Haben Sie sich auch schon einmal mit der Übertragung von Fotos, Videos und Co von Handy auf Laptop oder umgekehrt herumgeärgert? Während wir in Österreich dank Breitbandinternet auf Cloud-Dienstleistungen und das Hin- und Hersenden via Messenger ausweichen können, ist das etwa in Kamerun mit einer durchschnittlichen Bandbreite von einem Megabit pro Sekunde – in Österreich sind es im Schnitt 19,3 Mbps – eine sehr zähe Angelegenheit. Das dachte sich auch der kamerunische Entrepreneur Fritz Ekwoge und entwickelte mit seinem Team vor sechs Jahren kurzerhand die Offline-Filesharing App Feem, die heute nicht nur in afrikanischen Ländern, sondern sogar vorwiegend in Indien, den USA und Europa genutzt wird.
The next big thing
Dass Produkte und Dienstleistungen aus Afrika auch in den Industriestaaten Anwendung finden, ist (noch!) die Ausnahme. Aus der Not eine Tugend zu machen und die richtigen Antworten auf lokale Herausforderungen zu finden – genau das wird afrikanischen Gründern aber als größter Startvorteil gegenüber Unternehmern „von außen“ zugeschrieben. Heute heizt sich der Start-up Boom in Afrika gerade im Bereich der neuen Technologien zusehends auf. Start-ups, das sind junge, noch nicht etablierte Unternehmen, die zur Verwirklichung einer innovativen Geschäftsidee – meist mit einer technologischen Komponente und Potenzial auf rasche Skalierung – mit geringem Startkapital gegründet werden und sehr früh zur Ausweitung ihrer Geschäfte auf Risiko- und Wachstumskapital (sogenanntes Venture Capital) setzen.
Seit 2012 ist ein stetiges Wachstum der afrikanischen Start-up Szene zu beobachten. Waren es vor sieben Jahren noch lediglich 40 Mio. Dollar an Wachstumskapital, das in afrikanische Start-ups investiert wurde, konnten 2018 laut Branchenanalyst Partech 146 afrikanische Start-ups in 19 Ländern bereits mehr als 1,16 Mrd. Dollar einsammeln – und damit gleich doppelt so viel wie im Jahr 2017. Im Vergleich zu den weltweit mehr als 254 Mrd. Dollar an Risikokapitalinvestitionen ist Afrika noch ein kleiner Nebenschauplatz, aber: Allein bis Mitte August dieses Jahres gab es mehr als 50 Start-ups, die ein Investment von zumindest einer Mio. Dollar lukrieren konnten – kumuliert ergibt das bisher sogar knapp 500 Mio. Dollar.
Insbesondere in Nigeria, Kenia und Südafrika trifft ein zunehmend ausgereiftes unternehmerisches Ökosystem auf wachsendes Interesse am Potenzial lokaler Start-ups von Investoren. Große Risikokapitalgesellschaften wie True Ventures, Partech Partners oder Naspers und Konzerne wie Facebook, Microsoft oder Google schicken sich mit eigenen Fonds sowie Start-up Boot Camps an, in afrikanische Gründer und ihre digitalen Geschäftsideen zu investieren – in der Hoffnung, den nächsten großen Wurf zu machen. Doch der Kuchen ist aktuell noch sehr ungleich verteilt: Der Löwenanteil, nämlich 78 Prozent der Investitionen, ging 2018 an Start-ups in Kenia, Nigeria und Südafrika, dicht gefolgt von Ägypten. Nicht einmal ein Prozent floss an Gründer im frankofonen Afrika.
Das Umfeld macht‘s
Wichtiges Trittbrett für viele afrikanische Start-ups in der Anfangsphase und gleichzeitig Indikator für die Dynamik der Szene ist die unterstützende Infrastruktur in Form von sogenannten Hubs, deren Bandbreite vom Co-Working Space, der primär einen Schreibtisch, Internetzugang und Raum für Networking bietet, zu vielschichtigen Unterstützungsprogrammen reicht. Innovationswerkstätten wie Gearbox in Nairobi oder Kumasi Hive in der gleichnamigen ghanaischen Großstadt stellen neben 3D-Druckern, Holz- und Metallbearbeitungsmaschinen spezielle Expertise für die Herstellung von Prototypen zur Verfügung. Inkubatoren wie die Meltwater Entrepreneurial School of Technology oder CcHub begleiten Gründer durch Training, Kontaktnetzwerke und Mentoring bei der Weiterentwicklung ihrer Geschäftsideen und der Suche nach Wachstumskapital. Seit der Gründung des ersten iHub in Nairobi 2010 hat sich die Zahl solcher Einrichtungen vervielfacht – heute gibt es 618 aktive Tech Hubs in ganz Afrika. Diese befinden sich längst nicht mehr nur in Megastädten wie Lagos, Kairo, Kapstadt und Johannesburg, die Szene wächst auch anderorts beachtlich – beispielsweise in Accra, Dakar, Kampala oder Bamako.
