Die Seestadt Aspern empfängt den Besucher an diesem Jännermorgen mit klirrender Kälte, die tief ins Mark dringt und im ersten Moment den Wunsch nach einer Rückkehr zu den wärmenden Häuserblocks und Menschenmassen der Wiener Innenstadt heraufbeschwört. „Die Wiener reagieren generell kühl gegenüber neuen Ideen und Innovationen, so auch bei der neuen Seestadt“, sagt Romana Hoffmann von der Kerbler Holding GmbH wenig später beim Baustellenbesuch des größten Holzhochhauses der Welt, direkt neben der U-Bahn-Station Seestadt. Und dann wird es warm. Es ist nicht nur die Heizung im bereits modellhaft eingerichteten Büro, welche die Füße auftauen lässt, sondern es sind vor allem die hölzernen Wände und Decken, die ein wohliges, fast saunaähnliches Gefühl hervorrufen. Das eher arbeitgeber- als familienfreundliche Motto des HoHo genannten Bauprojektes lautet: „Es ist Feierabend und keiner will nach Hause“, und in der Tat fällt es schwer, diese 84 Meter hohe Zirbenstube wieder gegen den Winterwind, der durch die Seestadt fegt, einzutauschen.

Leuchtturm aus Holz: Das mehrteilige HoHo Wien steht kurz vor der Fertigstellung, noch sind einige Gewerbeflächen zu vergeben.
Leuchtturm aus Holz: Das mehrteilige HoHo Wien steht kurz vor der Fertigstellung, noch sind einige Gewerbeflächen zu vergeben.

HoHo klingt ein wenig nach verspäteten Grüßen vom Weihnachtsmann, meint aber Holzhochhaus. Hier finden sich auf 24 Geschossen Gewerbeflächen für Büros, Gesundheitseinrichtungen, ein Restaurant und ein Hotel. Neben dem massiven Betonkern, in dem Stiegenhäuser und Aufzugsschächte liegen, besteht das Gebäude zu rund 75 Prozent aus Holz – sowohl außen als auch innen.

Anfang Juni wird das Pionierprojekt teileröffnet, die Mietersuche gestaltet sich trotz großer internationaler Aufmerksamkeit aber eher zäh. Grund dafür ist die von Romana Hoffmann beklagte noch immer recht verbreitete Skepsis der Wiener gegenüber dem Standort Seestadt, weniger der Baustoff Holz, denn der ist aktuell en vogue wie seit Jahrzehnten nicht mehr. „Kein anderes Baumaterial ist derart aufregend und unterschätzt wie Holz“, hieß es im Jänner im Economist. Tom Kaden, der Österreichs erste Professur für Holzbau an der TU Graz innehat, bezeichnete Holz gar als innovativsten Baustoff in der Forschung.

Boomender Baustoff

Die Vorzüge sind einleuchtend: Holz ist leicht und bietet in moderner kreuzverleimter Schichtbauweise dennoch eine hohe Zug- und Druckfestigkeit, es dämmt, reguliert Feuchtigkeit – und ist nicht brandgefährdeter als Stahlbeton, das Innere ist sogar hitzeresistenter, da es auch bei höchsten Temperaturen nicht weich wird. Das tradierte Bild des brennenden Holzhauses lässt sich dennoch nicht so einfach aus den Köpfen vertreiben. Ebenso das Bild des schwindenden Waldes. Dabei ist Holz als Baustoff sehr ressourcenschonend, solange es aus nachhaltig bewirtschafteten Forstbetrieben stammt, insbesondere im Gegensatz zum weltweit dominanten Baustoff Beton, dessen Hauptbestandteil Zement Unmengen der knappen Ressource Sand verschlingt (siehe corporAID Magazin Ausgabe 79) und in seiner Herstellung sechs Prozent des weltweiten Kohlenstoffausstoßes zu verantworten hat. Holz wächst nicht nur schnell nach – das gesamte HoHo schießt in Österreich in nur einer Stunde und 17 Minuten aus dem Waldboden –, sondern bindet CO2 auch während der Nutzung dauerhaft.

Allein hierzulande ist der Holzbauanteil bezogen auf die Gebäudezahl in den vergangenen 20 Jahren von 25 auf 34 Prozent angestiegen. Und auch wenn Leuchtturmprojekte wie das HoHo mehr Blicke auf sich ziehen, sind es vor allem kleine Holz-Vorhaben wie Aufstockungen und Verdichtungen in Städten, die dem vielerorts herrschenden Wohnraummangel schnell und umweltfreundlich entgegenwirken.

