Wo sehen Sie die größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen, die die neue Bundesregierung bewältigen muss?

Mahrer: Herausforderung Nummer eins ist zweifellos, einen wirtschaftsfreundlichen Kurs beizubehalten, den Kurs der doppelten Entlastung fortzusetzen. Das betrifft einerseits die bürokratische Ebene, denn viele Vorschriften und Normen halten Unternehmen heute davon ab, ihren eigentlichen Job zu machen, nämlich neue Produkte und Dienstleistungen zu Topqualität und kompetitiven Preisen anzubieten. Andererseits betrifft das die Steuer- und Abgabenbelastung. Da befinden wir uns im internationalen Vergleich auf einem sehr hohen Niveau, das muss sich ändern. Ein weiterer Punkt ist das Thema Aus- und Weiterbildung, denn der Fachkräftemangel wächst kontinuierlich. Das ist hochproblematisch, denn fast zwei Drittel der Betriebe vermelden Umsatzeinbußen, weil sie keine neuen Aufträge annehmen können, da ihnen schlichtweg die Mitarbeiter fehlen. Und die dritte Herausforderung betrifft die Bewältigung der Klima- und Umweltproblematik. Ich bin überzeugt davon, dass wir hier mit Verboten und Strafsteuern nicht weiterkommen werden, und setze auf das, was in Wirklichkeit die Ökonomik als Wissenschaft des Umgangs mit knappen Ressourcen ausmacht. Die Lösung für die Klimakrise steckt in Forschung und Innovation. 

Was verbinden Sie mit dem Thema Globalisierung?

Mahrer: Das sind vor allem die drei Schlagworte Vernetzung, Kooperation und Innovation. Die Wertschöpfungsketten erstrecken sich über viele Nationen und sind extrem vernetzt, die Digitalisierung treibt diese Entwicklung weiter voran. Die Vernetzung ermöglicht aber auch eine ganz neue Form der Kooperation, um die großen Herausforderungen auf globaler Ebene in einer ungeahnten Art und Weise zu lösen. Das betrifft Armut und Klimawandel, bedeutet aber auch Demokratisierung und Zugang zu den Errungenschaften der Aufklärung im weitesten Sinne – Innovation ist das dritte große Thema, das ich mit Globalisierung in Verbindung bringe. Die Digitalisierung wiederholt heute das, was der Buchdruck ausgehend von der Renaissance bewirkt hat: Wissen wurde vielen Menschen zugänglich, demokratisiert und hat am Ende des Tages zu großen Durchbrüchen in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen geführt. Und da sehen wir erst die Spitze des Eisbergs. Ich gehe davon aus, dass wir in eine noch massivere Form des Teilens von Wissen hineingehen werden. Die Frage ist, was wir daraus machen. Keine Zweifel, diese Technologien bergen auch Nachteile, was ethische Aspekte anlangt, aber die Vorteile überwiegen dramatisch. 

Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich

„Die Lösung für die Klimakrise steckt nicht in Verboten und Steuern, sondern in Forschung und Innovation.“ 

Was macht Österreich daraus? 

Mahrer: Sehr viel, aber noch nicht genug. Immerhin liegen wir in der Europäischen Union bei Forschungs- und Entwicklungsausgaben nach Schweden auf Platz zwei. Trotzdem gibt es Luft nach oben. Denn in der Verwertung von wissenschaftlichen Erkenntnissen sind wir nur Mittelklasse. Wir transformieren diese zu wenig in Produkte und Dienstleistungen. Hier könnte Österreich viele Anleihen nehmen beim angelsächsischen Raum, bei den großen Forschungsökosystemen wie beispielsweise Harvard oder Stanford. Wenn uns das zumindest ansatzweise gelänge, würden unsere Wirtschaft und Gesellschaft massiv profitieren. Zudem braucht Innovation eine passende Basisinfrastruktur. Wir müssen daher viel mehr in den Ausbau digitaler Netze investieren. Das ist eine infrastrukturelle Grundvoraussetzung wie Wasser, Strom, Straße, Schiene. Im europäischen Raum liegen wir hier leider im letzten Viertel.

Wo liegen die größten Wachstumsmärkte für österreichische Unternehmen?

