Verkauft CO2-Zertifikate: Martin Wesian
Martin Wesian, Helioz-Gründer

Als Martin Wesian vor mehr als zehn Jahren aus seiner Diplomarbeit heraus ein solares Wasserdesinfektionsgerät namens Wadi entwickelte und das Sozialunternehmen Helioz gründete, baute er für den Vertrieb auf die großen österreichischen NGO. Diese sollten die kleinen silbrig glitzernden UV-Messgeräte kaufen und in Entwicklungsländern zu den Menschen bringen. Als weitere Verkaufsschiene standen CSR-Aktivitäten von Unternehmen auf dem Plan und nur ganz am Rande dachte er über CO2-Zertifikate nach. Heute hat sich die Situation komplett gedreht. Rund 60.000 Wadis sind weltweit bereits in Verwendung, und das, obwohl er bei heimischen NGO kein Interesse wecken konnte. Vielmehr werden die Helioz-Projekte heute zu drei Vierteln durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten finanziert. „Seit etwa fünf Jahren ist das Interesse an CO2-Zertifikaten deutlich gestiegen. Eigentlich müsste ich Greta Thunberg dafür Provision zahlen. Sogar meine Großeltern sagen mittlerweile: CO2 muss man einsparen. Und so sehen das auch viele Unternehmen“, sagt Wesian.

Steigende Nachfrage nach CO2-Zertifikaten

Die Welt ist eng vernetzt, das gilt insbesondere für das klimaschädliche Kohlenstoffdioxid, das auf seinem Weg in die Atmosphäre keine Grenzen kennt. Und so lautet die Idee hinter dem Markt für CO2-Kompensationen: Unternehmen und auch Privatpersonen können ihren eigenen CO2-Ausstoß – etwa von Flugreisen – durch den Kauf von CO2-Zertifikaten, die für die Finanzierung von Klimaprojekten in Schwellen- und Entwicklungsländern verwendet werden, minimieren oder gar ausgleichen. Jedes Zertifikat entspricht einer Tonne CO2, die durch das entsprechende Projekt eingespart wird.

Während vereinzelte Firmen aus besonders energieintensiven Sektoren verpflichtend CO2 kompensieren müssen, machen die allermeisten Unternehmen dies freiwillig. „Immer mehr Unternehmen veröffentlichen ihre Klimabilanz. Und da macht es sich natürlich gut, wenn man sich um die Restemissionen kümmert. Es gibt aber auch weitere Trigger wie etwa die verstärkte Nachfrage der eigenen Mitarbeiter“, erklärt Denis Machnik, Kompensationsexperte beim deutschen Klima-Think-Tank Adelphi.

Interview mit Kompensationsexperte Denis Machnik

Lückenfüller

Kompensationsexperte Denis Machnik analysiert die steigende Nachfrage nach CO2-Zertifikaten.

Der Beginn des freiwilligen Kompensationsmarktes reicht rund 20 Jahre zurück. Mittlerweile hat sich eine entsprechende Infrastruktur mit Registern zur Abwicklung von Zertifikatstransaktionen und mit Standards zur Projektzertifizierung herausgebildet. Letztere sollen den Käufern von CO2-Zertifikaten unter anderem garantieren, dass das Projekt ohne die Erlöse aus dem Zertifikatehandel nicht zustande gekommen wäre, also die CO2-Einsparung eine dezidierte Folge der Finanzierung durch CO2-Zertifikate ist. Als ein wesentliches Gütesiegel gilt der vom WWF und anderen internationalen Organisationen 2003 gegründete Gold Standard. Projekte, die unter diesem Siegel firmieren, leisten nicht nur einen Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch zu weiteren Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG).

In den vergangenen Jahren hat sich der Markt für freiwillige CO2-Kompensationen stetig vergrößert und weiterentwickelt. Laut dem Ecosystem Marketplace Report, der aktuellste Daten zum freiwilligen Kompensationsmarkt zusammenträgt, wurden im Vorjahr weltweit 188 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gehandelt, heuer waren es bis Ende August bereits 239 Millionen (siehe Grafik). Machnik hält auch diesen Wert noch für untertrieben. Alleine in Deutschland könne man von etwa 50 Millionen Tonnen im Jahr ausgehen, was etwa einem Zwölftel der deutschen Treibhausgas-Emissionen entspricht.

Dem Beratungsunternehmen Climate Focus zufolge werden derzeit knapp 4.000 Kompensationsprojekte umgesetzt, die meisten davon in China und Indien. Die Palette ist aber breit und reicht von der Aufforstung in Brasilien über die Einführung von Solarkochern in Uganda bis zum großen Wasserkraftwerk in Vietnam.

