Am Rande eines alten Vulkankraters, mitten im Nirgendwo, thront der moderne Gebäudekomplex aus Stahl, Glas und Lavagestein. An klaren Tagen bietet sich von hier eine spektakuläre Fernsicht über sattgrüne Hänge zur gelbsandigen Küste und zum tiefblauen Ozean. Es ist ein „Raumschiff im Jurassic Park“ sagt Herbert Frei über seine Pikaia Lodge, eine Luxusherberge mit nur 14 Zimmern, die er 2014 eröffnete. Fünf Jahre lang bemühte sich der gebürtige Schweizer um die Baugenehmigung. Denn Pikaia befindet sich in einem besonders schützenswerten Teil der Erde: im Galápagos-Archipel im pazifischen Ozean, bekannt für seine weltweit einzigartige Pflanzen- und Tierwelt.
Nachhaltige Hotels: Grün im Grünen
Die zu Ecuador gehörende Inselgruppe steht fast gänzlich unter Naturschutz. Nur drei Prozent der Fläche sind bebaubar. Frei durfte seine Lodge auf einer ehemaligen Rinderfarm auf der zentral gelegenen Insel Santa Cruz errichten. Aufgrund des fragilen Ökosystems setzte er dabei auf ein umfassendes Nachhaltigkeitskonzept: So wurde auf robuste und recyclingfähige Baumaterialien geachtet, um die Lodge leicht instand halten und eines Tages auch wieder abbauen zu können. Die effiziente Nutzung von Sonnenlicht und eine natürliche Belüftung helfen, den Energieverbrauch niedrig zu halten. Eine Solaranlage speist tagsüber überschüssigen Strom in das Netz der Insel ein. Regenwasser wird in Tanks gesammelt, Abwasser aufbereitet und wieder verwendet und Bäume zum Ausgleich von CO2-Emissionen gepflanzt. Auf dem Areal fühlen sich heute kleine Darwin-Finken genauso wohl wie die legendären Galápagos-Riesenschildkröten.
Nicht zuletzt möchte Frei die lokale Wirtschaft ankurbeln. Denn üblicherweise bleibt den Inseln wenig Geld von den Touristen. Die meisten kommen – und bleiben – auf Schiffen und Yachten. Mit der Lodge sind rund 100 direkte Jobs, hauptsächlich für Einheimische, entstanden. Pikaia will aber auch ein „guter Nachbar“ für das nahe Dorf El Cascajo sein: Bauern aus der Umgebung liefern Kaffee, Gemüse und Früchte, Dorfbewohner führen Gäste durch Lavatunnel und Reservate, für die Schule wird ein Lehrer finanziert.
Pioniere der Nachhaltigkeit
Wenn Reisemagazine Urlaub in „nachhaltigen Hotels“ empfehlen, wird Pikaia jedenfalls gern genannt. Als erste Adresse für umweltbewusste Touristen gelten auch die drei Soneva Resorts auf den Malediven und in Thailand. Sie gehören dem Indobriten Sonu Shivdasani und seiner schwedischen Frau Eva, die seit der Eröffnung ihrer ersten Hotelinsel im Jahr 1995 den Begriff Nachhaltigkeit vielfältig mit Leben füllen:
Das Unternehmen führte eine CO2-Abgabe auf den Zimmerpreis ein, um die klimaschädlichen Flugreisen der Gäste durch Investitionen in Klimaschutzprojekte auszugleichen. Zur Eindämmung der Plastikflut lässt Soneva Trinkwasser in Mehrwegglasflaschen abfüllen, baut Obst, Gemüse und Kräuter in Resortgärten selbst an und setzt konsequent auf Recycling: Jedes Resort verfügt über eine Waste-to-Wealth-Anlage, in der 90 Prozent der Abfälle wiederverwertet werden.
