Interview

Die Kleinen ins Rampenlicht

Ausgabe 96 – Herbst 2022

Die Entwicklungsökonomin Nicole Franz arbeitet seit 2011 für die Fischereiabteilung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO. Im Interview mit corporAID erklärt sie, warum kleine Fischer und Züchter mehr Anerkennung verdienen.

Nicole Franz, FAO
Die Vereinten Nationen widmen das Jahr 2022 der handwerklichen Fischerei und Aquakultur. Warum?

Franz: Die Fischerei- und Aquakultur lieferte 2020 178 Mio. Tonnen Fisch und Meeresfrüchte und 36 Mio. Tonnen Algen. Das war ein Rekord. Wir wollen mit IYAFA, dem International Year of Artisanal Fisheries and Aquaculture zeigen, dass der Sektor nicht nur durch große, industrielle Unternehmen geprägt ist, sondern auch durch kleine Produzenten. Nehmen Sie die Fangfischerei: Mindestens 40 Prozent aller Fänge stammen von Kleinfischern, die erheblich zur Ernährungssicherheit beitragen.

Rund 60 Millionen Menschen arbeiten als Kleinfischer beziehungsweise in der Wertschöpfungskette der kleinen Fischerei. Im Bild: Fischerboote auf den Kapverden
Spielt die kleine Fischerei nur auf lokalen oder auch auf internationalen Märkten eine Rolle?

Franz: Die Handelsstatistiken unterscheiden nicht, ob ein Fisch von einem großen Produzenten oder aus der Kleinfischerei stammt. Natürlich sind für Kleinfischer vor allem lokale Märkte wichtig, und gerade in entlegenen Regionen darf der Eigenbedarf nicht unterschätzt werden. Kleinfischer sind aber von regionalen oder internationalen Märkten nicht abgeschnitten. Ein Beispiel ist getrockneter Fisch von den Afrikanischen Großen Seen: Ein relativ billiges Produkt, das wichtige Nährstoffe insbesondere für ärmere Bevölkerungsgruppen liefert und das es fast überall in Afrika zu kaufen gibt. Kleinfischer liefern aber auch Produkte wie den Viktoriabarsch, der in europäischen Supermärkten erhältlich ist und in Tansania, Uganda und Kenia eine wichtige Einkommensquelle ist. Auch Hummer aus Mexiko wird von kleinen Fischern gefangen und erzielt auf den Weltmärkten hohe Preise. Der Einstieg in globale Lieferketten ist aber oft schwierig. Kleinfischer können nicht, so wie die industrielle Fischerei, konstante Mengen garantieren. Es ist eben ein bisschen wie die Jagd: Man weiß nie sicher, mit welcher Beute man heimkommt.

In einer kenianischen Fischfabrik wird Viktoriabarsch weiterverarbeitet.
Mit welchen weiteren Herausforderungen sind Kleinfischer konfrontiert?

Franz: Grundsätzlich brauchen wir eine größere politische und gesellschaftliche Anerkennung für die Leistung der Kleinfischerei. Nicht nur als Produktionssystem für nährwertreiche Nahrung, sondern auch als Arbeitgeber für Männer und Frauen, als Hüter natürlicher Ressourcen dank traditionellem Wissen und als Kulturgut. Fehlende Anerkennung führt dazu, dass Kleinfischer oft den Kürzeren ziehen. Sie konkurrieren mit der großindustriellen Fischerei, aber auch mit anderen wirtschaftlich attraktiven Sektoren wie dem Tourismus. Es wird immer enger auf der Erde, wir sind immer mehr Menschen, vor allem in Küstengebieten konzentriert sich viel. Da tun sich Kleinfischer, die ja vor allem in Küstennähe arbeiten, oft schwer.

Die Landwirtschaft in ärmeren Ländern ist von hohen Ernteverlusten geprägt. Das betrifft wohl auch die Fischerei?

Franz: Ja, wir sehen in Entwicklungsregionen große Verluste entlang der Wertschöpfungskette der Fischereien. Etwa wenn kein Eis zur Kühlung vorhanden ist. In Afrika ist es oft auch noch üblich, dass Fische zum Trocknen am Strand ausgelegt werden. Da besteht natürlich ein hohes Risiko für Kontamination. Oft fehlt es an Infrastruktur für die Weiterverarbeitung, an Wissen und Training, wie das Produkt sicher und haltbar gemacht werden kann, und wie es am besten zum Konsumenten gelangt.

Fische räuchern in Côte d’Ivoire
Im Juni 2022 gelang ein Abkommen der Welthandelsorganisation WTO zur Begrenzung von Fischereisubventionen. Welche Folgen könnte das für Kleinfischer haben?

Franz: Die WTO hat eine Vereinbarung über Fischereisubventionen erzielt, die es den Mitgliedsländern untersagt, illegale Fischerei und die Fischerei auf überfischte Bestände zu finanzieren. Hier sollte man aber nicht zu stark vereinfachen. So kann der Sammelbegriff „illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei“ zur Kriminalisierung von Kleinfischern führen. Subventionen können außerdem eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Sicherheit und den Lebensunterhalt der Küstengemeinden spielen. Es ist daher wichtig, nuancierte Diskussionen über Subventionen und die Umsetzung der Vereinbarung zu führen, um eine weitere Marginalisierung der Kleinfischerei zu vermeiden. 

Wo sehen Sie erfreuliche Entwicklungen? 

Franz: Einige Länder haben begonnen, nationale Aktionspläne zur Umsetzung der FAO-Kleinfischereirichtlinien zu entwickeln. Diese bieten den Handlungsrahmen zur Sicherung einer nachhaltigen Kleinfischerei. Das Besondere an den Leitlinien ist, dass sie über die Fischerei hinausgehen und die Rechte von Fischern und Fischarbeitern hervorheben. In Tansania und Namibia sind diese Pläne schon angenommen, in Madagaskar und Malawi sind sie in der Entwicklung.

Warum ist auch die Aquakultur Teil des IYAFA?

Franz: Aquakultur ist zum wichtigen Teil des Ernährungssystems geworden. Der Löwenanteil der Aquakultur ist in Asien beheimatet, aber auch in Lateinamerika und in Afrika dehnt sich die Branche aus. Das IYAFA bezieht sich auf die handwerkliche Aquakultur, also auf die kleinen Züchter. Diese arbeiten in der Regel nachhaltiger, setzen weniger Fischmehl und Fischöl für die Fütterung der Zuchttiere ein und sie benutzen weniger Antibiotika als die industrielle Produktion. 

Sie erwähnen damit einige Problemfelder der Aquakulturbranche. Gibt es auch hier Verbesserungen?

Franz: Es gibt weiterhin einige ungelöste Themen wie das Problem der genmanipulierten Fischarten, die aus Aquakulturanlagen im Meer ausbrechen und sich dann mit wilden Beständen mischen. Aber ja, es gibt auch Fortschritte: So ist der Einsatz von Antibiotika oder die Menge an Fisch, die pro Kubikmeter Wasser gehalten werden darf, heute viel strenger reguliert. Und die FAO erarbeitet mit ihren Mitgliedsländern gerade Richtlinien für nachhaltige Aquakultur. Das ist ein starkes Signal! 

Vielen Dank für das Gespräch. 

 

Fotos: FAO, Luis Costa/FAO, Luis Tato/FAO, Sia Kambou/FAO