Revolution im Ozean

Vincent Doumeizel, Autor von „The Seaweed Revolution“ und Meeresexperte beim UN-Unternehmensnetzwerk Global Compact über den Zukunftsrohstoff aus dem Meer.

Vincent Doumeizel
Vincent Doumeizel, UN Global Compact und Global Seaweed Coalition
Sie bezeichnen sich als Algenaktivist. Wie lautet Ihr Anliegen?

Vincent Doumeizel: Meeresalgen stellen eine gewaltige, bislang weitgehend unerschlossene Ressource dar. Mein Anliegen besteht darin, das unglaubliche Potenzial von Algen aufzuzeigen und damit zur Förderung einer noch jungen Branche beizutragen. Meiner Ansicht nach brauchen wir eine echte Algenrevolution. Seit rund 12.000 Jahren kultiviert die Menschheit Land für die Nahrungsmittelproduktion, aber wir stoßen dabei an Grenzen. Aktuell tragen unsere Ozeane lediglich drei Prozent zur globalen Nahrungsmittelversorgung bei und sie werden oftmals nur als Müllhalde gesehen. Diese Sichtweise muss dringend revidiert werden. Es gilt, unsere Meere auf regenerative, nachhaltige Weise zu nutzen, um den vor uns liegenden Herausforderungen gewachsen zu sein.

Wie sieht der Status Quo der Algennutzung aus?

Doumeizel: Kurioserweise ist Asien der einzige Teil der Welt, der mit der Alge ein Produkt nutzt, das weder Land, Dünger, Futtermittel noch Süßwasser benötigt – das ist doch erstaunlich! Asien führt in der Produktion, Vermarktung und im Verzehr von Algen. Leider beschränkt sich unser Wissen bislang hauptsächlich auf asiatische Algenspezies. Im Westen besteht die dringende Herausforderung, unsere Wissenslücke zu schließen. Wir brauchen eine neue Generation von Meeresbiologen, die sich intensiv mit Algen auseinandersetzt.

Wie realistisch ist es, dass der Algenkonsum der Menschheit zunehmen wird? 

Doumeizel: Grundsätzlich sind alle Meeresalgen essbar, wenngleich nicht alle durch besonderen Geschmack oder Textur bestechen. Die Herausforderung liegt darin, einen Markt zu etablieren und Algen mainstreamfähig zu machen, wie es in Asien der Fall ist, wo die gesundheitlichen Vorteile anerkannt sind. Es reichen schon ein paar Gramm am Tag. Algen sind reich an Nährstoffen, sie benötigen keine Kühlkette, sind leicht und daher gut zu transportieren. Das sind viele gute Eigenschaften, speziell für Menschen in Entwicklungsregionen. 

Vincent Doumeizel
Der Algenaktivist und Autor von "The Seaweed Revolution" (2023) in seinem Element
Welche weiteren Potenziale bestehen?

Doumeizel: Es existieren mehr als 12.000 Algenarten – grüne und rote Algen sind genetisch so unterschiedlich wie ein Pilz und ein Bär. Wir haben es also mit völlig verschiedenen Organismen zu tun, die unterschiedliche Anwendungspotenziale haben. Einige eignen sich gut für die Ernährung, aber ich denke, dass vor allem Biostimulanzien aus Meeresalgen, die unsere Böden fruchtbarer machen, eine große Rolle spielen werden. Uns ist noch nicht bewusst, dass wir unsere Düngemittel ersetzen müssen, da uns Phosphate und Stickstoff ausgehen werden.

Bestehen bei einer großflächigen Algenproduktion Umweltrisiken?

Doumeizel: Über die genauen Umweltauswirkungen wissen wir noch nicht ausreichend Bescheid. Derzeit verlieren wir aufgrund von Klima- und Umweltauswirkungen natürliche Algenflächen. Ein erster Schritt muss daher sein, existierende Flächen zu schützen und wiederherzustellen, ähnlich wie wir es bei Wäldern tun. Parallel sollten wir neue Gebiete für die Algenproduktion erschließen und die Auswirkungen sorgfältig analysieren. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass die kultivierten Algenarten einheimisch und nicht invasiv sind, um keine Störungen im Ökosystem hervorzurufen.

Sie haben die Global Seaweed Coalition mitgegründet. Was ist ihr Ziel?

Doumeizel: Die Koalition ist die erste ihrer Art und vereint über tausend Mitglieder aus verschiedenen Bereichen. Wir setzen uns dafür ein, die Algenindustrie auf globaler Ebene zu fördern und wirken auf Klimakonferenzen sowie auf UN- und EU-Ebene mit, um angemessene Regulierungen durchzusetzen. Derzeit existiert weltweit nur ein Flickenteppich an Regulierungen. Wir erhalten Unterstützung vom UN Global Compact und haben bereits mehr als 25 Projekte in Ländern wie Madagaskar, Tansania und Namibia gefördert. Unser Bestreben ist es, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Algen für unsere Zukunft von großer Bedeutung sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Fotos: Vincent Doumeizel