Ob roh und in Essig mariniert als Kinilaw oder in Kokosmilch eingekocht zu Pinangat oder einfach sonnengetrocknet als Daing: In der Küche der Philippinen spielt Fisch traditionell eine große Rolle, die sich in einer Vielzahl von Rezepten widerspiegelt.
In dem südostasiatischen Inselreich sind schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen in der Kleinfischerei beschäftigt und versorgen Tag für Tag die lokale Bevölkerung mit ihrem Fang. Die Fischer arbeiten vor tropischer Kulisse, aus europäischer Sicht wohl an Sehnsuchtsorten. Doch auch am türkisgrünen Meer ist das Leben hart, wenn Fischbestände dahinschwinden, die Arbeitsbedingungen dadurch schwieriger werden, das Einkommen sinkt. Die dann vermeintlich effizienteren Alternativen zu Angel und Netz – wie Dynamitsprengungen im Wasser, so dass Fische tot nach oben treiben, oder der Einsatz von giftigem Zyanid, das Meerestiere lähmt – sorgen zwar für schnellere Fangerfolge, haben aber nebenbei schwere ökologische Folgen.
Fish Forever: Mit Küstenfischern an Bord
Vor zehn Jahren begann die US-amerikanische Umweltorganisation Rare mit Fischergemeinden auf den Philippinen zusammenzuarbeiten. Das Doppelziel des Programms, das auf Fish Forever getauft wurde, lautet: die Artenvielfalt bewahren und den Menschen zu helfen, langfristig vom Fischfang leben zu können. „Der weit verbreitete Glaube, natürliche Ressourcen seien unerschöpflich, ist leider eine große Gefahr“, sagt Rocky Sanchez Tirona. Die Quereinsteigerin aus der Werbebranche war an der Gründung von Fish Forever beteiligt und leitet heute als Geschäftsführerin die Expansion in Ländern wie Mosambik, Honduras, Palau und Brasilien. Sie erklärt: „Bei Fish Forever setzen wir zusammen mit lokalen Behörden und Gemeinden auf das Management von Küstengewässern und auf Verhaltensänderungen jener Menschen, die vom Fischfang leben.“
Interview mit Rocky Sanchez Tirona, Rare
Dynamitfischen war gestern
Das Prinzip: Die Fischer einer Gemeinde legen gemeinsam Regeln fest, wie sie ihr Küstengebiet nutzen wollen, Experten der NGO unterstützen diesen Prozess. Danach wird das Meeresgebiet vor der Haustür aufgeteilt: in mehrere kleine „no take“-Zonen, in denen sich Fischbestände erholen sollen, und in verwaltete Bereiche, in denen ansässige Fischer arbeiten dürfen. Voraussetzung ist, dass sie sich klar an die Regeln halten: welche Ausrüstung sie verwenden, wie oft sie fischen gehen, welche Arten gefangen werden, welche nicht.
Bunte Boote und Paddel
Fast sechs Millionen Hektar Küstengewässer in acht Ländern sind laut Rare bereits als Fish Forever-Zonen deklariert. Insgesamt machen 150.000 Fischer in 1.200 Gemeinden mit. Für einen erfolgreichen Programmablauf müssen sich sämtliche Fischer eines Dorfs registrieren, ihre Fänge dokumentieren, die Regeln einhalten und aktiv am Fischereimanagement teilnehmen. Zur Motivationssteigerung setzt Rare dabei ein paar bewährte Strategien ein. Dazu gehört die Öffentlichkeit als Zeuge: So müssen sich Regierungsvertreter und Gemeindemitglieder vor Publikum dazu verpflichten, die Fischerei nachhaltig zu betreiben. Die Registrierung der Fischer findet direkt am Strand statt, so dass auch andere sehen, wer mitmacht und wie rasch die Anmeldung vonstatten geht. Auch werden die Boote und Paddel der Teilnehmer in den Farben von Fish Forever bemalt. Sie sind so für andere Fischer – auch aus benachbarten Gemeinden – erkennbar, unterbinden aber auch, dass Bootsbesitzer behaupten könnten, sie hätten von den Vorschriften nichts gewusst.