Auch das Bucuti & Tara Beach Resort auf der Karibikinsel Aruba zählt zu den Sustainability Stars. Das 1987 vom Österreicher Ewald Biemans eröffnete Hotel ist eine zigfach zertifizierte und prämierte Vorzeigeunterkunft: Es ist das erste CO2-neutrale Resort der Karibik und verfügt über die größte Solaranlage im Privatbesitz auf Aruba. Das Hotel bündelt Bestellungen gemeinsam mit anderen lokalen Unternehmen, um die Anzahl von Importen auf die Insel zu reduzieren, recycelt Abwasser und reduziert so weit es geht Lebensmittelabfälle. Selbst der Strom, den sportliche Gäste am Ergometer erstrampeln, wird genutzt. „Wir sind nicht im Tourismusgeschäft, wir sind im Naturgeschäft“, sagt Biemans, der als Ökopionier schon vor Jahrzehnten Umweltschutz großgeschrieben hat. Im November darf er dafür bei der Klimakonferenz in Glasgow den prestigeträchtigen „Climate Action Award for Climate Neutral Now“ entgegennehmen – der damit zum ersten Mal an ein Hotel geht.
Weniger verschwenden
Viele Hotels fordern heute ihre Gäste freundlich dazu auf, Handtücher mehr als ein Mal zu verwenden – eine kleine Maßnahme, die beim Wasser- und Energiesparen hilft. Ein Hotel verbraucht immerhin bis zu 1.500 Liter Wasser pro Zimmer und Tag, wenn der Bedarf von Restaurants, Gärten, Pools oder Reinigung mitkalkuliert wird. In wasserarmen Gegenden übersteigt der Verbrauch von Hotelgästen oft den der Einheimischen um ein Vielfaches. Wie bedrohlich Knappheit sein kann, zeigte die große Wasserkrise von Kapstadt 2018 eindrucksvoll. Auch die Hotels waren damals gezwungen, ihren Verbrauch stark zu drosseln und in Entsalzungsanlagen zu investieren. Nachhaltig agierende Hotels schützen die Ressource Wasser proaktiv: Sie ermitteln ihren direkten und indirekten Verbrauch, investieren in Abwasseraufbereitung und -wiederverwendung – und binden ihre Gäste beim Wassersparen ein.
Nachhaltige Hotels: Mainstream oder Nische?
Ist Nachhaltigkeit also vor allem ein Thema von Luxusresorts im Eigentum motivierter Einzelpersonen? „Nein“, meint Wolfgang M. Neumann, „es gibt einen allgemein starken Trend“. Der Salzburger war jahrzehntelang in Toppositionen großer Hotelkonzerne tätig. Heute ist er Vorsitzender der neuen Sustainable Hospitality Alliance, die im Herbst 2020 aus der Vorgängerorganisation International Tourism Partnership hervorgegangen ist.
Interview mit Wolfgang M. Neumann, Sustainable Hospitality Alliance
Nachhaltigkeit in der Hotellerie: Lokale Wirkung, globale Kraft
„Unsere Mitglieder verfügen zusammen über mehr als 30.000 Häuser und 4,5 Millionen Zimmer“, so Neumann, „das entspricht 25 Prozent der globalen Hotelbranche“. Mit Marken wie Hilton, Marriott und Intercontinental sind namhafte Hotelketten vertreten. Neumann ist überzeugt, dass die Hotellerie die Ziele für nachhaltige Entwicklung global und lokal mitgestalten kann – und auch muss.
Denn die Reiseindustrie verursacht in vielerlei Hinsicht einen enormen Impact, auch wenn sie aufgrund der Pandemie eine – sicherlich temporäre – schwere Krise erlebt: Vor Corona trug der Reisesektor zehn Prozent zum globalen BIP bei. „Allein die Hotels generierten mehr als 550 Mrd. Dollar Wertschöpfung vor Ort“, sagt Neumann. Jeder zehnte Arbeitsplatz ließ sich 2019 dem Tourismus zurechnen, laut World Travel & Tourism Council waren das 330 Millionen Jobs. Auf Inseln wie Antigua oder Aruba sorgt der Fremdenverkehr für 80 bis 90 Prozent aller Arbeitsplätze, in Kambodscha oder auf den Philippinen für jeden vierten Job.
Zugleich ist die Reisebranche laut der NGO Sustainable Travel International auch für rund acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Die Hälfte der durch den Tourismus verursachten Emissionen entsteht durch den Flugverkehr, während den Unterkünften nur sechs Prozent zugerechnet werden. Würde man allerdings auch hotelrelevante Leistungen wie Speisen oder Bauarbeiten einkalkulieren, dann wäre der Beitrag wohl deutlich höher.
