Der Regenwald schrumpft. Tag für Tag, Baum für Baum. Angeführt wird die traurige Liste der Länder mit dem größten Verlust an tropischem Regenwald von Brasilien, Indonesien und der DR Kongo. Allein in Brasilien wurden zwischen 2002 und 2023 mehr als 30 Millionen Hektar (fast die Fläche Deutschlands) Urwald abgeholzt – und das vor allem, um Platz zu schaffen: für die Rinderzucht und den Anbau von Soja oder Kaffee. 

Die Europäische Union – die nach jahrhundertelangem Abholzen selbst kaum mehr Urwälder vorzuweisen hat – will dem nicht länger zusehen. Schließlich ist die Bewahrung der Urwälder dank deren Eigenschaft als Kohlenstoffspeicher ungemein wichtig für den globalen Klimaschutz. Daher will die EU ihren Bürgern – dem Kaffeetrinker in Wien oder der Steakesserin in Kopenhagen – zukünftig auch garantieren, dass das von ihnen konsumierte Produkt nicht zur Regenwaldabholzung beigetragen hat. Für dieses Mandat darf sie laut einer von GlobeScan im Jahr 2022 durchgeführten Umfrage mit Zuspruch rechnen. Demnach sind 78 Prozent der Europäer der Meinung, dass Regierungen Produkte verbieten sollten, die zur Abholzung beitragen.

Die EU Deforestation Regulation EUDR soll dem Genüge tun: „Die europäischen Verbraucher können nun sicher sein, dass sie sich nicht mehr unwissentlich an der Abholzung von Wäldern beteiligen“, verkündete der Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments Christophe Hansen, nachdem das Parlament im Frühjahr 2023 für die EU-Entwaldungsverordnung gestimmt und der Europäische Rat sie kurz darauf gebilligt hatte.

Zentrum der Entwaldung: Im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso hat der Urwald einen schweren Stand gegen die Agrarindustrie.

Das steht drin

Ab dem 30. Dezember 2024 dürfen die Rohstoffe Palmöl, Kautschuk, Kaffee, Kakao, Holz, Soja und Rinder sowie daraus hergestellte Produkte – mehr als 800 Produktgruppen, von Möbeln über Reifen bis hin zu Lederwaren – nur dann in die EU exportiert sowie innerhalb der EU gehandelt werden, wenn sie nachweislich nicht auf entwaldeten Flächen produziert wurden. Stichtag für die Entwaldung, das heißt für die Umwandlung einer Waldfläche in eine landwirtschaftlich genutzte Fläche, ist dabei – rückwirkend – der 31. Dezember 2020. Für europäische KMU sowie Land- und Forstwirte gelten diese Anforderungen ab dem 30. Juni 2025.

Der Nachweis über die entwaldungsfreien Lieferketten erfolgt durch das Hochladen einer Sorgfaltserklärung in ein EU-Informationssystem. Die Erklärung enthält unter anderem die Geolokalisierungskoordinaten der Produktionsflächen. Zudem sind die Importeure verpflichtet sicherzustellen, dass die Produkte und Rohstoffe im Einklang mit den lokalen Gesetzen des Ursprungslandes gewonnen werden, die Produzenten die lokalen Landnutzungsrechte besitzen und sowohl die allgemeinen Menschenrechte als auch die Rechte indigener Bevölkerungen eingehalten werden.

Kaffeebauern in Not

Doch immer deutlicher zeigt sich das wiederkehrende Dilemma im Umgang mit globalen Lieferketten: Das Bestreben der Abnehmer, die Lage in den Produzentenländern zu verbessern, kann dort unter Umständen das Gegenteil bewirken. Denn vor allem kleinere Unternehmen sowie Bauern in Entwicklungsländern müssen sich aufgrund der erforderlichen Investitionen in Zertifizierung und Logistik ernsthafte Sorgen um ihr wirtschaftliches Überleben machen.