Jürgen Pretzsch, TU Dresden
Jürgen Pretzsch, TU Dresden

Jürgen Pretzsch freut es: „Beton und Stahl haben einen enormen Energieverbrauch, aber auch eine große Lobby. Nun gibt es glücklicherweise so langsam einen Paradigmenwechsel hin zu Holz.“ Pretzsch ist Förster, Volkswirt und Professor für Tropische Forstwirtschaft an der TU Dresden. Über die Situation in Österreich macht er sich dabei keine großen Sorgen, denn die Aufwertung des Waldes findet hier seit längerem sowohl qualitativ als auch quantitativ statt, das belegen auch die neuesten Zahlen der Ende Jänner vorgestellten Waldinventur des Bundesforschungszentrums für Wald: 47,9 Prozent der Fläche Österreichs – und damit erstmals mehr als vier Millionen Hektar – sind von Wald bedeckt, Tendenz steigend: Die Waldfläche wuchs in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich um 3.400 Hektar jährlich und auch der Holzvorrat steigt stetig. Mit der jährlichen Holzzunahme könnten in Österreich über 100.000 Einfamilienhäuser aus Holz gebaut werden. 65 Baumarten wachsen in Österreichs Wäldern, 57,4 Prozent der Bäume sind Fichten, ihr Anteil nimmt jedoch zugunsten von Laubbäumen ab, was die Biodiversität und die Resistenz gegen Schädlinge wie den aktuell wütenden Borkenkäfer fördert. Und die Forstgesetze sind streng, an Nachhaltigkeit führt für die Waldbesitzer, die biologische Vielfalt und Regeneration sichern müssen, kein Weg vorbei. Zudem ist die Bedeutung des Waldes für die österreichische Wirtschaft enorm: 280.000 Menschen beziehen in rund 172.000 Betrieben ein Einkommen aus der Forst- und Holzwirtschaft, ein Drittel mehr als im Gastgewerbe. Der Produktionswert der gesamten Wertschöpfungskette beträgt jährlich rund zwölf Mrd. Euro.

Waldinsel der Seligen

„In Österreich hat der Wald eine starke Lobby“, sagt Pretzsch und fährt fort: „In vielen anderen Regionen der Welt aber leider nicht.“ Vor dreißig Jahren beteiligte er selbst sich noch am Tropenholzboykott, heute hat er eine andere Perspektive: „Der Boykott war ein Fehler, da wir die Wertschöpfungsketten völlig blockiert haben. In Mexiko wurden dann die Wälder in Orangenplantagen umgewandelt, also gab es keine Aufwertung des Waldes.“

Laut den Vereinten Nationen bildet der Wald für etwa 1,6 Mrd. Menschen einen Großteil ihrer Lebensgrundlage – der Beitrag von Holzprodukten zur globalen Wirtschaft beträgt jährlich 450 Mrd. Dollar. Doch während sich Österreich über einen Waldzuwachs von mehr als einem Dutzend Fußballfeldern pro Tag freuen darf, schreitet in vielen Entwicklungsregionen die Entwaldung rasant voran. Mehr als fünf Mio. Hektar Wald gehen jährlich verloren, vor allem in Südamerika und Afrika, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. „In Afrika wird das Holz vor allem als Brennholz genutzt, in Lateinamerika geht es eher um die Landwirtschaftsflächen, etwa um die Sojaproduktion. Der Kontext ist völlig anders, aber die Grundproblematik oft ähnlich: Institutionen funktionieren nicht, es werden falsche Technologien eingesetzt, zudem kommen kontraproduktive Entwicklungs-Incentives aus Europa“, sagt Pretzsch.

Dem tropischen Wald geht es an den Kragen: Holzkohle auf einem Markt im kongolesischen Yangambi und Brandrodung für die Landwirtschaft im AmazonasUnd Politiker in Schwellen- und Entwicklungsländern scheren sich immer weniger um Nachhaltigkeit in der Forst- und Holzwirtschaft, allen voran der neue brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der angekündigt hat, verstärkt den Amazonas abholzen lassen zu wollen. „Alles, was wir in Brasilien über lange Jahre an Nachhaltigkeitsstandards aufgebaut haben, fahren sie nun wieder herunter.

