Wertschöpfung im jeweiligen Land generiert. In unserer Branche ist das nicht der Standardfall: Normalerweise werden Fertigteile bei einem europäischen Unternehmen bestellt und von diesem geliefert und montiert. Im Wesentlichen fließt bei solchen Geschäften das gesamte Geld nach Europa. Auf Dauer ist das aber nicht nachhaltig. Unsere Anlage ist hingegen dafür gedacht, hochstandardisierten Massenwohnraum direkt auf Großbaustellen zu erzeugen. Und das setzt einen entsprechenden quantitativen Bedarf voraus, den es in Europa schlichtweg nicht gibt. Hinzu kommt, dass das Konzept der Fertigteilhäuser in vielen Ländern kaum verbreitet ist, obwohl es eines der produktivsten Bauverfahren ist. Damit können wir ermöglichen, dass Massenwohnraum entsteht für Leute, deren Leistbarkeitsgrenze sehr niedrig angesiedelt ist.
Engelberg: Wir haben fortschrittliche Technologien und tolle Unternehmen. Dazu kommen weitere wichtige Bausteine: unternehmerischer Geist, Finanzierung, Know-how, Bildung, Nachhaltigkeit. Sie haben es das europäische Wirtschaftsmodell genannt. Und diese Bausteine müssen wir gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnern zusammenfügen. Ein Thema ist allerdings auch, dass Afrika für die meisten Unternehmen ein blinder Fleck ist – es gibt kaum Bezug zu afrikanischen Ländern. Und gerade in Hinblick auf Afrika ist man erschlagen von der Größe des Kontinents, der Menge an Menschen – man bekommt fast eine Agoraphobie. Wir müssen daher eine Menge PR-Arbeit leisten, um solche Regionen überhaupt ins Blickfeld der Wirtschaft zu rücken.
Wir müssen eine Menge PR-Arbeit leisten, um solche Regionen überhaupt ins Blickfeld der Wirtschaft zu rücken.
Martin Engelberg, Nationalratsabgeordneter ÖVP
Welche konkreten Unterstützungsmechanismen braucht es?
Schuh: Ich glaube, das A und O in afrikanischen Märkten ist die Marktinformation. Die Datenlage ist schlecht, zudem verfolgt die Mehrheit der österreichischen Unternehmen in Afrika eine reine Exportstrategie und ist nicht vor Ort präsent. Der Erfolg hängt somit sehr stark von der Wahl des richtigen Partners ab. Hier ist das System der Außenwirtschaft Austria meiner Meinung nach ein sehr gutes. Die kleingeistige Diskussion über deren Nutzen kann ich nicht nachvollziehen, denn für mich liegt der Mehrwert auf der Hand. Die Außenwirtschaftsdelegierten beschaffen Informationen, kennen das Umfeld, politische Entscheidungsträger, die Bürokratie und andere Einflussnehmer. Gerade für größere Projekte ist das von entscheidender Bedeutung. Auch wenn einzelne große Unternehmen diese Unterstützung nicht mehr brauchen, für die meisten kleinen und mittleren Betriebe macht das einen Unterschied. Eine eigene lokale Präsenz aufzubauen, ist für viele Unternehmen nicht umsetzbar, weil die Märkte zu klein und im Vergleich zu anderen Regionen viel zu wenig vernetzt sind. Hier könnte die neue panafrikanische Freihandelszone noch zu einem Game Changer werden.
Bittner: Ich kann das bestätigen, und das, obwohl Umdasch kein kleines Unternehmen ist. Mit ihrer Außenhandelsorganisation war und ist die Wirtschaftskammer ausgesprochen hilfreich. Denn auch wenn die Neulandt Portable Precast Plant prioritär auf diese Art Markt zugeschnitten ist, haben wir uns letztlich quasi blind in diese Länder begeben. Was uns außerdem noch geholfen hat, war der Austausch mit anderen österreichischen Unternehmen, die in afrikanischen Märkten tätig sind. Wir sind zum Beispiel in einem sehr guten Austausch mit der Vamed. Ich war erstaunt zu hören, wie viele Krankenhäuser die Vamed schon auf dem afrikanischen Kontinent gebaut hat. Diese Art von Austausch könnte man sicher noch weiter institutionalisieren.
Engelberg: Zum einen ist es wichtig, dass wir österreichische Unternehmen, die in afrikanischen Ländern Geschäfte machen oder dort sogar investieren wollen, bestmöglich dabei unterstützen. Und nach meiner Wahrnehmung wächst das Bewusstsein dafür in Österreich. Auch unsere Entwicklungszusammenarbeit beginnt sich umzuorientieren. Zum anderen – und das ist mir ein besonderes Anliegen – geht es um Kommunikation und Koordination. Den Bedarf an PR habe ich ja bereits erwähnt. Dazu kommt ein Gefühl, das sich nach zahlreichen Gesprächen bestätigt hat: Dass es bei diesem Thema noch sehr wenig Koordinierung in Österreich gibt. Jeder macht ein wenig, jeder hat so seine kleinen Spielfelder. Eine meiner Ideen war es, einen Afrika-Beauftragten zu installieren, um hier einen Anfang zu machen und einen Ansprechpartner und eine Plattform zu schaffen, die es ermöglicht, mit Unternehmen gemeinsam Chancen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auszuloten.
Vielen Dank für das Gespräch!
DIE GESPRÄCHSTEILNEHMER
Martin Engelberg ist seit 2017 Abgeordneter zum Nationalrat der ÖVP und ist Bereichssprecher für Internationale Entwicklung.
Arnold Schuh ist Direktor des Kompetenzzentrums für Emerging Markets & Mittel- und Osteuropa sowie Assistenzprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Werner H. Bittner ist Geschäftsführer der Umdasch Group Ventures GmbH, die Innovationsschmiede der Umdasch Gruppe.