Sie haben vor 20 Jahren die Welttoilettenorganisation gegründet, um auf ein Tabu aufmerksam zu machen. Sind Sie mit dem Erreichten zufrieden?
Jack Sim: Es ist jedenfalls schon erstaunlich, dass unsere kleine Organisation überhaupt 20 Jahre überlebt hat und wir immer noch aktiv sind! Als wir begonnen haben, war sanitäre Grundversorgung so ein peinliches Thema, dass es innerhalb der glamouröseren Wasseragenda versteckt wurde. Mit einer Mischung aus Humor und ernsten Fakten haben wir ein großes Medienecho erzielen können. Wir veranstalten seither Welttoilettengipfel rund um den Globus, um Menschen und Regierungen dazu zu bewegen, angemessene sanitäre Einrichtungen zu fordern und bereitzustellen. Unser Gründungstag, der 19. November, wurde von allen 193 Ländern der Vereinten Nationen als offizieller Welttoilettentag verabschiedet, was den Staaten eine starke Legitimation verschaffte, ihre eigenen Herausforderungen in der Sanitärversorgung anzugehen. Es hat sich viel getan: 2001 lebten sechs Milliarden Menschen auf der Welt, heute sind es 7,9 Milliarden. In diesem Zeitraum haben 2,5 Milliarden Menschen erstmals Zugang zu Toiletten bekommen – wir gehen davon aus, dass die Hälfte von ihnen von der globalen Toilettenbewegung profitiert hat.
Braucht es heute überhaupt noch eine WTO und einen Mr. Toilet?
Sim: Wir wollen ein Vermächtnis hinterlassen: Alle Menschen sollen überall und jederzeit Zugang zu einer sauberen Toilette haben, die über ein sicheres Aufbereitungssystem verfügt und die Umwelt nicht verschmutzt. Das ist immer noch ein großes Ziel. Denn heute dominieren die Themen Klimawandel und Covid, zudem gibt es unzählige andere Nachrichten rund um Sport, Politik, Unterhaltung oder Mode – wir müssen also hart dafür kämpfen, dass unser Außenseiterthema sichtbar bleibt, so dass sich Dinge zum Besseren ändern können. Mit Mister Toilet gelingt es, bei den Menschen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Daher gibt es auch Filme und ein Buch über ihn und meine eigene Lebensgeschichte wird nun als Serie verfilmt.
Sind Sie optimistisch, dass das globale Ziel eines „angemessenen Sanitärzugangs für alle bis 2030“ erreicht wird?
Sim: Bis heute werden die Abwässer von rund vier Milliarden Menschen nicht behandelt. Die Lage bessert sich zwar jeden Tag, aber wir werden auch 2030 nicht mit einer hundertprozentig sicheren sanitären Grundversorgung dastehen. Zudem hat die Covid-Krise hunderte Millionen Menschen wieder unter die Armutsgrenze gebracht. Aber es gibt auch Ermutigendes: Das Bewusstsein, dass vorbeugende Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit billiger sind als die Behandlung, ist gewachsen. Viele Regierungen erkennen nun auch den klaren Zusammenhang zwischen sanitärer Versorgung und Bruttoinlandsprodukt.
Wo sehen Sie große Erfolge?
Sim: China hat seine Bevölkerung aus der Armut geholt und verbessert nun auch die gesamte sanitäre Versorgung. Ich bin beeindruckt etwa von der Sauberkeit, die Chinas Touristentoiletten heute aufweisen. Indien hat 110 Millionen Toiletten gebaut und führt jetzt die Mission Clean India 2.0 durch, um auch Verhaltensänderungen zu fördern. Voriges Jahr ist es uns gelungen, den brasilianischen Senat zur Verabschiedung eines Gesetzes zu bewegen, das öffentlich-private Partnerschaften für ausländische Investitionen in staatliche Kläranlagen zulässt.
Sie haben einmal gesagt, dass es nicht reicht, Toiletten zu bauen, Menschen müssen sie auch benutzen. Wie steht es in Indien nach dem Bau der vielen Millionen WCs um die kulturelle Akzeptanz?
Sim: Menschen, die ihre Notdurft stets in der Öffentlichkeit verrichtet haben, erkennen darin kein Problem. In Indien braucht es daher eine neue Art von Marketing, um die Benutzung einer Toilette zur Norm zu machen. Emotionale Trigger wie Neid, Überlegenheit, Stolz, Selbstachtung, Privatsphäre, Gesichtswahrung sind daher wichtige Instrumente, um rationale Botschaften zu ergänzen.
Sie weisen stets auch auf die Geschäftsmöglichkeiten hin, die in der Behebung des Toilettenmangels liegen.
Sim: Ja, denn wohltätige Spenden können einmal helfen, aber nicht für immer. Um nachhaltig zu sein, müssen WC-Lösungen marktbasiert sein und Angebot und Nachfrage effizient aufeinander abgestimmt sein. Deshalb müssen wir die Nachfrage nach Toiletten ankurbeln und WCs sexy machen. Erst wenn Toiletten ein Statussymbol und begehrt wie Mobiltelefone sind, werden auch ärmere Menschen ihr Geld für den Bau, die Nutzung und die Wartung ihrer Toiletten verwenden.
Kann Sie als Toiletten-Experte noch irgendetwas überraschen?
Sim: Die Arbeit als Mister Toilet hat mich in 20 Jahren in 64 Länder geführt, vom Weltwirtschaftsforum in Davos bis hinein in die Slums in Indien, Townships in Südafrika, Dörfer in Kambodscha und Favelas in Rio. Ich habe mich außerdem auf Universitäten in Singapur und in den USA in Fächern wie Ökologie, Soziologie, Bakteriologie, Marketing, Geschäftsmodelle, Kulturwissenschaften oder Logistik weitergebildet. Dabei ist mir eines klar geworden: Die Toilette ist mit dem menschlichen Überleben eng verbunden. Einfach alles hängt mit ihr zusammen!