Vom unbekannten Exoten zum Exportschlager und von da zum meist-kritisierten Zuchtfisch Europas – die „Karriere“ des Pangasius ist schwer zu toppen. Der Schlankwels, gezüchtet entlang des Mekong in Vietnam, war der Shooting-Star unter den Speisefischen in den frühen 2000er-Jahren. Quasi grätenfrei, kalorienarm, mit wenig Eigengeschmack und außerdem unanständig günstig: Das waren die Faktoren, die den Konsum in Deutschland – und nicht nur dort – in wenigen Jahren von 600 auf 36.000 Tonnen versechzigfachen ließen. Pangasius boomte.

Der Fall kam 2012 mit „Die Pangasius-Lüge”, einer Dokumentation des deutschen Senders NDR, welche die Produktionsbedingungen in den vietnamesischen Zuchtbetrieben aufdeckte: Der Fisch werde mit Antibiotika vollgepumpt, schwimme in verschmutztem Flusswasser und sei mit Giftstoffen belastet, so die Conclusio der Sendung. Der darauffolgende Absatzeinbruch in Europa um zeitweise 40 Prozent löste eine veritable Krise in Vietnam aus, denn wie in vielen Ländern Asiens war die Fischzucht ein zunehmend wichtiger Wirtschaftssektor geworden.

Halbe-halbe und mehr

Kein anderer Bereich der Lebensmittelproduktion ist in den vergangenen 60 Jahren so stark gewachsen wie die Aquakultur. Zwar ernährt die kontrollierte Aufzucht von im Wasser lebenden Organismen schon seit Jahrtausenden Menschen in Afrika und Asien. Doch erst neuartige Praktiken zur künstlichen Vermehrung und die Entwicklung von Fischfutter in Granulatform ermöglichten die Fischzucht ab den 1950er-Jahren in völlig neuem Ausmaß. Es folgten Jahrzehnte mit jährlichen Wachstumsraten von fast zehn Prozent. Laut Statistiken der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO hat der Ertrag aus Aquakultur den Wildfang fast eingeholt. Da aber fast ein Viertel des Wildfangs nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt ist, kommt bereits heute mehr als die Hälfte des gesamten Fischfleisches auf unseren Tellern aus Aquakultur. Schon 2030 wird der Anteil rund zwei Drittel ausmachen, so Prognosen. Und das hat einen einfachen Grund: Der steigende Appetit auf Fisch, gepaart mit einer rasch wachsenden Weltbevölkerung, lässt sich durch traditionelle Fangmethoden schlichtweg nicht decken.

Genügsame Süßwasserfischarten wie Karpfen oder Barsche sind in vielen Entwicklungsländern ein wichtiger Lieferant von tierischem Eiweiß. China ist dafür ein gutes Beispiel: Das Reich der Mitte züchtet mit 49 Millionen Tonnen mehr Fisch als alle anderen Länder der Welt zusammen. Der überwiegende Teil der Produktion wird gleich im eigenen Land verspeist. Fisch wird aber auch international so stark gehandelt wie kaum ein anderes Lebensmittel, mehr als jeder dritte Fisch wird nicht im Ursprungsland konsumiert. Die Europäische Union importierte 2017 Fischerei- und Aquakulturerzeugnisse im Wert von rund 25 Mrd. Euro, das meiste davon aus Asien. Insbesondere Binnenländer wie Österreich sind von Einfuhren abhängig: Gerade einmal sechs Prozent des hierzulande konsumierten Fisches produzieren wir selbst, oder anders gesagt: Am 17. Jänner eines Jahres haben wir bereits verspeist, was in heimischen Gefilden gezüchtet wird.

Kein Boom ohne Haken, so auch bei der Aquakultur: Laut Schätzungen wurden allein in den 1980er Jahren bis zu 38 Prozent der globalen Mangrovenbestände durch das Anlegen und den Betrieb von Garnelenzuchten beschädigt. Auch die Arbeitsbedingungen in der Shrimpsproduktion machten international Negativschlagzeilen: In Thailand waren Kinder- und Zwangsarbeit zum Schälen der Garnelen keine Seltenheit. All das macht schnell klar: Wachstum braucht Kontrolle, und Aquakultur kann nur dann ein Teil der Lösung für die Welternährung sein, wenn sie nachhaltig ist.

