Marie und Edwin Kleiber blicken auf der Terrasse eines Cafés in Nairobi ins Tablet, das Blau des Himmels ist deutlich stabiler als die dortige Internetverbindung und vorhersagbarer als ihre aktuellen Terminkalender. Denn die Kleibers, die gemeinsam das Unternehmen Amex Healthcare führen, sind mit ihren beiden kleinen Kindern kürzlich für einige Monate von Wien nach Kenia übersiedelt, um dort eine lokale Präsenz aufzubauen – das vierte Standbein neben der Zentrale im 19. Wiener Gemeindebezirk und weiteren Niederlassungen in Mexiko und Pakistan. Das heißt: Ein Meeting jagt das nächste, lokale Partner und jene, die es werden könnten, stellen sich vor, und dazu muss noch ein Team vor Ort aufgebaut und in die Amex-Unternehmenskultur eingeführt werden. Schließlich soll von Nairobi aus künftig ganz Ostafrika mit medizinischen, labortechnischen und pharmazeutischen Produkten beliefert werden.

Dies tut Amex Healthcare bereits heute in rund 150 Ländern weltweit, mit mehr als 1.000 Projekten pro Jahr deckt das Unternehmen ein breites Spektrum an Leistungen im Gesundheitssektor ab: von der Ausstattung kompletter Krankenhäuser im Irak über die Einrichtung von Geburtskliniken in Togo bis hin zur Erdbebenhilfe in Syrien und der Lieferung von Medikamenten in die entlegensten Winkel Malis. Die Kunden von Amex sind NGOs aus dem Bereich Humanitäre Hilfe sowie internationale Organisationen aus der Vereinten Nationen-Familie, von der Weltgesundheitsorganisation WHO über das Flüchtlingskommissariat UNHCR bis zum Kinderhilfswerk UNICEF.

„Wir sind kein klassisches Handelsunternehmen. Vielmehr generieren wir projektspezifische Lösungen in sehr herausfordernden Umfeldern, wo es keine Routine gibt. Da stellen sich dann Fragen wie: Wie kann ich unter den aktuellen Bedingungen in Pakistan, wo iranische Raketen einschlagen und das Land am Rande eines Bürgerkriegs steht, schnell und effektiv 36 Sauerstoffproduktionsanlagen errichten?“, gibt Edwin Kleiber Einblick in seinen Berufsalltag. Oder vor ein paar Jahren: Wie können inmitten einer Pandemie, in der der weltweite Warenverkehr wochenlang fast stillsteht, Medikamente in abgelegene Dörfer Ostafrikas gebracht werden?

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Doppelspitze: Edwin und Marie Kleiber

Nairobis Spirit

Es waren gerade die Pandemieerfahrungen, die die Kleibers dazu veranlassten, in Nairobi eine Niederlassung zu gründen. „Der klassische Ansatz, nämlich Verwalten im Norden und Versenden der Waren in den Süden, ist veraltet. Daher setzen wir auf den Aufbau einer durchgängigen Lieferkette vor Ort. Das schafft ökonomische Aktivität, wo sie dringend gebraucht wird, macht uns weniger anfällig für globale Lieferkettenprobleme und verringert letztlich auch den CO2-Ausstoß“, sagt Edwin Kleiber. Dabei ist die Lagerung von Medikamenten in Kenia relativ teuer, rein betriebswirtschaftlich würde es nach wie vor mehr Sinn ergeben, Arzneimittel in China zu produzieren, in Dubai zu lagern und dann im Bedarfsfall nach Afrika zu fliegen, aber, so Kleiber, „uns geht es auch um Aspekte wie lokales Capacity Building und die Unabhängigkeit von exogenen Faktoren.“

Kenia ist laut Marie Kleiber wegen der verhältnismäßig intakten Infrastruktur und vor allem wegen der vielen gut ausgebildeten jungen Menschen mit einer hohen Technologieaffinität dazu prädestiniert, die erste Amex-Zweigstelle in Afrika zu werden. Sie verspürt einen besonderen Unternehmergeist, um sich herum und in sich selbst: „In Österreich und inzwischen auch in Mexiko läuft unsere Maschine, die Prozesse sind etabliert. In Kenia stehen wir jetzt nochmals ganz am Anfang, also: mit unzähligen Menschen reden, Kontakte knüpfen, Aufbauarbeit leisten.“

Safety First: Amex verschifft Hilfsgüter in alle Welt. Hier: in Algerien eingelangtes Sicherheitsequipment.

