Im Gespräch: Lars Mallasch, Alessa Lux und Peter Bartsch, moderiert von corporAID Herausgeber Bernhard Weber (v.l.n.r.)
corporAID: In welche Richtung bewegt sich das Thema Nachhaltigkeit und welche Auswirkungen hat die Pandemie?

Mallasch: Die Pandemie hat sich vor allem operativ stark ausgewirkt, in unterschiedlicher Ausprägung in den verschiedenen Ländern. Was wir in der Krise gesehen haben, ist, dass eine zielgerichtete Zusammenarbeit von Unternehmen, Regierungen, internationalen Organisationen und NGO einen Riesenunterschied machen kann. Und wie schnell man eigentlich Entwicklungen vorantreiben und auf Änderungen jeglichen Umfelds reagieren kann. Das ist aus unserer Sicht ein zentraler Lerneffekt, und auf den gilt es auch beim Thema Nachhaltigkeit zu bauen. Konkret bedeutet das für unsere Aktivitäten in den Nachhaltigkeitsbereichen, noch mehr als bisher auf die Zusammenarbeit mit vielfältigen Partnern zu setzen. 

Bartsch: Durch die Krise ist noch stärker ins Bewusstsein geraten, dass Nachhaltigkeit ein Muss ist und nicht beiseite geschoben werden kann. Aufgrund der schwierigen Situation durch den Lockdown und dem damit verbundenem Geschäftsrückgang lag der Fokus mancher Unternehmen auf der Krisenbewältigung. Aber im Prinzip haben viele Unternehmen die Zeit der Krise genutzt, um das Thema Nachhaltigkeit stärker auszuarbeiten und strategischer anzugehen. Das spüren wir ganz stark. 

Durch die Krise ist noch stärker ins Bewusstsein geraten, dass Nachhaltigkeit ein Muss ist.

Lux: Aktuell kommt zudem viel Regulatorik zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung auf die Firmen zu. Das spiegelt sich auch im Denken und in der Herangehensweise in aktuellen Strategieprozessen meiner Kundinnen und Kunden wider. Unternehmen haben erkannt, dass sie sich grundlegend verändern müssen und ihr jetziges Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen haben. Man sieht also sowohl bei Unternehmen als auch bei Konsumentinnen und Konsumenten, dass die Awareness für Nachhaltigkeit gestiegen ist. Es ist unbestritten, dass Nachhaltigkeit das prägende Thema unserer Gegenwart und Zukunft ist. 

Wo liegen die konkreten Herausforderungen für Unternehmen? 

Mallasch: Ich möchte differenzieren, was Sie, Frau Lux, gesagt haben. Das eine ist das regulatorische Umfeld und das andere ist natürlich die Gesellschaft, die sehr stark hinschaut. Wir sehen das beispielsweise bei unseren neuen Mitarbeitern. Diese sind sehr interessiert an dem, was das Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit macht. Und es reicht dabei nicht aus, irgendwelche Kriterien zu erfüllen, sondern man muss zeigen, was man tatsächlich alles tun kann. Ich glaube, die ernsthafte und handfeste Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit wird zukünftig ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. 

Bartsch: Heute ist Nachhaltigkeit fest in unsere Strategie integriert. Und da ist es wichtig, dass man die entsprechende Governance aufsetzt, dass man das Thema in allen Funktionen im Unternehmen verankert. Wir wachsen, wir haben neue Investitionen wie in Brasilien und in Thailand. Hier muss ich das Thema Nachhaltigkeit schon von Beginn an in die Planung inkludieren. Aber auch bei jedem neuen Forschungsprojekt achten wir anhand klarer Kriterien darauf, mit welchem Impact auf die Umwelt oder die Gesellschaft zu rechnen ist.

Lux: Ich sehe hier ein Spannungsfeld. Einerseits müssen Unternehmen kurzfristig operativ aktiv werden, weil sich viele bis 2025 oder 2030 große Nachhaltigkeitsziele gesetzt haben, und wenn sie jetzt nichts tun, dann wird es wohl bei den meisten Themen ziemlich eng. Zum anderen liegt die Herausforderung darin, eine gesamtstrategische Ausrichtung zu entwickeln, die progressiver ist als das Fortsetzen bestehender Strategien. Wenn ich unseren Kundinnen und Kunden helfe, eine Vision für ihre Unternehmen zu entwickeln, dann versuchen wir uns die Zukunft im Jahr 2050 vorzustellen – und dabei geht es dann nicht um irgendwelche Regularien. Gleichzeitig mag es für manche Unternehmen noch einige Jahre funktionieren, wenn sie wie bisher weitermachen und einfach nur das Mindestmaß erfüllen. Aber: Sowohl entlang der Wertschöpfungskette als auch durch Konsumentinnen und Konsumenten wird der Druck immer höher, sukzessive nachhaltiger zu werden. Ich frage mich bei Unternehmen, die es verabsäumt haben, sich mit Nachhaltigkeit mehr als nur oberflächlich zu beschäftigen, ob sie es wirklich schaffen werden, mitzuziehen.