Daten und Fakten

Steiler Anstieg

Der globale Markt zur freiwilligen Kompensation nimmt an Fahrt auf – auch wenn nach wie vor nur ein geringer Teil der Emissionen kompensiert wird.

CO2-Zertifikate garantieren Impact

Den Stein für die durch Zertifikate finanzierten Projekte von Helioz hat Hofer ins Rollen gebracht. Nachdem der Discounter die eigenen Emissionen bestmöglich reduziert hatte, entschied die Geschäftsführung, zusätzlich ein zertifiziertes Kompensationsprojekt mit unmittelbarem Impact für die Arbeiterinnen und Arbeiter, die für das Unternehmen in Bangladesch Textilien nähen, zu finanzieren. Wesian bot Hofer genau das an: Wadis für die tausenden Menschen, die dort arbeiten und leben. Diese Form der sonnenbasierten Wasserdesinfektion schützt nicht nur Menschen vor Krankheiten, sondern auch das Klima, da das Abkochen von Wasser mit Feuerholz hinfällig wird. Die CO2-Emissionen, die etwa die Hofer-LKW hierzulande ausstoßen, wurden demnach durch den Schutz von Bangladeschs Wäldern ausgeglichen. Hofer bezahlte das Projekt über CO2-Zertifikate, die von der Universität für Bodenkultur BOKU, die den Prozess wissenschaftlich begleitete, zertifiziert wurden.

Neben maßgeschneiderten Zertifikaten wie für Hofer verkauft Helioz Zertifikate aus Großprojekten an nationale und internationale Zwischenhändler, die diese dann in eigens geschnürten Paketen an ihre Kunden weiterverkaufen. Dabei kann der Weg eines Projekts von der Idee zum eigenen CO2-Zertifikat mehrere Jahre in Anspruch nehmen und auch scheitern. Das Risiko ist durchaus groß, denn die Idee muss bereits implementiert sein, bevor die Validierung als Kompensationsprojekt durch eine unabhängige Prüfinstitution wie den TÜV erfolgen kann. Anschließend werden alle Projektdokumente vom angestrebten Kompensationsstandard überprüft. Erst jetzt kann das Projekt überhaupt registriert werden. Nach der Registrierung wird ein Kompensationsprojekt einem Prüfverfahren unterworfen, in dem der Klimanutzen und die erzielten Entwicklungswirkungen gemessen, berichtet und zertifiziert werden. Bei Erfolg erhält der Projektbetreiber die Kompensationszertifikate auf sein Konto im Register des Kompensationsstandards gutgeschrieben und kann diese verkaufen.

Der Zertifikatehandel hat laut Wesian eine wichtige Kontrollfunktion: „Es wird jährlich überprüft: Spart das Projekt wirklich CO2 ein? Kommt das Gerät überhaupt zum Einsatz? Wir haben hier also eine eingebaute Wirkungsmessung.“

CO2-Zertifikate finanzieren die Helioz-Projekte in Bangladesch.
Kleines Gerät mit großer Mission: Wadi-Nutzerin in Bangladesch

Kritische Stimmen

Die Preise für ein Helioz-Zertifikat changieren zwischen zehn und zwanzig Euro. Denn wie teuer ein Zertifikat am Ende ist, hängt von der Projektart, der eingesetzten Technologie, dem Alter des Zertifikats, dem SDG-Impact sowie von der Nachfrage und der Menge an verkauften Zertifikaten ab. „Wirklich durchsichtig ist der Markt nicht. Und das kriegen wir auch als Rückmeldung von Unternehmen, die nicht kompensieren, weil sie einfach nicht durchblicken und nicht wissen, wie der Preis sich bildet“, sagt Kompensationsexperte Machnik.

Laut der amerikanischen NGO Forest Trends beträgt der weltweite Durchschnittspreis für eine gehandelte Tonne CO2 gerade einmal vier Euro. Für einen wirksamen Klimaschutz ist das viel zu wenig – in Österreich kosten CO2-Emissionen ab nächstem Jahr 30 Euro pro Tonne und dem deutschem Umweltbundesamt zufolge liegen die kulminierten Umweltschäden einer Tonne CO2 gar bei etwa 200 Euro.