„Letztlich helfen wir den Fischern, sich vom Gefühl zu lösen, dass sie miteinander im Wettbewerb stehen und dass der Fang des einen der Verlust des anderen ist“, sagt Tirona. Stattdessen sollen Kooperation und nachhaltige Methoden zu besseren Ergebnissen für alle führen. Spürbare Erfolge entstehen allerdings nicht über Nacht, so Tirona. Erst nach vier Jahren beginnen sich Fischbestände in überfischten Gebieten merklich zu erholen.
Mit dem Handy am Boot
Im Werkzeugkasten von Rare befindet sich neben viel Expertise aus der Verhaltenspsychologie noch eins: eine Menge Daten. Jeder Fischer erhält einen Ausweis mit einem QR-Code, der beweist, dass er registriert ist. Fischhändler können zudem in einer App festhalten, wie viel Fisch sie von wem zukaufen. Die Erfassung der Zahl der Menschen, die in den Gewässern fischen, wie viel sie fangen und wie sich Qualitäten verändern, sind wichtige Informationen, um abzuschätzen, was unter der Meeresoberfläche geschieht – und ob Fish Forever erfolgreich ist.
Rare ist längst nicht die einzige Organisation, die digitale Daten und Apps speziell in der Kleinfischerei einsetzt. Ein anderes Beispiel ist das Social Start-up Abalobi aus Südafrika, das 2017 aus einem Forschungsprojekt an der Universität Kapstadt hervorgegangen ist. Abalobi hilft hunderten Kleinfischern, ihre fangfrische Ware ohne Zwischenhändler an Restaurants, Hotels und Einzelkunden zu verkaufen. Die NGO unterstützt den Direkthandel durch Services wie Qualitätskontrolle und Lieferlogistik – im Mittelpunkt steht jedoch eine neue Technologie, die gemeinsam von Abalobi und den Fischern entwickelt wurde und aus zwei Apps besteht: eine, mit der die Fischer ihren Fang dokumentieren, und die andere, mit der die Käufer ihre Bestellungen aufgeben. Abalobi macht auch den Weg eines Fisches vom Meer bis auf den Tisch nachvollziehbar. Das bedeutet, dass ein Gast mit dem bestellten Fisch einen QR-Code serviert bekommt – und so sofort sieht, welcher Fischer sein Gericht aus dem Meer gezogen hat, woher der Fisch stammt und wann er gefangen wurde.
Super-App für Aquakultur
Rare und Abalobi haben Lösungen für klassische Kleinfischer entwickelt – also für Menschen, die mit ihren Booten hinausfahren, jedoch nicht wissen, mit welchem Fang sie zurückkommen. In der Aquakultur gibt es diese Unsicherheit nicht. Die Betreiber von Zuchtfarmen, die Fische, Garnelen und andere Meeresfrüchte in Tanks und Teichen kultivieren, wissen ziemlich genau, was sie ernten werden.
Auch in diesem Sektor arbeiten viele Kleinfischer, sie werden allerdings meist als Kleinbauern bezeichnet. Und auch ihnen kann Technologie das Leben erleichtern, wie ein Unternehmen aus Indonesien demonstriert: das Start-up eFishery, das hier seit neun Jahren den Markt mitgestaltet. Es wurde vom Biologen Gibran Huzaifah gegründet, der selbst als Welszüchter tätig war, bis er seine Erfahrungen nutzte, um ein Tech-Unternehmen für Aquakultur aufzubauen – ein Fish Tech sozusagen.
