Bei österreichischen Hundezüchtern stehen die Interessenten Schlange, Katzenbabys finden rasch ein Zuhause, für Goldhamster werden Laufräder besorgt und für Wellensittiche liebevoll Volieren eingerichtet. Seitdem sich das Leben vieler Menschen hauptsächlich in den eigenen vier Wänden abspielt, dürfte bei einigen die Sehnsucht nach einer besonderen Nähe erwacht sein: zu tierischen Gefährten, mit denen sich Pandemie und Lockdown leichter bewältigen lassen sollen. Haustiere gelten – neben Essenszustellungen, Spaziergängen und Zoom-Calls – als weiteres Coronaphänomen, das dem Magazin Der Spiegel unter der Schlagzeile „Wir bleiben Zoohause“ unlängst sogar eine Titelgeschichte wert war.
Haustierbedarf: eine krisenfeste Branche
Heinz Schabreiter liest nicht nur über den Boom, er erlebt ihn auch hautnah mit. Er ist Geschäftsführer von C&D Foods Austria, einem steirischen Hersteller für Katzen- und Hundenahrung. In den Produktionshallen in Birkfeld ist von mauer Wirtschaftslage jedenfalls keine Spur: „Wir arbeiten in Sonderschichten und in Vollauslastung“, erzählt Schabreiter über das „Luxusproblem einer starken Nachfrage“. Rund 16.000 Tonnen Nassfutter werden hier pro Jahr im Auftrag internationaler Markenartikler verarbeitet, verpackt und mit bunten Etiketten für den Verkauf in 30 europäische und asiatische Länder versehen.
Tiernahrung ist Teil der Haustierbedarfsbranche, zu der auch Pflegeprodukte, medizinische Behandlung, Versicherungen und Spielzeug zählen. Ihr werden positive Zukunftsaussichten prophezeit. Bis 2027 sollen die Umsätze der Branche um jährlich rund sechs Prozent zulegen. Schon jetzt handelt es sich bei „Pet Care“ um einen riesigen Markt, dessen Größe von Global Markets Insights auf rund 195 Mrd. Euro (2020) geschätzt wird. Im traditionell wichtigsten Regionalmarkt, den USA, wurden 85 Mrd. Euro und in Großbritannien, dem größten Markt in Europa, rund vier Mrd. Euro umgesetzt.
Haupttreiber für künftiges Wachstum, von dem große Konzerne wie Mars Petcare und Nestlé Purina, regionale Player sowie aufstrebende Start-ups profitieren wollen, sind vor allem zwei Faktoren: Erstens die Bereitschaft von Haustierbesitzern, immer mehr Geld für ihre Lieblinge auszugeben, und zweitens eine steigende Anzahl an Haushalten mit Tieren – beide Trends sind nicht nur in reicheren Ländern zu beobachten. Viele Neo-Tierbesitzer leben, wie etwa im Vorjahr veröffentlichten Analysen von Euromonitor International zu entnehmen ist, in Schwellenländern oder Staaten, die bislang nicht gerade als Haustier-Hotspots bekannt waren. Demnach wollen junge kolumbianische Singles vermehrt mit Katzen wohnen, in Peru findet sich bereits in jedem zweiten Haushalt ein Haustier – mit wachsender Liebe für Katzen und kleine Hunde – und in Südafrika stehen Boerboels, Schäferhunde und Dobermänner nicht länger nur als furchterregende Bewacher vor dem Haus, sondern bereits an der Schwelle vom beschützenden Nutztier zum geschätzten Haustier. Selbst Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischen Emirate scheinen sich zunehmend dem globalen Haustiertrend anzuschließen.
Trendland China
Besonders aufmerksam blickt die Branche in Richtung Asien-Pazifik und hier vor allem nach China. Denn ob junge Singlefrauen in Shenzhen, Kleinfamilien in Peking oder auch Senioren in Shanghai: Familiärer Zuwachs mit Fell und auf vier Beinen ist schon seit einigen Jahren stark gefragt. Laut Chinese Pet Industry White Paper wurde 2020 erstmals die Marke von hundert Millionen Katzen und Hunden in städtischen Haushalten geknackt. „Steigende Einkommen sind definitiv der ursächliche Faktor für die Explosion der Haustierhaltung in China. Nach dem Kauf einer Wohnung, eines Autos und der Möglichkeit, dem eigenen Kind alles zu finanzieren, wenden sich viele Menschen Haustieren zu. Auch die wachsende Einsamkeit in den Großstädten spielt hier erheblich mit“, sieht Yannick Verry, Projektmanager der internationalen Fachmesse Pet Fair Asia, einen starken Zusammenhang zwischen Wohlstand, Urbanisierung und Haustierhaltung (siehe Interview).
