Hitze in Indien
Individueller Schutz gegen die Hitze im indischen Kalkutta

Das Netflixdrama Narcos rund um den Drogenbaron Pablo Escobar hat es aller Welt vor Augen geführt: In den 1980er Jahren tobte ein blutiger Drogenkrieg mitten in Medellín. Noch Anfang der 1990er Jahre galt die zweitgrößte Stadt Kolumbiens als gefährlichste Metropole der Welt. Dann folgten jedoch Jahre rasanter Entwicklung und Medellín erlangte ein neues Image. Vom Wall Street Journal wurde die Stadt vor einigen Jahren nicht zuletzt aufgrund großer Bemühungen im Bereich der Nachhaltigkeit als „innovativste Stadt der Welt“ bezeichnet.

Wegen des milden Klimas nennen Einheimische Medellín „die Stadt des ewigen Frühlings“. Doch wie in vielen Großstädten droht auch aus dem ewigen Frühling zunehmend ein hundstägiger Sommer zu werden. Zum Phänomen tragen neben dem Klimawandel mehrere spezifisch urbane Faktoren bei: Die relativ dunklen Baumaterialien Asphalt, Eternit und Beton speichern die Sonnenenergie und geben sie nachts wieder ab, mangels Vegetation fehlt es an Verdunstungskühlung, wegen der dichten Bebauung an Durchlüftungsmöglichkeiten. Für zusätzliche Hitze sorgt die Abwärme von Haushalten, Betrieben und dem Verkehr, dazu pusten Klimaanlagen warme Luft nach draußen. Heute ist es im Zentrum Medellíns sechs Grad wärmer als im Umland – im Fachjargon spricht man von einem städtischen Hitzeinseleffekt.

Hitzeinseln weltweit

Nicht allein Medellín sieht sich von unerwünschten Temperatursteigerungen bedroht. So belegt eine im vergangenen Jahr in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlichte Studie, dass sich die Hitzebelastung in mehr als 13.000 Städten zwischen 1983 und 2016 fast verdreifacht hat. Illustrieren lässt sich die Feststellung mit einem Beispiel aus nächster Nähe. So waren es in Wien zwischen 1960 und 1979 durchschnittlich neun Tage pro Jahr, an denen das Thermometer die 30-Grad-Marke überstieg, zwischen 2000 und 2016 waren es bereits 21 Tage, im Hitzesommer 2018 sogar 42. Dass es sich dabei um ein spezifisch städtisches Problem handelt, zeigt in unseren Breitengraden vor allem der Winter: Zu dieser Jahreszeit kann der Unterschied zwischen Stadt und Land bei Nacht zehn Grad ausmachen.

Hitze Stadt Land
In diesen Städten verdeutlicht sich das Phänomen der urbanen Hitzeinseln – abzulesen an den durchschnittlichen Oberflächen-Höchsttemperaturen.

Aktuelle Daten des Umweltprogramms der Vereinten Nationen bestätigen das Stadt-Land-Gefälle: Demnach werden sich Städte bis zum Ende des Jahrhunderts um durchschnittlich 4,4 Grad und damit etwa doppelt so stark wie der globale Durchschnitt aufheizen. Damit ist auch der Hitzetod vor allem ein städtisches Phänomen: Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass bei einer ungebremsten Fortsetzung des Klimawandels im Jahr 2050 rund zehn Mal mehr ältere Menschen hitzebedingt versterben werden als im Jahr 1990.

Kampf gegen urbane Hitze: Vorreiter in Kolumbien

Im Jahr 2015 nahm Medellín den Kampf gegen die städtische Hitze auf. Mit dem Projekt Corredores Verdes, grüne Korridore, erregte die Stadt weltweit Aufsehen und heimste mehrere Best-Practice-Preise wie den Ashden Award 2019 ein.

Grüne Korridore
Grüne Korridore: Im Schatten fährt’s sich besser.