Altbekanntes mit neuem Twist
Mit einer Bevölkerung, die bis 2025 auf 1,5 Milliarden Menschen anwachsen soll, ist Afrika eine vielversprechende Region für digitale Geschäftslösungen – denn bis dahin werden laut Schätzungen der weltweiten Interessenvertretung der Mobilfunkanbieter GSMA gut zwei Drittel der erwachsenen Afrikaner ein Smartphone nutzen. Mobile Plattformen schaffen schon heute neue Möglichkeiten, um traditionelle Wertschöpfungsketten zu umgehen, Versorgungslücken zu schließen und die Effizienz und Reichweite von Produkten und Dienstleistungen zu steigern. Viele afrikanische Gründer setzen dafür auf erfolgreiche Geschäftsmodelle aus Industriestaaten, die an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. „Damit wird es auch deutlich einfacher, an Wachstumskapital zu kommen, weil die Investoren das Geschäftsmodell schon kennen und man sie nur noch davon überzeugen muss, wie es in der jeweiligen Region funktionieren kann“, weiß der Tiroler Marcello Schermer, der zwei Jahre lang afrikanische Start-ups für den Schweizer Inkubator Seedstars begleitet hat und heute in Südafrika die Expansion des lokalen Finanz-Start-ups Yoco leitet (siehe Interview).
Interview mit Marcello Schermer, Yoco
Vom Spaßprojekt zum großen Wurf
Online- und mobile Verbraucherdienste sind auf dem Vormarsch und befriedigen insbesondere in afrikanischen Großstädten die Nachfrage der aufstrebenden Mittelschicht. So gibt es heute eine ganze Reihe an etablierten Start-ups, die – ähnlich wie Uber oder Bolt – schnell eine Fahrt von A nach B vermitteln. Nur setzen etwa SafeBoda in Uganda, Gokada in Nigeria und Gozem in Benin und Togo nicht auf noble Karosserie, sondern auf traditionelle Boda-Bodas und Okadas – also einfache Motorräder. Anders als in Europa oder den USA machen diese den Weg nach Hause nicht nur schneller und bequemer, sondern haben für ihre Kunden auch einen ganz essenziellen Zusatznutzen: Sie erhöhen – dank Helmpflicht und verpflichtendem Verkehrstraining für die Fahrer – die eigene Sicherheit erheblich.
Auch Zustelldienste für Konsumgüter und Lebensmittel sind gefragt – was nicht zuletzt der Erfolg des nigerianischen Online-Shoppingportals Jumia zeigt, das im April in New York an die Börse ging und bis vor kurzem als „erstes afrikanisches Einhorn“ – also ein Start-up mit einer Marktbewertung von über einer Mrd. Dollar – gehandelt wurde. Allein der Lebensmittelzustelldienst Jumia Food hat laut Reuters eine Million Kunden in 30 afrikanischen Städten von Lagos über Nairobi bis Casablanca. Da die Zustellung ob des mangelhaften formalen Adresssystems in vielen Städten eine Herausforderung darstellt, setzt etwa das äthiopische Start-up Deliver Addis auf innovative Ansätze wie die britische App What3words. Deren Erfinder haben die Welt in ein Raster aus 57 Milliarden Quadraten von jeweils drei mal drei Metern aufgeteilt. So können hungrige Kunden anstatt einer langen und meist ungenauen Adresse oder Wegbeschreibung ihren exakten Standort mit einer What3words-ID angeben, die aus drei Begriffen wie maler.markieren.einziehen. (hier befindet sich zum Beispiel die corporAID Redaktion) besteht – und bekommen so deutlich schneller ihre Speisen.
Innovative Vorreiter
Mit Abstand größter Wachstumssektor unter den technologischen Start-ups sind aber jene im Finanzbereich – heute gibt es knapp 500 sogenannte Fintech Start-ups in Afrika. Und die Zahl steigt rasant, 2018 floss gut die Hälfte des Wachstumskapitals in Afrika an Fintechs. Der Hype ist nicht unbegründet: Fintechs schaffen flexible Produkte und machen Finanzdienstleistungen erschwinglicher und zugänglicher für Menschen mit niedrigem Einkommen.