Mahrer: Unsere Top-Exportzielländer sind neben den USA nach wie vor europäische Märkte. Es kommt aber ganz klar zu einer kontinuierlichen Verschiebung in Richtung Südostasien. Wir haben heuer ein neues Außenwirtschaftscenter in Ho Chi Minh City, Vietnam, eröffnet. Der gesamte indochinesische Bereich, also Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam, Myanmar, Indonesien, ist für Österreich interessant. Auch Afrika ist ein großer Hoffnungs- und Wachstumsmarkt, allein aufgrund des Bevölkerungswachstums und des enormen Aufholbedarfs. 

In welchen Bereichen brauchen heimische Unternehmen Unterstützung beim Gang in neue Märkte?

Mahrer: In vielen Ländern geht es um Rechtssicherheit, um Planbarkeit und Begleitung bei öffentlichen Aufträgen, aber auch um die Positionierung von Produkten und Services. Wir bieten daher eine Vielzahl von Delegationsreisen, die entweder länder- oder branchenspezifisch ausgerichtet sind. Hier kommen uns unsere 110 Außenwirtschaftscenter weltweit sehr zugute. Wir haben das weitverzweigteste Außenwirtschaftsnetzwerk und können damit punkt- und passgenau je nach Region oder Branche Unterstützung anbieten und Zukunftspotenziale ausloten.

Welche Akzente wird die Internationalisierungsoffensive go-international hier setzen?

Mahrer: Es ist insbesondere der Bereich Innovation, wo wir versuchen, bidirektional zu arbeiten: Das heißt, gleichzeitig mit der Begleitung in die jeweiligen Märkte auch die Information aus den Märkten aufzusaugen und unseren Betrieben zu Hause zur Verfügung zu stellen. Zum anderen geht es stark um eine Akzentuierung im Bereich Klima- und Umweltschutz. Vielfach ist nicht bekannt, dass wir dort Welt- und Europameister sind: Ob Wind- oder Solarenergie, Wasserkraft, alternative Verpackungslösungen, Abwassertechnik oder intelligente Mobilitätslösungen – unsere heimischen Unternehmen sind hier weltweit führend. Neun von zehn Delegationen, die nach Österreich kommen, interessieren sich primär für Klima- und Umwelttechnologien. Ich bin daher sehr froh über die aktuell angefachte öffentliche und politische Debatte zum Klima- und Umweltschutz. Denn darin steckt eine Win-Win-Situation: Klima- und Umweltschutz made in Austria hat ein gigantisches Zukunftspotenzial auf den Weltmärkten und schafft langfristig Jobs im Inland. Unsere regionale Wirtschaft profitiert, gleichzeitig helfen wir anderen Ländern, in diesem Bereich ordentliche Sprünge zu machen. Das ist eine schöne Sache.

Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich

„Klima- und Umweltschutz made in Austria hat ein gigantisches Zukunftspotenzial auf den Weltmärkten und schafft langfristig Jobs im Inland.“

Wie gehen Wachstum und Nachhaltigkeit für Sie zusammen?

Mahrer: Meiner Meinung nach ausgezeichnet, wenn man die Frage stellt, was Wachstum an sich bedeutet. Für mich hat Wachstum auch etwas mit der Entwicklung eines umfassenden Ökosystems zu tun. Da geht es um gesellschaftliche Entwicklungen und um die Frage, wie ich gesellschaftspolitische Probleme unter Zuhilfenahme der Ökonomie lösen kann. Gleichzeitig sind unsere gesamten öffentlichen Finanzierungssysteme in Europa zum jetzigen Zeitpunkt quantitativ getriggert, und von da sollten wir uns evolutionär weiterbewegen. Dafür ist es beispielsweise notwendig, umweltschädigendes Verhalten richtig zu bepreisen. Ich bin kein Fan einer CO2-Steuer, sondern eher für eine Einbeziehung der unterschiedlichen Sektoren in das Emissionshandelssystem für die Zertifikate. Denn bei einer Besteuerung ist die Findung des optimalen Preispunkts fraglich, was aber eine Voraussetzung ist, um effizient Verhaltensänderungen anzustoßen. Und im internationalen System – weil wir über Globalisierung gesprochen haben – wird man an der Frage, die internationalen Handelsverträge und das internationale Handelssystem für nachhaltige Entwicklung zu nutzen, nicht vorbeikommen.

Bei Themen wie Nachhaltigkeit oder Klimaschutz tut sich die österreichische Politik mit langfristigen Strategien schwer.

