Frühzeitig in die eigenen vier Wände ziehen. Ein Stockwerk dazu bauen, wenn Kinder auf dem Weg sind. Ihnen dieses gleich mitgeben, wenn sie eines Tages ausziehen. Und wenn einmal ein gewisses Alter erreicht ist, das halbe Haus abbauen und als Wochenenddomizil ans Meer stellen: Was nach hundstägigem Delirium klingt, macht das Grazer Unternehmen Commod House möglich. Seine Modulhäuser werden individuell geplant, gebaut und fertig angeliefert. Und später dann, je nach Wunsch und Lebenssituation, kann man die Häuser noch vergrößern oder verkleinern. Sie sollen kostensparend, ökologisch und variabel sein – und damit dem Lebensstil ihrer Besitzer entsprechen.
„Bis vor kurzem galt in Österreich beim Hausbau: je größer, desto besser, also Generationenhaus in Massivbauweise, mit 300 Quadratmetern und Keller. Und irgendwann sitzt man dann allein im großen Haus am Land und hat hundert Quadratmeter zu viel, die man putzen und heizen muss. Heute gibt es neue Lebensentwürfe, eine neue Leichtigkeit, auch wenn die Nachbarn natürlich immer noch komisch schauen, wenn in der Früh grüne Wiese ist und am Abend ein fertiges Haus da steht“, sagt Commod-House-Geschäftsführerin Michaela Maresch.
Langfristige Bedeutung
Maresch liegt mit ihrem Unternehmen voll im Trend der frugalen Innovation – also der Konzentration auf Kernfunktionalitäten bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Dabei geht es nicht darum, ein günstiges „Low-Tech“-Imitat dem teuren „High-Tech“-Produkt gegenüberzustellen. Vielmehr wird ein bezahlbares Produkt mit einer angemessenen Qualität, die aus Sicht des Verbrauchers „gut genug“ ist, auf den Markt gebracht. Innovationsforscher Rajnish Tiwari von der Technischen Universität Hamburg-Harburg definiert frugale Innovation als „erschwingliche Exzellenz“. Während man in diesem Zusammenhang bisher vor allem an den Bedarf in Schwellen- und Entwicklungsländern dachte, gewinnt das Thema nun zunehmend auch für die Märkte der Industrienationen an Bedeutung.
Interview mit Rajnish Tiwari, TU Hamburg-Harburg
200 Funktionen zu viel
Beim Rat für Forschung und Technologieentwicklung RFTE, der die Bundesregierung berät, ist man sich der Wichtigkeit des Themas für die österreichische Wirtschaft längst bewusst. Um die Relevanz und Potenziale frugaler Innovationen in Österreich zu sondieren, gab der RFTE beim Innovationsteam der Technischen Universität Hamburg-Harburg eine Studie in Auftrag, die im September veröffentlicht werden soll. Aufbauend auf Expertengesprächen mit Vertretern aus Industrie, Wissenschaft und Verbänden, einer Medienanalyse und einem Workshop kommt Studienautor Rajnish Tiwari (siehe Interview) zu dem Ergebnis – so viel darf vorab verraten werden –, dass frugale Innovationen für den längerfristigen Erfolg der österreichischen Wirtschaft von hoher Bedeutung sind.
Bedarf in der Ferne …
Für österreichische Unternehmen spielen dabei neue Absatzmärkte vor allem in Schwellen und Entwicklungsländern eine große Rolle. Denn High-End-Produkte sind für die Menschen in vielen Regionen der Welt weder erschwinglich noch wirklich brauchbar. Das spüren laut Tiwari etwa die deutschen Autohersteller – und ihre österreichischen Zulieferer – in Indien. Fast alle oberen Klassen, die in Indien gekauft werden, sind deutsche Marken. Sie machen aber nur einen Bruchteil des Marktes aus, am Massenmarkt ist das Bedürfnis nach schicken, schnellen Autos nicht existent. Das große Geschäft in Indien liegt im Kleinwagensegment, an dem die deutschen Hersteller nur einen Anteil von zwei Prozent haben.
Andere Unternehmen haben in dieser Hinsicht die Zeichen der Zeit erkannt, darunter auch einige österreichische. So hat etwa der oberösterreichische Feuerwehrausstatter Rosenbauer mit seinem Efficient-Technology-Fahrzeug extra für diese Märkte ein besonders robustes und einfach zu bedienendes Löschfahrzeug entworfen. Der Grazer Automobilzulieferer AVL List hat die Compact-Produktreihe entwickelt, die sich durch Kosteneffizienz, Robustheit und einfache Inbetriebnahme auszeichnet. Andritz Hydro hat beispielsweise am Mananara-Fluss in Madagaskar mit einer Mini-Wasserkraftanlage eine kostengünstige, robuste und wartungsarme Lösung zur Stromerzeugung installiert, die nun in der angrenzenden 20.000-Einwohner-Kleinstadt Ambatomanoina die Lichter angehen lässt. Und der oberösterreichische Wasserkraftwerksspezialist Global Hydro setzt auf kompakte Kleinkraftwerke für Entwicklungsländer.