Dem tropischen Wald geht es an den Kragen: Holzkohle auf einem Markt im kongolesischen Yangambi und Brandrodung für die Landwirtschaft im Amazonas
Dem tropischen Wald geht es an den Kragen:
Holzkohle auf einem Markt im kongolesischen Yangambi und Brandrodung für die Landwirtschaft
im Amazonas

Und viele weitere Länder folgen dem Beispiel der USA und Brasiliens und ziehen sich auf ihr Nationalstaatsdenken zurück, wie wir es bei der Klimakonferenz in Kattowitz gesehen haben. Man realisiert dort die Zukunftsaufgabe Wald nicht“, sagt Pretzsch, warnt aber auch vor erhobenen Zeigefingern, schließlich sorgten auch bei uns die Industrielle Revolution und die Weltkriege für großflächigen Kahlschlag, das Thema der nachhaltigen Wald- und Forstwirtschaft musste sich über einen längeren Zeitraum sukzessive entwickeln.

Eine Nachfrage nach seinen Naturschutzbemühungen bringt den Förster dann aber auf die Palme: „Es geht mir nicht um Naturschutz-Konzepte, sondern um nachhaltige Lösungen vor Ort. Es geht hier nicht um post-materialistische, sondern klar um materialistische Fragen, um Überlebensstrategien. Wie können wir die Bedürfnisse der Menschen vor Ort in die Überlegungen integrieren? Unser post-materialistisches Entwicklungshilfedenken und die Realität in vielen Ländern liegen zu weit auseinander.“

Um Antworten auf die drängenden Fragen zu finden, sind neben der Politik auch Unternehmen gefordert. Zugleich bieten sich vor allem auch für viele österreichische Unternehmen, die weltweit als Experten in der Holzwirtschaft gelten, neue Geschäftsmöglichkeiten. „Österreichisches Know-how und Technologie zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern sind weltweit gefragt. Vor allem in Asien, aber auch in Äthiopien, Mali oder Guatemala gibt es Interesse“, sagt Konrad Eckl, Rohstoff- und Nachhaltigkeitsexperte bei der Außenwirtschaft Austria. So will etwa der oberösterreichische Faserhersteller Lenzing zukünftig auch in Bolsonaros Brasilien unter Beweis stellen, dass er Nachhaltigkeit beim Holzeinkauf zu einem zentralen Unternehmenswert gemacht hat (siehe Interview).

Unverzichtbare Energiequelle

Dass Holz vor allem in Entwicklungsländern für viele Menschen eine wichtige Energiequelle ist, ist einigen Waldexperten und Entwicklungsstrategen ein Dorn im Auge. Für 70 Prozent der Haushalte in Subsahara-Afrika ist der Naturstoff die Basis von Kochen und Heizen, so eine Analyse des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik DIE, die zugleich grundsätzliche Kritik daran kontert: Da Holz eine zuverlässige, lagerfähige, erneuerbare und nachhaltige Energiequelle sei und sich für die Existenzsicherung großer Bevölkerungsteile Subsahara-Afrikas verantwortlich zeichne, müsse die Holzenergie-Wertschöpfungskette nicht abgeschafft, sondern optimiert werden – bei der aktuell vorherrschenden nicht nachhaltigen Anwendung zerstöre die Holzkohleproduktion ihre eigene Grundlage und gefährde zudem häufig die Gesundheit.

Interview mit Herbert Grill, Lenzing

Herbert Grill , Chef-Holzeinkäufer bei Lenzing

„Holz ist ein Perpetuum mobile“

Herbert Grill verantwortet den Holzeinkauf beim Faserhersteller Lenzing und wirbt dafür, dass sich heimische Unternehmen auch in Regionen mit schwachen oder aufgeweichten Regularien an die Regeln der Nachhaltigkeit halten.

Bei den benötigten Maßnahmen gehe es vor allem um örtliche Governance und ökonomische Anreize, weniger um neue Technologien, wie sie aktuell in vielen Projekten gefördert werden, etwa in dem wiederholten Versuch, afrikanische Haushalte mit energieeffizienten Kochöfen zu versorgen. Laut der DIE-Analyse werden neue Herde in Afrika aber nur sehr zögerlich angenommen, alte Kochgewohnheiten setzen sich zumeist durch. Jürgen Pretzsch formuliert seine Kritik noch etwas schärfer: „Diese verbesserten Öfen, die hier in Europa entwickelt und im Rahmen von Entwicklungsprojekten nach Afrika gebracht werden, sind das Schlimmste! Dort stehen mittlerweile ein paar hundert Generationen von Öfen unbenutzt herum. Das hat nie funktioniert, weil es immer von außen kam. Neue Technologien müssen vielmehr mit den Leuten vor Ort diskutiert und entwickelt werden, wenn sie erfolgreich sein sollen.“

