Drei Milliarden neue Bäume und 1,5 Millionen neue Jobs bis zum Jahr 2023: Das ist das Ziel, das die Regierung Pakistans mit einem groß angelegten Aufforstungsprogramm verfolgt. Bereits 2018 von Ministerpräsident Imran Khan unter dem Slogan „10 Billion Tree Tsunami“ ins Leben gerufen, um das von steigenden Temperaturen, Dürren und Überflutungen heimgesuchte Land klimaresilienter zu machen, nimmt dieses Projekt im Corona-Jahr nun richtig an Fahrt auf. Im Frühjahr verloren in Pakistan Millionen Menschen ihre Arbeit infolge des Lockdowns. Tagelöhner, Arbeiter und heimgekehrte Arbeitsmigranten standen ohne jede Absicherung mit leeren Händen da. Die Regierung stellte daraufhin zusätzliche 84.000 Menschen als Baumpflanzer ein. Die Bezahlung liegt wie der Mindestlohn bei knapp drei Euro pro Tag – die Nachfrage nach den Pflanzer-Jobs ist in Zeiten wie diesen dennoch enorm.

Aufforstung in Pakistan Das Land erlebt nach Jahrzehnten der unkontrollierten Rodung eine grüne Renaissance.

Für Stephen Hammer ist diese Verknüpfung von neuen Jobs und neuen Bäumen „ein gutes Beispiel dafür, wie in Entwicklungsländern die Nachfrage nach bezahlter Arbeit mit Umweltzielen in Einklang gebracht werden kann.“ Hammer ist bei der Weltbank zuständig für die sogenannte Green Recovery, zu Deutsch grüne Erholung oder grüner Aufschwung. Dabei geht es nicht nur ums Bäumepflanzen. Vielmehr bezeichnet der Slogan Maßnahmen, welche die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronakrise mit Bemühungen zur Minderung von Treibhausgas-Emissionen oder zur Erhöhung der Resilienz gegenüber Folgen des Klimawandels verknüpfen. 

Wie viele andere Experten sieht Patrick Schröder, Energie- und Umweltanalyst beim britischen Think Tank Chatham House, in der Green Recovery eine historische Chance, die die Neuaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nach der Coronakrise eröffnet. „Im Klimakontext läuft uns die Zeit davon. Nun haben wir die einmalige Möglichkeit, die Weichen für die Zukunft neu zu stellen, indem wir etwa die Energiewende massiv beschleunigen“, so Schröder.

Schon im April, noch während des ersten Lockdowns, waren sich die Teilnehmer des Petersberger Klimadialogs, einem von der deutschen Regierung initiierten jährlichen Ministertreffen zur Vorbereitung der Klimakonferenz der Vereinten Nationen, darin einig, dass es nach der Pandemie „eines klimafreundlichen Neustarts der Wirtschaft für eine krisenfestere Zukunft“ bedürfe. „Wir müssen Konjunkturimpulse global so gestalten, dass es uns gelingt, zugleich die Zielsetzungen des Pariser Klimaschutzabkommens und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen“, brachte der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth das Anliegen auf den Punkt.

Green-Recovery-Anstoß aus den Industrieländern

Die wesentlichen Protagonisten des Green Recovery-Diskurses sind wie die Weltbank oder Chatham House in den USA und in Europa zu finden. Der europäische Green Deal gilt als bislang greifbarstes Unterfangen dafür, wie von politischer Seite das im Pariser Klimaschutzabkommen niedergeschriebene Ziel, zukünftig kohlenstoffneutral zu wirtschaften, angegangen und mit einem wirtschaftlichen Aufschwung verknüpft werden kann. Der Deal ist ein Breitspurprogramm, das zu einer Trendumkehr an drei Fronten führen soll: bei der Ressourcennutzung, bei der Biodiversität und bei der Umweltverschmutzung. Alle Wirtschaftssektoren sollen eingebunden werden – konkret geht es um den Umstieg auf umweltfreundliche Technologien und Innovationen in Industrie und Verkehr, die Dekarbonisierung des Energiesektors und die Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden. Das Vorhaben ist inklusiv. So sollen etwa Länder mit höherer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen bei der Umstellung auf nachhaltige Energieträger über einen „Mechanismus für einen gerechten Übergang“ sowohl auf technischer als auch auf finanzieller Ebene unterstützt werden.

Patrick Schröder ist überzeugt: „Was aktuell in der EU passiert, wird schlussendlich auch auf Entwicklungsländer ausstrahlen.“ Und aus letzteren kommen klare Signale, dass man unter dem Motto „Building back better“ an einer Green Recovery teilhaben will. Nur: Während die Industrieländer mit enormen Konjunkturpaketen der Krise entgegenwirken und zugleich Investitionen in einen grünen Wiederaufschwung denk- und umsetzbar sind, liegen die Dinge in ärmeren Weltregionen völlig anders. Stellvertretend für viele Schwellen- und Entwicklungsländer erklärte etwa Costa Ricas Umweltminister Carlos Manuel Rodríguez bereits im Frühjahr, dass infolge der weltweiten Pandemie die fiskalischen Spielräume wie nie zuvor schrumpfen, die Schulden wachsen und die Arbeitslosigkeit steigt. Wie dramatisch die Lage einige Monate später ist, lässt sich an der nie dagewesenen Flut an Not- und Hilferufen ablesen, die beim Internationalen Währungsfonds IWF einlangte. Mit Ende November hatte dieser für 82 Länder neue Kredite in Höhe von insgesamt mehr als 100 Mrd. Dollar freigegeben, damit sie die Krise stemmen können.

