Kleidung soll Form und Farbe nicht verlieren, nicht verfilzen oder reißen und möglicherweise wasserdicht und schmutzabweisend sein. Beim heutigen Stand der Technik sind diese und viele andere Eigenschaften von Textilien meist eine Frage der Chemie, also des Einsatzes von Farb- sowie so genannten Hilfs- und Ausrüstungsmitteln bei der Herstellung, unabhängig davon, ob das Ausgangsmaterial Natur- oder Kunstfaser ist. Dazu möchte der Träger über seine Kleidung nicht mit gesundheitsschädlichen Substanzen in Berührung kommen.

Auf EU-Ebene wird dies durch REACH, die strikteste Chemikalienverordnung der Welt, gewährleistet. Erst im Oktober 2018 wurde das Regelwerk einmal mehr nachgeschärft: Für 33 Chemikalien wurden, sofern sie in Bekleidung, Schuhen und Textilwaren wie Bettzeug oder Windeln vorkommen, neue Grenzwerte festgelegt, die ab Ende 2020 gelten werden. 

Europa setzt Grenzen

Unter den neu regulierten Substanzen befinden sich Schwermetalle wie Cadmium, das in Farbstoffen steckt, Chrom, das auch zum Gerben von Leder verwendet wird, oder Blei, das in Reißverschlüssen vorkommt, dazu Formaldehyd, das Textilien knitterfrei macht, die weichmachenden Phthalate, das Lösungsmittel Dimethylacetamid und bestimmte Färbemittel. Die Substanzen gelten als krebserregend, erbgutverändernd und fortpflanzungsgefährdend. Sie können über Hautkontakt oder Einatmen abgeriebener Partikel in den Körper dringen. In die Kleidung gelangen sie als Verunreinigungen oder durch gezielten Einsatz, um den Erzeugnissen bestimmte Eigenschaften zu verleihen.

Aus Sicht europäischer Verbraucherverbände greift die neue Verordnung jedoch zu kurz, weil die Schwellenwerte teilweise immer noch zu hoch seien und die Liste deutlich mehr Substanzen reglementieren sollte. Für die europäische Textilindustrie stellt REACH eine Triebfeder dar, wie Roland Comploj, Vorstandsvorsitzender der Getzner Textil AG, erklärt: „Die immer strenger werdenden Richtlinien sowie Änderungen bei der Bewertung von Arbeitsstoffen durch die Europäische Chemikalienagentur sind eine Herausforderung für die Industrie. Zusammen mit Hilfsmittelherstellern arbeiten wir hier stetig an neuen Lösungen.“ Getzner produziert in Bludenz Stoffe für technische Anwendungen, Hemden und Arbeitsbekleidung sowie Damaste für Afrika.

Im grünen Bereich

High-Tech: Die Ansprüche an Textilien steigen, Chemie macht es möglich – wie bei Sportmode von Löffler …

REACH bringt europäische Hersteller – auch hochwertiger Textilien – jedoch nicht leicht in Bedrängnis, da sie sich selbst meist noch strengere Maßstäbe auferlegen. Der verbreitetste Standard für schadstoffgeprüfte Textilien ist dabei der Oeko-Tex Standard 100. „Dieser geht“, wie Otto Leodolter, Geschäftsführer von Löffler Sportbekleidung in Ried im Innkreis, erklärt, „vielfach deutlich über nationale und international geltende Vorgaben hinaus und bedeutet, dass unsere Produkte ausschließlich gesundheitlich einwandfreie Materialien enthalten.“ Eine Herausforderung bleiben laut Leodolter die schwer abbaubaren poly- und perfluorierten Chemikalien (PFC), die Outdoor-Kleidung wasserabweisend machen: „Hier sind wir auf unsere Partner, beispielsweise Gore, angewiesen, möglichst schnell taugliche Alternativen anzubieten.“ Dass Weltmarktführer Gore 2017 ankündigte, umweltfreundlichere Verfahren zu entwickeln und bis 2023 schrittweise auf PFC zu verzichten, ist für Löffler wichtig. Umweltorganisationen feierten die Zusage als Erfolg ihrer Bemühungen. Der Sportartikelhersteller ist dabei auch noch Oeko-Tex Step-zertifiziert, was dem Unternehmen zusätzlich ein verantwortliches Chemikalien- und Umweltmanagement bescheinigt.

