Burkina Faso, Äthiopien, Uganda und Mosambik, Libanon, Jordanien und Ukraine: In diesen sieben Ländern greift Österreich notleidenden Menschen mit insgesamt 13,5 Mio. Euro unter die Arme. Beschlossen wurde dies vom Ministerrat am 17. März. Es handelt sich dabei um die höchste Mittelausschüttung in der Geschichte des Auslandskatastrophenfonds – des zentralen Instruments der bilateralen humanitären Hilfe Österreichs. „Damit ist ein gehöriger Sprung gelungen. Während die Covid-Krise dazu führt, dass die Notlagen steigen, sorgen wir für mehr Kontinuität und Verlässlichkeit. Es geht um Würde und Sicherheit auch für jene, die in eine Notlage geraten sind“, hielt dazu Vizekanzler Werner Kogler fest. Die Gelder werden österreichischen Nichtregierungsorganisationen für deren Hilfe vor Ort zur Verfügung gestellt.

Dieser Zahlung gingen in diesem Jahr bereits je drei Mio. Euro für Äthiopien und den Jemen voraus, und sie wird heuer nicht die letzte sein. Denn der Topf des Auslandskatastrophenfonds ist im Vergleich zu früher prall gefüllt. Bis 2015 war er mit fünf Mio. Euro jährlich dotiert, 2019 wurde auf 25 Mio. Euro aufgestockt, im vergangenen Herbst wurde das Budget noch für 2020 kurzfristig auf 50 Mio. Euro verdoppelt. Heuer beträgt es 52,5 Mio. Euro, und in den kommenden Jahren sollen die Mittel weiter ansteigen. Ab 2024 sind jährlich 60 Mio. Euro vorgesehen.

Humanitäre Hilfe im Flüchtlingslager in Äthiopien
Schutz vor dem Kriegsgeschehen im Flüchtlingslager in Äthiopien

Im türkis-grünen Regierungsprogramm war von einer substanziellen Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds bereits die Rede. Als konkreten Anlass für die Umsetzung lässt sich die Debatte um die Flüchtlingslager auf Lesbos sehen. Beobachter werten die von den Grünen vorangetriebene Aufstockung als eine Kompromisslösung zwischen den beiden Regierungsparteien. 

Die österreichischen Hilfsorganisationen begrüßen die Erhöhung der Mittel. Laut Annelies Vilim, Geschäftsführerin des Dachverbands der österreichischen Entwicklungs-NGO AG Globale Verantwortung, können dadurch „Symptome vieler Krisen gemildert werden“. Das sei für viele Menschen im wahrsten Sinne des Wortes überlebensnotwendig. Auch Walter Hajek, Leiter der internationalen Zusammenarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz, zeigt sich angesichts des Budgetsprungs hoffnungsfroh. Gerade in Krisenzeiten dürfe die globale Dimension nicht aus den Augen verloren werden: „Corona besiegen wir weltweit oder gar nicht“, prognostiziert er mit Hinweis auf das aktuelle Szenario. Zur Linderung der Covid-19-Folgen wurden im Oktober des Vorjahres dann auch die ersten Mittel aus dem aufgestockten Auslandskatastrophenfonds bereitgestellt. Zwölf Mio. Euro wurden für Hilfe im südlichen und östlichen Afrika, am Westbalkan und im Südkaukasus bereitgestellt.

Daten und Fakten

Humanitäre Hotspots

Laut den Vereinten Nationen benötigen heuer 235 Millionen Menschen weltweit humanitäre Hilfe und Schutz – vor allem in Krisenregionen in Afrika, Asien und Südamerika.

Laut den Vereinten Nationen benötigen heuer 235 Millionen Menschen weltweit humanitäre Hilfe und Schutz – vor allem in Krisenregionen in Afrika, Asien und Südamerika.

