corporAID: Europa und Österreich stecken in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Wie ist Ihr Unternehmen davon betroffen?

Kapsch: Wir können die Auswirkungen noch nicht abschätzen. Die Kapsch Group ist in der Investitionsgüterindustrie tätig und damit ein Nachläufer der Konjunktur. Wir wissen noch nicht genau, wie sich die Märkte verändern, weil wir nicht wissen, wie sich das Mobilitätsverhalten mittelfristig verändern wird. Derzeit erleben wir beispielsweise eine Abkehr von öffentlichen Verkehrsmitteln, die Menschen bevorzugen vermehrt den Individualverkehr. Das wäre für uns natürlich gut – für die Umwelt weniger. Sollte sich dieser Trend etablieren, bedingt das Investitionen in intelligente Verkehrssteuerung und in ein neues Zusammenspiel der unterschiedlichen Verkehrsmittel. Ob es dazu kommen wird, wissen wir heute nicht. Ich bin zudem neugierig, welche Auswirkungen die Coronakrise auf das Thema Urbanisierung haben wird. Man ging ja vor 20 Jahren davon aus, dass die Digitalisierung zu einer Aufwertung der ländlichen Regionen führen wird. Das Gegenteil ist passiert. 

Wie verändern sich Ihre Märkte durch die Krise?

Kapsch: Wir sehen Länder oder Regionen, die stärker betroffen sind, andere Regionen die schwächer betroffen sind. Südafrika zum Beispiel ist ein Markt, in dem von einem Tag auf den anderen alles stillgestanden ist. Und das hat natürlich einen wesentlichen Einfluss auf unsere Verkehrstelematik-Einrichtungen in Südafrika. In Lateinamerika gibt es Verschiebungen von Projekten, aber da merken wir es eigentlich nicht so stark. Wir gehen davon aus, dass wir unsere Wachstumsziele in Lateinamerika erreichen werden. Die anderen Regionen sind eigentlich nicht wirklich betroffen. Da oder dort wird eine Ausschreibung verschoben und die Behörden sind nicht ganz so entscheidungsfreudig wie in normalen Zeiten, alles dauert etwas länger, aber grundsätzlich sehe ich dort nicht, dass unser Geschäftsmodell stark beeinflusst ist. Es gibt Länder, die sich bis Anfang des Jahres wirtschaftlich wirklich gut entwickelt haben. Dazu zählen insbesondere Chile, Kolumbien und Peru, wenn wir von Südamerika sprechen. Umgekehrt ist beispielsweise Argentinien weit unter seinem Potenzial geblieben. In Asien sind wir nur punktuell tätig, jedoch nicht in Japan und China. 

Wo liegen hier die spezifischen Herausforderungen?

Kapsch: Ein wichtiger Punkt sind sicherlich vertrauenswürdige Kooperationspartner, ohne die Sie in vielen Ländern nicht agieren können. Ein weiterer Faktor ist die Stabilität der politischen Rahmenbedingungen, weil dort eine Änderung der Regierung auch zu einer Änderung der wirtschaftlichen Vorgangsweise führen kann. Wenn Sie mit einem Staat Geschäfte machen, müssen Sie sich sicher sein können, dass sich auch die nächste Regierung an die Verträge hält. Und diese Stabilität ist in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern nicht gegeben. 

Georg Kapsch, Kapsch Group

Was man immer wieder erklären muss, ist, dass Lebensstandard und Wertschöpfung nun einmal zusammenhängen.

Welche Erfahrungen haben Sie in afrikanischen Märkten gemacht?

Kapsch: Um ehrlich zu sein: Die Entwicklung in Afrika sehe ich eher negativ. Afrika hat das gewaltige Problem der Korruption und der ineffizienten Bürokratie. Ich habe kürzlich in einem afrikanischen Land ein Geschäft abgeschlossen, und der Kunde hat schlicht und ergreifend nicht gezahlt, Punkt. Wir haben dort Millionen investiert und mussten alles abschreiben. Das passiert Ihnen in Südamerika nicht: Dort zahlen die Kunden. Wenn wir Afrika helfen wollen, dann müssen wir Wertschöpfung vor Ort schaffen. Daher gehört auch die Entwicklungszusammenarbeit auf neue Beine gestellt. Was man immer wieder erklären muss, ist, dass Lebensstandard und Wertschöpfung nun einmal zusammenhängen. Ich glaube, dass man Menschen und Unternehmen besser gewinnen kann, einen Beitrag in diesen Ländern zu leisten, wenn es auch einen wirtschaftlichen Return gibt. Das bedeutet aber nicht Export, sondern den Aufbau von lokalen Kapazitäten. Entwicklungszusammenarbeit geht natürlich weit über das unmittelbar Wirtschaftliche hinaus: Es geht auch um das Thema Bildung. Bildung ist der Kern jeder wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und auch die Basis für Demokratie. Ohne sozialen und politischen Frieden sowie Wertschöpfung vor Ort werden wir zudem die Migrationsströme nicht verhindern können – mit Mauern und Zäunen wird das nicht funktionieren. 