Dabei ist Pretzsch ebenfalls grundsätzlich der Meinung, dass faire und transparente Bodenrechte wichtiger seien als Technikfragen. Dieser Ansicht schließt sich auch Bernhard von Puttkamer an, der seitens der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ die kürzlich ins Leben gerufene äthiopische Forstbehörde unterstützt. Die Situation sei historisch gewachsen, das Thema entsprechend kein rein ökonomisches oder ökologisches, sondern ein kultursensibles: „Es ist in einer Nomaden- und Viehhalterkultur wie der äthiopischen sehr kompliziert, über die Einschränkung von Weiderechten zugunsten von Forstflächen zu diskutieren.“ Neue holzwirtschaftliche Technologien brauche es darüber hinaus aber auch – so neu müssten diese aber prinzipiell gar nicht sein: „In der Berufsschule in Bahir Dar in Nordäthiopien verwaisen Maschinen zur Bambusbearbeitung, die von Entwicklungsagenturen gespendet wurden und Hunderttausende Dollar gekostet haben. Was hier gerade wirklich gebraucht wird, sind große Mengen an soliden Hämmern und Sägen.“ Eingriffe in den sich gerade erst aufbauenden Holzmarkt sollten jedenfalls ökonomisch sinnvoll sein und nicht durch einseitige Subventionen marktverzerrend wirken.

Brennendes Holz stellt in Afrika auch noch auf einer weiteren Ebene ein großes Problem dar: Satellitenbilder aus dem Copernicus-Erdbeobachtungsprogramm zeigen, dass im Jahr 2016 allein in Subsahara-Afrika 4,9 Mio. Quadratkilometer Land in Flammen standen, fast sechzigmal die Fläche Österreichs – und 80 Prozent mehr als bis dahin dokumentiert. Mindestens drei Viertel der weltweit brennenden Wälder liegen damit in Afrika. Ein großes Problem sind dabei gezielt gelegte Brände, welche die Böden für die Landwirtschaft nutzbar machen sollen – das ist also keine allein lateinamerikanische Problematik –, auch mit Blick auf den Klimawandel: Brände machen weltweit mehr als ein Viertel der jährlichen Treibhausgasemissionen aus.

Intelligente Kombinationen

Wachsende Wälder: Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger und Peter Mayer, Leiter des Bundesforschungszentrums für Wald, bei der Vorstellung der Waldinventur.
Wachsende Wälder: Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger und Peter Mayer, Leiter des Bundesforschungszentrums für Wald, bei der Vorstellung der Waldinventur.

Als Energieträger spielt Holz übrigens auch in Europa eine zunehmend wichtige Rolle, hier geht es jedoch vor allem um Waldrestholz und Sägeabfälle, die als Biomasse saubere Energie erzeugen. Um die Forst- und Holzwirtschaft in Schwellen- und Entwicklungsländern ähnlich nachhaltig wie hierzulande gestalten zu können, braucht es eine Kombination aus Unternehmen, die Nachhaltigkeit zur Leitidee erklären, und staatlichen Incentives. Das sieht auch Jürgen Pretzsch so: „Was mir zudem in den letzten Jahrzehnten klargeworden ist: Auch Monokulturen haben ihre Berechtigung. Zugleich muss man aber den Naturwald schützen. Es gibt eine Zukunft für den Wald, wenn wir mit solchen Fragen intelligenter umgehen. Der Privatsektor kann das nicht alleine leisten, aber man muss ihn dafür motivieren.“

Motivieren wollte auch Peter Mayer, Leiter des Bundesforschungszentrums für Wald, seine Zuhörer Ende Jänner bei der Vorstellung der österreichischen Waldinventur: „Verschreiben Sie sich den Wald“, warb er für den ausgedehnten Waldspaziergang, „der Aufenthalt im Wald hat positive Auswirkungen auf unseren Körper und unsere Psyche.“

Das Konzept des Waldbadens – meditative, smartphonelose Spaziergänge durch den Wald – schwappt aktuell von Japan nach Europa über, und auch das neue Holzhochhaus in Wien kommt ohne ein wenig Spiritualität nicht aus: Das Marketingkonzept für das HoHo basiert auf der fernöstlichen Elementenlehre, die auch Feuer und Leere umfasst. Zu wünschen ist dem Vorzeigeprojekt, dass es über die Metaphorik hinaus mit beiden nicht zu viel zu tun bekommen wird.

Fotos: cetus-Baudevelopment gmbh, ::ErWin/flickr, Lassig, Axel Fassio/CIFOR, Matt Zimmerman/Flickr, Paul Gruber/BMNT