… oder bei Modestoffen von Getzner.

Getzner führt die beiden Oeko-Tex-Labels ebenfalls und vor allem deshalb, wie Vorstand Comploj sagt, „um das eigene Engagement auch bei Kunden und Endkonsumenten sichtbar zu machen“. Darüber hinaus können Modestoffe von Getzner mit dem Oeko-Tex-Label „Made in Green“ ausgezeichnet werden, das es dem Käufer via ID oder QR-Code erlaubt, die gesamte Produktionskette zu überblicken. Comploj lässt seine Produkte „wegen des ganzheitlichen Ansatzes, der gut zur Umweltpolitik des Unternehmens passt“, bereits seit 2005 aber auch noch von Bluesign zertifizieren, dem Rolls Royce unter den Produktzertifizierungen. Das Bluesign-System gilt als weltweit strengster Textil-Standard. Denn statt nur das Endprodukt zu untersuchen, schreibt Bluesign vor, eingesetzte Komponenten und Verfahren bereits im Vorfeld zu prüfen. Dadurch wird der Einsatz problematischer Stoffe von vornherein ausgeschlossen.

Sattes Orange: Produktkontrolle in einem Zulieferbetrieb von Engelbert Strauss.
Sattes Orange: Produktkontrolle in einem Zulieferbetrieb von Engelbert Strauss.

Von international aufgestellten Systempartnern verlangt Bluesign die Einhaltung seiner Kriterien sowie kontinuierliche Verbesserungen in der Lieferkette. Der Berufskleidungshändler Engelbert Strauss mit Österreich-Sitz in Linz und Europazentrale in Biebergemünd, Deutschland, trat 2013 dem Bluesign-System bei. Das Unternehmen lässt bei Produktionspartnern in mehr als 30 Ländern fertigen, den Großteil in Bangladesch, China, Vietnam und Laos. Mehrere Lieferanten sind ebenfalls bereits Bluesign-Systempartner, andere auf dem Weg dahin. Das Bluesign-Label tragen die Engelbert-Strauss-Erzeugnisse dennoch nicht. Dazu müsste der Anteil der zertifizierten Materialien bei mindestens 90 Prozent liegen, das Unternehmen konzentriert sich bis auf weiteres auf die Hauptstoffe. Das Engagement des Familienunternehmens gilt dennoch als wegweisend, weil es Hersteller in Schwellen- und Entwicklungsländern dabei unterstützt, State-of-the-art gemäß – das heißt ohne unnötigen Einsatz gefährlicher Stoffe – produzieren zu können.

Weckruf

Sujet aus der Detox-My-Fashion-Kampagne von Greenpeace: Flüsse stellen für Färbereien die Entsorgungsstätte ihrer Abwässer dar
Sujet aus der Detox-My-Fashion-Kampagne von Greenpeace: Flüsse stellen für Färbereien die Entsorgungsstätte ihrer Abwässer dar

Die steigenden Anforderungen von REACH sind in erster Linie eine Erschwernis für jene außereuropäischen Betriebe, die mangels staatlicher Kontrolle und Supply-Chain-Verantwortung der Auftraggeber weiterhin waghalsig mit Chemikalien hantieren. Einmal fertig, werden die Produkte so lange gewaschen, bis sie die Kontrollen der geschützten Märkte passieren, die Chemikalien bleiben aber in den Abwässern, im Grundwasser und in der Luft zurück. Auf die Missstände und die damit verbundenen Schäden für Umwelt und Arbeitskräfte machte Greenpeace 2011 mit seiner fulminanten Detox-My-Fashion-Kampagne aufmerksam, mit großem Erfolg: 80 Hersteller von Rang und Namen – die laut Greenpeace 15 Prozent des gesamten Bekleidungssektors ausmachen – verpflichteten sich, die in der Fertigung verwendeten Problemstoffe aufzulisten und ihren Einsatz bis 2020 auf Null zu senken.