Sonderbeauftragter für humanitäre Hilfe 

Um das deutlich angehobene Budget zu koordinieren, wurde von der Bundesregierung mit Christoph Schweifer erstmals auch ein Sonderbeauftragter für humanitäre Hilfe eingesetzt. Dank seiner Erfahrung im humanitären Bereich – er leitete unter anderem jahrelang die Auslandshilfe der Caritas – gilt er als hervorragend geeignet für diese neue Position. Mit der Ursachenforschung zur Erklärung der Erhöhung will sich Schweifer nicht zu lange aufhalten: „So oder so, das ist eine wichtige Entscheidung, durch die Österreich seine Verantwortung im humanitären Bereich stärker wahrnimmt“, betont er.

Schweifer ist der Abteilung für Humanitäre Hilfe und Nahrungsmittelhilfe im Außenministerium zugeordnet, welche den Auslandskatastrophenfonds verantwortet. Humanitäre Hilfe wird hier offiziell als Aufgabe verstanden, „Leben zu retten, menschliches Leid zu lindern und Schutz und Versorgung aller betroffenen Menschen in einer humanitären Notlage (Naturkatastrophen, bewaffnete Konflikte, Pandemien) sicherzustellen sowie die Grundlage für eine Rückkehr zu akzeptablen und menschenwürdigen Lebensbedingungen zu schaffen“.

Im Fall einer Katastrophe in einem ausländischen Staat, der selbst nicht in der Lage ist, seine Bevölkerung ausreichend zu versorgen, können aus dem Auslandskatastrophenfonds Gelder rasch zur Verfügung gestellt werden. Abgewickelt werden diese dann über internationale Organisationen wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef oder das Welternährungsprogramm, über lokale NGO oder wie im aktuellen Fall über heimische Akteure wie das Österreichische Rote Kreuz oder die Caritas Österreich. Entschieden wird über die Vergabe der Gelder im Ministerrat.

Neue Strategie für humanitäre Hilfe

Bei der Ausarbeitung einer neuen Strategie für humanitäre Hilfe, die bereits im Regierungsprogramm verankert wurde, nimmt der neue Sonderbeauftragte eine beratende Rolle ein. Ende Jänner gab es ein erstes breit angelegtes Treffen verschiedener Ministerien und Nichtregierungsorganisationen zu diesem Thema.

Mit der neuen Strategie soll vor allem auf veränderte Rahmenbedingungen in der humanitären Hilfe reagiert werden, wie Christoph Schweifer erklärt: „Der Auslandskatastrophenfonds ist 2005 in Folge des Tsunamis in Südostasien errichtet worden. Dementsprechend ist der ganze Fonds konstruiert, um auf Naturkatastrophen zu reagieren. Mit Blick auf die Entwicklungen in den vergangenen Jahren müssen wir aber anerkennen: Humanitäre Katastrophen sind heute vor allem die Folge von Konfliktereignissen.“ Langanhaltende Krisen – wie in Syrien, Afghanistan, Westafrika oder im Jemen – bedürften einer anderen, längerfristig angelegten Form der humanitären Hilfe. Damit könnte auch die Planbarkeit der humanitären Hilfe zukünftig gesteigert werden. Schweifer ist sich bewusst, dass dies neben transparenteren Prozessen ein vorrangiger Wunsch der Hilfsorganisationen ist.

Der Sonderbeauftragte gibt aber auch zu bedenken, dass die Gelder aus dem Auslandskatastrophenfonds nie willkürlich geflossen sind: „Es gibt einen hohen Deckungsgrad mit den Ländern, die laut den Vereinten Nationen diese Hilfe am dringendsten brauchen. Die politischen Entscheidungen beruhen auf Überlegungen, die keinesfalls aus dem Nichts kommen.“