Besser bauen
Integrierte Sonnenkollektoren, ein flexibles Belüftungssystem, intelligente Beleuchtung: Es gibt viele Maßnahmen für einen energieeffiziente(re)n Betrieb eines Hotels. Am einfachsten und wohl auch am günstigsten ist es, Nachhaltigkeit schon in der Planungs- und Bauphase zu berücksichtigen. Laut der im März 2020 publizierten Studie „Business Case for Sustainable Hotels“ liegen die Kosten für einen nachhaltigen, zertifizierten Gebäudestandard bei den meisten neuen Hotels in Schwellenländern gerade einmal zwei Prozent über jenen eines konventionellen Hotels. Ein nachhaltiges Gebäude ist um mindestens 20 Prozent ressourceneffizienter und wird mit reduzierten Betriebskosten belohnt. Aber auch das nachträgliche Upgraden zahlt sich aus: Investitionen in sparsamere Heizung, Lüftung oder Beleuchtung haben üblicherweise Amortisationszeiten zwischen einem und zehn Jahren.
Und in puncto Wasserverbrauch sind Hotels oft noch sehr großzügig. „In manchen Destinationen verbraucht ein Gast bis zu acht Mal mehr Wasser als ein Einheimischer“, so Neumann. Analysen hätten zudem gezeigt, dass jene Länder, denen in den nächsten Jahren am ehesten Wasserknappheit droht, auch jene mit dem stärksten Tourismuswachstum sein werden – wie Indonesien, Indien, Thailand, China, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Philippinen.
Nachhaltige Hotels: In Summe bringt es viel
Die Sustainable Hospitality Alliance will durch Sensibilisierung, praxisnahe Trainings und Lösungen ihre Mitglieder zu Fortschritten in Bereichen wie Klimaschutz, Wasserverbrauch, Menschenrechte und Jobs für die Jugend anregen, aber auch andere inspirieren. So bietet sie ein frei zugängliches Tool, mit dem Hotelbetreiber ihren CO2-Fußabdruck berechnen und Einsparungsziele definieren können. Und mit der International Finance Cooperation wurde 2020 eine Studie publiziert, die aufzeigt, dass die Kosten für nachhaltige Maßnahmen durch Einsparungen beim Energieverbrauch rasch gedeckt werden können – in reichen wie in ärmeren Ländern.
Sogar kleine Änderungen in konventionellen Hotels bringen in der Summe viel, erklärt Madhu Rajesh, CEO der Sustainable Hospitality Alliance: „In einem 250-Zimmer-Hotel machen die jährlichen Kosten für Wasser und Energie bis zu 2.000 Dollar pro Zimmer aus. Maßnahmen wie rigoroses Licht abschalten, das Reparieren tropfender Wasserhähne oder der Betrieb von Waschmaschinen nur bei voller Ladung bedeuten Ersparnisse von 100.000 Dollar pro Jahr.“
Die Studie macht auch auf weitere Vorteile aufmerksam: Zum einen wollen Gäste immer öfter nachhaltigen Hotels den Vorzug geben, zum anderen fragen auch Investoren zunehmend nach einer glaubwürdigen Umwelt- und Klimaschutzstrategie. Und nicht zuletzt kündigen immer mehr Länder ambitionierte Klimaschutzziele an, womit bereits nachhaltig geführte Unternehmen gegen regulatorische Risiken vergleichsweise gut abgesichert sind.
Menschen achten
Die Hotelbranche ist an vielen Stellen gefordert, den Schutz von Menschenrechten sicherzustellen. Dies beginnt bereits beim Bau neuer Anlagen und der Frage, wie mit (Leih-)Arbeitskräften umgegangen wird. Auch die Auswirkung eines Standorts auf die Wasserverfügbarkeit für die lokale Bevölkerung sollte unbedingt geklärt werden. Im Betrieb stellen sich weitere Fragen: Werden die Mitarbeiter gut behandelt? Wie sehen die Beschäftigungspraktiken bei externen Dienstleistern aus? Sind zugekaufte Waren und Services womöglich durch Kinderarbeit entstanden? Findet in den Räumlichkeiten des Hotels sexueller Missbrauch statt? Auch bei angebotenen Ausflügen gilt es zu überlegen, ob etwa das Recht auf Schutz der Privatsphäre der Einheimischen gewahrt wird. Trainings und Zertifizierungen helfen Hotels und ihren Mitarbeitern, Risiken zu erkennen und Lösungen zu finden.
