Warum tut sich Österreich bei der Umsetzung der globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung SDG so schwer?
Mei-Pochtler: Meines Erachtens geht es weniger darum, ob wir uns schwer tun. Die Frage ist: Performen wir gut oder performen wir schlecht? Und da zeigt sich: Wir sind nicht top, wir sind Mittelklasse. Das können wir verbessern, und das müssen wir dann natürlich entsprechend kommunizieren. Ich habe ein Problem mit dem Ausdruck „schwer tun“. Denn das klingt so, als würden wir das nicht gezielt angehen wollen.
Harrer: Das ist typisch österreichisch, wie in vielen anderen Bereichen auch: Österreich ist ein großer Verschub-Bahnhof der Verantwortung. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die gesamte Entwicklungszusammenarbeit im Bundeskanzleramt angesiedelt war: Da hatte man konkrete Ansprechpartner. Heute hat man mitunter das Gefühl, dass es niemanden gibt, der verantwortlich ist. Und von niemanden kommt eine schlüssige Strategie. Dabei wäre es notwendig, hier klare Strukturen zu schaffen. Auch der österreichische Beitrag zu den SDG müsste Chefsache sein, denn es ist ein wesentliches Thema, das auch das Bild Österreichs in der Welt prägt.
„Ich halte die SDG für großartig, weil sie erstmals globale Ziele festlegen, die auch für Industrienationen gelten.“
Narval: Ich halte die SDG für großartig, weil sie erstmals globale Ziele festlegen, die auch für Industrienationen gelten. Bislang gab es immer Ziele für Schwellen- und Entwicklungsländer. Wenn ich mir ansehe, wieviel Geld die Regierung für Werbung ausgibt, muss es doch möglich sein, die SDG mit zu transportieren und bekannter zu machen. Damit hier etwas weiter geht, wird es wohl auch Druck seitens der Bevölkerung brauchen. Wenn man mit Landwirten oder Touristikern redet, merkt man: Es steigt die Wut, dass der Klimawandel und dessen Folgen kein politisches Thema sind. Die Menschen erwarten Antworten! Weil sie spüren, dass wir Nachhaltigkeit einfach nicht gut managen.
Mei-Pochtler: Auch ich bin der Meinung, dass es klare Zielsetzungen und eine klare Verantwortung geben sollte. Aus diesem Grund gibt es Think Austria. Wir sind kein Think Tank, sondern ein Do Tank. Und wir haben eine Querschnittsaufgabe, weil auch wir sehen, dass in Österreich vieles zu fragmentiert ist und zu oft jedes Ministerium allein vor sich hin werkelt. Wir müssten aber transversal arbeiten. Deswegen haben wir eine Handvoll Themen definiert, die mehrere Ministerien oder die ganze Bundesregierung betreffen und die wir für langfristig wichtig erachten. Gerade in den SDG sehen wir eine große Chance für Österreich. Die Frage ist: Sind wir eine ausreichend intensive Kraft der Veränderung auch über unsere Grenze hinaus? Bringen wir im Realisieren der SDG außerhalb Österreichs unsere PS auf die Straße? Und das können und müssen wir viel stärker angehen, und zwar mit unternehmerischer Kraft.
Harrer: Ich bin skeptisch, wenn ich „können“ und „müssen“ höre – weil es den Herrn Müsste nicht gibt. Ich glaube, es gibt nur zwei Dinge: Tun oder nicht tun. Darum geht’s! Der Senat der Wirtschaft hat schon vor Jahren die Klima-Allianz der Unternehmer gestartet. Ich habe dazu unzählige Gespräche mit Politik und Verwaltung geführt, und was ich erlebt habe, war allzu oft Frust pur. Schuld daran waren zumeist unüberwindbare Partikularinteressen, was überhaupt der Sündenfall in Österreich ist.
Narval: Für mich ist hier auch die öffentliche Wahrnehmung entscheidend. Was nehmen die Menschen als Chancen und was als Probleme wahr? Und da sind wir im Moment in einer Sackgasse, da gewissen Themen zu viel Raum gewährt wird, während wir die wirklich wichtigen Herausforderungen außen vor lassen. Wir müssen hier der Bevölkerung reinen Wein einschenken, nämlich dass es komplexere und auch radikalere Lösungen braucht, um Europa in der Welt bestehen zu lassen. In Österreich herrscht ja immer noch das Bild vor, dass Umwelt- oder Klimaschutz mehr kostet, als nützt. Diese Diskussion gehört fundamental geändert: dass nämlich Wirtschaftszweige auch enorm davon profitieren können. Wir haben tolle internationale Vorreiterunternehmen, die aber auch ein wenig Unterstützung brauchen könnten, um auf den Weltmarkt zu kommen. Gleichzeitig ist es so, dass Unternehmen, wenn sie sich nicht radikal transformieren, in 15 Jahren keinen Business Case mehr haben werden. Und die, die jetzt mit der Transformation und Ressourcenoptimierung anfangen, werden auch die sein, die in 10 bis 15 Jahren führend sind.
„Ich bin skeptisch, wenn ich „können“ und „müssen“ höre – weil es den Herrn Müsste nicht gibt.“
Wie sehen Sie die internationale Rolle Österreichs, zum Beispiel in Bezug auf Afrika?
Mei-Pochtler: Afrika ist ein Topthema auf der Agenda der Bundesregierung, und da wird sicherlich einiges getan werden. Bevor man damit aber breit an die Öffentlichkeit gehen kann, muss man nur klären, was genau. Klar ist, dass der Staat einiges machen wird. Vor allem wird es darum gehen, dass man es den Unternehmen schmackhaft macht, indem man die Chancen aufzeigt. Die Realität: Unsere Handelsbilanz mit Afrika ist einfach irrelevant, und das müssen wir massiv verändern. Die Politik muss hier Enabler sein, indem sie den Unternehmen die Opportunitäten eröffnet, die sich daraus ergeben. Afrika ist ein absoluter Chancen-Kontinent, nicht nur eine Migrationsquelle. Leider ist die Diskussion stark in diese Richtung abgedriftet.