Auf Wachstumskurs

Hilfreich beim Start in Ostafrika ist sicherlich das Prädikat „größter Healthcare-Lieferant der Vereinten Nationen“. Immerhin sind Umsatz und Mitarbeiteranzahl von Amex Healthcare in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen, das Unternehmen erwirtschaftete im Vorjahr mit 100 Angestellten rund 150 Mio. Euro. Der Antrieb für Einsatz und Risiko liegt für die Kleibers aber woanders: „Finanzielle Ergebnisse sind wie Sauerstoff für den Körper. Doch wenn du denkst, im Leben geht es nur ums Atmen, verpasst du viel. Und ja: Wir sind ein Unternehmen und müssen profitabel sein. Unsere Raison d‘être ist jedoch unser sozialer Impact“, sagt Edwin Kleiber. Nicht zuletzt sieht sich das Ehepaar Kleiber neuerdings auch als Impact Investor: „Einen Teil der Gewinne von Amex Healthcare investieren wir in impactorientierte Start-ups, vor allem im afrikanischen Gesundheitssektor, wo wir als strategischer Investor nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern auch Know-how und unser Netzwerk einbringen können“, sagt Edwin Kleiber.

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Großprojekt: Amex-CEO Edwin Kleiber präsentiert ein aktuelles Vorhaben, das den Bau und die Installation von 36 Sauerstoffanlagen an verschiedenen Standorten in Pakistan umfasst.

Von Non-Profit zum Preisträger

Gegründet wurde Amex Healthcare im Jahr 1979 von Marie Kleibers Vater Eduard Bodenseher als Vertrieb für Laborartikel, vor allem in Osteuropa. Dass Edwin und Marie Kleiber das Unternehmen dann im Jahr 2015 gemeinsam übernahmen, war alles andere als vorgezeichnet: „Ich habe nie in der Firma meines Vaters gearbeitet – außer als Kind, als ich für einen Schilling Zettel in Kuverts gesteckt habe“, sagt Marie Kleiber. Sie und ihr Mann hatten sich eigentlich bereits auf die klassische Karriereleiter begeben, wie Edwin Kleiber heute sagt. Das heißt: Betriebswirtschaftsstudium an der WU Wien, dann Arbeit in großen Konzernen wie Beiersdorf und Johnson & Johnson.

„Ich hatte zu dem Zeitpunkt, als uns mein Schwiegervater erzählte, dass er seine Firma verkaufen will, gerade hundert Jobinterviews hinter mir, die alle unerfolgreich waren. Zudem war uns nach einem Aufenthalt in Singapur für eine MBA-Ausbildung das Geld ausgegangen. Da kam im letzten Moment der Sinneswandel meines Schwiegervaters, die Firma nicht an Investoren, sondern an uns zu verkaufen und uns auch noch bei der Finanzierung zu helfen“, berichtet Edwin Kleiber. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Unternehmen zwölf Mitarbeiter, verzeichnete einen Umsatz von acht Mio. Euro und war im Souterrain des Hauses von Bodenseher angesiedelt, das Lager befand sich in der zugehörigen Garage.

Die ersten Monate waren für die Neounternehmer, die sich die Führung des Unternehmens bis heute teilen, durchaus fordernd: „Nachdem wir die Firma übernommen haben, wurden wir oft gefragt, ob Amex Healthcare eine Non-Profit-Organisation sei. Und unsere Antwort lautete: Ja, aber nicht mit Absicht!“

Mit dem Fokus auf Pharmazeutika und Medizinprodukte sowie UN-Organisationen als Kunden wagten die beiden eine Neuausrichtung. Und das Konzept ging auf: Es folgten Jahre des rapiden Wachstums, die Mitarbeiterzahl verzehnfachte sich in weniger als einem Jahrzehnt, und statt Souterrain plus Garage operiert Amex Healthcare heute an vier Standorten über die Welt verteilt. „Wie oft bekommt man im Leben schon die Gelegenheit, betriebswirtschaftlich etwas derart Impactgetriebenes auf die Beine zu stellen?“, fragt Edwin Kleiber. Und Marie Kleiber ergänzt: „Heute können wir mit einem wirtschaftlich profitablen Unternehmen in unserem Geschäftsfeld sehr viel mehr erreichen, als wir es etwa als NGO vermocht hätten.“

Ende vergangenen Jahres zeichnete Ernst & Young das Ehepaar Kleiber als Österreichs Unternehmer des Jahres in der Kategorie Handel und Dienstleistungen aus. Das Erfolgsrezept? „Eine gute Mischung aus dem richtigen logistischen Setup, Qualitätsmanagement, den richtigen Mitarbeitern und einer integrativen Unternehmenskultur. Wir investieren sehr viel in ein breites Recruiting – wir beschäftigen unter anderem Juristen, Anthropologen und Ernährungswissenschafter. Und dann stecken wir viel Zeit und Ressourcen in die Weiterbildung unserer Mitarbeiter“, sagt Edwin Kleiber.