Bis dato sind bei den meisten Unternehmen vor allem Aufforstungsprojekte hoch im Kurs, deren Hauptschwäche der Faktor Zeit ist. Denn schließlich braucht ein Baum Jahrzehnte, bis er effektiv CO2 einspart. Daneben ist dieser Projekttyp stark betrugsgefährdert, gibt Helioz-Chef Wesian zu bedenken: „Es gibt leider schon genug Projekte, bei denen man gesehen hat: Die pflanzen die Bäume, kassieren die Zertifikate, und nach zwei Jahren werden die Bäume wieder gefällt und das Holz verarbeitet. Das hat dann sogar eine negative CO2-Bilanz.“ Zudem werden laut einer britischen Studie bei der Hälfte der Wiederaufforstungsprojekte Monokulturen gepflanzt, die als CO2-Speicher mit natürlichen Wäldern nicht mithalten können.

Kritik regt sich darüber hinaus auch an der grundsätzlichen Idee von CO2-Kompensationen: Für viele Klimaschützer sind diese vor allem ein Mittel für Unternehmen, um sich von der eigenen Verantwortung freizukaufen, statt Emissionen zu vermeiden oder zu reduzieren. So betont die deutsche Kompensations-NGO Atmosfair, dass CO2-Kompensationen nur sinnvoll sind, wenn es keine realistische und zumutbare Alternative gibt, die bereits jetzt weniger CO2 verursacht.

Neue Regeln für den Handel mit Co2-Zertifikaten

Ein Durchbruch zugunsten des regelbasierten Emissionshandels gelang auf der Weltklimakonferenz in Glasgow im November. Nach jahrelangem zähen Ringen wurde die Umsetzung des umstrittenen Artikels 6 des Pariser Klimaabkommens beschlossen. Wichtig dabei war vor allem die Verhinderung der Doppelzählung, einer Art Schlupfloch des Pariser Abkommens, das es sowohl dem Käufer als auch dem Verkäufer ermöglichte, ein und dasselbe Zertifikat für die eigene CO2-Bilanz anzurechnen.

Die in Glasgow getroffenen Vereinbarungen regeln vorerst nur den zwischenstaatlichen CO2-Handel. Für Unternehmen ist vor allem relevant, dass der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism) der Vereinten Nationen, der bei der Kyoto-Konferenz 1997 als Instrument für die Substitution der Emissionen von Industriestaaten entwickelt wurde und auch im freiwilligen privatwirtschaftlichen Kompensationsmarkt neben dem Gold Standard als wichtiger Standard diente, von einem neuen Mechanismus abgelöst werden soll. Sustainable Development Mechanism ist als Name dafür im Gespräch. Dieser wird für den freiwilligen Kompensationsmarkt und damit für Unternehmen zukünftig ein wesentlicher Standard für CO2-Zertifikate sein.

Allerdings dürfte der Handelspreis für CO2-Zertifikate zukünftig teurer werden. „Bis dato war es so, dass mit der Kompensation kostengünstig im Ausland CO2 eingespart werden konnte“, sagt Machnik. Fußend auf dem Pariser Klimaabkommen werden die Schwellen- und Entwicklungsländer zukünftig aber selbst die einfacheren und günstigeren Klimaprojekte für die Erfüllung ihrer eigenen Treibhausgas-Verpflichtungen nutzen. „Es gibt nun also einen schmaleren Bereich, in dem die Kompensation noch funktionieren kann. Entsprechend müssen Unternehmen für ein Zertifikat zukünftig auch mehr Geld in die Hand nehmen – sofern die Entscheidungen der Weltklimakonferenzen vom Markt für freiwillige Kompensationen auch ernst genommen werden“, sagt Machnik.

Der Handel mit CO2-Zertifikaten wird durch die in Glasgow getroffenen Vereinbarungen übersichtlicher.
Für mehr Klarheit im Emissionshandel haben die Verhandlungen bei der Klimakonferenz in Glasgow gesorgt.

Wandel durch Handel

Auch Martin Wesians Geschäftsmodell ist ständigem Wandel unterzogen. Aktuell entwickelt er sein Unternehmen peu à peu in Richtung Beratungsdienstleister weiter: „Wir beraten Unternehmen, wie sie CO2 nicht nur kompensieren, sondern auch einsparen und vermeiden. Und wir führen andere Unternehmen so weit, dass sie selber Zertifikate generieren können“, sagt der Helioz-Gründer. Schließlich brauche es einiges an Know-how bei der Anmeldung der Zertifikate und dem Umgang mit den diversen Standards, das er und seine Mitarbeiter sich über Jahre angeeignet hätten. Darüber hinaus bietet Helioz nun weitere Dienstleistungen im Hygienebereich an. Vom studentischen Bastler zum „Full-Service-Provider“ – dieser Werdegang wäre dem Sozialunternehmen ohne die Möglichkeiten des CO2-Zertifikatehandels nicht gelungen.

Fotos: Emily Pinna/CIFOR, Helioz (2), Karwai Tang/UK Government