Die hohen Anforderungen bewogen sechs große Modelabels noch im Jahr 2011, ZDHC ins Leben zu rufen. Der Name steht dabei für Zero Discharge of Hazardous Chemicals – kein Ausstoß von gefährlichen Chemikalien. Die Plattform soll, so die Ambition, eine Wende in der gesamten Textil- und Lederindustrie herbeiführen. Der Industriesektor zählt zu den größten überhaupt. Er setzt jährlich 1.300 Mrd. US-Dollar um, beschäftigt mehr als 300 Millionen Menschen und bringt dutzende Millionen Tonnen Chemikalien jährlich in Einsatz. Die zentralen Schauplätze sind Asien und Lateinamerika.

Initiative mit System

„Unser Ziel ist“, sagt Frank Michel, CEO von ZDHC, „den chemischen Fußabdruck in der Textil- und Lederindustrie zu reduzieren und durch innovativere, grünere Chemie zu ersetzen.“ ZDHC hat dazu in Kooperation mit seinen Stakeholdern – den Markenartiklern, Händlern und Chemikalienherstellern – ein ausgeklügeltes System entwickelt. Das zentrale Instrument ist eine Liste bei der Herstellung eingeschränkt nutzbarer Substanzen (MRSL). Diese soll der einzige Standard für die Textilindustrie werden und das Vielerlei an eigenen Listen nach und nach ersetzen. „In dem Maß, wie sich unsere Liste als Referenzliste etabliert, ist ein Wandel möglich“, ist Michel überzeugt.

Daneben hat die Plattform in Kooperation mit Zertifizierungsanbietern weltweit, insbesondere Bluesign, mit dem ZDHC Gateway auch bereits eine positive Liste aufgelegt. Diese enthält alternative Stoffe in drei Sicherheitsstufen. Die Liste wird als Suchmaschine präsentiert. Sie hält für Hersteller bereits mehr als 24.000 bewährte Produkte bereit und soll – wiederum in Kooperation mit Chemikalienherstellern – laufend erweitert werden. Substanzen, für die aktuell keine sicherere Alternative bekannt ist, gelangen auf eine Forschungsliste, die über Kooperationen mit Forschungsinstituten abgearbeitet werden soll. Daneben hat ZDHC Richtlinien für Herstellungsprozesse bestimmter Produkte und den Umgang mit Abwasser erstellt. Eine Guideline für Abluft wird auch noch erscheinen.

Interview mit Frank Michel, Zero Discharged Hazardous Chemical

Frank Michel, ZDHC

Kraft einer einzigen Liste

Frank Michel, Leiter der Zero Discharged Hazardous Chemical ZDHC Initiative, arbeitet daran, die Textil- und Lederindustrie auf einen innovativen und grünen Pfad zu führen.
Meilenstein 2017 eröffnete ZDHC den Implementation Hub in Amsterdam, der das ZDHC System in die Welt hinaus trägt
Meilenstein: 2017 eröffnete ZDHC den Implementation Hub in Amsterdam, der das ZDHC System in die Welt hinaus trägt

Die entscheidende Frage ist aber, wie es Betrieben gelingen kann, ausgehend von der ZDHC-Liste die entsprechenden Managementsysteme für Chemikalien, Ressourcen, Sicherheit und Umwelt zu implementieren. Hier ist Unterstützung nötig, weshalb die Plattform in den Boomzentren der Textilindustrie Beratungszentren eingerichtet hat. Etwa in Mumbai und Shanghai, von wo aus sie Betriebe in Süd- und Südostasien betreut, oder in Portland, Oregon, das Hersteller in den USA berät. Das Büro in Mailand adressiert gezielt die Luxusindustrie und deckt Südeuropa ab. Die Expansion wird vom ZDHC Implementation Hub vorangetrieben, der 2017 in Amsterdam eröffnete. Als nächste Destination steht Südamerika am Programm, wo sich eine sehr dynamische Mode- und Sportindustrie entwickelt, wie Michel sagt.