Erste Effekte sind beispielsweise im äthiopischen Kaffeesektor zu beobachten. „Wir sehen dieses Jahr nicht viele Käufer“, sagt Tsegaye Anebo, Geschäftsführer der äthiopischen Sidama Coffee Farmers Cooperative Union, die 67 Kaffee-Kooperativen mit insgesamt fast 68.000 Bauern umfasst. Die neue EU-Verordnung habe auf dem Markt Unklarheit geschaffen, potenzielle Käufer scheinen zu bezweifeln, ob die Anforderungen der EUDR von äthiopischer Seite erfüllt werden können.

Kaffee trägt mit rund einem Drittel zu den Exporterlösen Äthiopiens bei und ist die wichtigste Devisenquelle. Ein Drittel der äthiopischen Kaffeebohnen geht an die Europäische Union. Mehr als zwei Millionen äthiopische Kleinbauernfamilien leben vom Kaffeeexport, viele von ihnen siedeln in abgelegenen Gebieten ohne Internetverbindung. Die Kaffeepflanzen finden sich nicht auf Plantagen – wie bei Großexporteuren in Brasilien oder Vietnam –, sondern wachsen neben Bananenstauden oder Avocadobäumen. Die Lieferketten sind fragmentiert. Laut Anebo haben viele der Landwirte weder die Möglichkeit noch die Mittel, die geforderten Geolokalisierungsdaten zu übermitteln, die Kartierung und Nachverfolgung ist für sie nicht zu bewältigen.

Dazu gebe es vonseiten der äthiopischen Regierung kaum Unterstützung – anders als etwa im Nachbarland Kenia. Die Konsequenz: Einige Kaffee-Kooperativen schauen sich bereits jetzt nach neuen Käufern außerhalb Europas um. Daneben drohe die Gefahr, dass auf der Suche nach Alternativen Wälder in Ackerland umgewandelt würden, um Nutzpflanzen wie Mais oder die in Österreich als Droge eingestufte Kaupflanze Khat anzubauen.

Die Sidama-Union versucht nun, die äthiopischen Kaffeebauern zu unterstützen. So wurden hunderte Handys gekauft und 700 Personen im Sammeln von Geodaten unterrichtet, damit diese ihre Kenntnisse an die Bauern weitergeben können. Laut Anebo kann dieser Prozess keinesfalls bis Ende des Jahres abgeschlossen werden: „Wir brauchen eine Fristverlängerung, sonst bricht bei uns die Kaffeebranche zusammen“, appelliert er an die EU-Kommission.

Eine solche Gefahr sieht auch Pablo von Waldenfels, Direktor für Unternehmensverantwortung beim Handelskonzern Tchibo. Er berichtete kürzlich gegenüber „Table.Media“ darüber, dass Tchibo seinen Kaffee von insgesamt 75.000 Kaffeefarmern bezieht, darunter 80 Prozent Kleinbauern. „Wenn die es nicht schaffen, die notwendigen Unterlagen heranzuschaffen, sind sie langfristig vom Kaffeeeinkauf aus Europa ausgeschlossen – nicht, weil sie Bäume fällen, sondern einfach nur, weil sie die Daten nicht bereitstellen können.“

Am Beispiel der Kaffeekleinbauern weisen auch Forscher der niederländischen Universität Wageningen in einer aktuellen Studie auf vermutlich unbeabsichtigte Risiken und Nebenwirkungen der Verordnung hin. Sie halten für problematisch, dass es von EU-Seite keinerlei Bewertung für die Auswirkungen auf der Produktionsseite gebe. Denn es ist zu erwarten, dass zusätzliche Importvorschriften Käufer in den Mitgliedsstaaten dazu veranlassen, ihre Ware weniger von Kleinbauern beziehungsweise aus risikoärmeren Gebieten zu beziehen. So könne die Verordnung frühere internationale Vereinbarungen zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) untergraben und die Kohärenz mit der EU-Entwicklungspolitik zur Armutsbekämpfung verringern.

Für viele äthiopische Kaffeekleinbauern sind die neuen Anforderungen aus Brüssel kaum zu erfüllen.

Unverständnis in Brasilien

Doch es sind nicht nur die Kleinbauern Afrikas, die Widerstand zeigen. In Südamerika geht die brasilianische Agrarindustrie, das Schwergewicht des brasilianischen Exports, auf die Barrikaden. Wenig überraschend, so war der Sektor im Jahr 2022 laut der Kartierungsplattform MapBiomas für 95,7 Prozent der – fast durchgängig illegalen – Abholzung im Land verantwortlich. Und auch die schweren Brände, die zurzeit im Amazonasgebiet wüten, wurden großteils von Menschen gelegt, um landwirtschaftliche Flächen zu generieren.

