Tödliche Begegnungen

Schlangenbisse fordern in Indien jährlich zehntausende Leben und verursachen große sozioökonomische Schäden. Sumanth Bindumadhav, Reptilienforscher und Leiter des Wildtierschutz bei Humane World for Animals, spricht über Herausforderungen und Lösungsansätze.

Wie groß ist das Problem der Schlangenbisse in Indien?

Bindumadhav: Es ist enorm. Die Million Death Study zeigte 2020, dass es in Indien jährlich über eine Million Bisse gibt, die zu rund 60.000 Toten und 200.000 dauerhaften Behinderungen führen. Fast alle Bisse ereignen sich am Land, wo Nagetiere in Feldern Schlangen anlocken. Auch Städte sind betroffen: Schlechte Abfallentsorgung führt zu Rattenplagen, die Schlangen anziehen.

Wie steht es um die Qualität der Gegengifte?

Bindumadhav: Die Versorgung mit Gegengift hat sich in Indien in den vergangenen zehn Jahren verbessert, Engpässe sind heute selten. Wir verwenden polyvalente Gegengifte gegen die vier gefährlichsten Schlangenbisse, die auch gegen weitere gefährliche Arten wirken. Doch diese Mittel haben bisher keine klinischen Studien durchlaufen, wie das für Medikamente Standard sein sollte. Zudem können die Mittel bei geschwächten Patienten schwere allergische Reaktionen auslösen. Viele Ärzte zögern deshalb, Bisse zu behandeln. Bessere Ausbildung und Qualitätsstandards sind dringend nötig.

Wie hoch ist die finanzielle Belastung für Betroffene?

Bindumadhav: Sehr hoch. Eine Standardtherapie Antivenom mit zehn Ampullen kostet 80 US-Dollar, die Gesamtbehandlung bis zu 1.500 US-Dollar – fast die Hälfte des Jahreseinkommens eines ländlichen Haushalts. Familien geraten in Schulden, verkaufen Land oder nehmen ihre Kinder aus der Schule. Die sozioökonomischen Folgen sind enorm. Auch psychische Traumata dürfen nicht unterschätzt werden.

Gibt es Hoffnung auf Besserung?

Bindumadhav: Ja, ich bin optimistisch. Seit 2024 verfolgt Indien einen Nationalen Aktionsplan, um Todesfälle durch Schlangenbisse bis 2030 zu halbieren. Ein Beispiel für eine Maßnahme ist ein WhatsApp-Chatbot in Karnataka, den wir mit dem The Liana Trust entwickelt haben: Er klärt über Schlangenarten, Erste Hilfe und Mythen auf. Bald integrieren wir auch eine Karte mit allen Krankenhäusern, die Gegengift bereithalten. Mittelfristig soll das Tool in ganz Indien verfügbar sein. Parallel forscht das Evolutionary Venomics Lab in Bengaluru an synthetischen Antiveninen, die gezielter und sicherer wirken als die heute aus Tierblut gewonnenen Gegengifte. In zehn bis 15 Jahren könnten diese die Behandlung revolutionieren.

Vielen Dank für das Gespräch!