Vor ein paar Jahren waren in China vor allem „größere Hunderassen wie Huskies beliebt, die sich als Statussymbol eignen“, schmunzelt Verry, heute würden eher kleinere Rassen wie Mops, Shih Tzu, Shiba Inu, Pudel oder Corgis aus der Tierhandlung oder dem Tierheim geholt, da sie sich für die Stadtwohnungen besser eignen. 2020 fragten Tierhalter allerdings vermehrt nach Katzen, während Hunde an Popularität einbüßten.
Beliebt sind zudem Nagetiere und Reptilien, die bekanntlich ohne Gassi gehen auskommen. Die in China traditionell populären Fische finden hingegen bei der jüngeren Generation immer weniger Anklang. Laut Chinese Pet Industry White Paper hat jedenfalls allein die Liebe für Katzen und Hunde einen Markt von fast 27 Mrd. Euro (2020) geschaffen. Mehr als die Hälfte der Umsätze macht Tiernahrung aus, Wachstum verzeichneten zuletzt vor allem die Bereiche Tiermedizin und Heimtierzubehör.
Interview mit Yannick Verry, Pet Fair Asia
Nur das Beste für die Fellbabys
Aufstrebende Märkte
Auch in Indien, dem zweiten asiatischen Riesen, scheint ein Tier heute immer öfter zum Lebensglück dazuzugehören: 2019 besaßen die Inder zwar erst 20 Millionen Haushunde, doch soll diese Zahl bis 2023 auf 31 Millionen steigen. Der Trend zum Hund werde laut Euromonitor auch in Indien durch die wachsende Zahl von in Städten lebenden Kleinfamilien angetrieben. Während der langen Lockdowns im Frühjahr 2020 boomte sogar die „virtuelle Hundeadoption“ als Mittel gegen Einsamkeit, wie das Medienportal Quartz India berichtete: Dabei verpflichten sich Paten, für ein Tier im Tierheim lebenslang aufzukommen. Im Gegenzug können sie über Videocalls und Besuche eine Beziehung zu ihrem Patentier aufbauen. Neben Video- und Haushunden sind in Indien Katzen, Fische und Vögel zunehmend beliebt. Und obwohl sich Indiens 360 Mio. Euro-Haustiermarkt im Vergleich zu China noch im Welpenalter befindet, so zählt er heute doch zu den schnellstwachsenden der Welt.
Hohe Erwartungen hat die Branche zudem hinsichtlich des Potenzials, das sich zwischen Indien und China abzeichnet: „In Südostasien leben 600 Millionen Menschen. Viele lokale Märkte werden sich ähnlich entwickeln wie China“, ist Verry sicher. Die Einstellung zu Haustieren ändert sich nämlich mit Generation und Kaufkraft, wie Euromonitor beispielsweise für Vietnam festgestellt hat: Während ältere Vietnamesen Katzen und Hunde noch als unrein und unzähmbar betrachten, wollen junge, gut verdienende Städter in Ho Chi Minh City, Hanoi und Da Nang zunehmend mit pelzigen Gefährten leben – und gern mit ihnen in sozialen Medien prahlen. Und auch die thailändische Gesellschaft entwicklt laut Euromonitor „allmählich eine entspanntere Haltung gegenüber Hunden in öffentlichen Räumen“.
Für die größer werdende Gruppe thailändischer Tierliebhaber werden im ganzen Land immer häufiger staatlich und privat organisierte Haustiermessen veranstaltet. Und die Branche entpuppt sich auch als relevanter Exportfaktor: Thailands starke Nahrungsmittelindustrie, die Reis, Meeresfrüchte, Obst und Fertiggerichte in alle Welt sendet, hat sich – nach den USA, Europa und China – zum viertgrößten Tiernahrungsexporteur der Welt entwickelt. Die Ausfuhren stiegen laut Handelsministerium 2019 auf einen Wert von 1,4 Mrd. Euro.