Daten und Fakten

Begrenzter finanzieller Spielraum

Das Wirtschaftswachstum schrumpft im Vergleich zum Vorjahr auf der ganzen Welt, doch einige Entwicklungsländer werden von der Krise besonders hart getroffen. Auch die Erholungsprognosen fallen sehr unterschiedlich aus.

Diese Grafik veranschaulicht den begrenzten Spielraum vieler Entwicklungsländer für eine Green Recovery.

Zusätzlich warben die Spitzen von IWF und Weltbank bei ihren Herbsttagungen für Schuldennachlässe für die ärmsten Länder. Ein Thema, das Ulrich Volz, Finanzexperte des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik und Direktor des SOAS Centre for Sustainable Finance in London, zufolge von höchster Dringlichkeit ist – sonst drohe in naher Zukunft eine globale Schuldenkrise ungeahnten Ausmaßes. Seiner Meinung nach kann im derzeitigen Kontext nur ein konzertierter Schuldenschnitt genügend Mittel freisetzen, damit die Entwicklungsländer kurzfristig handlungsfähig bleiben und mittelfristig in einen grünen Neustart investieren können (siehe Interview).

Interview mit Ulrich Volz, SOAS Centre for Sustainable Finance

Ulrich Volz fordert einen Schuldenschnitt für Entwicklungsländer.

Schuldenschnitt gefordert

Ulrich Volz, Chef des Londoner SOAS Centre for Sustainable Finance, fordert im Interview einen Schuldenschnitt für Entwicklungsländer.

Die versprochenen Milliarden

Über die Schuldenproblematik hinaus braucht es die konkrete Bereitstellung von Finanzierungshilfen für Entwicklungsländer. Bereits beim Weltklimagipfel 2009 in Kopenhagen hatten sich die Industrieländer darauf verständigt, dass ab 2020 jährlich 100 Mrd. Dollar dafür bereitstehen, dass Entwicklungsländer deutlich mehr CO2 einsparen können und die Kosten für die Anpassung an den Klimawandel abgefedert werden. Diese hohe Summe wurde jedoch bis dato nicht erreicht, und es mangelt noch immer an einheitlichen Bilanzierungsregeln. Dass die multilaterale Klimaförderung über diverse Schienen in die Zielländer gelangt, ist dabei nur ein Faktor, der ihre Berechnung und Berechenbarkeit letztlich erschwert.

Ein zentraler Kanal ist jedenfalls der im Zuge der Kopenhagener Abmachung gegründete Green Climate Fund GCF. Ihm stehen in den kommenden vier Jahren rund zehn Mrd. Dollar zur Verfügung. Erst im November hat der Vorstand ein ganzes Dutzend neuer Vorhaben genehmigt: Sie reichen von der Etablierung eines Green-Finance-Instruments in der Mongolei über die Unterstützung von Kleinbauern in Guatemala bei der Anpassung an klimatische Veränderungen bis hin zur Einführung energieeffizienter Technologien in Bangladeschs Textilsektor. Die Projekte wurden größtenteils noch vor der Pandemie vorbereitet. Bei der Umsetzung solle nun aber besonders auf die Verknüpfung von Klimaschutz-Impact und der Schaffung von Jobs geachtet werden, sagt GCF-Sprecher Simon Wilson. Er rechnet jedoch mit coronabedingten Verzögerungen bei der Umsetzung und zusätzlichen Ausgaben etwa zur Anschaffung von Schutzausrüstung.

Zusätzliche Mittel wendet nun auch Österreich für den GCF auf. Nachdem es in den vergangenen Jahren viel Kritik an den im internationalen Vergleich eher geringen Summen, die aus Wien an den Fonds flossen, gab, hat die Bundesregierung vor einigen Wochen den heimischen Beitrag verfünffacht. Statt der bis dato zugesagten 26 Mio. werden nun bis 2023 130 Mio. Euro eingezahlt. „Mit diesem internationalen Beitrag schaffen wir – gerade in Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie – einen dreifachen Nutzen: Investitionen in den Klimaschutz retten unsere Lebensgrundlagen, ermöglichen den wirtschaftlichen Wiederaufbau in besonders krisengebeutelten Ländern und schaffen Jobs und Perspektiven gegen die Armut“, betont Umweltministerin Leonore Gewessler den Mehrwert.

 

Handlungsfeld Energie Off-Grid-Solaranlage in Ruanda

Die großen Player für eine Green Recovery

Eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung der Green Recovery in Entwicklungsländern kommt den multilateralen Entwicklungsbanken zu. Aktuell setzen sich die Banken mit ihren direkten Krisenhilfen vor allem für die Unterstützung der Gesundheitssysteme und die Abfederung der wirtschaftlichen und sozialen Schocks ein. So stellt etwa die Weltbank bis zu 160 Mrd. Dollar über einen Zeitraum von 18 Monaten zur Verfügung.