Die 36 grünen Korridore, die zwischen 2016 und 2019 geschaffen wurden, bilden ein 20 Kilometer langes, zusammenhängendes Netz aus Gehwegen, Flussufern und auch stark befahrenen Straßen. Sie wurden allesamt mithilfe von zehntausenden Bäumen und kleineren Pflanzen sowie weiteren naturnahen Lösungen beschattet und mit frischer Luft versorgt. In den neugestalteten Bereichen führten die Maßnahmen bereits zu Temperatursenkungen von durchschnittlich zwei bis drei Grad. Und mit dem zunehmenden Wachstum der neu gepflanzten Bäume wird der Unterschied in den nächsten Jahren noch größer werden. 

Konzipiert und geleitet wurde das Projekt unter anderem von der Landschaftsarchitektin Marcela Norena Restrepo im Auftrag des Umweltsekretariats der Stadt. „Es ging uns nicht nur darum, Bäume zu pflanzen, wir wollten auch Orte erschaffen, an denen die Bevölkerung den Wandel hin zu einer grünen Infrastruktur spürt, etwa indem ehemals verschmutzte Flussufer gesäubert und dort gemeinschaftlich verwaltete Gärten angelegt wurden“, sagt Restrepo. 

grüne Korridore in Medellín
Die grünen Korridore in Medellín laden zum Spaziergehen ein.
Medellin Wärmebild
Wärmebilder zeigen, wie effektiv Bäume für Abkühlung sorgen.

Diverse Strategien gegen urbane Hitze

Ändern sich die klimatischen Bedingungen in einer Stadt, muss auch mit einer veränderten städtischen Infrastruktur reagiert werden. Wer in Wien lebt, kann bezeugen, wie auch hier bereits an allen Ecken und Enden gegen die Hitze vorgegangen wird. Die meisten Maßnahmen sind nicht allzu schwierig umzusetzen: unterschiedliche Formen der Begrünung – auch Fassadenbegrünungen, Dachgärten oder Rasengleise werden empfohlen –, die Schaffung von Frischluftschneisen, Beschattung, Kühlung mit Wasser oder die Verwendung alternativer Baumaterialien sowie hellerer Farben für Oberflächen (siehe auch corporAID Artikel zu „Ein paar Grad kühler“).

Dass es dabei aber keine Patentlösungen gibt, zeigte ein internationales Forscherteam der ETH Zürich, der Princeton und der Duke University 2019 in einer Studie. Die Forscher simulierten die Hitzeentwicklung in 520 Städten weltweit und kamen unter anderem zu dem Ergebnis, dass sich Städte der nördlichen Hemisphäre klimatisch im Durchschnitt bis zum Jahr 2050 etwa tausend Kilometer in den wärmeren Süden verlagern werden, Städte in den Tropen werden hingegen in erster Linie immer trockener. 

Hitze Stadt
Hitzepunkte: Je röter, desto heißer sind diese Städte im Vergleich zu ihrem Umland. (Quelle: Manoli et al. 2019)

Damit sind unterschiedliche Zugänge nötig. Studienautor und Umweltforscher Gabriele Manoli illustriert dies an zwei Extrembeispielen: So können im US-amerikanischen Phoenix, einer von Wüste umgebenen Millionenstadt, in der im Sommer regelmäßig mehr als 40 Grad herrschen, durch gezielte Begrünungsmaßnahmen relativ einfach deutlich kühlere Temperaturen erreicht werden. Denn Bäume wirken quasi wie natürliche Klimaanlagen: An ihren Blättern verdunstet das Wasser, das sie sich tief unter der Erde holen. Hunderte Liter Wasser kann ein Baum pro Tag verdunsten – und somit eine Kühlleistung von zwei durchschnittlichen Haushaltsklimaanlagen erbringen. In den Millionenstädten Südostasiens bringen zusätzliche Grünflächen aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit hingegen kaum die erwünschte Wirkung. Es sollte hier eher auf Windzirkulation, mehr Schatten und neue hitzeabweisende Materialien gesetzt werden. Gerade an heißen, feuchten Orten braucht es laut Manoli „ein Bündel von Strategien“.