Narval: Zum einen glaube ich, dass man auch hier die Wahrnehmung ändern muss: Weg davon, rein auf Entwicklungshilfegelder zu fokussieren. Im Vergleich zum Klimaschutz ist da die Diskussion aber schon etwas weiter. Immerhin sprechen wir hier beispielsweise über Impact Investing als eine große Chance, Entwicklung und Profitmöglichkeiten zu verbinden. Wenn Sie heute Unternehmer fragen, welche Unterstützungen diese für solche Aktivitäten bräuchten, dann sind das: steuerliche Erleichterungen, Hilfen beim Export und ein überzeugendes Branding, dass Österreich für nachhaltige Technologie-Exporte steht. Aber auch hier braucht es zuerst eine breite öffentliche Diskussion. Und ein Hebel dafür könnte sein, dass die Bundesregierung ihre Öffentlichkeitsarbeit in Zukunft auch dafür nutzt, um die Chancen durch die Implementierung der SDG zu kommunizieren.
Mei-Pochtler: Der öffentliche Diskurs ist sicher wichtig, sollte meiner Meinung nach aber erst dann gestartet werden, wenn man etwas Konkretes vorweisen kann. Einfach diskutieren l‘art pour l‘art – das wird uns nicht wirklich weiterbringen. Die Unternehmen sind unsere große Kraft, die müssen wir gewinnen. Ihnen muss man die existierenden Chancen zeigen und möglicherweise auch durch eine gezielte Unterstützung bessere Chancen schaffen. Und wenn wir ein paar Vorzeigeprojekte haben, können wir auf dieser Basis einen sinnvollen Dialog führen. Dann kann man den Unternehmen zeigen: Siehst du, es funktioniert. Und vor allem können wir dann auch mit einer anderen Attitude auf Afrika zugehen.
Harrer: Österreich hätte bei all seinen Ressourcen das Potenzial, sich nicht mit der Mittelmäßigkeit zufrieden zu geben, sondern wirklich ein europäisches Vorbildland zu werden. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns aber eingestehen, dass wir zum Thema globale nachhaltige Entwicklung faktisch noch nichts gemacht haben – wenn wir von Floskeln im Rahmen irgendwelcher Wortspenden absehen. Das ist ein österreichisches Problem: Wir sprechen die Themen einfach nur mehr an. In Verbindung mit der spezifisch österreichischen Verhinderer-Struktur kommt da einfach nichts heraus.
Sind die von Ihnen genannten Chancen heute attraktiv genug für die österreichischen Unternehmen?
Mei-Pochtler: Leider nicht. Das hat auch damit zu tun, das die exportstarken österreichischen Unternehmen in vielen Bereichen sehr aktiv sind und sich nicht verzetteln wollen. Und deswegen müssen wir ihnen mit kleinen Incentives die Chancen neuer Themen und Regionen langsam schmackhaft machen. Damit sie das im großen Portfolio der Opportunitäten tatsächlich auch angehen. Denn es ist klar, dass wir nicht wollen, dass unsere Unternehmen in Risikopositionen gebracht werden.
Mei-Pochtler: Wir sollten hier auch das Motivierende sehen: Dass Österreichs Unternehmen ja hervorragend aufgestellt sind, wenn es darum geht, Technologie für Zukunftsmärkte zu entwickeln. Wir haben zahlreiche mittelständische und große Unternehmen, die in relevanten Branchen Technologie-Führer sind.
„Wir müssen viel stärker in Richtung Aktivierung der unternehmerischen Kraft gehen, um gemeinsam wirksame Lösungen zu finden.“
Wie können wir weiterkommen?
Mei-Pochtler: Wir sind uns einig, dass wir dazu eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit brauchen, die in der heutigen Form nicht mehr das Richtige ist. Wir müssen viel stärker in Richtung Aktivierung der unternehmerischen Kraft gehen, um gemeinsam wirksame Lösungen zu finden. Dazu gehört auch, Afrika als Chancen- und Partnerkontinent auf Augenhöhe wahrzunehmen. Und ich sehe hier eine Kernkompetenz des Bundeskanzlers, die richtigen Menschen zu einem Dialog an einen Tisch zu bringen. Das versuchen wir mit Think Austria zu unterstützen.
Harrer: Man muss hier aufpassen: Denn wenn man zu viele Stimmen und Interessen an einen Tisch bringt, besteht die Gefahr, dass am Ende wieder nur weichgespülte Ergebnisse herauskommen. Wir brauchen hier aber Kanten, es müssen Entscheidungen getroffen werden – und dafür braucht es Leadership.
Narval: Und ein klares Problembewusstsein: Dass Nachhaltigkeit und globale Entwicklung nicht aus moralischer oder altruistischer Motivation betrieben werden, sondern dass es dabei um eine Überlebensstrategie auch für uns geht.
Vielen Dank für das Gespräch!
DIE GESPRÄCHSTEILNEHMER
Philippe Narval ist Geschäftsführer des Europäischen Forum Alpbach.
Antonella Mei-Pochtler ist Unternehmensberaterin und leitet „Think Austria“ – eine neue Stabstelle für Strategie, Analyse und Planung im Bundeskanzleramt.
Hans Harrer ist Unternehmer und Vorstandsvorsitzender des Senats der Wirtschaft.