Strategisch kann auch bedeuten: Es passiert in zehn Jahren, und wie wir dort hinkommen, werden wir schon sehen.

Mallasch: Beim Ausdruck strategisch bin ich immer ein wenig skeptisch. Strategisch kann auch bedeuten: Es passiert in zehn Jahren, und wie wir dort hinkommen, werden wir schon sehen. Klar, es muss eine Vision geben. Auch wir haben langfristige Ziele, von denen wir wissen, dass sie extrem schwer zu erreichen sind. Aber es ist entscheidend, dass man sich messbare Ziele setzt. Das ermöglicht uns zu erheben, wo wir stehen, und dann können wir in Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Stakeholdern den Weg der Zielerreichung definieren und das abarbeiten. Alles andere wären letztlich nur Kommunikationsmaßnahmen, die im Grunde keinen Mehrwert schaffen. 

Bartsch: Das sehen wir ganz genauso: Es müssen klare Ziele vorhanden sein. Die Transparenz, die zunehmend gefordert wird, führt dazu, dass man auch wirklich darstellen muss, was man erreicht hat. Greenwashing wird für Unternehmen sicher schwieriger, wie man heute schon beobachten kann.

Mallasch: Dazu kommt, dass mittelfristig die allermeisten größeren Unternehmen ohnehin nicht an messbaren Zielen vorbei kommen werden, da sich der Finanzmarkt mehr und mehr in Richtung Nachhaltigkeit bewegt und hier Zielindikatoren fordert, die einfach geliefert werden müssen. 

Lux: Ich finde es gut, dass Finanzinstrumente immer stärker an grüne Faktoren gekoppelt werden. Denn bei internen Zielen kann ich immer einen Ausweg suchen, es dann doch nicht zu tun oder eine Erklärung finden, warum ich es nicht geschafft habe. Wenn aber das Risiko besteht, dass es auf einmal unfassbar teuer wird oder die Finanzierung fällt, dann muss ich gewisse Ziele in jedem Fall erreichen. Ich denke, es ist part of the process, dass Unternehmen ein gewisses Druckmittel brauchen, um sich zu bewegen. 

Mallasch: Ein gesundes Spannungsfeld ist sicher wichtig. Nichtsdestotrotz sind wir Wirtschaftsunternehmen. Das bedeutet, dass Nachhaltigkeit und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen müssen und Nachhaltigkeit sogar zur Entwicklung erfolgreicher Geschäftsmodelle führt. Dass auch Druck vom Finanzmarkt kommt, insbesondere wenn man ein börsennotiertes Unternehmen ist, ist ein Fakt. Wichtiger ist meiner Meinung nach aber die Änderung der Denke: Dass wir attraktive Business Opportunities für uns im Bereich Nachhaltigkeit finden wollen. Das heißt nicht zwangsläufig, dass man jetzt das Unternehmen grundlegend transformieren muss, sondern dass man mit neuem Blick auf die Kernprozesse schaut, und dort durchaus neue Möglichkeiten für Geschäftsfälle oder Investitionen finden kann. Wir haben in den vergangenen Jahren 500 Millionen Euro in unsere Energieerzeugung investiert. Das ist ein positiver Geschäftsfall, weil wir unsere Energieautarkie erhöht haben und dabei gleichzeitig unsere CO2-Emissionen reduzieren konnten. 

Was erwarten Sie von der Politik? 