Kontrolle für Vertrauen

Unterwasserfarmen: Oftmals der Ursprung unseres Fisches

Nur: Wie informiert sich Otto Normalverbraucher über die Bedingungen, unter denen das Lachsfilet oder der Garnelenspieß produziert wurde, oftmals tausende Kilometer entfernt? Nachhaltigkeitslabels können hier Orientierung bieten: Produzenten, die Umwelt- und Sozialauflagen einhalten und sich von externen Gutachtern überprüfen lassen, dürfen ihre Waren mit dem jeweiligen Logo schmücken und sich so von der Konkurrenz abheben. Die ersten diesbezüglichen Ansätze entwickelten sich in den 1990er-Jahren aus der Ökobewegung heraus. So gab etwa Naturland, der deutsche Verband für ökologischen Landbau, bereits Mitte der 1990er-Jahre das erste Regelwerk für ökologische Aquakultur heraus, und auch die ARGE Biofisch in Österreich datiert aus dieser Zeit.

Es dauerte noch bis 2010, bis die EU-Kommission mit der EU-Bio-Verordnung erstmals eine europaweite gesetzliche Regelung für Biofisch und -meeresfrüchte verabschiedete. In Europa dürfen nur noch Zuchtfischprodukte als Bio vermarktet werden, wenn sie nach dieser Verordnung kontrolliert und zertifiziert sind – ganz egal, wo sie produziert wurden. Das österreichische Seafood-Unternehmen Yuu’n’mee brachte bereits kurze Zeit später die ersten Bio-Black Tiger Garnelen aus Thailand in die heimischen Supermarktregale. Trotzdem ist Bio in der globalen Aquakultur nach wie vor ein Nischenthema. Schätzungen gehen davon aus, dass global gerade einmal 0,5 Prozent der Fischzuchten nach Bio-Standard arbeiten.

Wie kann man den großen Rest der konventionellen Züchter dazu bewegen, die negativen Auswirkungen zu reduzieren, lautete die Frage, die sich auch die Umweltschutzorganisation WWF stellte – und beschloss, sich gemeinsam mit Wissenschaftlern, NGO und Produzenten an die Erarbeitung von global anwendbaren Standards für die traditionelle Aquakultur zu machen. Daraus entstand der Aquaculture Stewardship Council mit dem türkisen ASC-Logo für Zuchten, die auf das Ökosystem vor Ort Rücksicht nehmen, die Wasserqualität erhalten, den Einsatz von Chemikalien reduzieren, Futter aus verantwortungsvollen Quellen verwenden und gute Arbeitsbedingungen bieten.

Einer der ersten ASC-Standards war jener für Pangasius. In Krisengesprächen einigte sich der WWF mit vietnamesischen Regierungs- und Industrievertretern darauf, das Vertrauen der Konsumenten durch eine nachweislich ökologisch verträgliche Produktion wiederzugewinnen. Heute, sieben Jahre später, haben die Zuchten, die für den internationalen Handel produzieren, nichts mehr gemein mit den Schmuddelbecken, die man oft in den Medien sieht. Große Zuchtteiche, abseits des Mekongs angelegt, verfügen über Wasseraufbereitung, genaue Kontrolle des Nährstoffeintrags in das Flusswasser und naturgrüne Begrenzungen. Mittlerweile empfiehlt der WWF zertifizierten Pangasius sogar in seinem Einkaufsratgeber, da er nur geringe Eiweiß- und Fettmengen benötigt, sodass die Zucht einen Netto-Proteingewinn bedeutet. Doch die jahrelange negative Berichterstattung hat den Appetit der europäischen Konsumenten auf Pangasius wohl nachhaltig verdorben.

Boombranche Aquakultur

Der Wildfang stagniert seit Ende der 1980er Jahre, der steigende Fischkonsum wird zunehmend aus Aquakultur gedeckt. Sieben von acht Zuchtfischen kommen dabei aus Asien.