Bemerkenswert ist allerdings, dass die EUDR auch von brasilianischen Umweltschützern durchaus kritisch betrachtet wird. Laut Olivia Zerbini Benin vom Amazonasforschungsinstitut IPAM verlagert die Verordnung das Problem bloß, statt es zu lösen: „Die Verordnung ist gut, um zu verhindern, dass Europäer Produkte konsumieren, die mit Abholzung in Verbindung stehen, aber nicht unbedingt, um die Abholzung selbst zu reduzieren.“ So könnten die Produzenten neu geschlägerte Flächen zukünftig für den chinesischen Markt reservieren.

Maiara Folly, Geschäftsführerin des brasilianischen Nachhaltigkeits-Think Tanks Plataforma CIPÓ, hält die Verordnung darüber hinaus für zu undifferenziert: „Die Anforderung der Null-Abholzung ignoriert die brasilianische Gesetzgebung, die unterschiedliche Grade der Abholzung für verschiedene Ökozonen zulässt. Zudem beinhaltet die Verordnung keine Anreize für die Wiederaufforstung.“ Sie betont, dass die Ziele nur durch verstärkte internationale Zusammenarbeit erreicht werden können, nicht aber durch unilaterale Vorschriften.

Den mangelhaften Dialog zur Vorbereitung der Verordnung prangerten auch die Botschafter aus 17 Schwellen- und Entwicklungsländern, von Brasilien und Argentinien über Ghana und Nigeria bis nach Malaysia und Thailand, in einem Schreiben an die EU-Kommission an. Darin bezeichnen sie die Verordnung als „diskriminierendes und strafendes einseitiges Benchmarking-System, das möglicherweise nicht mit den WTO-Verpflichtungen vereinbar ist“.

Erwartbare Fronten

Auch in Österreich ist ein Streit um die Verordnung entbrannt: Während Klimaministerin Leonore Gewessler und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace die EUDR für einen lang ersehnten Durchbruch im Waldschutz halten, laufen vor allem die Land- und Forstwirte Sturm. Laut der Landwirtschaftskammer Steiermark stellt die wachsende EU-Bürokratie eine Bedrohung für die heimische Forst- und Holzwirtschaft dar. Und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig fordert „eine generelle Ausnahme für Länder, wo de facto keine Entwaldung passiert – Länder wie Österreich“.

Dabei ist der Mehraufwand für die österreichischen Waldbesitzer laut dem Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien gering. Schließlich müssten nur einmalig die GPS-Daten eines Waldes erhoben werden. Mit Blick auf die vielen von der Verordnung betroffenen verarbeiteten Produkte und deren internationale Lieferketten stellt sich die Situation jedoch komplizierter dar. Ökonom Franz Sinabell von der Forschungsgruppe Klima-, Umwelt- und Ressourcenökonomie am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung WIFO kritisiert sowohl die Eile als auch den Charakter des Maßnahmenpakets. Seiner Meinung nach werden Unternehmen Aufgaben aufgebürdet, die mit dem Kerngeschäft wenig zu tun haben.

Zumindest eine Verschiebung des Geltungstermins der Verordnung sei angesichts einer großen Rechtsunsicherheit „unbedingt nötig, um ernsthafte Störungen in den Lieferketten zu vermeiden und die Produkte nicht unnötig zu verteuern“, heißt es vonseiten der Wirtschaftskammer Österreich.

Daten und Fakten

7 Rohstoffe sind von der EUDR betroffen

Die Unternehmensberatung PwC beziffert die Zahl der Produktgruppen, die aus den Rohstoffen hervorgehen, die unter die EU-Entwaldungsverordnung fallen, auf mehr als 800: Die lange Liste reicht von Spanplatten und Waschmittel über Yogamatten bis Tofu.

