Interview

Dynamitfischen war gestern

Ausgabe 96 – Herbst 2022

Die Philippinerin Rocky Sanchez Tirona ist Geschäftsführerin des Fish Forever Programms der Umweltorganisation Rare. Seit zehn Jahren fördert Rare nachhaltigen Fischfang in Ländern wie den Philippinen, Brasilien, Indonesien und Mosambik.

Rocky Sanchez Tirona, Rare
Die Vereinten Nationen stellen heuer die kleinen Fischer ins Rampenlicht. Mit dieser Berufsgruppe befasst sich Ihre Organisation stark. Freut Sie die gestiegene Aufmerksamkeit?

Tirona: Definitiv, denn die Kleinfischerei verdient mehr Aufmerksamkeit. Erstens, weil sehr viele Menschen von der Fischerei leben und wertvolle Nahrungsmittel bereitstellen. Und zweitens, weil sich Kleinfischerei in den küstennahen Hoheitsgewässern abspielt. Die machen zwar nur sechs Prozent des Ozeans aus, beherbergen aber mit Korallenriffen, Mangroven und Seegräsern 70 Prozent der marinen Artenvielfalt. Wir brauchen also nachhaltige Lösungen, die Küstengewässer schützen und gleichzeitig nutzbar machen.

Sie leiten ein Programm, das 2012 auf den Philippinen startete und heute in acht Ländern in Asien, Afrika und Südamerika läuft. Worum geht es bei Fish Forever?

Tirona: Wir arbeiten in kleinen Gemeinden, in denen die Einwohner stark vom Fischfang abhängig sind. Die meisten Fischer versorgen lokale Märkte, ein paar leben auch vom Export kommerziell wertvoller Arten wie Thunfisch. Auf den Philippinen, wo wir vor zehn Jahren begonnen haben, schrumpfen die Fischbestände schon seit den 1970er Jahren merklich. Während kleine Fischer früher mit 20 Kilo am Tag heimkamen, sind es heute vielleicht zwei bis drei Kilo. Im Laufe der Jahre ist das Fischen schwieriger geworden. Daher verbreiteten sich auch Methoden wie Dynamitfischen. Für die Umwelt ist das natürlich verheerend. Wir arbeiten mit Fischern zusammen, damit solche Methoden endgültig der Vergangenheit angehören. Uns geht es um die nachhaltige Nutzung der Ressourcen, damit es auch in Zukunft Fische gibt. 

Wie gehen Sie konkret vor?

Tirona: Wir begleiten Fischergemeinden dabei, ihre Gewässer selbst zu managen – sie entscheiden als Gruppe über Schutzzonen, in denen sich Fischbestände erholen, und über Nutzzonen, in denen das Fischen erlaubt ist. Weil die Fischer die Regeln selbst aufstellen, sind sie motivierter als bei Top-down-Anweisungen. Fish Forever erfordert jedenfalls kollektives Umdenken. Ein Einzelner wird sich nur an Regeln halten, wenn er davon ausgehen kann, dass alle anderen sie auch befolgen. Und es braucht Geduld: Die Fischbestände erholen sich nach vier Jahren merklich, erst nach sieben Jahren erheblich.

Was ist für den Erfolg noch wichtig? 

Tirona: Wer das Wort Schutzzone hört, denkt vielleicht: Je größer, desto besser. Das ist nicht unbedingt so. Wir arbeiten mit Wissenschaftern, die sich genau ansehen, wie sich einzelne Fischarten bewegen, wo sie laichen, wo die Jungfische leben, wohin sie später ziehen. Darauf aufbauend bestimmen wir mehrere kleinere Reservate, die wir zu einem intelligenten Schutzsystem verbinden, in denen sich Bestände gut erholen. Daten werden überhaupt immer wichtiger. Wir haben auch eine App für Fischhändler entwickelt. Diese müssen ohnehin dokumentieren, was sie kaufen – tun sie das digital und nicht auf Papier, können wir Trends zu den Fängen erkennen und damit arbeiten.

Ist es einfach, Fish Forever auszuweiten?

Tirona: Da sich der Erfolg unseres Ansatzes herumspricht, kommen mittlerweile viele Gemeinden auf uns zu. Wir müssen kaum mehr Überzeugungsarbeit leisten. Unser Modell lässt sich zudem gut replizieren und skalieren. Heute arbeiten wir oft auch im großen Maßstab, mit Regierungen auf Provinzebene. Damit lässt sich noch mehr bewegen. 

Wenn man sich so wie Sie für die Kleinfischerei engagiert, ist dann die industrielle Fischerei ganz klar „der Feind“?

Tirona: Wir wollen, dass kleine Fischer genug fangen, um gut leben zu können. Daher stehen wir für Vorzugsrechte für all jene, die nah an einer Ressource leben und von ihr stark abhängig sind. In welcher Distanz man nun große Fangschiffe von Küsten fernhält, wird stark debattiert und unterschiedlich geregelt. Es gibt Modelle, in denen die Kleinen und Großen koexistieren können. Dazu braucht es aber Austausch und klare Regeln.

Vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: Rare