Interview mit Elie Bou-Zeid, Princeton University

Elie Bou-Zeid

Bessere Städte bauen

Elie Bou-Zeid, Princeton-Professor und Experte für nachhaltige Infrastrukturen, empfiehlt differenzierte Maßnahmen.

Hitzebekämpfung: Impulse aus Indien

Mit ihren Bemühungen, im Kampf gegen die Hitze nicht nur Einzelmaßnahmen zu setzen, sondern die gesamte Bevölkerung einzubinden, leistete die Acht-Millionen-Einwohner-Metropole Ahmedabad im besonders hitzegeplagten Indien Pionierarbeit. Den Anstoß dazu gab eine Hitzewelle im Jahr 2010 mit Spitzentemperaturen von knapp 50 Grad, die fast 4.500 Tote forderte. Daraufhin erstellte die Stadtverwaltung einen Hitzeaktionsplan, der drei Zielrichtungen enthält: die Bevölkerung sensibilisieren, die Behörden koordinieren und die Ausbildung im Gesundheitssektor verbessern. Darüber hinaus wurde ein Frühwarnsystem vor extrem heißen und damit gefährlichen Tagen installiert. Auch wurden Maßnahmen getroffen, um gerade den Bewohnern in den Armenvierteln, die der Hitze besonders ausgesetzt sind, schnell mit zusätzlichem Wasser und weiteren Kühlmöglichkeiten Erleichterung zu verschaffen. Daneben ist die Stadtverwaltung von Ahmedabad dabei, in großem Maßstab Technologien für kühle Dächer einzuführen. Die Pflanzung von 500.000 Bäumen jährlich soll ebenfalls dazu beitragen, den Hitzeinsel-Effekt zu verringern. 

Hitze Bangladesch
Aufklärung über die Gefahren der Hitze leistet in Bangladesch das Rote Kreuz via Megafon.

Eine Studie bestätigt, dass Ahmedabad dank seines weitreichenden Hitzeplans jährlich rund tausend hitzebedingte Todesfälle weniger zu verzeichnen hat. Und so wurde die Stadt im westindischen Bundesstaat Gujarat zu einem Vorbild für das ganze Land. Mittlerweile haben mehr als hundert indische Städte ähnliche Strategien entwickelt. 

Unterstützung kommt auch aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit: So setzt die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ in den drei indischen Städten Kochi, Coimbatore und Bhubaneshwar ein Climate Smart Cities-Projekt um. In Zusammenarbeit mit der TU Berlin werden dabei durch städtebauliches Design Thinking vor allem Projekte in den Bereichen ökologische Gebäude, städtische Grünflächen und Regenwasserabführung angestoßen. Zugleich wurde ein Rahmenwerk für die Klimaanpassung und Klimafolgenminderung in Städten entwickelt, das etwa Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs oder der Straßenbeleuchtung umfasst. 126 indische Städte prüfen mit dieser Richtlinie ihre Fortschritte und stellen fest, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. 

Initiative gegen Hitze in Afrika

Im Westen Afrikas stemmt sich Sierra Leones Hauptstadt Freetown demonstrativ gegen die tödliche Hitze. Der Ausdruck tropische Nächte, wie er hierzulande für Nächte verwendet wird, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt, ist in den Tropen selbst nicht gebräuchlich. Wohl auch weil jede Nacht eine tropische Nacht ist – in Freetown sinken die Temperaturen nie unter 20 Grad. Zudem ist es bei einer Luftfeuchtigkeit von bis zu 90 Prozent sehr schwül. Das heißt: Die feuchte Luft verhindert, dass Schweiß verdunstet und den Körper kühlt – und fühlt sich noch heißer an, als sie es ohnehin ist. Und wie in Indien spüren auch in Westafrika vor allem die Menschen in den Slums die Hitze am stärksten. Hütten mit Wellblechdächern und Wänden aus Plastikplanen wirken wie Gewächshäuser und speichern die Hitze in der prallen Sonne. Zudem lässt die Enge kaum Raum für Windbewegungen. Mehr als die Hälfte der rund eine Million Einwohner Freetowns lebt in einem der dutzenden Slums.