Darüber hinaus will die Weltbank Stephen Hammer zufolge auch die Green Recovery in Entwicklungsländern aktiv mitgestalten. Schon im April hat Hammer eine Nachhaltigkeits-Checkliste vorgelegt, die politischen Entscheidungsträgern dabei helfen soll, geplante Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft, von Geldtransfers bis zu Direktinvestitionen in neue Infrastruktur, auf ihre Green Recovery-Tauglichkeit hin zu prüfen. Hammer: „Wir haben in der letzten globalen Finanzkrise gelernt, dass Regierungen Maßnahmen ergreifen können, die ein Land letztlich zurückwerfen. Mit dem Lockern von Umweltvorschriften und -steuern gibt es auch in dieser Krise bereits Beispiele dafür.“ Die bescheidene Kernbotschaft der Weltbank lautet aktuell entsprechend auch: „Macht es wenigstens nicht noch schlimmer.“

Die Weltbank ist nun mit den einzelnen Entwicklungsländern im Gespräch, um konkrete Projekte etwa im Energie-, Wasser- und Transportbereich voranzubringen. Dabei seien die Ausgangspunkte für die Kooperationen mit den Entwicklungsländern die national festgelegten Beiträge (Nationally Determined Contribution, NDC) – Klimaziele, die jedes Land infolge des Pariser Klimaschutzabkommens 2015 formuliert hat.

Auch das Interesse von Investoren aus dem Privatsektor soll gefördert werden. Blended Finance und Green Bonds zählen laut der Weltbank zu den wichtigsten Instrumenten, über die Finanzinstitutionen private Investitionen in schwierigen Umfeldern mobilisieren können. Hammer bemängelt jedoch, dass es mit Blick auf Entwicklungsländer mitunter an den nötigen Daten fehle. Wenn nun etwa Studien die Vorzüge der Elektromobilität preisen, heiße das noch lange nicht, dass der Markt in einem bestimmten afrikanischen oder lateinamerikanischen Land auch für eine flächendeckende Verbreitung bereit sei. „Oxford-Forscher haben sich in diesem Kontext 125 Studien angeschaut – lediglich drei von ihnen beschäftigten sich näher mit weniger entwickelten Ländern. Das zeigt die Diskrepanz, die es zu verringern gilt“, sagt Hammer.

Handlungsfeld Verkehr Coronabedingter Fahrradboom in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá

Green Recovery in zwei Geschwindigkeiten

Die wirtschaftlichen Chancen eines konsequenten grünen Wiederaufbaus sind immens. McKinsey etwa schätzt, dass die Investition von 75 bis 150 Mrd. Euro in grüne Konjunkturprogramme 180 bis 350 Mrd. Euro an Wertschöpfung, drei Millionen zusätzliche Arbeitsplätze und eine Reduktion der Kohlenstoffemissionen um 15 bis 30 Prozent bis zum Jahr 2030 bedeuten könnte. In vielen Entwicklungsländern ist man sich dessen durchaus bewusst – alles auf die Karte Green Recovery setzen wollen aber nur die wenigsten. Und auch bei den Entwicklungsbanken gibt es dazu keinen eindeutigen Trend.

Deutlich wurde dies zuletzt bei einem von der französischen Regierung organisierten Gipfeltreffen zu nachhaltiger Finanzierung Mitte November. Dort verständigten sich die Repräsentanten von 450 öffentlichen Entwicklungsbanken aus aller Welt, Investitionen in erneuerbare Energie, Energieeffizienz und saubere Technologien deutlich auszubauen und zu beschleunigen. Man konnte sich jedoch nicht auf verbindliche Kriterien einigen. Vor allem die Asiatische Entwicklungsbank trug die entsprechende Abschlusserklärung nicht mit. Was das Tempo des Kohleausstiegs angeht, will man sich nicht von Europa drängen lassen. Auch die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank enthielten sich der Unterschrift. Nichtsdestotrotz betont die Asiatische Entwicklungsbank die Wichtigkeit einer Green Recovery – und mobilisiert bis 2030 80 Mrd. Euro für Klimafinanzierung. Darüber hinaus hat sie im Juli angekündigt, ihre Partnerschaft mit dem Green Climate Fund auszubauen.

Und auch in Pakistan kommt die eingeleitete Green Recovery nicht ohne Ambivalenzen aus: Während Milliarden Bäume neu gepflanzt werden, investiert das Land zeitgleich in zahlreiche neue Kohlekraftwerke, um die lückenhafte Stromversorgung zu verbessern und die Wirtschaft anzukurbeln. Es zeigt sich deutlich, dass das Bestreben, Weichen zu stellen, damit eine Green Recovery in den nächsten Jahren auch in Entwicklungsländern greift, mit der Realität vieler ärmerer Länder in Einklang gebracht werden muss.

Fotos: 10 Billion Tree Tsunami (2), Azuri Technologies, Carlos Felipe Pardo