In Indonesien soll es an die 3,5 Millionen Garnelen- und Fischzüchter geben und viele, so erzählt Huzaifah, füttern, verarbeiten und verkaufen die Tiere seit jeher auf dieselbe Weise. Er möchte die Branche aufrütteln, effizienter und ökologisch nachhaltiger machen. Zunächst begann er mit der Entwicklung und dem Verkauf intelligenter Automaten, mit deren Hilfe die Fütterung der Tiere optimiert wird. Das war der Start. Heute können die Züchter mit eFishery-Diensten Futtermittel günstiger erwerben, Kredite für die Expansion aufnehmen und ihre Ernten verkaufen. Damit würden, laut eFishery, Kleinproduzenten ähnliche Wettbewerbsbedingungen vorfinden wie ihre größeren Konkurrenten.
Fish Tech in Indonesien
Das Start-up eFishery entwickelt seit 2013 innovative Lösungen für Fisch- und Garnelenzüchter in Indonesien. Zunächst startete das Fish Tech mit intelligenten Futterautomaten in den Markt, die von Kleinbauern gegen eine geringe monatliche Gebühr gemietet werden. Die so genannten eFeeder erkennen den Hunger von Fischen und Garnelen anhand ihrer Geräusche und Bewegungen und streuen Futterpellets in optimalen Mengen und Zyklen in die Zuchtteiche. Damit helfen sie den Teichbesitzern, Überfütterung zu vermeiden, Arbeitszeit und Futtermittel einzusparen und ihre Erträge zu verbessern. Die Nutzung der von den Futterautomaten erfassten Daten ermöglichte es eFishery auch, nach und nach ein ganzes Ökosystem an Services speziell für kleine Züchter aufzubauen: von der Beschaffung von Zuchtmaterialien, über Know-how-Vermittlung, Krankheitsprävention und Finanzierungshilfen bis hin zum direkten Marktzugang – und das alles über eine einfach zu bedienende App.
Rund 30.000 Fisch- und Garnelenzüchter mit 70.000 Aquakulturteichen nutzen heute eFishery. Ihre Zahl soll in den nächsten fünf Jahren auf eine Million Kunden wachsen: Das Start-up, das mittlerweile mehr als tausend Mitarbeiter zählt, bereitet gerade den Markteintritt in Indien vor, weitere Märkte könnten folgen. Rückendeckung kommt von Investorenseite: Anfang 2022 konnte eFishery in einer Series C Finanzierungsrunde 90 Mio. Dollar lukrieren – dabei soll es sich um die bisher größte Kapitalbeschaffungsaktion eines Unternehmens der Aquakulturtechnologie handeln.
Garnelen aus dem Wald
Auch die auf Premium-Meeresfrüchte spezialisierte, 2004 gegründete Blueyou Gruppe aus der Schweiz fördert kleinteilige Aquakultur. Der Fokus liegt hier aber auf „möglichst natürlich“, weshalb null Bedarf an zugekauftem Futter, Medikamenten oder Chemikalien entsteht. Das Unternehmen kooperiert nämlich mit Kleinbauerngemeinschaften in Vietnam, die Black Tiger-Garnelen in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Mangrovenwald, züchten. „Die vietnamesische Regierung hat vor zwei, drei Jahrzehnten begonnen, Aquakulturen, die mit Mangrovenaufforstung einhergehen, gezielt zu fördern. Per Gesetz müssen im südlichen Teil des Mekongdeltas 50 Prozent der Flächen von Mangroven bedeckt sein. Dazwischen befinden sich Kanäle, in denen unterschiedliche Garnelenarten, Fische und Krabben herumwuseln“, sagt Jonas Walker, der das Garnelenprogramm leitet.