Der grundsätzliche Aufbau der neuen Strategie zeichnet sich laut Schweifer bereits ab: Am Anfang stehe die Frage, auf welche wesentlichen Zukunftsherausforderungen sich Österreich in der humanitären Hilfe konzentrieren wolle: Wie soll mit lang anhaltenden Krisen, vor allem auch der Klimakrise, umgegangen werden? Und wie wird die Coronakrise die humanitäre Hilfe verändern? Im Anschluss geht es um die Frage, mit welchen Kapazitäten und Fähigkeiten Österreich auf diese Herausforderungen reagieren soll, also welche Rolle die einzelnen Ministerien, die multinationalen Organisationen und die österreichischen NGO spielen. In diesem Zusammenhang soll es auch um die Chancen gehen, die die Digitalisierung der humanitären Hilfe eröffnet. Die neue Strategie soll, wie Außenminister Alexander Schallenberg in einem Hintergrundgespräch verriet, im Sommer vorgelegt werden.

In Richtung 0,7 Prozent

Die Art und Weise, wie der Prozess der Strategieerstellung ins Laufen kommt, findet Anerkennung. Michael Obrovsky von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung ÖFSE und kritischer Beobachter der heimischen Entwicklungszusammenarbeit, merkt an: „Es ist gut, dass sie das breit anlegen, und bislang ist der Prozess auch transparent.“ Vor allem aber sei die finanzielle Aufstockung des AKF der „erste wichtige Schritt zur Behebung langjähriger Versäumnisse bei der Dotierung der humanitären Hilfe“.

In Zahlen

Unter dem Durchschnitt

2019 stellte Österreich mit 3,82 Euro pro Kopf deutlich weniger Mittel für humanitäre Hilfe bereit als das Gros der europäischen Staaten.

2019 stellte Österreich mit 3,82 Euro pro Kopf deutlich weniger Mittel für humanitäre Hilfe bereit als das Gros der europäischen Staaten.

Das geringe österreichische Engagement der vergangenen Jahre und Jahrzehnte betrifft dabei nicht nur die humanitäre Hilfe, sondern erstreckt sich über die gesamte Entwicklungszusammenarbeit. Diese bemisst sich auch an internationalen Vorgaben. Konkret setzten sich im Oktober 1970 die Industriestaaten zum Ziel, jeweils 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens BNE für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aufzuwenden. Offiziell gilt diese Zielmarke auch ein halbes Jahrhundert später noch, erreicht haben diese mit Luxemburg, Norwegen, Schweden, Dänemark und Großbritannien zuletzt aber nur fünf OECD-Staaten. Österreich liegt deutlich unter dem OECD-Schnitt, 2019 betrug der Wert 0,27 Prozent.

Nun werden hierzulande neben dem Auslandskatastrophenfonds aber auch die Mittel der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit angehoben, von 114,4 Mio. Euro im Jahr 2020 auf 125,1 Mio. Euro in diesem Jahr. Dadurch – und mit Entschuldungen – könnte Österreich laut Budgetentwurf des Außenministeriums heuer zumindest 0,45 Prozent des BNE für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe erreichen. Im Ressort freut man sich über diese Entwicklungen. Ob man daraus eine systematische Steigerung machen könne, sei aber Gegenstand künftiger Verhandlungen, sagte Außenminister Alexander Schallenberg auf Nachfrage im Budgetausschuss des Nationalrats.

Laut Budgetprognosen wird der Wert ohne weitere Erhöhungen im Jahr 2024 wieder auf 0,27 Prozent zurückfallen. Obrovsky bleibt skeptisch: Österreich habe immer wieder die 0,7 Prozent zugesagt, aber nie die budgetären Voraussetzungen dafür geschaffen.

