Interview

Ausblicke für Afrika

Ausgabe 87 – Sommer 2020

Afrika-Ökonom Tim Heinemann hält die bisherige Krisenarbeit der afrikanischen Institutionen für gelungen. Um den langen Weg aus der sozioökonomischen Misere zu meistern, brauche es aber auch den europäischen Privatsektor.

Tim Heinemann, KfW
In Afrika könnten Prognosen zufolge Millionen Menschen aufgrund der aktuellen Krise verhungern. Ist das realistisch? 

Heinemann: Die Lage ist vor allem in Regionen, wo es militärische Konflikte gibt, angespannt – das sehen wir besonders dramatisch im benachbarten Jemen. In Ostafrika kommt das Problem der Heuschreckenplage hinzu. Wird wegen Corona weiterhin nicht effektiv dagegen vorgegangen, dann könnte es sicherlich heftig werden. In diesem Fall ließe sich als internationale Gemeinschaft aber auch recht schnell reagieren. Ein grundsätzliches Problem ist, dass viele lokale Märkte wegen Corona geschlossen sind oder dass die Waren nicht ankommen wegen der eingeschränkten Mobilität. Das führt zu lokalen Preissprüngen, aber noch nicht zu einer Hungerkrise. Die afrikanischen Institutionen, denen in der Vergangenheit keine sonderlich große Kompetenz zugeschrieben wurde, funktionieren dabei alles in allem gut. Die Afrikanische Union agiert sehr umsichtig. Man muss jedoch abwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt, sobald sich die Ökonomien wieder öffnen. Denn die Entwicklung der Pandemie auf dem Kontinent findet zeitverzögert statt.

Der Druck zur Öffnung ist immens. Welche ökonomischen Aspekte treffen Afrika besonders hart? 

Heinemann: Was wir aktuell sehen, sind die direkten Effekte der vergangenen Monate und Wochen. Grenz- und Geschäftsschließungen, die massive Einschränkung der Mobilität – das hat konkrete unmittelbare Auswirkungen, da Einkommen ausbleiben und Produkte sich verteuern. Hinsichtlich des Rückgangs bei den Exporten kommt das Gröbste aber noch. Die afrikanischen Staaten exportieren vor allem Rohstoffe, sie stehen also am Anfang der Wertschöpfungskette. Bei der Finanzkrise 2008 hat es ungefähr ein bis zwei Quartale gebraucht, bis man die Effekte der Krise über den Außenhandel auch in Afrika gesehen hat. Nun war China ja im ersten Quartal 2020 betroffen, im zweiten Quartal hat es Europa und die USA getroffen und ab Q3 wird man in Afrika beträchtliche Effekte durch die globale Wirtschaftskrise beobachten können. 

Der IWF hat bereits dem Großteil der afrikanischen Länder Notfinanzierungen gewährt. Die hohe Schuldenlast vieler afrikanischer Staaten könnte in den kommenden Jahren aber das Wachstum weiter dämpfen. Wie sollte Europa darauf reagieren? 

Heinemann: Den ärmsten Ländern werden ihre Schulden bis zum Ende des Jahres gestundet. Das sollte man auf zwei Jahre ausweiten. Darüber hinaus gibt es die Idee des Schuldenschnitts, viele afrikanische Staaten haben aber Angst, dadurch von den privaten Kapitalmärkten abgeschnitten zu werden. Es ist also vor allem wichtig, den afrikanischen Ländern weiterhin Kapital zur Verfügung zu stellen. Denn die afrikanischen Corona-Konjunkturpakete liegen lediglich in Höhe von etwa einem Prozent des BIP, in den OECD-Ländern sind es fünf bis sechs Prozent. Das hat wiederum etwas mit den hohen Schulden zu tun. 

Europa zeigte in den vergangenen Jahren ein verstärktes Interesse an einer Partnerschaft mit Afrika, aktuell scheint jeder nur auf sich zu schauen. Wie wird sich das europäisch-afrikanische Verhältnis in den kommmenden Jahren entwickeln? 

Heinemann: Ich glaube, dass Afrika weiter ein wichtiges Thema sein wird. Wenn das Coronavirus dort nicht wirksam bekämpft ist, wird es auch bei uns immer wieder auftauchen. Ich hoffe darüber hinaus, dass die wirtschaftlichen Initiativen, die vor Corona Fahrt aufnahmen, weiterlaufen werden und europäische Unternehmen wieder zunehmend Interesse an Afrika zeigen. Es wird nämlich zukünftig noch mehr auf den Privatsektor ankommen. Und die Investitionslücke in Afrika ist ja nach wie vor riesig. 

Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: KfW

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