Aufgeschoben, nicht aufgehoben

Die Europäische Volkspartei, der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angehört, fordert in ihrem aktuellen 5-Punkte-Plan eine Verschiebung der Anwendung der Verordnung, um die bestehenden Umsetzungsprobleme zu beheben. Und auch das von den Grünen geführte deutsche Landwirtschaftsministerium hat die EU-Kommission kürzlich aufgefordert, den Anwendungsstart der Verordnung um ein halbes Jahr auf den 1. Juli 2025 zu verschieben. Eine Überarbeitung oder gar eine Aufhebung der Verordnung wird in EU-Kreisen jedoch als unwahrscheinlich angesehen. Ein Aufschub würde der EU auch Zeit geben, um etwa das länderspezifische Benchmarking abzuschließen. Dabei sollen einzelnen Exportländern oder -regionen je nach Entwaldungsgrad eine – von drei – Risikostufen zugewiesen werden, wovon wiederum die Kontrollquote für die verschiedenen Produktgruppen abhängt. Für Länder mit geringem Risiko liegt die Kontrollquote bei einem Prozent, was bedeutet, dass die Behörden der EU-Importländer ein Prozent der Wirtschaftsbeteiligten und der Menge jedes Produktes kontrollieren müssen. Bei Hochrisikoländern, wie vermutlich Brasilien, liegt die Quote bei neun Prozent.

Daten und Fakten

Leichter Rückgang...

… aber keine Entwarnung: In den 1990er Jahren gingen global 158 Mio. Hektar Waldfläche verloren, in den 2010er Jahren waren es 110 Mio. Hektar.

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Unternehmen sind gefordert

Zurzeit zeigen sich viele europäische Unternehmen verunsichert und wissen nicht genau, was nun konkret zu tun ist. Dabei sei keine Zeit zu verlieren, sagt Sonja Irresberger, Unternehmensberaterin der KPMG Austria, die auf Sorgfaltspflichten in den Lieferketten spezialisiert ist: „Das Allerwichtigste ist der erste Schritt, nämlich die Betroffenheitsanalyse oder die Frage: Fallen die Rohstoffe, die ich in Verwendung habe, in den Bereich der Verordnung? Und wenn ja: Welche Rolle nehme ich ein: Bin ich ein Marktteilnehmer oder Händler? Gelte ich als KMU? Denn für KMU-Händler gelten etwas abgeschwächte Regeln.“

Ist das Unternehmen betroffen, etwa weil es Holzkochlöffel oder Rindfleisch vertreibt, sollte es als erstes den Kontakt mit den Lieferanten suchen: „Man muss nun schnellstmöglich an die nötigen Daten kommen, eventuell müssen auch alternative Lieferanten gesucht werden. Neben dem Einkauf werden aber auch die Produktion und der Vertrieb ihre Prozesse entsprechend anpassen müssen“, so Irresberger. Sie empfiehlt Unternehmen, die Herausforderungen durch die EUDR, die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und die Nachhaltigkeitsberichtspflicht (CSRD) holistisch anzugehen. „Denn für alle neuen Anforderungen aus Brüssel gilt: Eine lückenlose Chargenführung gewinnt immer mehr an Bedeutung.“

Viele Unternehmen werden mit Blick auf die durch die EUDR geforderten Geodaten externe Hilfe benötigen. Diverse Softwareanbieter haben sich daher bereits auf die Geolokalisierung spezialisiert und nutzen Satellitendaten der Raumfahrtbehörden NASA oder ESA.
Dass Abnehmer bei Verstößen gegen die Verordnung Bußgelder von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes drohen, kann laut Irresberger für viele Unternehmen sehr schmerzhaft werden. Das sei aber noch nicht der Worst Case, sagt sie, denn: „Längerfristig ist es noch viel schlimmer, wenn ich als Unternehmen das Vertrauen meiner Kunden verliere, weil ich Lieferverträge nicht erfüllen kann. Dazu drohen entsprechende Pönalen, ich kann von öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, und im schlimmsten Fall muss ich meine gesamten produzierten Güter vernichten, weil ich sie nicht auf den Markt bringen darf. Das zeigt: Es ist höchste Zeit für Unternehmen, sich mit der Verordnung auseinandersetzen.“

Fotos: Tomas Munita/CIFOR, Riccardo Pravettoni