Interview

Baustein mit Potenzial

Ausgabe 86 – Frühjahr 2020

Heike Baumüller, leitende Wissenschafterin am Zentrum für Entwicklungsforschung ZEF an der Universität Bonn, über den Trend zu Agrar-Apps für Afrikas Kleinbauern.

Heike Baumüller, ZEF Universität Bonn
Für Afrikas Kleinbauern wurden bereits hunderte Apps entwickelt. Verändert sich die Landwirtschaft dadurch?

Baumüller: Die Wirkung von Apps auf landwirtschaftliche Produktivität ist noch wenig erforscht. Viele der Anbieter sind Start-ups, die ihre Daten nicht teilen, wodurch kaum Transparenz herrscht. Einige der wenigen Impactstudien haben aber gezeigt, dass Kleinbauern mithilfe von Apps bessere Entscheidungen treffen, was sie wann anbauen und zu welchem Zeitpunkt sie ernten. Und eine Anwendung ist zwar kein speziell landwirtschaftlicher Dienst, hat aber das Leben vieler Bauern verändert: die Geldtransaktion via Handy. Das kenianische Bezahlsystem M-Pesa war hier wirklich revolutionär, denn es erleichtert Zugang zu Finanzierung, familiärer Unterstützung, An- und Verkäufe. Mobile Payment ist heute auch Element vieler Agrar-Apps.

Wer entwickelt Agrar-Apps?

Baumüller: Viel wird von privaten Unternehmen und Business Angels vorangetrieben. Etliche Start-ups stammen aus Afrika selbst. Hot Spot hierfür ist Ostafrika und allen voran Kenia. In Westafrika verfügt Ghana über eine dynamische Szene, während der Senegal und die Elfenbeinküste im Kommen sind. Der Sektor ist noch recht jung und man darf sich von den schönen Websites vieler Anbieter auch nicht blenden lassen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 haben erst 20 von rund 400 Apps eine hohe Reichweite erzielen können. Auch habe ich den Eindruck, dass nun jeder eine eigene App anbieten will, wie internationale Agrarforschungsinstitute oder NGO. Die Devise scheint: Lieber einen eigenen Dienst entwickeln, als Funktionierendes zu stärken und zu skalieren. Ein anderer Trend, dem ich mehr abgewinnen kann, ist das Entstehen von Plattformen. Diese integrieren unterschiedliche Dienstleistungen wie Wetterdienste und Finanzierung und machen sie über einen einzigen Zugang abrufbar.

Vor welchen Herausforderungen stehen App-Entwickler?

Baumüller: Es gibt viele Hürden. Auf dem Land lebende Bauern sind ja weder eine kaufkräftige Klientel noch einfach zu erreichen. Um rentabel zu sein, muss ein Dienst früher oder später in die Masse gehen. Zudem reicht es nicht, die Nutzer über eine App zu informieren. Man muss sie befähigen, die Informationen im eigenen Kontext anzuwenden. Das ist alles andere als trivial. Zudem müssen Bauern einem Dienst vertrauen. Denn sollten sie aufgrund eines Ratschlags auf den falschen Dünger oder die falsche Anbaumethode setzen, kann ihre Existenz auf dem Spiel stehen. Vielleicht wäre es zielführender, nicht immer die direkte Kommunikation mit den Kleinbauern zu suchen. Man könnte ja auch zum Beispiel landwirtschaftliche Berater durch digitale Technologien befähigen, Bauern besser zu unterstützen.

Werden Agrar-Apps also überschätzt?

Baumüller: Die einen fürchten, dass Technologie in der Landwirtschaft das Ende der Kleinbauern einläutet, die anderen halten sie für das Allheilmittel schlechthin. Das Thema polarisiert. Viele Dienste können ihr Potenzial jedenfalls nur entfalten, wenn sie von anderen Maßnahmen begleitet werden. Wenn zum Beispiel eine Bäuerin über eine App erfährt, wie viel sie für ihre Kaffeebohnen in der Stadt bekommen würde, aber aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten den Weg dorthin nicht schafft, hilft ihr die Information nur wenig. Die besten digitalen Technologien werden keinen Entwicklungssprung auslösen, wenn ein Land seinen Agrarsektor vernachlässigt. Das sieht man in Nigeria, das über eine dynamische Start-up-Szene verfügt. Im Agrarbereich passiert trotzdem wenig, weil Themen wie Landrechte, Zugang zu Finanzierung und Betriebsmitteln oder Marktanbindung nicht ausreichend behandelt werden. Technologie ist idealerweise Teil einer breiten Agrarstrategie. Und hier sollte sich die Diskussion nicht auf Apps beschränken. Es gilt, Wertschöpfungsketten in ihrer Gesamtheit zu entwickeln und etwa mit Blockchain-Technologien und Big Data transparent zu machen. Hier steckt noch viel Potenzial für Afrika und seine Kleinbauern!

Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: beigestellt

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