Mahrer: Damit tun wir uns insgesamt schwer. Man muss aber auch sagen, dass wir in manchen Teilbereichen auf extrem hohem Niveau jammern. Manchmal stellen wir unser eigenes Licht gerne unter den Scheffel, anstatt voller Stolz darüber zu reden, wie fortschrittlich wir sind, wo wir sogar Pionier sein könnten, wenn wir uns das zutrauen. Und das ist ja meine Vision, im Klima- und Umweltbereich wirklich das Pionierland der Welt zu sein. Wichtig ist nur, dass man keinen ideologischen Zwang daraus ableitet, vorschreiben zu wollen, wie man dieses Ziel erreicht.

Harald Mahrer

„Entwicklungs-zusammenarbeit powered by Austria mit Produkten und Services made in Austria wäre mir der liebste Ansatz.“

Inwieweit sehen Sie die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung SDG als Chance für Unternehmen im Hinblick auf neue Märkte?

Mahrer: Ich sehe darin eine große Chance, die wir als Wirtschaftskammer in unseren Programmen und Veranstaltungen auch adressieren. Wir versuchen zudem, die SDG als Innovationsthema zu positionieren und ganz bewusst neue Märkte zu definieren, in denen die österreichische Wirtschaft mit spezifischen Produkten oder Dienstleistungen einen wertvollen Beitrag zu ihrer Erreichung leisten kann. Das ist für die österreichische Exportwirtschaft sicher ein Markt, der noch weiter ausgedehnt werden kann.

Wie sehen Sie das Ziel einer neuen Partnerschaft für nachhaltige globale Entwicklung?

Mahrer: Die Wirtschaft kann zu einer solchen Partnerschaft eine Menge beitragen. Die Politik kann ja nur einen Rahmen vorgeben und muss bereit sein, für Schwerpunkte in der Partnerschaft Geld zur Verfügung zu stellen. Ich bin kein Fan davon, Entwicklungshilfe quasi als Scheck zu überreichen, sondern finde vielmehr, dass wir vor allem unser Know-how – und das ist nun einmal vor allem das Know-how der österreichischen Unternehmen – einbringen sollten. Entwicklungszusammenarbeit powered by Austria mit Produkten und Services made in Austria wäre mir der liebste Ansatz. Und weil Unternehmen zumeist auf längerfristiger Basis tätig werden, wäre unser Engagement auf diese Weise auch besonders nachhaltig. Ich halte nichts von willkürlichen Quickshots – für eine ernst zu nehmende Partnerschaft braucht es echte Commitments, gute Strukturen und klare Ziele. In einigen Bereichen sind wir dafür schon heute ganz gut aufgestellt, in anderen Bereichen müssen wir deutlich nachbessern.

Vielen Dank für das Gespräch!

ZUR PERSON

Harald Mahrer ist seit Mai 2018 Präsident der Wirtschaftskammer Österreich. Der promovierte Betriebswirt engagierte sich bereits während des Studiums in der Österreichischen Hochschülerschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und hatte danach diverse ÖVP-nahe Mandate inne, beispielsweise als Präsident der Julius-Raab-Stiftung zwischen 2011 und 2015 oder als Staatssekretär und Minister im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ab 2014 bzw. 2017. Seit 2017 ist Mahrer zudem Präsident des Österreichischen Wirtschaftsbundes.

ZUR ORGANISATION

Im Dienste der Wirtschaft
Zentrale der WKÖ in Wien

Die Wirtschaftskammer Österreich WKÖ ist die gesetzliche Interessenvertretung der heimischen Unternehmen. Ihre Geschichte geht auf die Errichtung der Wiener Handelskammer im Jahr 1849 zurück. In ihrer heutigen Form – eine Bundes- und neun Landeskammern – gibt es die Organisation seit 1946. Die WKÖ gliedert sich in die sieben Sparten Gewerbe und Handwerk, Industrie, Handel, Bank und Versicherung, Transport und Verkehr, Tourismus und Freizeitwirtschaft sowie Information und Consulting. Der Aufgabenbereich der WKÖ reicht von der politischen Interessenvertretung, insbesondere im Rahmen der Sozialpartnerschaft, über die Repräsentation und Unterstützung der österreichischen Außenhandelswirtschaft in aller Welt in den 110 AußenwirtschaftsCenter bis hin zu Beratungs-, Service- und Ausbildungsleistungen für die bundesweit rund 528.000 aktiven Mitglieder. 2018 nahm die gesamte Wirtschaftskammerorganisation mehr als eine Mrd. Euro ein.

Fotos: Mihai Mitrea, WKO