Big Plan für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit 

Der Entwicklungsforscher legt den Finger in die Wunde: „Es fehlt seit langem ein verbindlicher Stufenplan: Wie möchte die Regierung die Ziele erreichen, welche Zwischenziele gibt es auf dem Weg dorthin?“ Ein erster Schritt sei eine umfassende Strategie, so Obrovsky: „Die neue Strategie für die humanitäre Hilfe gehört mit dem Dreijahresprogramm der Entwicklungszusammenarbeit verzahnt. Das muss aufeinander abgestimmt und kohärent gedacht werden. Nur so gelangen wir zu einer Gesamtstrategie für die Umsetzung der Sustainable Development Goals, die mittlerweile die zentrale Referenzgröße der globalen Entwicklungsbemühungen sind.“ So sollten seiner Meinung nach auch die zusätzlichen Gelder für den Auslandskatastrophenfonds nicht ausschließlich für akute Katastrophenhilfe, sondern vor allem auch für den Aufbau resilienter Strukturen in Krisenregionen ausgegeben werden.

Christoph Schweifer stimmt dem zu: „Wir müssen wegkommen von einer linearen Betrachtungsweise in der humanitären Hilfe, also zu sagen: Hier Katastrophe, da Hilfe, Problem gelöst.“ Stattdessen plädiert er für einen systemischen Zugang: Warum gibt es diese Notsituation? Was sind Faktoren, die eine Rolle spielen? Und wie können wir akute humanitäre Hilfe leisten und gleichzeitig daran arbeiten, dass sich die Situation grundsätzlich ändert? Ein Ausspielen der humanitären Hilfe gegenüber der Entwicklungszusammenarbeit, wie es in der Vergangenheit bisweilen geschehen sein mag, wäre in seinen Augen kontraproduktiv.

Außenminister Alexander Schallenberg hält seinerseits an der neuen Strategie für humanitäre Hilfe fest, sieht darin aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Vielmehr sei die Strategie eine Grundlage für die Arbeit in den kommenden Jahren. „Man rennt im Außenministerium offene Scheunentore ein, wenn man sagt, man solle die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe verstärken und vernetzen. Und ich freue mich sehr, dass nun Nägel mit Köpfen gemacht werden“, sagt Schallenberg.

Humanitäre Hilfe für den Jemen
Die größte humanitäre Krise der Welt spielt sich zurzeit im Jemen ab – im Bild: Lebensmittellieferungen in Sanaa.

Internationale Vorreiter der humanitären Hilfe 

Wenn es also das Ziel ist, auch über die Erhöhung einzelner Posten hinaus eine proaktivere Rolle im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe einzunehmen, lohnt sich ein Blick nach Skandinavien. So sind deren budgetäre Spitzenplätze keine Einzelereignisse. Schweden liegt seit den 1970er Jahren durchgehend deutlich über den 0,7 Prozent. Und in Dänemark gibt es einen Konsens darüber, das Thema nicht für parteipolitische Scharmützel zu missbrauchen. Obrovsky nennt noch weitere Stärken: „Diese Länder verfolgen vor allem konkrete Ziele mit ihren Strategien, auch was das Engagement bei multilateralen Einrichtungen angeht.“ In Österreich beschränke man sich hingegen auf ein allgemeines politisches Commitment, und vermeide jede verbindliche Zusage.

Er empfiehlt: „Österreich könnte lernen, dass humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele Politikbereiche sind, bei denen wir uns unabhängig von Parteipolitik engagieren müssen. Dazu braucht es mehr konkrete Zielformulierungen und weniger PR rund um einzelne Hilfszahlungen.“

Christoph Schweifer ist optimistisch, dass das Bewusstsein dafür in Österreich gerade aufgrund der Coronakrise zunimmt: „Wir sehen, dass es auch auf uns Auswirkungen hat, wenn es irgendwo einen Krankheitsausbruch gibt.“ Er sieht die Pandemie als einen Treiber für die Erkenntnis der gegenseitigen Abhängigkeit und Verbundenheit. Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit seien für Österreich somit nicht nur aus Gründen der Menschlichkeit und der internationalen Verpflichtungen wichtig, sondern auch aus einem „aufgeklärten Eigeninteresse“ heraus. 

Fotos: BMEIA/Gruber, OCHA/Charlotte Cans, UNICEF Ethiopia/2021/Mulugeta Ayene