Premium statt Reste – für die Haustiere nur das Beste
In vielen aufstrebenden Märkten ist es heute noch üblich, Haustieren Essensreste zu verfüttern. „So, wie das in Europa vor 30 Jahren noch gang und gäbe war“, erklärt Heinz Schabreiter von C&D Foods Austria, „bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass Tiere spezielle Nährstoffzusammensetzungen benötigen, um gesund zu bleiben.“ Dieses Bewusstsein entwickle sich nun auch immer stärker in Asien. Für Schabreiter ist das übrigens alles andere als Neuland: Schon vor 25 Jahren begann er, ein japanisches Unternehmen mit Hunde- und Katzenfutter zu beliefern. Von Japan aus ging es sukzessive in weitere Länder der Region: Zunächst in reichere Märkte wie Südkorea, Singapur und Hongkong, später auch nach Thailand, Malaysia oder Indonesien.
Noch pendelt der Umsatzanteil der Asienexporte des steirischen Herstellers zwischen fünf und acht Prozent, in den kommenden drei Jahren soll er sich aber verdoppeln – vor allem durch die für heuer geplanten Markteintritte in China und Vietnam. „Österreich genießt in Asien einen sehr guten Ruf als Qualitätsführer bei Nahrung. Wir stehen hier nicht im Preiswettbewerb, sondern sind im wachsenden Segment der Premium- und Bioprodukte gut positioniert“, sagt Schabreiter zuversichtlich – und lässt derzeit weitere Kühlräume, Abfüll- und Verpackungsanlagen errichten, um die Kapazitäten für immer größere Bestellmengen auszuweiten.
Asiens Heimtiermarkt: Starker Wettbewerb
Die Großzügigkeit reicht zugleich weit über den Rand des Fressnapfs hinaus. Auch für Tierkosmetik, -bekleidung und -fotografie, Überwachungselektronik, Versicherungen oder Tiersitting wächst die Nachfrage – und die Anbieter treten dabei zunehmend digital auf. Peto in Indonesien ist beispielsweise eine Smartphone-App, die professionelle Haustierpflege organisiert, Futter und Spielzeug nach Hause liefert und mit der sich sogar ein Rendezvous zwischen spielfreudigen Hunden arrangieren lässt. Auch die malaysische App JomPaw bietet Services wie Gassi gehen, Last-Minute-Tiersitting, Trainings und Taxidienste für gestresste oder einsame Tiere im Großraum Kuala Lumpur an – darunter auch für Schildkröten und Hasen.
Das Angebot für spendable Tierfreunde wächst aber vor allem im Boomland China: Laut Geschäftsdatenprovider Tianyancha sind im ersten Halbjahr 2020 fast 115.000 Unternehmen rund ums Tier gegründet worden. Diese Dynamik sieht man auch im Messebereich: Die internationale Fachmesse Pet Fair Asia bespielte 2020 – trotz Corona – in Shanghai 17 Messehallen mit fast 1.700 Ausstellern. Das Format legt nicht nur Jahr für Jahr zu, sondern präsentiert immer mehr selbstbewusste chinesische Anbieter. Und die wollen zum Teil in die weite Welt hinaus. So wie das Unternehmen XCHO aus Shenzhen, das seit Jahren im Auftrag internationaler Markenartikler Hundeleinen herstellt und nun verstärkt selbst auf dem Weltmarkt auftritt. Das hat wiederum Petkit aus Shanghai schon geschafft: Dessen smarte Trinkbrunnen, Futterautomaten oder Transportrucksäcke für Katzen mit eingebautem Ventilator werden auch in den USA und Europa gern gekauft.
Europäischen Anbietern von Haustierbedarf, die in die asiatischen Wachstumsmärkte streben, rät Schabreiter „zu größtmöglicher Flexibilität“, denn im Wettbewerb mit lokalen Unternehmen „kann man nicht stur auf europäische Produkte setzen und sich auf das gute Image verlassen“. Wer hingegen auf die Bedürfnisse der neuen Haustierbesitzer eingeht, so Schabreiter, der werde „von der tollen Dynamik in Asien sicherlich profitieren.“