Selbstläufer

Insgesamt will ZDHC seine Struktur so einfach und günstig wie möglich halten. Chemikalienhersteller können sich im Chem Check Report als ZDHC-konform listen lassen. Michel: „Unsere Intention ist eigentlich, die Hersteller selbst in die Verantwortung zu nehmen, sodass sie die Programme eigenständig umsetzen und nicht immer von ihren Kunden angestoßen werden müssen.“

Ein zeitliches Ziel gibt es nicht, sagt der ZDHC-Chef, denn sobald die verbreitetsten Chemikalien kontrolliert seien, gehe es im Detail weiter. „Die Modebranche dreht sich sehr schnell und ist immer auf der Suche nach neuen Effekten und Herstellungstechnologien. Da gibt es dann immer die Versuchung, mit Chemikalien zu experimentieren, um vorne mit dabei zu sein. Insofern sehe ich kein Ende.“

Erster Österreicher

Engagement Mit Lenzing trat ein erstes österreichisches Unternehmen der globalen ZDHC-Initiative bei.
Engagement: Mit Lenzing trat ein erstes österreichisches Unternehmen der globalen ZDHC-Initiative bei.

Mit dem Faserhersteller Lenzing hat sich bereits ein erstes österreichisches Unternehmen der globalen Initiative angeschlossen. Lenzings Beitritt zu ZDHC im Jahr 2017 erwuchs aus dem Bestreben, in der eigenen Branche Standards zu schaffen. Der Leiter des Nachhaltigkeitsteams, Peter Bartsch, begründet die Kooperation mit dem Wunsch, „bestehende Probleme auf Branchenebene anzugehen und kontinuierliche Verbesserungen zu erreichen.“ Das Unternehmen, das neben seinem Hauptsitz in Oberösterreich an mehreren Standorten weltweit produziert, gilt als Vorreiter bei der nachhaltigen Textilfaserherstellung aus Cellulosefasern. Für ZDHC-Chef Frank Michel ist Lenzing daher auch ein strategischer Partner, mit dem gemeinsam ein globaler Standard für die Holzfaserindustrie erarbeitet werden soll.

Lenzing ist eines von 77 Industrieunternehmen, die ZDHC mitentwickeln wollen, zusätzlich haben sich 27 Markenhersteller und 18 Verbände aus der Textil- und Lederindustrie der Plattform angeschlossen. Frank Michel hält die schiere Mitgliederzahl dabei für überschaubar wichtig. Für ihn ist entscheidend, dass die ZDHC-Standards genützt werden.


REACH

REACH (Registrierung, Evaluierung und Authorisierung von Chemikalien) ist die seit 2007 geltende Chemikalienverordnung der EU, die von der Europäischen Chemikalienagentur in Helsinki umgesetzt wird. REACH soll den Einsatz schädlicher Chemikalien beschränken. Produkte, die Grenzwerte überschreiten, dürfen unabhängig vom Ursprung nicht in Verkehr gebracht werden.

ZDHC

Zero Discharge of Hazardous Chemicals wurde 2011 in Amsterdam gegründet und ist heute mit seinem Roadmap to Zero Programme ein globales Kompetenzzentrum zur Eliminierung gefährlicher Substanzen aus der Textil- und Lederherstellung. ZDHC führt eine Art Blacklist (MRSL) sowie eine Greenlist (Gateway) für Herstellersubstanzen und setzt Standards für Abwasser und Abluft.

Bluesign

Logo von bluesign
Logo von bluesign

Bluesign Technologies, 2000 in St. Gallen, Schweiz, gegründet, setzt auf ganzheitlichen Wandel, indem es Unternehmen als System-Partner gewinnt. Bluesign verlangt, dass sämtliche bei der Fertigung eingesetzte Substanzen und Rohwaren strengste Kriterien erfüllen.

 

Oeko-Tex

Die 1992 in Zürich, Schweiz, gegründete Oeko-Tex führt mehrere Standards. Der Standard 100 garantiert die Unbedenklichkeit eines Produkts, Made in Green seine umweltfreundliche Herstellung, mit SteP und Detox to Zero wird der Hersteller bewertet.

GOTS

Logo von GOTS​Der 2008 von vier Labels gelaunchte Global Organic Textile Standard GOTS garantiert, dass ein Produkt aus mindestens 70 Prozent Naturfasern kontrolliert biologischen Ursprungs besteht und in der Herstellung etwa auf Grenzwerte für Zusatzstoffe und Abwasserklärung geachtet wurde.

Fotos: ZDHC, Marcel Hagen–Studio 22, Löffler Lance Lee_Greenpeace, Engelbert Strauss, Lenzing A