Mallasch: Was mir wichtig wäre, ist, dass wir Transparenz und Konsistenz bei den geplanten und gesetzten Aktivitäten haben. Wichtig ist auch, dass man dabei nicht vergisst, wie komplex Industrien sind und wie schnell Regularien daher komplex werden können. Der Teufel liegt aus meiner Sicht oft im Detail. Ein Beispiel ist die Nutzung von Biomasse als Primärbrennstoff. Das ist ein falscher Weg. Man sollte meiner Meinung nach Biomasse erst anderen Verwendungszwecken zuführen und erst ganz am Schluss verbrennen. Auf der anderen Seite sollte man nicht vergessen, wie stark der Einfluss des Konsumenten ist: Das Reagieren auf Kundenbedürfnisse geht noch schneller als die Entwicklung von Regularien. Das heißt, wenn sich das Verhalten der Konsumenten auf breiter Basis ändert, erleben wir eine viel schnellere Reaktion gesamter Industrien, als das Regularien je bewirken könnten. 

Bartsch: Ohne diese Regularien ist der Wandel dennoch zu langsam, schon aufgrund der Wettbewerbsfähigkeit. Klimawandel ist ein globales Thema, daher sind Regularien auf EU-Ebene wichtig. Diese müssen aber auch global abgestimmt werden, sonst wird es schwierig, CO2-Ziele umzusetzen. Eine wichtige Rolle kommt der Zusammenarbeit innerhalb der Wirtschaft zu: Wir haben beispielsweise als Textilindustrie erkannt, dass es Probleme gibt und wir gemeinsam etwas unternehmen müssen. Natürlich gibt es einen gesetzlichen Rahmen, aber man geht mittlerweile Hand in Hand, und bestimmte Standards, die von der Industrie gemeinsam definiert wurden, fließen auch in die Regulative ein. 

Der Einfluss auf das Handeln von Unternehmen durch Konsumentinnen und Konsumenten ist heute so stark wie noch nie.

Lux: Es muss auf globale Lösungen hinauslaufen, weil die Europäische Union globale Probleme allein nicht lösen wird können. Es betrifft Konsumentinnen und Konsumenten genauso wie die Industrie, die Finanzwirtschaft und die Regierungen. Der Einfluss auf das Handeln von Unternehmen durch Konsumentinnen und Konsumenten ist heute so stark wie noch nie. Beispielsweise geben erhöhte Transparenzpflichten im Verbund mit Social Media die Möglichkeit, Unternehmen tatsächlich darauf hinzuweisen, wenn etwas nicht passt. Wenn etwa eine große Fastfoodkette entscheidet, die Plastikstrohhalme durch Papierstrohhalme zu ersetzen, obwohl diese wesentlich umweltschädigender sind. Mir persönlich kann es nicht schnell genug gehen. Ich habe sowohl die große Hitze in Pakistan als auch die Luftverschmutzung in China selbst erlebt. Das sind Umstände, die ich keinem Menschen wünsche, und aus dieser Erfahrung heraus erwarte ich mir viel mehr Dynamik. Im Wissen, dass Veränderung mit vielen Hürden und viel Komplexität einhergeht. 

Bartsch: Ich denke auch, dass es schneller gehen muss und dass radikalere Denkansätze notwendig sind – schon allein aufgrund der Komplexität dieser Tranformationsprozesse. Wenn wir über Kreislaufwirtschaft diskutieren, brauchen wir unzählige Stakeholder plus den Gesetzgeber, damit ein Business Case zustande kommt. Da müssen wir einfach anders denken. Das ist auch so beim Thema Intellectual Property: Hier muss man viel mehr teilen, sonst kann man nicht schnell genug Lösungen finden. Das ist eine wirklich große Herausforderung. 

Mallasch: Eine wichtige Lernerfahrung ist die Macht der Zusammenarbeit und die Erkenntnis, was man alles in kurzer Zeit bewegen kann. Vorausgesetzt, man ist bereit für den Einsatz von großen Ressourcen und es gibt einen Zusammenschluss unterschiedlicher Interessenträger, die ihre Interessen auf ein gemeinsames Ziel ausrichten. Daher ist es wichtig, dass die EU vorangeht, aber noch wichtiger wäre es, wenn wir uns auf globaler Ebene auf ein Ziel einigen und dann gemeinsam darauf hinarbeiten würden. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Gesprächsteilnehmer

Peter Bartsch ist Head of Corporate Sustainability beim oberösterreichischen Faserhersteller Lenzing.

Alessa Lux, Senior Managerin beim Beratungsunternehmen KPMG, begleitet Unternehmen bei strategischen Transformationsprojekten.

Lars Mallasch ist Group Technical & Sustainability Director beim Verpackungs- und Papierkonzern Mondi.

Fotos: Mihai Mitrea