Alles im Fluss

Von diesem Problem ist Lachs weit entfernt – sein Konsum ist dreimal so hoch wie noch 1980. Davon profitiert vor allem Norwegen. Bereits heute ist Fisch mit einem Anteil von 10,9 Prozent im Jahr 2017 hinter Erdöl und Gas das zweitwichtigste Exportgut des Landes – und definitiv das mit den besseren Zukunftsaussichten. Deswegen investiert Norwegen massiv in die Weiterentwicklung des jungen Industriesektors. Viel wurde bereits erreicht: Wurden in der Vergangenheit häufig Antibiotika in den Zuchten eingesetzt, haben wirksame Impfstoffe und strenge Hygienevorschriften zu einer 99,9-prozentigen Verringerung des Antibiotikaeinsatzes beigetragen. Auch für andere Arten – wie beispielsweise Dorade und Wolfsbarsch – wird an Impfstoffen geforscht.

Beim Fischfutter ist ebenfalls viel im Wandel. Kein Wunder, machen Futtermittel im Durchschnitt doch rund zwei Drittel der Produktionskosten in der Aquakultur aus und gelten zudem als Mitverursacher für die Überfischung der Meere. Es ist deswegen ein Ziel der Wissenschaft und innovativer Unternehmen, umweltverträglicheren Ersatz zu finden. Fische benötigen für ihr Wachstum ungesättigte Fettsäuren wie Omega 3, die sie – genauso wie wir Menschen – über die Nahrung aufnehmen müssen. Aussagen, dass für ein Kilogramm Zuchtlachs fünf Kilogramm Wildfisch benötigt werden, sind zwar seit Jahren widerlegt, halten sich aber dennoch hartnäckig. Fakt ist, dass sich den exzessiven Einsatz von Fischmehl und -öl aufgrund der steigenden Preise kein Fischwirt mehr leisten könnte. Maximal 30 Prozent machen marine Bestandteile bei Raubfischen wie dem Lachs heutzutage aus, wobei rund ein Drittel davon aus Industrieabfällen besteht.

Und selbst hier gibt es Optimierungspotenzial: Einige Mikroalgen verfügen über einen sehr hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Bis dato waren diese algenbasierten Alternativen für Produzenten wenig interessant – hoher Preis war gepaart mit geringer Verfügbarkeit. Das könnte sich bald ändern. Veramaris, ein Joint Venture der Chemiekonzerne DSM und Evonik, eröffnete unlängst in den USA ein Werk zur Herstellung von Mikroalgen. Die anfängliche jährliche Produktionskapazität wird ungefähr 15 Prozent des globalen Bedarfs der Lachsindustrie an Omega 3 und 6 decken. Mittlerweile finden sich die ersten mit Algen gefütterten Lachsprodukte in den Regalen deutscher Einzelhändler.

Auch für das proteinreiche Fischmehl wird an Alternativen geforscht. Im Fokus stehen derzeit zwei Insektenarten – Mehlwürmer und Larven der Schwarzen Soldatenfliege, die in der EU seit zwei Jahren als Fischfutter zugelassen sind. Auch hier bewegt man sich mit Riesenschritten aus der Nische: Der renommierte Futterhersteller Skretting verpflichtete sich soeben zur Abnahme großer Mengen von Insekten des jungen Unternehmens Protix. Und das auf Mehlwürmer spezialisierte französische Start-up Ÿnsect hat in der Finanzierungsrunde C gerade 110 Mio. Euro aufgebracht, das größte im Bereich Agrotechnologie jemals erzielte Investment außerhalb der USA.

Was die Technologie dahinter betrifft, haben auch österreichische Unternehmen ihre Finger im Spiel: Das steirische Unternehmen Christof Industries übernahm beispielsweise die gesamte Anlagenentwicklung für Agriprotein in der Nähe von Kapstadt. Voll-automatisiert werden hier biologische Abfälle in eine Nährlösung für Fliegenlarven umgewandelt, diese aufgezogen und geerntet und dann zu proteinreichen Futtermitteln weiterverarbeitet. 250 Tonnen Bioabfall werden hier pro Tag zu 50 Tonnen Hühner- und Fischfutter – Upcycling im besten Sinne.

