Virtuelles Konfetti rieselt über den Bildschirm, auf dem zehn lächelnde Gesichter zu sehen sind. Fünf Frauen und fünf Männer winken in die Kameras, nach 25 Sekunden ist ihr Auftritt auch schon wieder vorbei. So laufen Preisverleihungen in Pandemiezeiten ab: Ohne persönliche Urkundenüberreichungen, Händeschütteln oder klassische Gruppenfotos, dafür gibt es zumindest etwas Aufregung und Abwechslung im Homeoffice.
SDG Pioniere: Zehn Vorreiter
Die virtuell Gefeierten freuten sich trotzdem. Seit ihrer Ehrung im Juni dürfen sie sich „SDG Pioniere 2021“ nennen, eine Auszeichnung, die ihnen der Global Compact der Vereinten Nationen verliehen hat. Das weltgrößte Netzwerk für unternehmerische Verantwortung (siehe auch das corporAID-Porträt „Kompass statt Kritik“) wählt alljährlich zehn Führungskräfte aus einer Vielzahl internationaler Bewerber aus. Die heuer Selektierten stammen aus allen Kontinenten und sind für Unternehmen verschiedener Größen und Branchen tätig: Die Libanesin Mireille Chrabieh etwa ist Expertin für Sonderpädagogik und leitet ein Lerninstitut in Beirut, der Türke Sonay Aykan arbeitet als Global Sustainability Manager beim US-amerikanischen Konzern Colgate-Palmolive und Robert Okine ist CEO des IT-Unternehmens Bewsys in Ghana (siehe Interview).
Was die Manager in den Augen der Jury eint: Sie alle achten die zehn Prinzipien des UN Global Compact zu Menschenrechten, Umwelt, Arbeit und Korruptionsbekämpfung und leisten überdies einen außergewöhnlichen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030. Gemeint ist jenes Paket von 17 Zielen, den Sustainable Development Goals SDG, das darauf abzielt, dass bis 2030 unter anderem extreme Armut beseitigt (SDG 1), Gleichberechtigung erreicht (SDG 5) und dem Klimawandel (SDG 13) entschieden entgegengesteuert wird.
Verantwortung im Kerngeschäft
Vielleicht hat ja die gegenwärtige Krise den Blick auf Nachhaltigkeit im einen oder anderen Unternehmen geschärft. Einer aktuellen Umfrage des UN Global Compact zufolge, meinen 79 Prozent der befragten CEO, dass die Pandemie die Notwendigkeit zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen verdeutlicht hat. 62 Prozent gaben an, dass der Handlungsdruck bereits in den vergangenen drei Jahren stark zugenommen hat, und 73 Prozent erwarten, dass dieser künftig noch weiter steigen wird.
Die SDG Pioniere dürften die Weichen dahin längst gestellt haben. Sie betonen allesamt, dass sie mithilfe der 17 Ziele neue Geschäftsmodelle kreieren, positive Wirkungen schaffen und Risiken identifizieren. Die SDG Pionierin für nachhaltige Finanzierung, Karine Bueno, steuert beispielsweise die Finanzierungsprodukte der Banco Santander in Brasilien aktiv in Richtung Nachhaltigkeit. Das gelingt im Kreditportfolio etwa mit differenzierten Zinssätzen, die an die Erfüllung von Umwelt-, Governance- oder sozialen Zielen gekoppelt sind.
Die Vorreiterin für verantwortungsvolle Produktion, Leonie Vaas von Hayleys Fabric in Sri Lanka, hat wiederum ein Textilfärbemittel aus Teeabfällen und damit eine umweltfreundliche Alternative zu chemischen Farbstoffen entwickelt, während Alan Cuddihy, SDG Pionier für Kreislaufwirtschaft, als Vizepräsident von PCH International in Irland Markenhersteller dabei berät, wie sie bereits im Design neuer Produkte Umweltfreundlichkeit und Reyclingfähigkeit mitdenken.
Welchen konkreten Impact die zehn Manager für die Erreichung der Agenda 2030 tatsächlich erzielen, ist zwar kaum beurteilbar. Sanda Ojiambo, Chefin des UN Global Compacts, hofft aber, „dass sie andere dazu inspirieren, sich ihnen anzuschließen und sich für eine bessere Welt einzusetzen“.
Mehr Ehrgeiz gefragt
Den Appell zu mehr Nachhaltigkeit im Geschäft richtet der Global Compact seit seinen Anfängen im Jahr 2000 an seine Mitglieder. Rund 13.800 Unternehmen aus 162 Ländern, von Afghanistan bis Zypern, sind dem freiwilligen Netzwerk inzwischen beigetreten, mehr als 3.000 Mitglieder kamen allein seit dem Vorjahr dazu. Die österreichische Zweigstelle, die vor kurzem ihr 15-jähriges Jubiläum feierte, zählt 138 Teilnehmer – heuer entschlossen sich etwa Semperit, UBM, Borealis, Vienna Insurance Group, Innio und Altstoff Recycling Austria zur Teilnahme.
Der rege Zulauf freut Sanda Ojiambo, die im Juni 2020, inmitten der Pandemie, die Rolle der Exekutivdirektorin des UN Global Compacts übernahm und sich seither darum bemüht, die Wirkung des Netzwerks deutlich zu erhöhen. Denn wie schon ihre Vorgängerin Lise Kingo spricht auch sie deutlich an, dass zwischen den Willensbekundungen mancher Unternehmen und dem tatsächlich gezeigten Engagement durchaus Lücken bestehen.
Mit einem Anfang des Jahres vorgestellten strategischen Plan will Ojiambo nun sicherstellen, dass eine Mitgliedschaft beim UN Global Compact nicht nur aus PR-Gründen angestrebt wird. Der Plan sieht etwa eine nochmals stärkere Rechenschaftspflicht von Unternehmen vor, damit ihre Fortschritte besser messbar werden. Zudem fordert die Strategie mehr Engagement in den fünf Fokusbereichen Gleichberechtigung (SDG 5), menschenwürdige Arbeit (SDG 8), Klimaschutz (SDG 13), Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen (SDG 16) sowie Partnerschaften (SDG 17). Die Mitglieder sollen künftig auf sie zugeschnittene Empfehlungen für ihre Reise in Richtung Nachhaltigkeit erhalten.
Auf diesem Weg bietet der UN Global Compact übrigens viel praxisnahe Unterstützung – beispielsweise das SDG Ambition Programm, das Unternehmen ein halbes Jahr lang dabei begleitet, ehrgeizige Strategien und konkrete Maßnahmen zu formulieren. 600 Unternehmen aus 65 Ländern sind bereits aktiv dabei – und bringen hoffentlich neue Generationen von SDG Pionieren hervor.