Viele Afrikaner lernen das traditionelle Bankensystem mit Kreditkarten, Girokonten und Sparbüchern gar nicht erst kennen, sondern greifen direkt zu digitaler Geldbörse und mobilen Überweisungen. So gab es etwa Ende 2018 knapp 396 Millionen registrierte mobile Zahlungskonten in Sub-Sahara Afrika, das entspricht fast der Hälfte aller mobilen Geldkonten weltweit. 60 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in einer wachsenden Zahl von Ländern, darunter Ghana, Kenia und Simbabwe, verfügen über ein mobiles Zahlungskonto bei einem der mehr als 130 mobilen Zahlungsdienstleister. Das kenianische Vorreitermodell M-Pesa mit seinen knapp 30 Millionen Nutzern in Ostafrika ist also längst nicht mehr alleine. Die nigerianischen Pendants Paga und Paystack kämpfen stetig gegen das beliebte Bargeld an, während das südafrikanische Unternehmen Jumo den digitalen Fußabdruck seiner Nutzer aus alltäglichen mobilen Transaktionen auswertet und ihnen durch diese Daten den Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Krediten oder Versicherungen ermöglicht.
Gerade im Fintech-Bereich geht es also um weitaus mehr als die Adaptierung bewährter Geschäftsmodelle aus Europa oder den USA. Ähnlich innnovativ und richtungsweisend zeigen sich afrikanische Start-ups im Bereich Agrotechnologie – ein Zwei-Mrd.-Dollar-Markt in Afrika, der laut den Beratern von Dalberg noch zu 90 Prozent unerschlossen ist. Findige Unternehmer suchen hier nach Möglichkeiten, Bauern und Produzenten besser an Märkte anzubinden und sie dabei zu unterstützen, ihre Landwirtschaft effizienter zu betreiben. Die Ansätze reichen hier von technisch einfach bis hochtechnologisch. So setzt etwa WeFarm in Kenia, Tansania und Uganda auf die einfache digitale Vernetzung zwischen Bauern, um Fragen durch kollektives Wissen zu klären und Ideen zu teilen. Und das funktioniert auch in entlegensten Gebieten ganz einfach offline via SMS. Auf künstliche Intelligenz setzt hingegen das junge kamerunische Start-up Agrix Tech, um Pflanzenschädlinge frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen – und damit vielleicht sogar ganze Ernten zu retten. Der kommerzielle Start der App ist für Anfang 2020 geplant.
Der nötige Rahmen
Wie afrikanische Staaten mit so viel Innovationskraft bestmöglich umgehen sollen, darüber sind sich die verantwortlichen Entscheidungsträger noch nicht ganz einig. Wer nämlich glaubt, afrikanische Gründer würden sich mit ihren digitalen Lösungen unter dem Radar der lokalen Gesetzgebung bewegen, der irrt. Gerade im boomenden Fintech-Bereich sehen sich Start-ups einem beinahe überregulierten Markt gegenüber und selbst die innovativsten Unternehmen benötigen Genehmigungen und Lizenzen, um ihr Geschäftsmodell umzusetzen.
Neue Transaktionssteuern sind in einigen Ländern ein Thema, Experten warnen jedoch vor negativen Konsequenzen. Am Beispiel Uganda lassen sich diese sogar schon erahnen, denn dort führte im vergangenen Jahr eine neue Abgabe auf mobile Zahlungen und die Nutzung von Social-Media-Diensten nicht wie erhofft zu Mehreinnahmen für den ugandischen Staat, sondern ließ letztlich die Zahl der Internetnutzer und mobilen Geldtransaktionen im Land einbrechen und damit die Steuereinnahmen sinken. Fakt ist: Die Ausweitung von mobilen Finanzdienstleistungen ist gerade für Entwicklungsländer eine effiziente Möglichkeit, ihren meist signifikanten informellen Wirtschaftssektor zu formalisieren und damit die Steuerbasis zu erhöhen. Ein weiteres Fragezeichen betrifft den Aspekt der Datensicherheit. Aktuell haben nur 23 afrikanische Staaten gesetzliche Regelungen zum Schutz digitaler Daten erlassen.
Und so mag es für innovative afrikanische Start-ups zwar zunehmend leichter sein, an Wachstumskapital zu kommen – Kritiker behaupten sogar, die Buzzwords Innovation und neue Technologien würden die lokale Relevanz des Geschäftsmodells bei einer Investmententscheidung zu sehr in den Hintergrund rücken lassen. Letzten Endes bewegen sich aber traditionelle wie Start-up Unternehmen im selben herausfordernden Umfeld und brauchen neben Kapital vor allem eines: ein gutes Produkt und ein funktionierendes Geschäftsmodell.