Lösungen gesucht

Der gläserne Lachs: Kameras und Messgeräte kontrollieren die Bedingungen in den Gehegen.

Die Förderung von Start-ups, die disruptive Innovationen für die Problembereiche der globalen Fischzucht entwickeln, hat sich auch Hatch Blue zur Aufgabe gemacht. Dieser erste Accelerator für nachhaltige Aquakultur sitzt in Bergen in Norwegen, dem Silicon Valley der Branche. Eines der Start-ups im Portfolio ist Jala. Jala widmet sich einem Grundproblem der Fischzucht – nämlich Krankheiten. Der indonesische Gründer Aryo Wiryawan war selbst Shrimpsfarmer und weiß, dass Garnelenzucht oftmals ein Glücksspiel ist: „Wenn man Pech hat, sind die Garnelen innerhalb von ein bis zwei Tagen tot.“ Beispielsweise haben Krankheiten 2001 fast die gesamte Shrimp-Ernte in Indonesien vernichtet. Mit dem Monitoring- und Management-Tool von Jala können Garnelenproduzenten die für die Gesundheit ihrer Tiere so wichtigen Wasserparameter wie pH-Wert, Salzgehalt oder Temperatur laufend überprüfen und erhalten gleichzeitig wissenschaftlich basierte Handlungsempfehlungen. Zur Verfügung gestellt wird das System auf Abo-Basis zu einem Preis, den sich auch die vielen Kleinzüchter in Entwicklungsländern leisten können.

Nicht-kontrollierbare Umwelteinflüsse stellen Produzenten, ganz unabhängig von ihrer Größe, vor substanzielle Herausforderungen und lassen sie neue Wege beschreiten. Mowi, der weltweit größte Zuchtlachsproduzent, stellte vor einiger Zeit das Marine-Egg-Projekt vor, einen schwimmenden Container in Ei-Form. Darin können bis zu 1.000 Tonnen Lachs abgeschirmt gezüchtet werden, geschützt vor allem vor dem großen kleinen Feind, der Lachslaus. Diese hat die Züchter bereits zur Erprobung neuer kreativer Behandlungsmethoden angespornt: Sie reichten vom Einsatz von Lippfischen, die den Lachsen die Läuse von der Haut fressen über Bäder in warmem Süßwasser, das die kleinen Parasiten nicht mögen, bis hin zum Einsatz von Lasern. Die hohen Kosten für die Bekämpfung dieses natürlichen Feindes gemeinsam mit steigenden Preisen für Farmlizenzen machen auch eine ganz andere Produktionsform plötzlich finanziell attraktiv: die Produktion an Land, in Anlagen mit Tanks und geschlossenen Wasserkreisläufen. Endeten diese kapitalintensiven „Kreislaufanlagen“ in der Vergangenheit oft im Bankrott, halten Analysten des größten norwegischen Finanzdienstleisters DNB diese künftig durchaus für wirtschaftlich tragfähig. Bis 2026 sollen 500.000 Tonnen Lachs an Land gezüchtet werden, das ist rund die Hälfte dessen, was Norwegen derzeit unter Wasser züchtet.

Damit ergeben sich auch Möglichkeiten in Ländern, die einem in Verbindung mit Lachs nicht unbedingt in den Sinn kommen. Das Unternehmen Pure Salmon plant gerade eine Anlage im afrikanischen Königreich Lesotho, in 1.000 Metern Höhe und mehrere hundert Kilometer vom Meer entfernt. Acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Lesotho würde das Werk bei Vollbetrieb erwirtschaften. So könnten auch kleine Binnenländer bald am globalen Appetit auf Lachs mitnaschen. 

Fotos: 2xASC, Veramaris

Interview mit Michael Berlin, Blün

Blau-grüner Kreislauf

Das Wiener Start-up Blün betreibt die erste kommerzielle Aquaponikanlage in Österreich. Gründer und Geschäftsführer Michael Berlin erklärt, warum im Kreis laufen sehr nachhaltig sein kann.