… und am Heimatmarkt
Doch nicht nur für die Erschließung neuer und bisweilen schwieriger Märkte lohnt es sich, über frugale Innovationen nachzudenken, sondern auch am Heimatmarkt, wo Firmen aus Schwellenländern mittels niedriger Preise eine zunehmende Konkurrenz darstellen. Beispielsweise legt die zu Renault gehörende rumänische Automarke Dacia auch in Österreich überdurchschnittlich zu. Einst eher belächelt, ist Dacia seit dem Erfolg des Logan-Modells ein Paradebeispiel für frugale Innovationen: Als ein auf seine Kernfunktionalitäten beschränktes, günstiges Auto für Märkte wie Indien, Afrika und Südamerika entwickelt, fuhr der Logan auch in Westeuropa vor allem nach der Finanzkrise Rekordumsätze ein. Damals kostete ein neues Modell in Österreich weniger als 8.000 Euro.
Zur zunehmenden Relevanz frugaler Innovationen hierzulande trägt ein seit Jahren wachsendes Umweltbewusstsein und Werteverständnis bei. Dieses führt nicht nur zu einem Bio-Boom, sondern auch zu freiwilliger Frugalität, vor allem bei jungen Menschen. Der unternehmerische Erfolg von Commod House baut genau darauf auf, wie Michaela Maresch erklärt: „Es gibt einen deutlichen Trend, sich zu reduzieren, mit weniger Ballast zu leben, aber auch nicht zu viele Ressourcen zu verbrauchen. Haus und Auto als Statussymbole zählen nicht mehr so viel. In den Städten ist Carsharing angesagt. Und es lässt sich auch gut auf einen Keller verzichten, weil man gar nicht mehr so viel Eigentum anhäufen möchte.“
Soziale Ambitionen
Auch das Linzer Unternehmen Emporia setzt ganz auf den Kerngedanken des Frugalen. Emporia entwickelt Handys für Senioren. Und die Kunden werden bereits bei der Entwicklung neuer Produkte regelmäßig für Tests ins Labor eingeladen. Auf den Markt kommen schließlich bewusst einfach gehaltene und leicht handhabbare Mobiltelefone. „Ältere Menschen sehen ihr Handy als Telefon und nicht als Minicomputer, mit dem man telefonieren kann“, sagt Eigentümerin Eveline Pupeter.
Entsprechend verzichtet Emporia bei seinen Handys auf viele Extras und konzentriert sich auf eine besonders einfache Menüführung, große Tasten, gute Display-Lesbarkeit, stärkere Lautsprecher und ein eigenes Notrufsystem. „Nicht was technisch machbar ist, ist relevant für unsere Millionen Kunden, sondern ob es sich um ein Gerät handelt, welches das wirkliche Leben unterstützt“, sagt Pupeter.
Besonders wichtig ist ihr dabei die gesellschaftliche Ambition ihres Unternehmens: „Wir sorgen dafür, dass unsere Kunden nicht von der Digitalisierung ausgeschlossen werden.“ Um das zu gewährleisten, konzipiert und veranstaltet Emporia auch Kurse und Workshops zur Handybedienung für Senioren. Dabei sind die Emporia-Handys ähnlich wie die Commod-House-Modulhäuser weder teuer noch extrem billig, vielmehr sprechen die Chefinnen von angemessenen Preisen für angemessene Leistungen. Erschwingliche Exzellenz eben.
Einfach ist nicht einfach
Doch auch wenn es in Österreich einige erfolgreiche Pioniere gibt, ist das vorherrschende Innovationsparadigma hierzulande noch nicht auf frugale Lösungen ausgerichtet, wie Tiwari betont. Der Fokus liegt vielmehr auf möglichst leistungsfähigen Produkten. Sie stehen umso höher im Kurs, je mehr Funktionen sie besitzen, also je komplexer sie sind, auch wenn die meisten Nutzer zahlreiche dieser Funktionen nicht wirklich brauchen. Und auch die Langlebigkeit der Produkte sei kein wichtiges Kriterium mehr, wie Cornelius Herstatt, der Gründer und Leiter des Hamburger Instituts für Technologie- und Innovationsmanagement, bei einem Vortrag in Graz bereits vor gut zwei Jahren beklagte: „Wenn Sie heute ein Handy kaufen, wissen Sie eigentlich schon, dass Sie es nach einem Jahr in die Tonne treten.“
Im Zentrum der Technologiegetriebenheit stehen also häufig nicht mehr unbedingt die Bedürfnisse der Kunden, obwohl die Kundenorientierung unter dem Schlagwort des agilen Denkens vielfach beschworen wird. Und auch das dem zugrunde liegende Lean-Management setzt zwar auf Effizienzsteigerung im Produktionsprozess, stellt aber das Produktdesign nicht grundsätzlich in Frage, wie es für frugale Innovationen notwendig wäre.
Ganz anders sieht es bei Commod House aus, dessen Geschäftsführerin Michaela Maresch übrigens selbst noch nicht in einem ihrer Modulhäuser wohnt. Zu groß ist der Andrang, als dass zwischendurch auch ein Häuschen für sie selbst übrig bliebe. Sie sagt, Commod House könnte angesichts des großen Kundeninteresses dreimal so viele Häuser bauen wie derzeit. Sie beschränke sich aber zur Zeit noch und wolle nur langsam wachsen, da hohe Qualität und direkter Kundenkontakt als wesentliche Unternehmensgrundsätze begriffen würden und nicht gefährdet werden dürften. Auch das ist frugale Innovation.