Im Oktober 2021 setzte die Stadt eine hauptamtliche Hitzebeauftragte (Chief Heat Officer) ein, die erste in Afrika. Bereits in Athen und in Miami war dieser Posten mit Unterstützung der US-amerikanischen Rockefeller Foundation geschaffen worden. Viele weitere Städte weltweit sollen folgen.

Hitze Freetown
Im „Dampfkochtopf“: In Magazine Wharf – einem der größten Slums in
Sierra Leones Hauptstadt Freetown – gibt es für die Hitze kein Entrinnen.

In Freetown erwartet die neu bestellte Hitzebeauftragte Eugenia Kargbo dabei eine doppelte Herausforderung: in der Trockenzeit sind es Wasserknappheit und Waldbrände, in der Regenzeit drohen Erdrutsche und Überschwemmungen. Laut Bürgermeisterin Yvonne Aki-Sawyerr führt die explosionsartige Zunahme der Stadtbevölkerung dazu, dass es sich anfühle, „als würde man in einem Dampfkochtopf leben“. 

Kargbo will den steigenden Temperaturen mit einem Mix aus infrastrukturellen und politischen Veränderungen begegnen. So will sie eine Hitzewellen-Datenbank anlegen, das Recycling und die Abwasserentsorgung fördern sowie das ambitionierte Baumpflanzungsprogramm der Stadt vorantreiben – unter dem Titel #FreetownTheTreetown sollen in den nächsten Jahren eine Million Bäume gepflanzt werden, vor allem auch zur Verhinderung von Erdrutschen. Zudem arbeitet sie mit Telekommunikations-unternehmen zusammen, um Wetterwarnungen zu verschicken, baut in Slums Kühlzentren mit Schatten und Wasser und prüft zurzeit, wie eine Katastrophenversicherung für Slumbewohner aufgesetzt werden könnte. 

Kargbo ist sich über ihre Rolle im Klaren: „Der Klimawandel ist schon da. Die Hitze ist schon da, und sie ist unerträglich. Was wir jetzt in Freetown erleben, ist beispiellos. Wir müssen uns anpassen, nicht nur abmildern. Ich muss meine Stadt zu einem sichereren, kühleren Ort machen“, sagte sie gegenüber „Bloomberg CityLab“.

Mehr Natur für weniger Hitze

Die Situation im kolumbianischen Medellín lässt sich damit kaum vergleichen. Schließlich genießt die Stadt aufgrund ihrer Lage auf knapp 1.500 Metern Seehöhe und der großen Anzahl an Bächen, die sie durchziehen, eine deutlich komfortablere Ausgangsposition. Vergleichbar ist jedoch die Vehemenz der Bemühungen beider Städte, dem Aufheizen ihres Lebensraums entgegenzutreten. Aktuell ist Medellín die einzige lateinamerikanische Stadt, die am von der Europäischen Union finanzierten Projekt URBAN GreenUP teilnimmt. Dieses zielt darauf ab, die Nachhaltigkeit in Städten durch eine Vielzahl an innovativen naturbasierten Lösungen zu erhöhen. 

Betonpfeiler
Wenn man die Natur lässt, dann will sie hoch hinaus. Im Bild: Medellín

„Wir sind ein lebendiges und kreatives Erfahrungslabor, da hier bereits viel Hintergrundarbeit geleistet wurde und sich dank der weltweit positiven Resonanz aktuell diverse Projekte in der Umsetzung befinden“, sagt Marcela Norena Restrepo. Die quirlige Landschaftsplanerin lädt Städteplaner und Interessierte aus aller Welt ein, sich Medellín in dieser Hinsicht einmal genauer anzuschauen. Ihr nächstes Projekt soll zugleich das größte werden: Sie arbeitet zurzeit an einem umfassenden Renaturierungsplan für Medellín, der sich besonders günstig auf das städtische Klima auswirken soll.

Bilder: Ashden, Secretaria de Medio Ambiente Medellin, Suprabhat, Princeton University, Manoli/Trinidad, Simon Davis/DFID, BDRCS