„Mach Urlaub in Österreich, kauf in Österreich.“ Wie stehen Sie zu solchen Aufrufen zur Renationalisierung?

Kapsch: Diese Renationalisierungstendenzen werden für den Standort Österreich nichts Positives bringen, denn der internationale Handel hat stets zur Vermehrung von Wohlstand beigetragen. Wenn wir renationalisieren, berauben wir uns vieler Möglichkeiten. Ohne die Europäische Union hätten wir wesentlich weniger Wachstum gehabt – das sollte jedem Österreicher bewusst sein. Europa muss sich aber überlegen, welche Rolle es künftig auf dem internationalen Parkett wahrnehmen möchte. Denn wenn wir nicht in der Lage sind, gegenüber aufstrebenden Mächten wie China gemeinsam aufzutreten, werden wir die Verlierer sein. Gleichzeitig sollten wir uns bewusst machen, dass das reine Auslagern von Kapazitäten in Billiglohnländer ja noch lange keine Globalisierung ist: Ihr Grundgedanke ist eine weltweite Vernetzung und Verflechtung zum Vorteil aller und nicht zum Vorteil weniger. Die Globalisierung wird sich meines Erachtens sogar verstärken. Nur eine Auslagerungspolitik wie bisher wird es nicht mehr geben: Es kann nicht sein, dass wir ohne Indien und China keine Antibiotika herstellen können. Das bedeutet nicht Renationalisierung, aber ein Bewusstsein zu schaffen dafür, was in einer Staatengemeinschaft an Forschung und Entwicklung, an Produktion und an Wertschöpfung wichtig ist.

Georg Kapsch, Kapsch Group

Das reine Auslagern von Kapazitäten in Billiglohnländer ist ja noch lange keine Globalisierung.

Wo sehen Sie die Stärken und die Schwächen des Standorts Österreich?

Kapsch: Zuvorderst bietet Österreich sozialen Frieden, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Stabilität. Dazu kommen eine relativ gute, wenn auch ausbaufähige Forschung und Entwicklung sowie das Engagement und das immer noch relativ gute Ausbildungsniveau. Auch die Flexibilität ist im beruflichen Bereich vergleichsweise hoch. Die Schwächen sehe ich vor allem in der überbordenden Administration sowie einem ineffizienten Bildungs-und Sozialsystem. Ein Thema, mit dem man sich in Österreich schwer tut, ist Eigenverantwortung. Die Politik hat den Menschen über Jahrzehnte erklärt, dass sie sich um vieles nicht kümmern müssen, weil der Staat ihnen schon helfen wird. Das ist in Ordnung, solange es nicht dazu führt, dass die Menschen glauben, der Staat sei irgendetwas Abstraktes und nicht sie selbst. 

Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit?

Kapsch: Ich bin der Überzeugung, dass es keinen Widerspruch gibt. Nachhaltigkeit kann man nicht über Verzicht, sondern nur über technischen Fortschritt erreichen. Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, dann geht das nur über Technologie – und nicht indem wir Stadtkerne autofrei machen und Radwege bauen. Und wenn ich über Technologie spreche, dann geht es um Energie: in der Produktion, in der Anwendung der Produkte und in der Logistik. Aus dieser Perspektive ist Kapsch ein grünes Unternehmen, denn unsere Produkte dienen primär der Reduktion von Emissionen. Das war zugegeben ein Zufallstreffer, denn unser Ausgangspunkt war nicht, dass Verkehrssteuerung zum Klimaschutz beiträgt, sondern ein gutes Geschäftsmodell ist. Aber man braucht da und dort auch Glück. 

Ob Klimaschutz erfolgreich ist, wird sich nicht in Österreich entscheiden. Welche Rolle kann Österreich hier dennoch spielen?

Kapsch: Österreich ist hier in Wahrheit irrelevant. Trotzdem müssen wir unsere Ziele erfüllen, um ein Vorbild zu sein. Nur wird diese Vorbildwirkung nicht ausreichen: Wir werden unsere Wettbewerbsfähigkeit reduzieren, und die anderen werden ihren Beitrag nicht leisten. Das ist weder für den Klimaschutz noch für die Beschäftigung in Europa gut. Wir brauchen also andere Instrumente, um weitere Länder an Bord zu bekommen. Eine Möglichkeit ist eine europäische CO2-Steuer an Stelle des heutigen Emissionshandels. So würden auch importierte Produkte in gleicher Weise belastet und die Produktion in Europa entlastet. Wer dann nach Europa exportieren will, müsste entweder Abgaben bezahlen oder schlicht und ergreifend umweltfreundlicher produzieren.