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Schwerpunkt Ausbildung: Die gesamte Amex-Belegschaft hatte die Möglichkeit zu einem mehrmonatigen Weiterbildungsprogramm – inklusive Besuch der IE University in Madrid.

Volatiles Umfeld

Von der aus 35 Ländern stammenden Amex-Belegschaft wird ein hoher Grad an Flexibilität verlangt: „Das Umfeld, in dem wir tätig sind, ist logischerweise sehr von äußeren Faktoren getrieben: von Pandemien bis Kriegen“, so Edwin Kleiber. Während der ersten Covid-Wellen habe Amex Healthcare zwar mit den gleichen Herausforderungen wie andere Firmen zu kämpfen gehabt, hätte aber durchgehend alle medizinischen Produkte liefern können. „Das lag auch daran, dass ich schon früher einmal in Maskenfabriken in China war und wusste, wie diese Supply Chains funktionieren“, sagt er.

Auch in den Gazastreifen liefert Amex bereits seit Jahren Hilfsgüter – und steht dort nun vor einem Dilemma. Der örtliche Kunde ist das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA), das wegen der Beteiligung von lokalen Mitarbeitern an den Massakern des 7. Oktober 2023 aktuell massiv in der Kritik steht und dessen Finanzierung von diversen Ländern wie den USA, Deutschland und Österreich ausgesetzt wurde. „Das führt natürlich zu einer großen Ungewissheit“, erklärt Kleiber: „Doch wir werden weiterhin – solange das nicht die Existenz des Unternehmens gefährdet oder nachteilig für unsere Mitarbeiter ist – Medikamente nach Gaza liefern, auch wenn das UNRWA derzeit die Rechnungen bei uns nicht begleichen kann. Wenn man von sich sagt, man mache Business wegen des sozialen Impacts, dann darf man sich auch in unangenehmen Situationen nicht wegducken.“

Wertschöpfung in Afrika

Dabei sieht es angesichts der vielfältigen globalen Krisenherde und der mangelhaften Gesundheitssysteme in vielen Ländern nicht so aus, als würde Amex Healthcare in den kommenden Jahren die Arbeit ausgehen. Marie Kleiber treibt gerade vor allem „das Thema in Afrika für Afrika“ um, denn: „Alle reden darüber, in Afrika etwas aufzubauen, aber kaum einer macht das wirklich. Selbst die Vereinten Nationen kaufen ihre Healthcare-Produkte fast ausschließlich in China und Indien.“ Noch gilt das auch für Amex, die meisten Waren stammen aus Europa, den USA, China und Indien. Installation, Training und After Sales werden aber bereits vorrangig mit lokalen Partnern abgewickelt. Und auch die Produktion soll künftig verstärkt vor Ort erfolgen: „Das klingt einfacher als gedacht – wir müssen die Qualitätsstandards heben und auf strategischer Ebene gleichzeitig mit den Herstellern und den Kunden arbeiten. Doch gerade weil wir in unserem Bereich mittlerweile ein größerer Player sind, können wir mit unserer neuen Niederlassung wirklich etwas in Richtung Afrika bewegen“, ist Marie Kleiber überzeugt.

Fotos: Amex, EY

Dauerkrisenhelfer

Amex-Healthcare_Zentrale
Amex-Zentrale in Wien-Spittelau

Die vom Chemiker Eduard Bodenseher 1979 gegründete und heute von dessen Tochter und Schwiegersohn Marie und Edwin Kleiber geführte Amex Healthcare GmbH fungiert als Großhändler für Medizin-, Labor- und Arzneimittelbedarf. Dabei liefert das in Wien ansässige Unternehmen die Gesundheitsprodukte an Non-Profit-Organisationen in mehr als 150 Ländern und gewährleistet auch bei temperaturempfindlichen oder gefährlichen Produkten stets eine direkte Lieferung an den Zielort, von abgelegenen Dörfern bis zu akuten Konfliktgebieten. Hauptkunden sind UN-Organisationen wie die WHO oder UNHCR. Amex Healthcare beschäftigt rund 100 Mitarbeiter und hat im Vorjahr einen Umsatz von rund 150 Mio. Euro erwirtschaftet.