Für die Blueyou-Marke Selva Shrimp züchten an die 3.500 Kleinbauern Garnelen auf 14.000 Hektar. Das sei, so Walker, über weite Strecken ein leichter Job: „In der konventionellen Aquakultur müssen viele Parameter wie Futtermittel, ph-Wert des Wassers, die Gabe von Medikamenten oder Chemikalien kontrolliert werden. Unsere Kleinbauern müssen zwischen dem Einsetzen der Babygarnelen ins Wasser und der Erntephase nach drei Monaten kaum etwas tun.“ Die Garnelen finden ihr Futter in ihrer natürlichen Umgebung, und damit das Ökosystem intakt bleibt, wird ihre Besatzungsdichte gering gehalten.
Die Kleinbauern profitieren laut Walker auch auf Einkommensseite. „Herkömmliche Züchter zahlen nicht wenig für die Stromversorgung der Wasserpumpen und -belüftungsanlagen sowie das Futter für die Tiere. Sollte die Ernte schlecht ausfallen, kann es für sie finanziell eng werden. Bei Mangrovenshrimps entstehen diese Kosten von vornherein nicht, ihre Zucht ist für die Bauern also risikoärmer. Außerdem lassen sich die Garnelen sehr groß züchten und biozertifizieren. Und dafür zahlen Gastronomie, Handel und Konsumenten in Asien, in den USA und Europa Premiumpreise.“
Für seine Marke Selva Shrimps wurde Blueyou mit den Sustainable Food Award 2022 ausgezeichnet. Derzeit zieht das Unternehmen ein Mangrovenshrimpsprojekt in Nordkalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo, auf. „Hier besteht enormes Potenzial, bestehende Teiche mit Mangroven aufzuforsten und die Aquakultur durch nachhaltigere Methoden zu verbessern“, so Walker. Das gelte im Übrigen auch für weitere Länder mit riesigen, extensiven Aquakulturflächen wie Indien, die Philippinen oder Bangladesch.
Bezüglich der Finanzierung naturnaher Aquakultur ist er optimistisch: „Investoren erkennen zunehmend den Wert solcher Projekte für den Klimaschutz. Durch die Aufforstung wird Kohlendioxid gebunden, wodurch die Möglichkeit besteht, Klimaschutzzertifikate zu generieren. Die Züchtung von Shrimps ermöglicht zudem, ein geschmackvolles Protein effizient herzustellen. Selva Shrimps haben eine ähnlich niedrige CO2-Bilanz wie das pflanzliche Eiweiß Tofu, weil die großen Emissionstreiber Strom und Futter ja wegfallen.“
Aus dem Bioreaktor
Während die einen Nachhaltigkeit bei Fisch und Seafood durch Naturnähe erreichen wollen, bewegen sich andere – in derselben Mission – in die entgegengesetzte Richtung: Mehrere Start-ups sind gerade dabei, Fischstäbchen und Hummersuppe mithilfe von Biotechnologie auf die Teller bringen zu wollen. Ein Pionier ist Shiok Meats aus Singapur. Das 2018 gegründete Jungunternehmen züchtet Shrimps-, Krabben- und Hummerfleisch aus Stammzellen gesunder Tiere. Die Zellen werden vier bis sechs Wochen in einer nährstoffreichen Lösung kultiviert. Anschließend wird die entstandene Zellmasse von der Flüssigkeit getrennt – beiderlei ist dann für den kulinarischen Einsatz im Wok oder im Topf bereit. Der Laborshrimp habe laut Shiok große Vorteile: Das Fleisch sei köstlich, ressourcenschonend hergestellt, nicht zuletzt auch frei von Antibiotika und Hormonen.
Noch ist der Weg in Restaurants und den Handel nicht ganz geschafft. 2021 eröffnete Shiok Meats eine kleine Produktionsstätte in Singapur, um die Herstellung industriefit zu machen. Und kürzlich unterzeichnete der vietnamesische Garnelengroßproduzent Minh Phu Seafood eine Kooperation, um auch in Vietnam an der neuen Shrimpsalternative zu forschen.
In Zukunft könnte es Fische und Meeresfrüchte also nicht nur wild gefangen oder in der Aquakultur gezüchtet geben – sondern auch frisch aus der Fabrik.