Welche Bedeutung haben für Sie die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung?

Kapsch: Die Erreichung dieser Ziele ist natürlich wünschenswert, nur hapert es für Unternehmen vielfach an der Umsetzung. Da werden Dinge verlangt, die nicht erfüllbar sind, wenn einzelne Lieferanten nicht mitspielen. Und der Hebel eines österreichischen Unternehmens ist überschaubar groß: Wie soll ich denn einen Lieferanten, der zehnmal größer ist, dazu zwingen, seine Produktionsprozesse und -bedingungen wirklich transparent zu machen? So gesehen dürfen wir uns nicht wundern, dass ein Bekenntnis zu den Zielen für viele Unternehmen eher ein Kommunikationsinstrument ist als eine echte Guideline. 

Georg Kapsch, Kapsch Group

Unternehmen sind nicht Selbstzweck, sondern dazu da, das Leben von Menschen angenehmer zu machen.

Wie stehen Sie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen?

Kapsch: Ich bin einerseits der Ansicht, dass gesellschaftliche Verantwortung eine Frage der Überzeugung ist. Andererseits schätze ich den Begriff Corporate Social Responsibility nicht, weil dieser vor allem ein Schlagwort ist. Für mich haben Unternehmen eine über Mitarbeiter, Aktionäre und Kunden hinausgehende gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Verantwortung. Unternehmen sind nicht Selbstzweck, sondern dazu da, das Leben von Menschen angenehmer zu machen, Wohlstand zu schaffen und zudem über Kunst und Kultur die Vielfalt in einer Gesellschaft zu fördern. 

Was macht ein Unternehmen zukunftsfähig und einen Unternehmer erfolgreich?

Kapsch: Es braucht den Mut, unkonventionell zu agieren, eine entsprechende wohldosierte Risikobereitschaft, ein permanentes Hinterfragen, ob man die richtigen Dinge auf die richtige Weise tut – und falls das nicht der Fall ist, letztlich den Willen, sich immer wieder neu zu erfinden. Dazu kommen die Neugierde und die Loyalität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber es ist auch die Frage: Was bezeichnen Sie als Erfolg? Geht es hier nur um hohe Renditen? Oder ist Erfolg, eine Organisation zu führen, die nachhaltig abgesichert ist und gedeiht, deren Belegschaft sich wohlfühlt und die einen Beitrag zur Gesellschaft leistet? Für mich macht letzteres den wahren Erfolg als Unternehmer aus.

Vielen Dank für das Gespräch.
 

ZUR PERSON

Georg Kapsch startete seine berufliche Karriere bei der Kapsch Group im Jahr 1982 im Bereich Konsumgütermarketing, 1989 wurde er in den Vorstand ernannt. Seit Oktober 2001 ist er Vorstandsvorsitzender der Kapsch Group, Ende 2002 übernahm er zudem den Vorstandsvorsitz in der Kapsch TrafficCom. Daneben war der studierte Betriebswirt von 2012 bis 2020 Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung. 

ZUM UNTERNEHMEN

Mobilität und Digitalisierung im Fokus

Mautsystems der Kapsch TrafficCom
Mautsystem der Kapsch TrafficCom

Die Kapsch Group ist ein 1892 gegründetes Familienunternehmen mit Sitz in Wien. Heute vereint der weltweit tätige Technologiekonzern mit rund 6.680 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die zwei Geschäftsfelder Kapsch TrafficCom und Kapsch BusinessCom. Während Kapsch TrafficCom weltweit intelligente Verkehrssysteme, unter anderem für Mauteinhebung und Verkehrsmanagement, implementiert, unterstützt Kapsch BusinessCom Unternehmen bei der Steigerung der Performance und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle durch Telefonie-, Netzwerk- und IT-Lösungen. Kapsch verfolgt das Ziel der globalen Qualitäts- und Innovationsführerschaft und investiert jährlich rund zehn Prozent des Gesamtumsatzes in Forschung und Entwicklung. Langjährige Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen und strategischen Akquisitionen liefern zusätzliches Know-how. Die Kapsch TrafficCom erwirtschaftete mit Tochtergesellschaften und Niederlassungen in mehr als 30 Ländern im Geschäftsjahr 2019/20 einen Umsatz von 731,2 Mio. Euro und ist seit 2007 im Segment Prime Market der Wiener Börse notiert.

Fotos: Mihai M. Mitrea, Kapsch Trafficcom