Mutiges Recruiting
Wie ein positiver Beitrag zu Nachhaltigkeit auch aussehen kann, zeigt die indische Lemon Tree Gruppe. Die Hotelkette führt 84 überwiegend Mittelklassehotels in 50 Destinationen. Im Jahr 2007 schlug CEO Patanjali Keswani vor, Menschen mit Behinderungen einzustellen. „Nicht jeder im Unternehmen war begeistert“, erinnert sich Vice President Aradhana Lal, „doch wir experimentierten und heuerten zwei gehörlose Kollegen an“.
Heute ist Inklusion fester Bestandteil bei Lemon Tree. In der Belegschaft sind Rollstuhlfahrer, Opfer von Säureattacken, Menschen mit Sehbehinderungen oder Down Syndrom genauso zu finden wie gesellschaftlich marginalisierte Witwen, Waisen und Mittellose. Sie werden als ODIs, als „Opportunity Deprived Indians“ bezeichnet, denn üblicherweise fällt es ihnen schwer, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Viele indische Familien betrachten Behinderungen als Bestrafung aus einem vorigen Leben. Ihre Kinder erhalten daher keine gute Ausbildung und in der Folge keinen Job“, erklärt Lal.
Nicht so bei Lemon Tree: Die Hotelkette investiert viel Zeit darin, Jobbarrieren abzubauen. So werden einzelne Tätigkeitsfelder genau analysiert und mit den Potenzialen der Mitarbeiter abgeglichen. Dann werden jene ODIs, die sich für ein Aufgabengebiet – von der Reinigung über die Rezeption bis zum Back-Office – am besten eignen, Schritt für Schritt ausgebildet. Die Bereitschaft, neue Lösungen zu finden sowie eine wertschätzende Firmenkultur, in der beispielsweise jeder Mitarbeiter, vom Tellerwäscher bis zum CEO, die indische Zeichensprache beherrschen muss, sind Prämissen für den Erfolg.
Keine Charity
Rund 20 Prozent der 8.000 Angestellten sind heute ODIs. „Für uns ist das keine Wohltätigkeit“, so Lal, „sondern ein Business Case.“ Sie erklärt: „Unsere ODIs sind hochmotiviert und loyal. Damit ersparen wir uns jede Menge Recruiting- und Ausbildungskosten. Auch profitieren wir davon, dass etwa unsere gehörlosen oder autistischen Kollegen überdurchschnittlich schnell und genau arbeiten.“ Die Gäste hätten auch kein Problem, im Gegenteil: „Wir haben viele Stammgäste und werden oft weiterempfohlen.“
Chancen geben
In Prä-Pandemiezeiten war der Tourismus ein wichtiger Jobmotor: Im Jahr 2019 entfielen laut World Travel and Tourism Council rund 330 Millionen Arbeitsplätze, also etwa einer von zehn Jobs weltweit, auf den Reisesektor. Gerade die Hotelbranche konnte – und könnte auch zukünftig – durch niedrige Eintrittshürden und vielfältige Karrieremöglichkeiten jungen Menschen berufliche Perspektiven bieten. Die Sustainable Hospitality Alliance appelliert an die Branche, insbesondere Jugendlichen aus armen Familien, Flüchtlingen, Menschen mit Behinderungen oder Opfern von Menschenhandel Chancen zu geben und sie in praxisnahen Trainings berufsfit zu machen. Verantwortungsvolle Hotels stärken zudem umliegende Communities, indem sie vor allem lokal ansässige Mitarbeiter und Zulieferer engagieren und Gästeaktivitäten anbieten, die von Einheimischen geleitet werden.
Lemon Trees Recrutingphilosophie stößt übrigens international auf Interesse: Lal berät Unternehmen und Behörden von Schottland bis Singapur zu den Erfolgsfaktoren einer inklusiven Personalstrategie. Die Kette selbst kann zwar krisenbedingt derzeit keine Mitarbeiter aufnehmen, will aber nach der Pandemie die ODI-Quote in der Belegschaft sogar auf 40 Prozent anheben. Bei Lemon Tree, aber auch bei anderen Hotels scheint eine Überzeugung zu wachsen: Wer heute als Gastgeber Verantwortung zeigt, der wird auch morgen Gäste begrüßen.